Frankreich: Gesetz gegen Homphobie verabschiedet - Gegen viele Widerstände in den Reihen der Rechten

Von Bernhard Schmid (Paris)
12/04
 
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"Schützt mich vor meinen Freunden, vor meinen Feinden schütze ich mich selbst": Das mag sich manches Regierungsmitglied während der jüngsten  Debatte in der französischen Nationalversammlung gedacht haben.

Dort wurde in der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch (8. Dezember) per Gesetz eine spezifisch Strafdrohung für homophobe und sexistische Schmähungen beschlossen. Dabei wird nach dem Muster der seit 1972 bzw. 1990 bestehenden Vorschriften für rassistische, antisemitische sowie die Shoah leugnende Motivationen verfahren. Solche Motive, deren Verwerflichkeit festgeschrieben wurde, ziehen eine automatische Strafverschärfung bei Beleidigungs- und anderen Delikten nach sich.

Doch eine Reihe von Abgeordneten der konservativen Parlamentsmehrheit zierten sich, dem Vorhaben zuzustimmen. Der UMP-Parlamentarier von Lille, Christian Vanneste, sah gar gleich "das Überleben der Menschheit in Gefahr" - weil Schwule und Lesben sich nicht fortpflanzen würden. Der Fraktionsvorsitzende der Präsidentenpartei UMP, Bernard Accoyer, hob schließlich die Fraktionsdisziplin auf und gab "seinen" Abgeordneten Stimmfreiheit. Bei einer Aussprache der Fraktion über das umstrittene Thema der Homophobie musste er die allgemeine Redezeit um die Hälfte kürzen, da sonst ein Überborden drohte. Der Fraktionssprecher Guy Geoffrey bat seine Kollegen darum, der Presse oder Öffentlichkeit "nicht Äußerungen zum Fraß vorzuwerfen, die ein Bild von uns vermitteln, das wir nicht verdienen." Am Ende kam die Gesetzesvorlage aber doch noch durch das Parlament, freilich ergänzt um einen Zusatz, der gegen den Willen der Regierung in den Text aufgenommen wurde: Neben Homosexuellen und Frauen als Opfer sexistischer Äußerungen werden jetzt auch Behinderte durch dasselbe Gesetz extra geschützt. So wollte es die ultrakatholische, dem Vatikan nahe stehende UMP-Abgeordnete Christine Boutin, die bei der Vorstellung ihres Änderungsantrags darauf bedacht war, die verschiedenen zu schützenden Gruppen gegeneinander auszuspielen: "Behinderte haben natürlich keine Lobby", rief sie aus. Und sie meinte damit offenkundig, dass Schwule und Lesben über eine mächtige Lobby verfügen. Zugleich bestand ihre Absicht darin, den Text in gewisser Weise zu entsexualisieren und ihm den Sinn eines eher karitativ angelegten Opferschutzes zu verleihen. Dagegen konnte die Regierung die zuvor umstrittene Regelung zur Verbandsklage durchsetzen, die es nunmehr beispielsweise Schwulen- und Lesbenvereinigungen ermöglicht, Strafanzeige im Namen eines Opfers zu erstatten oder als Nebenkläger aufzutreten.

Die Hintergründe: Homophobe Hassverbrechen...

Die Idee einer Ausweitung des Schutzes gegen rassistische und antisemitische "Hassdiskurse" und solcherart motivierte Taten auch auf homophobe und sexistische Diskriminierungen kam im vergangenen Frühjahr auf. Dazu trugen zwei Ereignisse erheblich bei. Das erste war die brutale Aggression gegen den 35jährigen Sébastien Nouchet, der am 16. Januar dieses Jahres in seinem Garten, wo er die Vögel fütterte, von Unbekannten mit Benzin übergossen und in Brand gesteckt wurde. Dabei erlitt er Verbrennungen dritten Grades, so dass er wegen unerträglicher Schmerzen wochenlang in ein künstliches Koma versetzt werden musste.

