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Adressen des Grauens: Wer mit Al Qaida im Internet agitiert
12/04

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Die medial inszenierte Enthauptung des jüdischen Amerikaners Nick Berg im Mai 2004 löste auch in der arabischen Welt Entsetzen aus. Doch war diese makabre Inszenierung im world wide web, als Waffe in der psychologischen Kriegsführung gegen die amerikanische Besatzung eingesetzt, nicht nur für westliche, sondern auch für arabische Augen kodiert. Und sie findet keineswegs im leeren Raum statt.

Seit Jahren, auch schon vor dem 11. September, kursierte auf Internetseiten radikaler Islamisten ein Videoclip, in dem einem gefesselten russischen Soldaten von tschetschenischen Kämpfern mit einem großen Messer der Kopf abgetrennt wird. Davon ließ sich offensichtlich auch die im Irak aktive Al Qaida Zelle unter Führung des Jordaniers al Zarqawis bei ihrer Hinrichtung von Nick Berg inspirieren. Die Al Tawid-Gruppe hatte allerdings einige Novitäten zu bieten. So sprachen die Täter auf dem Video von „schlachten“ (arabisch: dhabh) und verwendeten damit ein Wort, das im Arabischen auch die rituelle Schlachtung des Opfertieres bezeichnet. Damit sollte offensichtlich der Ermordete auf die Stufe eines Tieres gestellt werden. Zusätzlich wurde Berg und ihm folgende westliche Geiseln in einen orangefarbenen Overall gesteckt, der als Sinnbild für die Gefangenen von Guantanamo verstanden werden dürfte. Ein Araber wird Berg also zunächst mit den Opfern aus den eigenen Reihen assoziieren, getötet zwar als Feind im Heiligen Krieg, aber eben auch als unschuldiger Zivilist. Suggeriert werden soll damit nicht zuletzt, Berg sei im Grunde ein Opfer der amerikanischen Besatzungspolitik.

Nicht nur die arabische Presse distanzierte sich bewusst von dem makabren Begriff „dhabh“ und sprach dagegen von „Enthauptung“ oder „Kopfabtrennen“. Auch die libanesisch-schiitische Hizbullah nannte den Mord ein „abscheuliches Verbrechen“, das dem Ansehen des Islam schade. In den Kreisen radikaler Islamisten, die sich in zahlreichen Internet-Foren austauschen, wird die Propagandatat der Gotteskrieger im Irak auch nicht vorbehaltlos gutgeheißen. In dem Diskussionsforum „Al Qala“ (Die Festung) drückte ein Besucher zwar seine Bewunderung für den Kampfgeist der Täter aus, kritisierte aber die Ermordung eines hilflosen Gefangenen als unvereinbar mit dem Islam. Andere Chatter riefen zu mehr Nachdenklichkeit auf und führten ein Koranzitat aus der Biene-Sure (16: 126-127) an: „Und wenn ihr für eine Untat, die gegen euch verübt worden ist, eine Strafe verhängt, dann tut das nach Maßgabe dessen, was euch von der Gegenseite angetan worden ist! Aber wenn ihr geduldig seid und auf eine Bestrafung verzichtet, ist das besser für euch“. Andere dagegen verteidigten die Bluttat und verwiesen darauf, dass die Ungläubigen ja jeden Tag unzählige Muslime töten würden - nicht nur im Irak.

Die Meldung, al-Qaida rekrutiere per Internet oder nutze das Netz als „ideologische Waffe“, wird regelmäßig von US-Militärs lanciert. Dabei werden immer wieder die Zeitungen „Sawt al Jihad“ (Stimme des Jihad) und „Mu'askar al Battar“ (Battar-Armee) genannt. Beide Publikationen sollen 14-tägig im Internet erscheinen. Dort sind nicht nur die aktuellen Enthauptungsvideos zu sehen, sondern die Herausgeber nutzen das Internet zur globalen Verbreitung von Kampfstrategien und Vorbereitung von Attentaten. Die Artikel beschäftigen sich mit Ereignissen in Saudi-Arabien, Palästina und dem Irak. „Mu'asker al Battar“ dagegen ist eher als praktische Handfibel anzusehen. Hier wird den „Kämpfern des Heiligen Krieges“ angeraten, sich durch möglichst viele „sit-ups“ fit zu halten. Es geht um Waffenkunde, Schulungen in Konspirativität und es wird erklärt, wie man Menschen entführt. Kürzlich widmete sich eine ganze Ausgabe dem Terror in Großstädten und es hieß: „Treffe die Investitionen von Juden und Christen in muslimischen Ländern“. Es gibt auch eine Rangliste, nach der getötet werden soll, Christen und Juden sind primär das Ziel, die Nationen folgen an zweiter Stelle: „Amerikaner, Briten, Italiener usw.“. Entsprechend verläuft die mediale Verwertung. Westliche Geiseln werden einzeln geköpft, Bauarbeiter, Köche und Fahrer aus der Dritten Welt dagegen gleich im ganzen Dutzend ermordet - wie zuletzt die 12 nepalesischen Geiseln in den Händen der Ansar Al Sunna-Gruppe.

Die Originalseite von „Sawt al Jihad“ zu finden ist indessen nicht leicht, sie soll teilweise stündlich unter verschiedenen Links durchs Internet wandern. Wer also versucht die Magazine zu googeln, stößt zumeist auf alles andere, nur nicht auf die arabischen Seiten. Beispielsweise auf das nördlich von Tel Aviv in Herzliya ansässige „Project for the Research of Islamist Movements“ www.e-prism.org , dass Originaldokumente von Al Qaida-Magazinen anbietet. e-prism arbeitet unter dem Dach der „Lauder School of Gouverment, Diplomacy and Strategie“. Ein ThinkTank, der den israelischen Likud von Ariel Sharon berät. Auch das in Washington ansässige Site-Institut, im original: „Search for International Terror Entities“  http://siteinstitute.org  steht auf der Trefferliste. Site sucht die Webadressen radikaler Gotteskrieger, und bietet diese an. Aber auch radikale jüdische Seiten in den USA bedienen sich der islamistischen Internet-Publikationen. Die Seite „Haganah“ http://haganah.us  zitiert oft und gerne aus beiden Zeitungen. „Confronting the Jihad online“, heißt es dort, und die grausigen Videos werden als Beispiel für den generell barbarischen Charakter des Islam bezeichnet.

Nicht nur die Internetagenten des CIA und aus dem Umfeld des israelischen Mossad gehen davon aus, das „Sawt al Jihad“ und „Mu'asker al Battar“ originäre Plattformen von Al Qaida-Zellen sind. Auch die in London ansässige arabische Zeitung Al Quds al Arabia www.alquds.co.uk  ist sich sicher, dass die Seiten keine Fälschungen sind. Nach Schätzungen arabischer Journalisten besuchen täglich Zehntausende von Muslimen allein aus Neugier die Seiten. In Chat-Rooms werden die aktuellen Adressen weitergegeben und aus unzähligen Internet-Cafes angesurft. Zur Zeit sind aber weniger die seriellen Enthauptungsvideos der Hit, sondern eine Filmsequenz, die das saudische Fernsehen vor kurzem im Fernsehen ausstrahlte. Ein von der Polizei gesuchter Islamist hat sich mit seinen Kindern auf einem Videoband verewigt. Der Clou: Die niedlichen Kleinen spielen mit Pistolen, einer Handgranate und einer Kalashnikow.

Editorische Anmerkungen

Der Text ist eine Spiegelung von
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