LeserInnenbrief
Ein grundsätzlicher Fehler

von Roberto Mantovani

12/05

trend
onlinezeitung

Betreff: zu: Flüge-Folter-Geiselnehmer

Sehr geehrte trend-Redaktion

Der Artikel, wie gut er teilweise ist, enthält doch einen grundsätzlichen Fehler:

Ziel von Geiselnahmen, Folterbildern etc. ist eben nicht die Schaffung von Aggressionen gegen Irakis, sondern die Schaffung einer weltweiten Solidarität mit dem islamischen Fundamentalismus (natürlich unabhängig davon, wie viele Iraker durch US-Waffen umkommen).

Es geht um die Schaffung eines vorauseilenden Gehorsams in Taten und Meinungsäußerungen gegenüber dem islamischen Fundamentalismus, und zwar
weltweit.

Der islamische Fundamentalismus ist (wie von mir in etlichen Postings behandelt) eines der wichtigsten Instrumente von USA und EU zur Disziplinierung von Bevölkerungen weltweit und zur Destabilisierung von Staaten weltweit.

Ich kann nur noch einmal Robert Baer zitieren, der in einem Buch, das der Entlarvung des Bündnisses der USA mit den Saudis und ihrem Fundamentalismus dient, in der Schlussfolgerung doch genau wieder islamische "Revolutionen" empfiehlt:

"Die Saudi-Connection", S. 278:
"Wenn man diesen Gedankengang weiterführt, könnte man mit der Idee von einer ganzen Kette gemäßigter schiitischer Regierungen spielen, die sich in einem Gebiet, das von Teheran über Kuwait und Bahrain bis zur saudischen Ostprovinz erstreckt - das sind alles Länder mit einer substantiellen schiitischen Bevölkerung. (...) Nur eine Invasion und eine Revolution könnten vielleicht den industriellen Westen vor einer lang anhaltenden, lähmenden Depression retten. (...)"

Es geht um einen weltweiten Klimawandel in der öffentlichen Meinung, um eine Renazifizierung (aus falsch verstandenem schlechten kolonialistischen Gewissen und falsch verstandenem schlechten Gewissen gegenüber MigrantInnen) der öffentlichen Meinung: sag und tu nix gegen den islamischen Fundamentalismus, weder weltweit noch zu Hause.

Es geht um eine somit faschisierte Friedensbewegung, die immun gegen Aufklärung von links ist, sondern Grundbesitz und Mittelstand vertritt, eine neofeudalistische Gesellschaft anstrebt.

Das wäre zu sehen und zu behandeln (wenn Interesse besteht, kann ich darüber gern ausführlicher und mit weniger frischer Wut etwas schreiben).

Roberto Mantovani
 

Editorische Anmerkungen

Roberto Mantovani schickte uns seinen LeserInnenbrief am
2.12.2005, den wir nun hier veröffentlichen.

D.h. nicht, dass wir jede Email, die Stellung zu einem Artikel in unserer Zeitung bezieht, verbreiten. Im vorliegenden Fall hat der Brief allerdings exemplarischen Charakter, zeigt er doch, wie tief sich "anti"deutscher Unsinn ins linke Alltagsdenken eingegraben hat und zu welch absurder Wortakrobatik ("Renazifizierung der öffentlichen Meinung", "faschisierte Friedensbewegung" ) das führt.

Red. trend am 8.12.05