Sébastien Nouchet und sein Lebensgefährte, Patrice Jondreville, waren drei Jahre zuvor in das ehemalige Kohlerevier Nord-Pas de Calais nahe der belgischen Grenze gekommen, wo Patrice einen neuen Job antrat. Doch in Lens war dem schwulen Paar rasch durch junge Leute das Leben zur Hölle gemacht worden, so dass sie in die Kleinstadt Noeux-les-Mines umzogen. Doch auch dort wurden sie angegriffen: Im August 2003 waren Unbekannte in ihr Haus eingedrungen und hatten Sébastien zu erwürgen versucht. Der versuchte Mord von Noeux-les-Mines rief in breiten Kreisen der Gesellschaft Emotionen hervor. Präsident Jacques Chirac schickte Sébastien Nouchet persönlich einen Brief ins Krankenbett. Und Mitte März fand eine landesweite Demonstration in Paris statt, zu der SOS Homophobie aufgerufen hatte und zu der viele Schwulen- und Lesbenvereinigungen sowie ein Teil der Linken mobilisierten. Die Aggression gegen Sébastien und Patrice ist relativ typisch für die aktuelle Form homophober Gewalt und Diskriminierung. Diese machen sich vor allem in solchen Gebieten bemerkbar, etwa im Krisenrevier Nord-Pas de Calais sowie in bestimmten Zonen Südfrankreichs, wo traditionelle geschlossene Arbeitermilieus im Implodieren begriffen sind. Dort sind viele Angehörige der sozialen "Unterschichten", die bisher über das Arbeitsleben und eventuell durch die gewerkschaftliche Aktivität sozialisiert waren, aufgrund der massiven Erwerbslosigkeit und ­ aufgrund ihrer Armut und geringen Mobilität ­ häufig sich selbst überlassen und weitgehend isoliert. Darauf reagieren viele männliche ehemalige Industriearbeiter oder Arbeitersöhne, die sich bisher eine Identität über die Erwerbsarbeit konstruiert hatten, durch eine aggressive Verteidigung ihrer in Frage gestellten oder zerbrochenen "männlichen Rolle" auf symbolischem Gebiet.

Nachdem diese nicht mehr durch die Funktion als Malocher oder "Ernährer" abgesichert werden kann, wird sie bei Manchen durch Aggressionen gegen Schwule oder aber gegen die Einwanderer "mit ihren kinderreichen Familien" abgelöst. Denn beide werden jeweils als Bedrohung und Infragestellung des eigenen Rollenverständnisses wahrgenommen. Früher wurden solche aggressiven Emotionen auch durch die, etwa im Nord-Pas de Calais stark verankerten, Linksparteien wie die Kommunisten teilweise abgefangen, die darin eine schädliche Ablenkung vom Klassenkampf erblickten. Doch heute geht die Entfesselung solcher, etwa homophoben, Aggressionen mit dem Anstieg der rechtsextremen Wähleranteile in diesen Milieus einher, da die Angebote der Linksparteien (etwa "Klassensolidarität") dort nicht oft nicht mehr als reale Alternative wahrgenommen werden. Lens liegt im Wahlkreis der rechtsextremen Kandidatin Marine Le Pen vom Front National, die dort bei der Parlamentswahl 2002 über 32 Prozent der Stimmen holte, und Noeux-les-Mines (gut 12.000 Einwohner) liegt im Nachbarkreis von Béthune. Die Region Nord/Pas-de-Calais, der beide Kreise angehören, ist die einzige französische Region, wo der Front National bei den Regionalparlamentswahlen im März 2004 bedeutende neue Stimmenzuwächse erhielt.

Allerdings organisiert die parteiförmige extreme Rechte als solche keine Schwulenjagd. Zumal sie selbst insofern ein gespaltenes Verhältnis zur (männlichen) Homosexualität hat, weil als ihrer Aktivisten eine Faszination für männerbündische Zusammenschlüsse hegen, während andere tiefe homophobe Ressentiments hegen. Es ist ihre "Basis", die manchmal spontan gewalttätig wird.

