Frankreich: "Neudefinition des Laizismus" von oben  
Chirac kündigt neues Gesetz zum Umgang mit Religionsgruppen an - Positionen, Kritik, Debatte

von Bernhard Schmid, Paris

12/03    trend onlinezeitung

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Nun ist die Katze aus dem Sack: Es wird in Frankreich in Bälde ein neues Gesetz zum Umgang mit religiösen Symbolen in Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen geben. Das Thema genoss aus Sicht der Staatsspitze offenkundig höchste Priorität, denn Staatspräsident Jacques Chirac hielt dazu am 17. Dezember eigens eine feierliche Ansprache vor einem ausgewählten Publikum. Rund 400 Personen aus Regierungskreisen, aus dem Bildungswesen, aber auch Mitglieder antirassistischer Organisationen und Gewerkschafter aus dem öffentlichen Dienst waren dazu am Mittwoch nachmittag in den Elysée-Palast geladen worden.

Jetzt steht fest, dass Schülern und Schülerinnen an öffentlichen Schulen künftig das Tragen (Originalton Chirac) "des islamischen Schleiers, egal welchen Namen man ihm gibt", denn bisher war die Unterscheidung zwischen voile (Schleier, Hijab) und foulard (Kopftuch) heftig umstritten, "der Kippa oder eines überdimensionierten Kreuzes" untersagt werden soll. Das Verbot soll der Gesetzgeber festschreiben.

Das Thema beherrschte in den acht Tagen, die der Präsidentenrede voraus gingen, die französische Innenpolitik und die Berichterstattung der Presse. Auch die Regierung scheint es ausgesprochen eilig zu haben, denn nur wenige Minuten nach der Präsidentenrede kündigte Premierminister Jean-Pierre Raffarin an, die (konservativ-liberalen) Regierungsfraktionen würden in Bälde ein Gesetz verabschieden, das zu Beginn des nächsten Schuljahres bereits in Kraft sein soll. Damit es Anfang September kommenden Jahres Anwendung finden kann, müsste es spätestens bis zur Sommerpause in dritter und letzter Lesung verabschiedet sein.

Bisher war Raffarin nicht unbedingt als flammender Vorkämpfer des Laizismus aufgefallen. So begab er sich vor wenigen Wochen als amtierender französischer Regierungschef (zusammen mit der Präsidentengattin Bernadette Chirac, die weithin als bigotte Frömmlerin bekannt ist) nach Rom. Nämlich, um Mitte Oktober 03 an der Zeremonie zur "Seligsprechung" der ultrareaktionären Ordensfrau Agnes Gonxha Bojaxhiu (alias "Mutter Theresa") teilzunehmen. Das muss man nicht unbedingt als Pionierleistung in Sachen Verteidigung des Laizismus betrachten.

Warum jetzt ?

Im Hintergrund der Betriebsamkeit an der Staatsspitze steht die so genannte Kopftuch-Debatte, die in den letzten Monaten in Frankreich wieder aufgeflammt ist. Denn um sie geht es im Wesentlichen: Von den bisher, auf der Basis einer unklaren Rechtsprechung aus dem Jahr 1989, ausgesprochenen Schulverweisen waren ausschließlich Mädchen aus muslimischen Familien betroffen. Ohnehin besuchen Kippa tragende Jugendliche aus orthodoxen jüdischen Familien meist konfessionelle Schulen. Zugleich besuchen rund 20 Prozent eines Jahrgangs katholische Privatschulen, die sich zu einer Art Elitezweig des allgemeinen Schulsystems entwickelt haben und in denen die bisherigen ebenso wie die künftigen Spielregeln des Laizismus keine Anwendung finden. Sie werden allerdings durch die öffentliche Hand subventioniert.

Die Debatte um die Kopfbedeckung von Schülerinnen aus Einwandererfamilien ist besonders heikel. Denn hierbei kreuzen sich zwei unterschiedliche Themenstränge in einem Knotenpunkt: Auf der einen Seite steht die Frage der Rechte der Person oder des Individuums gegenüber seiner Herkunftsgruppe und seiner Familie. Diese Fragestellung wird unmittelbar durch die Stellung von Frauen in muslimischen Gesellschaften berührt. Andererseits aber stößt das Thema aber auch an die Frage, wie Frankreich mit seinen Minderheiten umgeht.

Besonders im Hinblick auf die maghrebinischen Immigranten in Frankreich ist das Problem äußerst delikat. Findet man doch hier einen besonders massiven und besonders tief verwurzelten, spezifischen Rassismus vor, der ganz besonders die Algerier betrifft. Er wurzelt in der französischen Kolonialgeschichte ; Algerien wurde als Siedlungskolonie für rund eine Million Europäer behandelt, die nach 1962 in die Metropole zurückwanderten. Der verlorene Krieg "in der Nachbarschaft", der mit der Unabhängigkeit Algeriens endete, hinterließ besondere historische Traumata in einem Teil der französischen Gesellschaft. Dieser Rassismus wird bisher weniger als in Deutschland seit Beginn dieses Jahrzehnts (im Gegensatz zu den 90er Jahren, wo die "Asyldebatte" offen Öl in¹s Feuer des Rassismuss goss) durch die Erfordernisse einer "Erneuerung der Generation" und einer drohenden Überalterung der Gesellschaft gedämpft, und in eine technokratisch-utilitaristische Einwanderungspolitik eingebettet. Denn Frankreich weist noch immer eine deutlich höhere Geburtenrate als die Bundesrepublik auf.

Aber auch bei manchen Maghrebinern sorgt dieser Hintergrund für "identitäre", in diesem Fall islamistisch besetzte, Verkrampfungen.

Beileibe nicht alle in Frankreich lebenden Einwanderer aus (überwiegend) muslimischen Ländern haben allerdings etwas mit der islamischen Religion zu tun. Nach neuesten Zahlen, die "Le Monde" im Oktobe veröffentlichte, erklären (nur) 36 Prozent der nominell als Moslems geltenden Bewohner des Landes, die befragt wurden, dass sie die entsprechende Religion "praktizieren". Rund die Hälfte erklärt sich "gläubig, aber nicht praktizierend". Dagegen erklären 17 Prozent, der Islam beschreibe lediglich "ihre Herkunft", was als Anzeichen faktischen Unglaubens gewertet werden kann. Und 5 Prozent bezeichnen sich selbst als ungläubig oder gottlos.

Damit liegen zwar die Zahlen derer, die sich vom Glauben abgelöst haben, etwas unterhalb der Vergleichszahlen für die französischstämmige Bevölkerung. (Laut "Le Monde" vom 17. April 2003 stufen sich 26 Prozent der von französischen Vorfahren Abstammenden, ob nun getauft oder nicht, selbst als "religionslos" ein.) Aber grundsätzlich sind offenkundig dieselben gesellschaftlichen Prozesse am Werk. In einer traditionellen islamischen Gesellschaft wäre es schlicht undenkbar, sich selbst als gottlos zu bezeichnen, da Apostasie (Abfall vom Glauben) mit dem Tode bestraft worden wäre bzw. unter islamistischer Herrschaft heute noch so geahndet wird.

Zwei Ereignisse ließen die französische Islam- und Kopftuch-Debatte, die nach wie vor auf mehreren Seiten kulturalistisch besetzt und entsprechend ideologisiert ist, im zurückliegenden Jahr wieder aufflammen. Da war der Versuch des konservativen Innenministers Nicolas Sarkozy, gerade die konservativ-religiösen Strömungen unter den französischen Moslems als sozialen Stabilitätsfaktor einzubinden und sie gleichzeitig zu "domestizieren". 

Seit vorigem Jahr hat Sarkozy "von oben" ein Gremium, das den französischen Islam repräsentieren soll, geschaffen: Rund 3.000 Wahlmänner wurden bestimmt, die im März dieses Jahres einen Französischen Beirat des islamischen Kultus (CFCM) wählten. Zweck der Gründung des CFCM (den bereits die sozialdemokratische Vorgängerregierung seit 1962 im Grundsatz geplant hatte) war es einerseits, die Moslems, genauer: den praktizierenden Teil der Moslems, mit den anderen Religionen auf eine Stufe zu stellen. Da es im sunnitischen Islam keinen Klerus gibt, verfügten sie nämlich auch über keine anerkannte Vertretung, wurden daher aber auch bei Gesprächen der Regierung mit den Religionsgruppen permanent übergangen. Andererseits wollte die Regierung aber auch, dass das neue Gremium eine konservative, "stabilisierende" Wirkung auf die Einwandererkinder entfalte. Das Wahlmännersystem bevorzugte objektiv die konservativen bis reaktionären, finanziell gut ausgestatteten Organisationen. Denn die Zahl der Wahlmänner richtete sich nach der Größe des jeweils vorhandenen Gebetsraums.

Zu ihnen gehört die rechtskonservative UOIF (Union des organisations islamiques de France), die zur zweitstärksten Kraft im neuen Beirat wurde. Im April trat Innenminister Sarkozy auf ihrem jährlichen Kongress in der Pariser Vorstadt Le Bourget auf. Dabei erklärte er, er sei "als Freund" gekommen ­ forderte dann aber auch dazu auf, die UOIF solle ihre Anhänger zur Einhaltung der staatlichen Gesetze auffordern. Dazu gehöre, dass Frauen auf Passbildern unverhüllt zu posieren hätten. Die Zuhörer, die ihm bis dahin mehrfach applaudiert hatten, pfiffen Sarkozy spontan aus, bis sie durch ihre Kader zur Ordnung gerufen wurden. Daraufhin setzte in den Medien die neueste Ausgabe der Islam-Debatte ein.

Verstärkt wurde diese erneut im Oktober: In der Pariser Vorstadt Aubervilliers wurden zwei Mädchen, die wahrscheinlich islamistischen Gruppen nahe stehen, aber auf jeden Fall das Kopftuch gegen den Willen ihrer Eltern tragen, aus dem Schulunterricht ausgeschlossen (ausführlich siehe unter http://jungle-world.com/seiten/2003/43/1905.php).

Abschlussbericht der "Stasi-Kommission"

Zwischenzeitlich trat seit Anfang Juli allwöchentlich eine (durch Präsident Jacques Chirac eingesetzte) Kommission zusammen, die in diesem Kontext neue Spielregeln für den Laizismus definieren sollte. Das zwanzigköpfige Gremium aus Juristen, Geisteswissenschaftlern und Politikern wurde unter dem Namen "Stasi-Kommission" bekannt. Die Bezeichnung hat nichts mit der ehemaligen DDR-Staatssicherheit zu tun, sondern kommt vom Namen des Ausschuss-Vorsitzenden Bernard Stasi: ein früherer Chirac-Berater, der jetzt als médiateur de la République (Ombudsmann, eine Beschwerdeinstanz für die Bürger) amtiert. 

Die meisten Beobachter hatten im Vorfeld damit gerechnet, dass ein Gesetz wie das jetzt angekündigte in Planung genommen werde. Dass die Kommission mehrheitlich zugunsten der Forderung nach einem solchen Gesetzestext entscheiden würde, hatte sie bereits im Oktober durchblicken lassen. Zu dieser Zeit führte sie noch ihre wöchentlichen Anhörungen von Politikern und "Angehörigen der Zivilgesellschaft" fort.

Die zwanzig Ausschussmitglieder hatten seit Anfang Juli an Vorschlägen zu dem Thema "Neufassung des laizistischen Staatsaufbaus in Frankreich" gearbeitet. Konkreter Auslöser dafür, dass das Gremium durch Präsident Chirac eingesetzt wurde, war das erneute Aufflammen der "Kopftuchdebatte". Der allgemeinere Hintergrund bestand darin, dass verschiedene Beobachter in Politik und Medien ein "Anwachsen des Kommunitarismus" beklagten, also eine zunehmende Selbstbezogenheit verschiedener Bevölkerungsgruppen, die zu einem Rückgang universeller Wert- und Rechtsvorstellungen führe. Festgemacht wird das vor allem an Entwicklungen innerhalb der Einwanderungsbevölkerung, nicht so sehr innerhalb der Mehrheitsgesellschaft (deren Rassismus aber auch einen nicht unwesentlichen Faktor bei dieser Entwicklung bildet).