...und politische Interessen

Das zweite Ereignis in diesem Frühjahr war der symbolische Eheschluss zwischen zwei schwulen Männern, am 5. Juni in Bègles, einer Trabantenstadt von Bordeaux. Die Heirat wurde gerichtlich annulliert, und die Regierung stellte sich auf den Standpunkt, es handele sich um einen Verstoß gegen geltendes Recht ­ obwohl der seit Napoléon geltende Code Civil, das bürgerliche Gesetzbuch, im Wortlaut nur von "zwei Personen" als Voraussetzung für eine gültige Ehe spricht. Aber im Juni war Wahlkampf, kurz vor den Europaparlamentswahlen. Auch der grüne Bürgermeister von Bordeaux, der frühere Präsidentschaftskandidat Noël Mamère, wollte durch den von ihm vorgenommenen Eheschluss offenkundig vor allem Publizität gewinnen. Ein Teil der Konservativen ihrerseits stilisierte die Agitation gegen Mamères "Gesetzesverstoß im Amt" zum symbolträchtigen Kulturkampf hoch. Die Regierung suspendierte Mamère für einen Monat vom Amt. Doch im Ausgleich musste die regierende Rechte auch den Schwulen und Lesben etwas bieten. Zumal einige "moderne Konservative" die jungen und profilierten Homosexuellen ­ die, meist im großstädtischen Milieu lebend und ohne eine Familie am Hals, oft im Erwerbsleben sehr aktiv sind und eigene Konsumwünsche anmelden ­ als "Leistungsträger unserer Gesellschaft" und neue Klientel für ihren Wirtschaftsliberalismus entdeckt haben. Dieser Typus von Schwulen und Lesben, der etwa in Paris im modisch und teuer gewordenen Altstadtviertel Le Marais wohnt, lebt freilich unter völlig anderen Verhältnissen als Sébastien Nouchet. Doch auch in diesem Milieu ist man natürlich an einer Bekämpfung der Homophobie interessiert. Und so wandte sich Premierminister Jean-Pierre Raffarin noch im Juni 04 an die Schwulen- und Lesbenvereinigungen mit dem Angebot, man werde zwar die Homoehe nicht anerkennen, aber ein großes Gesetzeswerk gegen Homophobie auf den Weg bringen. Unter dem Druck von Frauenverbänden wurde dann auch die sexistische (verbale) Gewalt in den Entwurf aufgenommen. Doch u.a. aufgrund innerparteilicher Streitigkeiten nahm die Regierung die bereits ausgearbeitete Gesetzesvorlage Ende Juni 2004 dann wieder von der Tagesordnung des Parlaments für die Sonder-Sitzungsperiode im Sommer (die einberufen worden war, um die neoliberalen "Reformen" wie die Gesundheitsreform durchzupeitschen). Bis dahin war in der konservativen UMP der Parteisekretär Jean-Luc Romero, der bei den letzten Kommunalwahlen 2001 in einer Kleinstadt in der Nähe von Bordeaux als bekennender Schwuler antrat, mit den Fragen der "neuen Formen des Zusammenlebens" betraut worden. Nach dem (vorläufigen) Rückzug des Gesetzesvorhabens hatte er genug: Er trat im Sommer, kurz nach dem Christopher Streets Day, von seinem Amt zurück und aus der Partei aus.

Manche rechten Abgeordneten sträuben sich

Im Herbst war es dann soweit. Doch innerhalb der rechten Parlamentsmehrheit gab es auch dann noch deutliche, zumindest passive Widerstände. Die widerstrebenden Abgeordneten konnten sich gut hinter einem Gutachten der Konsultativkommission für Menschenrechte, CNCDH, verbergen. Dieses offizielle, aber regierungsunabhängige Gremium kam im November zu dem Schluss, im Namen des republikanischen Universalismus sei es nicht gut, neue Spezialvorschriften gegen Homophobie und Sexismus einzuführen: Durch die Vervielfachung von Normen gegen besondere Formen von Diskriminierung drohe die "Universalität der Menschenrechte" aus dem Blick zu geraten, und es drohe die "Zersplitterung der Gesellschaft in immer mehr Communities". Deswegen wandte sich ein Teil der Bürgerrechtler gegen das Projekt eines spezifischen Antidiskriminierungsgesetzes.

Den rechten Abgeordneten ging es freilich eher  darum, dass sie fürchteten, ihre eigene Ansichten könnten künftig an den Pranger geraten, wenn die Homophobie strafbar würde. Ob denn dann künftig auch das öffentliche Vertreten der Ansicht, die Ehe sei der Vereinigung von Mann und Frau vorbehalten, strafrechtlich verfolgt werden könne, sorgten sich einige. Andere sorgten sich, wie der Abgeordnete Jean-Marc Nesme, dass nunmehr eine "Gedankenpolizei" eingeführt und letztendlich die Idee eines Adoptivrechts für homosexuelle Paar Schritt für Schritt durchgesetzt werden solle ­ dabei seien "in dieser Gesellschaft nicht Homosexuelle, sondern Kinder besonders bedroht".

Die Widerstände innerhalb der UMP konzentrierten sich schließlich auf die Einführung des Verbandsklagerechts für Zusammenschlüsse von Schwulen und Lesben oder von Frauen. Nur solche, die als gemeinnützig anerkannt seien, sollten davon profitieren, forderte ein Änderungsantrag des UMP-Abgeordneten von Bordeaux, Jean-Paul Garraud ­ der zuvor noch den totalen Rückzug des Gesetzesvorhabens gefordert hatte. Ein scheinheiliges Vorgehen, denn keine einzige der anvisierten Vereinigungen ist als gemeinnützig anerkannt, was ohnehin nur bei 2.000 von über 700.000 Initiativen und Vereinen in Frankreich der Fall ist. Gut ein Drittel der anwesenden UMP-Abgeordneten stimmten für diesen Antrag, der dann aber scheiterte. Dieses Mal unterließ es die Abgeordnete Christine Boutin freilich, eine Bibel im Abgeordnetenhaus zu schwenken, wie sie es noch während der Debatte um die zivilrechtliche  Lebenspartnerschaft (PACS) 1999 tat.

Editorische Anmerkungen

Diesen Artikel schickte uns der Autor am 16.12.2004 in der vorliegenden Fassung zur Veröffentlichung.

Eine Kurzfassung dieses Artikels erschien in Jungle World vom 15. 12. 2004.