Die Vorschläge der "Stasi-Kommission", und was davon übrig blieb

Die "Stasi-Kommission" hatte in ihrem Abschlussdokument eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, unter denen vor allem zwei hervorstachen. Die erste vorgeschlagene Maßnahme bestand aus einem doppelten Vorbot: Sowohl religiöse Symbole, die auf als ostensible (ungefähr: plakativ) bezeichnete Weise getragen oder zur Schau gestellt werden, als auch entsprechend deutlich zur Schau gestellte politische Symbole sollten an öffentlichen Schulen verboten werden.

Die erste Hälfte des Doppelverbots bot keine Überraschung, denn die Diskussion um die Behandlung von Kopftuchträgerinnen (sowie von Kippaträgern, die aber ohnehin meist konfessionelle Schulen besuchen und daher von einem eventuellen Verbot nicht berührt würden) stand ohnehin im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Allerdings war zwischendurch heftig umstritten, wieweit dieses Verbot nun reichen sollte ­ denn ab wann ist ein Symbol "plakativ"? Darüber herrscht permanente Uneinigkeit. Chirac versuchte, durch Beispiele zu verdeutlichen, was gemeint ist: Nicht untersagt seien etwa Halsketten mit einem kleinen Kreuz, einem Davidstern oder einer "Hand der Fatima" (ein Symbol mit fünf Fingern, das als islamisch gilt, tatsächlich aber eher auf die Tradition zurückgeht, derzufolge es "den bösen Blick abwehren" soll). An Schulen verboten dagegen wären "Zeichen, deren Tragen dazu führt, sofort als Mitglied einer Religionsgruppe aufzufallen und erkannt zu werden".

Im Vorfeld hatten manche Politiker, etwa der konservative Parlamentspräsident Jean-Louis Debré oder auch der sozialdemokratische Nachwuchspolitiker Malek Boutih, die Schwierigkeiten mit der Abgrenzung dadurch zu umgehen versucht, dass sie vorschlugen, doch gleich alle "sichtbaren" religiösen Symbole aus öffentlichen Schulen herauszuhalten. Doch eine solche, relativ weit gehende Regelung wollten wiederum die christlichen Kirchen nicht hinnehmen, die fürchteten, ihre Ideen würden nunmehr weitgehend aus der Gesellschaft verbannt. Auch in einem laizistischen Staat wie Frankreich aber behalten die christlichen Kirchen einen gewissen Einfluss vor allem auf die bürgerlich-konservativen Parteien. Daher blieb es bei der Kompromissformulierung, die auf "plakative" Symbole, wie immer sie definiert seien, abstellt.

Hingegen kam der Vorschlag einer Untersagung "plakativer" Manifestationen einer politischen Gesinnung überraschender. Vor allem in linken oder antifaschistischen Gruppen Engagierte warnten bereits vor einem Gesetz in obrigkeitlichem Geiste, das den Ideenkampf unter Jugendlichen einschränken und für verordnete Ruhe sorgen solle. Doch Chirac hat diese zweite Hälfte des Vorschlags anscheinend nicht berücksichtigt, jedenfalls war in seiner Ansprache in keiner Stelle von politischen Symbolen die Rede. Möglicherweise befürchteten Präsident oder Regierung auch eine Mobilisierung an den Schulen gegen eine solche Maßnahme, die dann erst recht Staub aufgewirbelt hätte.

Ebenfalls keine Berücksichtigung fand der zweite Vorschlag des aus Juristen, PhilosophInnen, Soziologen und PolitikerInnen bestehenden Ausschusses. Demnach sollte neben den gesetzlichen Feiertagen christlichen Ursprungs (bzw., wie im Falle des Weihnachtsfests, vorchristlicher germanischer oder gallischer Herkunft, die später mit einer christlichen Legitimation überdeckt wurde) nunmehr im Kalender der staatlichen Schulen auch ein jüdischer und ein muslimischer Feiertag anerkannt werden. Konkret sollten das islamische Fest Aïd-el-Kebir (das auf das Opfer Abrahams zurückgeführt wird) sowie der jüdische "Tag der Großen Vergebung", Yom Kippur, in den Ferienkalender der Schülerinnen und Schulen aufgenommen werden. Das bedeutete nicht, dass auch die lohnabhängig Arbeitenden in den Genuss zusätzlicher freier Tage gekommen wären. Sie sollten allerdings künftig die Wahl haben, sich an Yom Kippur bzw. Aïd el-Kabir statt an einem anderen Moment einen Ferientag zu nehmen, was allerdings ohnehin in der Praxis längst gemacht wird.

Die Diskussion um muslimische und jüdische Feiertage

Dieser letzte Vorstoß der Kommission, der anscheinend als eine Art "Kompensation" an die religiösen Minderheiten (als "Ausgleich" für das Kopftuch- und Kippa-Verbot an öffentlichen Schulen) gedacht war, rief allerdings einen Aufschrei der Empörung hervor. "Voll im Kommunitarismus" lande man mit dieser Idee, beklagte der christdemokratische Politiker François Bayrou. Von "versteckter Förderung des islamischen Kommunitarismus" sprach der rechtskatholische EU-Gegner Philippe de Villiers, während der Chef des rechtsextremen Front National ­ Jean-Marie Le Pen ­ erwartungsgemäß gegen eine angebliche Bevorzugung des Islam auf Kosten der christlichen Tradition wetterte.

Aber auch sehr viele Abgeordnete der konservativen Regierungspartei UMP äußerten sich argwöhnisch über die Neuerung. Teilweise mit ähnlichen Argumenten wie den zitierten, teilweise aber auch einfach mit dem wahlpolitischen Motiv, dass die extreme Rechte unter Le Pen bei den Regionalparlamentswahlen in drei Monaten neue Erfolge verzeichnen werde, wenn "das durchkommt". Ein häufig bemühtes Argument bestand darin, die ­ im November 03 durch die Raffarin-Regierung beschlossene ­ Abschaffung des Pfingstmontags als arbeitsfreier Tag in direkten Bezug zur "nunmehr erfolgter Anerkennung muslimischer und islamischer Feiertage" zu setzen. Ein Zusammenhang, der freilich nur schwerlich herzustellen ist, denn die abhängig Beschäftigten wären ja (anders als Schüler und Lehrer) in der Regel nicht direkt von den neuen Feiertagen betroffen gewesen. Das Hauptmotiv der Regierung bei der Streichung des Pfingstmontags war aber eine Verlängerung der Arbeitszeiten gewesen, die angeblich nötig sei, um den Pflegebedarf für ältere Mitbürger finanzieren zu können. Insofern kann man von der Mobilisierung eines blanken Neideffets, ohne reale Grundlage, sprechen.

Laut jüngsten Umfragen waren je rund die Hälfte der sozialdemokratischen und konservativen Wähler, doch 87 Prozent der Wähler der extremen Rechten unter Jean-Marie Le Pen gegen die Anerkennung von Aïd el-Kebir und Yom Kippour eingestellt.

In seiner Rede äußerte Chirac sich zu dieser Frage mit den Worten: "Ich glaube nicht, dass man dem schulischen Kalender neue Feiertage hinzu fügen sollte, denn er zählt ihrer bereits viele." Dagegen solle die individuelle Abwesenheit von SchülerInnen an den fraglichen Tagen seitens der Lehrkräfte als entschuldigt gelten, und es sollten keine Prüfungen auf diese Tage gelegt werden. Das wird in der Praxis von Schulen und Universitäten ohnehin seit längerem so gehandhabt, in der Regel jedenfalls. Was ausbleibt, ist das Symbol, das in der Veränderung des Feiertags-Rhythmus gelegen hätte. Nun kann man sicherlich darüber diskutieren, ob sie nicht tatsächlich zum Anwachsen der Bedeutung von Religionsgruppe geführt hätte (was man bezweifeln mag) und ob das wünschenswert, hinnehmbar usw. ist oder nicht. Doch der konkrete Verlauf der Debatte hinterlässt wohl doch bei Vielen einen bitteren Beigeschmack.

Denn nunmehr wird zwar das Verbot "plakativer religiöser Symbole" im Namen des Universalismus, der dem französischen Laizismus zugrunde liegt (das gesellschaftliche Leben des Individuums soll nicht durch seine Herkunft vorab determiniert werden) gerechtfertigt. Dieser Universalismus wurzelt in den Ideen der Revolution von 1789, aber bezüglich der konkreten Frage der Trennung von Schule und Religion vor allem im Gesetz von 1905, das zu den Folgewirkungen der Dreyfus-Affäre um die Jahrhundertwende gehört. Gleichzeitig aber wird eifrig unter den Tisch gekehrt, dass auch seitens der Mehrheitsgesellschaft eine Form von kulturellem Partikularismus vorherrscht, der sich in der impliziten Anerkennung allein von Festtagen christlicher Herkunft (die allerdings für viele Bürger ihre frühere Bedeutung verloren haben mögen) ausdrückt. Vor 200 Jahren hatten das die französischen Revolutionäre bereits problematisiert. Deswegen hatte ein Gesetz vom 24. November 1793 sogar den Wochenrhythmus verändern wollen: Statt des Sonntags, der auf die Erfordernisse der christlichen Sonntagsmesse zurückgeht, sollte ein anderer wöchentlicher Ruhetag eingeführt werden: der décadi.

Dieser Versuch blieb allerdings in nachhaltig schlechter Erinnerung. Denn für die aufstrebende Bourgeoisie hatte die neue Einteilung in décades (statt Wochen) nebenbei einen unerhörten praktischen Vorteil: Statt alle sieben Tage sollte der arbeitenden Bevölkerung nur noch alle zehn Tage ein Ruhetag gegönnt werden.

Reaktionen und Einschätzungen: Ein Überblick

0. Vorspann

Bezüglich des neuen Gesetzes warnen einige Beobachter davor, dass die Einwanderungsbevölkerung muslimischer Herkunft sich in besonderer Weise stigmatisiert fühlen könne. Tatsächlich dürfte dieser Bevölkerungsteil mit Abstand am stärksten betroffen sein. Denn jüdische Jugendliche, die eine Kippa tragen, besuchen ohnehin meist konfessionelle Privatschulen, deren Netz vor allem im Einzugsraum Paris mittlerweile ziemlich dicht gewoben ist. (Allerdings zeigen manche von ihnen sich aufgrund der Übergriffe und Gewalttaten, die sich seit dem Jahr 2000 häufen, auf der Straße eher mit Baseballkappe als mit einer Kippa.)

Und für die Sprösslinge aus streng katholischen Familien gibt es die nach wie vor katholisch geprägten Privatschulen, die nach dem Gesetz von 1905 erhalten blieben. Sie sind in den letzten Jahrzehnten zugleich zu einem Art Elitezweig des gesamten Schulsystems mutiert, während sie sogleich immer noch öffentliche Subventionen erhalten ; 1984 wollte eine sozialdemokratische Regierung diese Subventionen einschränken, sah sich jedoch mit einer massenhaften Mobilisierung der konservativen Rechten und der extremen Rechten konfrontiert. Ungefähr 20 Prozent eines Jahrgangs besuchen diese, als privilegiert geltenden Privatschulen. In ihnen wird auch künftig das (neue) Gesetz zum Laizismus nicht gelten. Deswegen schicken auch manche, besser begüterten, muslimische Eltern ihre Zöglinge auf solche Schulen, wo in der Regel das Ablegen des Kopftuchs nicht gefordert wird.

Seitens der Linken gilt vor allem die Aufrechterhaltung der Privilegien dieses Schulzweigs als Widerspruch dazu, dass gleichzeitig neue Bestimmungen zur Verstärkung des laizistischen Staatscharakters erlassen werden. Insofern, und weil für die Départements im Elsass und in Lothringen nach wie vor die Trennung zwischen Kirche und Staat nicht gilt (sie haben nach der Wiederangliederung an Frankreich 1918 die alten Regeln aus der Zeit ihrer Zugehörigkeit, d.h. das Konkordat mit der Kirche, beibehalten) gilt der staatliche Laizismus als mindestens inkonsequent.

Manche KritikerInnen des neuen Gesetzes hatten im Vorfeld moniert, es werde ohnehin nur dazu führen, dass nunmehr auch die muslimischen Familien verstärkt die Privatschulen in Anspruch nehmen oder auch eigene, islamische Privatschulen gründen würden. Dagegen spricht allerdings ein materieller Grund: Aufgrund ihrer Position in der Gesellschaft haben die meisten Einwandererfamilien aus muslimischen Ländern schlicht und einfach nicht die finanziellen Mittel dazu. Denn die Einschreibung in Privatschulen kostet Geld. Insofern zieht das (Gegen-)Argument, das kommende Gesetz führe als Nebeneffekt zur Vermehrung islamischer Schulen, an dem Punkt nicht so richtig. 

1. Argumente der KritikerInnen

Als Hauptargument der KritikerInnen bleibt eine befürchtete Stigmatisierung der Einwandererbevölkerung, auch wenn sie vorwiegend subjektiv so erlebt werde. So zitiert "Le Monde" (vom 19. Dezember) Stimmen von Angehörigen der immigrantischen Mittelschicht, die muslimischer Herkunft sind, jedoch keinen sehr religiös geprägten Lebenswandel betreiben. Den islamischen Fundamentalisten ausgesprochen fern stehend, sehen sie sich dennoch potenziell "stigmatisiert" und in die Notwendigkeit, den Islam zu verteidigen, gedrängt. Manche von ihnen zeigen sich besorgt darüber, dass eindimensionale bzw. anhand von zwei Extrempolen definierte "Identitäten" jetzt erst zugeschrieben bzw. übernommen werden.

Sogar ein Kommunalpolitiker der bürgerlichen Regierungspartei UMP, der selbst migrantischer Herkunft ist, Amirouche Laidi, wird in diesem Sinne zitiert: "Die Fälle von Kopftuchtragen betreffen ein paar hundert Schülerinnen. Die Fälle rassistischer Diskriminierung (bei der Wohnungs- oder Arbeitsplatzsuche) zählen nach Zehntausend, und man macht kein Gesetz deswegen. Es ist dieses Ungleichgewicht, das ein Ressentiment in der muslimischen Community hervorruft." (Was die von ihm angesprochenen Diskriminierungen betrifft, so hat Chirac in seiner Rede vom 17. Dezember die Schaffung einer Beobachtungsstelle angekündigt, die alle möglichen Diskriminierungen in der Gesellschaft beobachten soll: Rassismus, Sexismus, Homophobie... An ein Symbol ist also gedacht worden. Ob sich dadurch irgendwas ändern wird, bleibt freilich sehr fraglich.)

Auch sehr "unislamische" Frauenorganisationen von Migrantinnen, wie die in Saint-Denis bei Paris ansässige feministische Gruppe "Voix d¹elles ­ rebelles" (ungefähr: Ihre Stimme ­ weiblich ­, die der Rebellinnen), befürchten daher eher negative Rückwirkungen. Sie fordern stattdessen, die öffentliche Hand solle sich viel lieber um eine bessere Vorbeugung etwa gegen Zwangsverheiratungen von Migrantentöchtern und ähnliche praktische Schutzmaßnahmen gegen familiäre Unterdrückung kümmern. Tatsächlich hat sie hier einen Widerspruch benannt: Denn bisher war es das Schulsystem (in Frankreich besteht die Ganztagesschule mit relativ umfassender Betreuung, so weisen die meisten Schulen Krankenschwestern und soziale BetreuerInnen auf), das es erlaubte, Anzeichen solchen familiären Drucks und eventueller Gewalt frühzeitig zu erkennen. Doch bereits bisher hat die Sparpolitik im öffentlichen Schulwesen, mit dem begonnen Abbau der BetreuerInnen-Stellen, zum Rückgang dieser Schutzfunktion geführt. Würde morgen eine wachsende Zahl von Migrantentöchtern aus dem Schulsystem ausgeschlossen, so wird befürchtet, die Handhabe gegenüber solchen Praktiken und Risiken werde immer geringer.

Derzeit ist die Zahl der wirklich im Konflikt ausgetragenen "Fälle" von Schülerinnen aus Einwandererfamilien relativ gering. Das französische Innenministerium gibt an, dass im vorigen Jahr 1.250 Fälle signalisiert worden seien, wobei in 20 Fällen der Ausschluss diskutiert, und in 4 Fällen beschlossen worden sei. Seitens der Mitarbeiter des Bildungssystems wird allerdings geschätzt, dass die Zahl der Kopftuch tragenden Immigrantentöchter in öffentlichen Schulen real fünf- bis sechsfach so hoch sei. 

Dabei bestehen allerdings sehr unterschiedliche Konstellationen, auf die die gesetzliche Neuregelung auch zweifellos unterschiedliche Wirkung entfalten wird. 

Einerseits gibt es Fälle von offenkundigem familiärem Zwang oder Druck auf die Mädchen. Andererseits gibt es seit einigen Jahren zunehmend Fälle, in denen die Entscheidung zu solchen Praktiken offenkundig von den Schülerinnen selbst ausging, wobei oftmals die Eltern sogar (um die schulische Zukunft ihrer Kinder bedacht) gegen das Kopftuchtragen eintreten. In solchen Fällen handelt es sich um den Ausdruck einer, wie ideologisch verzerrt auch immer vorgetragenen, Revolte gegen die (etwa als rassistisch erlebten) Mehrheitsgesellschaft; oder in mitunter auch um ideologisch (islamistisch) motivierten Aktivismus, der freilich nur eine Minderheit betrifft. Oder aber diese Form von Kleidung wird als Schutz gegen die, in den Trabantenstädten und sozialen Krisenzonen tatsächlich sehr verbreitete, (männliche) Gewalt erlebt. Anscheinend überwiegt in Immigrantenfamilien marokkanischer und türkischer Herkunft eher die erstgenannte Konstellation, da sie oftmals aus einem eher ländlichen und traditionalistischen Milieu kommen. Dagegen ist die zweitere Konstellation eher in Familien algerischer oder tunesischer Herkunft anzutreffen. Bei den AlgerierInnen ist eine anti-islamistische Haltung verbreite, die sich aus der jüngeren Geschichte erklärt; und Tunesien wurde zu einem frühen Zeitpunkt durch das Bourgiba-Regime von oben modernisiert, was zwar auf autoritärem Wege geschah, aber schon bald zu einer recht fortschrittlichen Stellung der tunesischen Frau geführt hat. So hatten die tunesischen Frauen mehr als 15 Jahren vor den französischen das gesetzliche Recht auf Schwangerschaftsabbruch.

Einen Widerspruch sehen viele KritikerInnen darin, dass zwar das Kopftuch als Symbol einer spezifischen Unterdrückung der Frauen dargestellt werde (das ist der Grund, warum viele, aber nicht alle französische Feministinnen ein solches Gesetz jedenfalls in seinem Grundsatz begrüßen), dass aber gerade die jungen Frauen potenziell von den Ausschlussmaßnahmen betroffen seien. Die Väter, aber auch die schulpflichtigen Brüder trifft es ja nicht. Aber auch wegen anderer Symbole, die einen religiösen oder politisch-religiösen (d.h. islamistischen) Sinngehalt haben können, freilich nicht müssen, wie etwa des Barttragens seien keine Schulausschlüsse geplant. Bisher jedenfalls war noch nie von einem Ausschluss aus solchen Motiven die Rede. Damit sei die Wirkung eines solchen Gesetzes "doppelt diskriminierend", monieren manche auf der Linken: Gegen Angehörige der muslimischen Minderheit, und einseitig gegen die Frauen gerichtet.

Ferner stellt sich mitunter die Frage der Praktikabilität: Wann könnte etwa gegen die soziale Praxis des Ramadan-Machens vorgegangen werden, an der problematisch ist, dass sie seit wenigen Jahren immer jüngere Kinder trifft ? (Theoretisch wird der Fastenmonat erst ab 13 oder 14 praktiziert, doch aufgrund des Anwachsens kommunitaristischer Verhaltensregeln wetteifern mancherorts schon Kinder im Grundschulalter um die Einhaltung des Ramadan.) Wenn man von einer Schülerin verlangen kann, dass sie ihr Kopftuch ablegt, kann man sie auch dazu zwingen, zu essen? Oder was soll man tun, wenn religiöse Symbole auf die Hand tätowiert wurden, wie ein Kommentator von Libération ein wenig spitzfindig fragt? Jedenfalls bleibt der Eindruck einer nur selektiv wirksamen Verbotsregel.

2. Die Linke (links von der Sozialdemokratie)

Die Kommunistische Partei und die Mehrheit der radikalen Linken, die aber entlang dieser Frage gespalten ist, kritisieren deswegen das Gesetzesvorhaben.

Eine trotzkistische Partei, Lutte Ouvrière / LO, tritt dagegen grundsätzlich für ein Kopfuchverbot ein. (Dem Vernehmen nach gab es gegen diese Mehrheitsposition aber auch leise Kritik aus dem Inneren der Organisation.) Zwar erklärt man, kein Vertrauen auf Chirac und die Regierungspartei UMP zu setzen, jedoch sieht man auch keinen Anlass zu sehen, sie aufgrund eines solchen Verbots (im Prinzip) zu kritisieren. In der "Affäre von Aubervilliers" im Oktober 2003 hatten die, in der betreffenden Schule unterrichtenden, LO-Mitglieder unter der Lehrerschaft für den Ausschluss gestimmt. Ihre Begründung lautete, zwar seien die beiden Betroffenen Alma und Lila Lévy allem Anschein nach nicht durch ihre Familie gezwungen, ihre Kopfverhüllung zu tragen. Allerdings trage ihr Beispiel dazu ein, Barrieren niederzureißen, was wiederum dazu führen könne, dass andere junge Frauen sich nicht mehr länger vor familiärem Druck schützen könnten (während es für Individuen wie die Lévy-Töchter den Luxus gebe, sich freiwillig zu entscheiden). Ein Verbot stelle daher eine sinnvolle Barriere dar.

Die (gegenüber LO gewöhnlich wesentlich undogmatischere) Ligue Communiste Révolutionnaire, LCR, dagegen ist in dieser Frage in ihren eigenen Reihen mit unterschiedlichen Standpunkten konfrontiert. Es gibt Positionen, die eine Bandbreite ungefähr von "absolut gegen ein Verbot" bis hin zu "Hauptsache, es geht gegen die Frauenunterdrückung" abdecken.

Die Mehrheitsposition, auf die sich ein größerer Teil als Kompromiss einigen konnte und die in den offiziellen Kommuniqués zum Ausdruck kommt, lautet: "Gegen das Kopftuch, und gegen Schulausschlüsse" sowie gegen administrative Verbote, die ohnehin das Denken der Menschen nicht ändern würden. In einer öffentlichen Erklärung vom 15. Dezember 03 ist im ersten Teil die Rede vom "Kopftuch als Symbol der Unterdrückung der Frau". In einem zweiten Absatz wird jedoch affirmiert: "Es braucht kein Gesetz, um dagegen zu kämpfen". Die AutorInnen verwahren sich dagegen, dass das geplante Gesetz diskriminierend sei, weil es de facto nur die muslimische Religion zum Objekt von Kritik mache. In einem drittel Teil schließlich wird eine reale Rechtsgleichheit im täglichen gesellschaftlichen Leben gefordert (die für Teile der Einwandererbevölkerung nicht gegeben sei). Und es wird betont, dass Emanzipation, auch und gerade der Frauen, "in erster Linie von der Mobilisierung der Betroffenen selbst ab(hängt), vom sozialen und demokratischen Kampf".

Die Kommunistische Partei (PCF, Parti communiste français) wiederum fordert in erster Linie eine "breite landesweite Debatte", ohne deren Ergebnisse vorweg zu nehmen. Das fordert sie allerdings mittlerweile fast zu jedem Thema, das ein wenig komplexer ausfällt, als Erstes. Was wiederum damit zusammenhängt, dass der KP mit dem Ableben der "realsozialistischen" Staaten auch ihr zuvor sicher geglaubtes "Gesellschaftsmodell" und ihr vormaliger Glaube an die "ehernen Gesetze der Geschichte" abhanden gekommen ist. Wo sie einstmals holzschnittartig schematische Positionen bezog, ist die KP jetzt umgekehrt von einem Komplex besessen: Alles sei so kompliziert geworden, dass man keine fertigen Antworten mehr besitze.

Origineller an ihrer Position ist, dass sie das Datum 2005 (das den einhundertsten Jahrestag des Gesetzes zur Trennung von Kirche und Staat bedeutet, das 1905 als mittelbare Folge der Dreyfus-Affäre verabschiedet wurde) zum Anlass nehmen will, um den französischen Laizismus neu zu definieren. Damit gibt sie einen Rahmen vor, der durchaus interessant erscheinen könnte, da er einen klaren historischen Bezugsrahmen aufweist und (im Prinzip) nicht als diskriminierende Maßnahme gegen die muslimische Bevölkerung verstanden werden könnte. Den jetzigen Gesetzgebungseifer kritisiert die KP, da er zu einem "konjunkturell bedingten, einseitigen Gesetz" führen könne, das da in aller Eile festgeschrieben werden solle.

Auch die KP bezeichnet das jetzige Projekt der Regierung als Maßnahme, die potenziell als "Stigmatisierung" der Einwanderungsbevölkerung aus mehrheitlich muslimischen Ländern erscheine.

3. Die BefürworterInnen des Gesetzesvorhabens

Dagegen sehen andere sehen eine Errungenschaft darin, dass nunmehr das Individuum stärkere Emanzipationsmöglichkeit gegenüber seiner Herkunft und Familie erhalte, da nicht mehr zu befürchten sei, dass Mädchen und junge Frauen zum Tragen einer Kopfbedeckung gezwungen werden könnten. Das gilt für eine Mehrheit der französischen feministischen Gruppen (etwa die Revue ProChoix, die für das Recht auf Abtreibung und Verhütung kämpft; die Gegenposition wird von der ebenfalls feministischen Gruppe "Femmes publiques" bezogen).

Auch die Mehrheit der Lehrergewerkschaften und bildungspolitischen Organisationen bezieht ähnliche Positionen, wobei viele Lehrergewerkschaften in ihrem Inneren von heftigen Diskussionen zum Thema erschüttert werden.

Die schärfsten Positionen zugunsten eines strikten staatlichen Verbots hat traditionell die zwischen sozialdemokratischen und populistischen Positionen schwankende Gewerkschaft FO (Force Ouvrière), bzw. ihr Ableger im Bildungswesen. Letzterer wird zum Teil von einer "linken" autoritären Politsekte kontrolliert, dem Parti des travailleurs (PT, "Partei der Arbeiter"). Auch die sozialliberale CFDT, die Sektion innerhalb des Bildungswesens wie auch allgemein der Dachverband her, befürwortet das Gesetzesproijekt explizit. Die mit Abstand größte Gewerkschaft im Bildungswesen, die links-reformistische FSU, nimmt dagegen eher etwas abwartende Positionen ein: Einerseits kann man mit der Idee einer Untersagung religiöser Symbole durchaus etwas anfangen, andererseits insistiert man darauf, dass ein Gesetz bei weitem nicht alle Probleme löse. Denn nun liege es an den LehrerInnen "vor Ort", einerseits festzustellen, was "plakative" bzw. "auffällige" Symbole sind und was (noch) nicht, und andererseits liege es an ihnen, zu versuchen, "die pädagogische Wirkung nicht zu verlieren und den Dialog nicht abreißen zu lassen". Dagegen wird die linksradikale SUD-Education (SUD-Ableger im Bildungswesen) von heftigen Debatten zerrissen; eine knappe Mehrheit scheint sich allerdings mit der Idee von Schulausschlüssen zur Verteidigung des Laizismus anzufreunden. Aber das Thema bleibt umstritten, und die Sichtweise ist weit weniger etatistisch-autoritär als namentlich bei FO (Force Ouvrière).

Die französische Sozialdemokratie teilt ebenfalls mehrheitlich die Position zugunsten eines Verbotsgesetzes, wobei eine Minderheit (etwa der frühere Kulturminister Jack Lang oder der Nachwuchspolitiker Malek Boutih) gern das Symbol aller sichtbaren religiösen Symbole an öffentlichen Schulen gesehen hätte. Auf konservativer Seite dagegen, wo man natürlich mehrheitlich das Gesetzesvorhaben des "eigenen Lagers" unterstützt, überwiegt wohl eher der Wunsch nach Konformität (der Minderheiten) über jenen nach Beförderung von Emanzipation.

Zu den anfänglichen Befürworterinnen eines klaren Verbotsgesetzes gehörte ironischerweise aber auch die konservativ-reaktionäre UOIF (Union des organisations islamiques de France, SIEHE OBEN). Das klingt paradox, ist jedoch erklärbar: Das islamische Recht sieht eine Art "rechtfertigenden Notstand" vor, darourat genannt. Er tritt ein, wenn der jeweils Herrschende durch äußeren Zwang die Moslems davon abhält, eine "Glaubensvorschrift" zu befolgen. In diesem Fall dürfen die praktizierenden Muslime davon absehen, ein Ge- oder Verbot ihrer Religion zu befolgen, um im Zustand der Konformität mit den Vorschriften des weltlichen Herrschers (die dadurch aber nicht moralisch legitim werden) zu bleiben. Deswegen wäre die UOIF, im Rahmen ihres Versuchs einer Annäherung an die französische konservative Recht, auch für ein Gesetz eingetreten, welches das Tragen jedes sichtbaren religiösen Symbols an öffentlichen Schulen strikt verbietet.

In dem Falle hätte sie sich auf einen "Notstand", ausgehend von einem (moralisch illegitimen) weltlichen Staat, berufen können. Und hätte eine Zweiteilung der gesellschaftlichen Sphären vorgenommen, etwa nach dem Motto: <<In Schulen und öffentlichen Einrichtungen habt Ihr Euch nach den Geboten des Staates zu richten, außerhalb davon aber nach denen der Religion>>, also ihren eigenen. Da das geplante Gesetz aber nun anscheinend nicht so weit geht, sondern das Verbot unter Bedingungen stellt (es trifft "plakative", "auffällige" religiöse Symbole) entfällt auch die Bedingung des nicht abwendbaren, äußeren Zwangs.

Vielleicht deswegen, rief die UOIF nach Bekanntwerden des Berichts der "Stasi-Kommission" bereits Zeter und Mordio und malte eine unerträgliche Diskriminierung der Muslime an die Wand. Auch die damals noch geplante Anerkennung des Aïd-el-Kebir als gesetzlicher Feiertag konnte ihren Furor nicht besänftigen: "Man gibt uns einen Feiertag, aber will uns an 364 Tagen im Jahr an de Ausübung unserer Religion hindern." Die anderen Komponenten des CFCM-Beirats äußerten sich allerdings nicht so drastisch wie die Vertreter der stockreaktionären UOIF. Der sehr staatstragende Rektor der Pariser Moschee, Dalil Boubakeur, etwa versuchte die Gemüter zu beruhigen.

4. Die extreme Rechte

Für manche ein wenig überraschend kommt, dass die extreme Rechte ihrerseits hörbar gegen das kommende Gesetz eintritt. Dabei bleibt diese sich allerdings nur selbst treu. Denn sie erklärt, ein solches Verbot sei von geringem Interesse, weil es bedeute, nur an einem Symptom herumzudoktern. Statt der kleinen Trennung (in Form des schulischen Ausschlusses) will die extreme Rechte nämlich gewissermaßen lieber die große Trennung vorbereiten. Anders ausgedrückt: Die "ethnische Reinheit" der Nation. Zugleich beharrt sie so auf ihrer Oppositionsrolle, als vermeintliche "Alternative zum abgewirtschafteten System".

"Den Islam" freilich deutet die extreme Rechte in weltverschwörerischungs-theoretischer Manier. So ist in der Parteizeitung der Le Pen-Anhänger, "National Hebdo" (16. Oktober 03) etwa zu lesen: "Man muss wirklich blind sein, um nicht zu sehen, dass Kommunismus und Islamismus unter einer Decke stecken, oder genauer, dass ein sterbender Kommunismus den Islamismus als Waffe der Subversion einsetzt. (...) Da die beiden Ideologien grundsätzlich austauschbar sind" (weil nämlich der Kommunismus eine säkularisierte Religion und der Islam eine politisierte Religion sei) "kann man nunmehr im Islam den Kommunismus des 21. Jahrhunderts sehen." Hauptsache, es gibt eine Weltverschörung, neben den der extremen Rechten ebenfalls bekannten jüdischen und freimaurerischen Verschwörungen jedenfalls. 

Eine solche Verschwörung ist beispielsweise die Erteilung des Friedensnobelpreises an die iranische Anwältin und Menschenrechtlerin Schirin Ebadi. Man hielt diese gemeinhin für eine Kritikerin des fundamentalistischen Regimes (die freilich einen "reform-islamischen" Diskurs vorbringt, vielleicht einfach weil es im Iran schlicht tödliche Folgen hätte, sich als Atheist/in zu bezeichnen). Irrtum, belehrt die rechtsextreme Zeitung ihr Publikum. "In Wirklichkeit hat das Nobelpreiskomitee eine kriminelle Wahl getroffen, indem sie den Islamisten zeigte, dass sie alles von einem Westen bekommen können, der die Orientierung verloren hat. (...) Schirin Ebadi ist das typische Beispiel islamistischer Verhüllung, welche die tödliche Waffe der islamischen Eroberung in <ungläubigem> Land darstellt. (...) Im aktuellen Kontext der islamischen Flutwelle, die durch die Kommunisten unterstützt wird, hat das Nobelpeiskomitee Verrat begangen." (Ebenda)

Eines natürlich kann für die extreme Rechte nicht sein, ebenso übrigens wie für Fundamentalisten: Dass ein Individuum sich von seiner "natürlichen Prägung", die durch seine Herkunft und Abstammung determiniert ist, löst und als Mensch eigenständig denkt. Diese Konzeption, so ist zu fürchten, wird auch nach der Neudefinition des staatlichen Laizismus (von oben) in viele Köpfen noch verdammt lebendig bleiben.

Editorische Anmerkungen

Der Artikel wurde uns vom Autor  in der vorliegenden Fassung am 19.12.2003 zur Veröffentlichung überlassen. 

Der Autor unterrichtet Jura an einer Universität im Großraum Paris. 

Bernard Schmid veröffentlichte im trend u.a. folgende Artikel: