Zur Floskel von der Souveränität (des 'Volkes')
Polemik zum Detje – Hürtgen Disput

von Hubert Herfurth

12/03    trend onlinezeitung

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es geht um die Kraft aller die sich weigern, zu kapitalistischen Maschinen zu werden

John Holloway

Huber oder Peters – Peters oder Huber: ene mene muh, aus bist du – ene mene meck und du bist weg! Der heiße Sommer der IG-Metall warf ein bezeichnendes Licht auf die deutsche Gewerkschaftsbewegung und offenbarte sie in einem Zustand, der jeder Beschreibung spottet. Die Personalfehde zwischen den Machtzentren in der IG-Metall-Bürokratie zeigte in aller Klarheit eine Organisation, in der die vielen tausend MitgliederInnen quasi jegliche Einflußmöglichkeit verloren zu haben scheinen. Damit zeigt dieser Konflikt in sehr drastischer Weise aber auch, wie weit Anspruch und Wirklichkeit bürgerlicher Demokratie auseinander fallen können!

Der Disput zwischen Hürtgen ("Gestaltung des Anpassungsdrucks", "Rückkehr zu bewährter Gewerkschaftspolitik" oder "Kampf um soziale Transformation"? Gewerkschaftliche Positionen zur Globalisierung in Deutschland und Frankreich, in PROKLA 130, 1.3.2003) und Richard Detje (Der Kampf um soziale Transformation sollte nicht in Sackgassen geführt werden – eine Replik auf Stefanie Hürtgen, in  Sozialismus 9/03,) erhält über diesen Konflikt eine besondere Note, da ein gutes Stück der gewerkschaftlichen Fehlentwicklung, trotz der immer noch erstaunlich ruhigen Lage an der Basis, also gerade ohne offene Konfliktlinie zwischen dieser und ihrer Führung, aufgeplatzt ist wie eine reife Frucht. Nicht der zu erwartende Krach an der Sollbruchstelle, sondern eine Führung, die wie von allen guten Geistern verlassen mit sich selbst in den Ring steigt und so den Gewerkschaftssouverän als Publikum zur Schau stellt -  widerlegt die Detjeschen Warnungen quasi schon, bevor er sie äußerte. Die Warnung ist daher kein Produkt der Mängel in Hürtgens Argumentation, sondern allein der Brisanz geschuldet, die heute jeden Versuch der Veränderung des Status quo in der Gewerkschaftsarbeit begleitet.

Ich will im folgenden versuchen, diese Argumentation am Begriff der Entgrenzung der Ware Arbeitskraft gegen Detjes Replik zu entwickeln, was allerdings ohne das Zurückgreifen auf größere Zusammenhänge nicht geht.

1 Kriterien für den „Sozialismus im 21. Jahrhundert“

Unter diesem Titel wurde der Zeitschrift 'Sozialismus' Anfang des Jahres ein Supplement beigelegt, welches sich mit den Perspektiven der so genannten Arbeiterbewegung beschäftigt und sich speziell äußert zum Pro und Kontra Warenproduktion im Sozialismus. Auch wenn ich meine eigenen Zweifel nicht verschweigen will, wie die Marxsche Assoziation und die Zurückeroberung des Subjektstatus möglich sein sollen, so lange die Warenproduktion nicht überwunden werden kann, so wurde doch ein Kriterium genannt, das zur Prüfung taugt: „Die politische Herrschaft der Produzenten des gesellschaftlichen Reichtums kann nicht bestehen neben einer Festschreibung ihrer gesellschaftlichen Subalternität.“ Unabhängig von Richtig und Falsch in allen anderen Fragen, könnte die „Unterordnung“ das Argument sein, mit dem die gesellschaftlichen Verhältnisse und Beziehungen in Richtung allgemeiner Emanzipation überprüfbar würden. So wenig der 'Realsozialismus' eine Diktatur des Proletariats war und so wenig in den hiesigen Verhältnissen alle Gewalt vom Volke ausgeht, so wenig ist aber auch eine Artikulation dieser - eben nur bedingt offensichtlichen - Widersprüche eine einfache Sache. Im Realsozialismus war dies nicht einfach, weil jeder Artikulationsversuch recht schnell mit direkter Gewalt beantwortet wurde, wenn die 'Fürsorgnis' der staatlichen Organe als ihr Gegenteil erkannt war. In den hiesigen, wesentlich liberaleren Verhältnissen, spielt die direkte Gewalt eine wesentlich geringere Rolle, weil die Widersprüche noch auf handhabbare Größen heruntergebrochen werden können. Hier liegen die Schwierigkeiten zunächst mehr in der inhaltlichen Analyse der Widersprüche selbst, zumindest so lange wie sich ein bestimmter Widerspruch (zwischen Empörung und Aufruhr) nur auf ein paar wenige beschränkt und die große Mehrheit das Tun der wenigen nicht mit eigenem Interesse aufgreift. Die in der Regel in der Bewegung als Schein aufgefasste 'Sachherrschaft' (ökonomischer Gesetze wie der Rentabilität) stellt sich in immer reinerer Form selbst her. Scheinlösungen über andere Führungspersonen fallen immer mehr der inneren Systementwicklung zum Opfer, auch wenn dies zur Zeit noch über den Showerfolg einzelner (etwa Schröder als Medienkanzler) kompensiert werden kann. Eine Schlüsselstellung in diesen Widersprüchen haben die Organisationen der Arbeiterklasse. Wie Detje es in seinem Punkt 4 ausführt, dienen sie zuallererst der Sicherung des Werts der Ware Arbeitskraft. An diese Normalaufgabe hat bereits Marx sein bekanntes Fragezeichen geheftet (auch wenn es damals freilich eher als Ausrufezeichen konzipiert war), ob sie ihre Aufgabe nicht mißverstehen, wenn die Ursachen für die „Zumutungen der Lohnarbeit“ (Detje Punkt 1) aus dem Blick geraten. Unter diesem Gesichtspunkt ist doch heute zu fragen, ob die Gewerkschaften nicht die „Zumutungen der Lohnarbeit“ bewußt aus den Augen lassen, weil ihnen die Aufrechterhaltung der Kapitalverwertung das grundlegendere und wichtigere Kriterium ist. Dieses Kleben am System - komme was da wolle – ist natürlich ein Problem unterschiedlicher Zeiten. So lange das System expandierte, waren die Widersprüche auszuhalten und konnten gekittet werden; in Zeiten der Zuspitzung ökonomischer Krisen wird dies schwieriger und schwieriger, der Kitt wird bröselig, verliert seine Flexibilität und damit einen guten Teil seiner Wirkung. Inzwischen rekuriert die Herrschaftsmaschinerie der politischen Klasse einen gut Teil ihrer Führungskräfte aus dem gewerkschaftlichen Rahmen, die Führungspersönlichkeiten springen zwischen Funktionen in unterschiedlichen Sphären und selbst der Bundeskanzler sieht sich nicht zuletzt als Gewerkschaftsmitglied. Dies läßt sich unter Fürsorge Gesichtspunkten interpretieren (die da oben meinen es doch gut, sie solidarisieren sich mit uns hier unten) aber auch unter dem Gesichtspunkt einer immer weiteren Zuspitzung von Subalternität der Massen gerade auch in ihren eigenen Organisationen. So gesehen wäre die oft beklagte Inaktivität der Masse der GewerkschaftsmitgliederInnen bzw. der hohe Stand der Nichtmitgliedschaften gerade als Reflex dieser Subalternität zu verstehen und nicht als Gleichgültigkeit oder Desinteresse zu interpretieren wie es gemeinhin gemacht wird. Eben gerade auch bei der 'radikaleren' Gewerkschaftslinken, die die Führungskräfte des Apparates (Co-Management) mit ihrer Denunziation wegen angeblich falscher, „inkonsequenter“ Politik immer wieder in die Arme der Basis zurücktreibt, anstatt über die Problematisierung der Strukturen, den Spalt dauerhaft zu vergrößern, der hier latent immer zwischen diesen beiden Seiten vorhanden ist. In diesen nun wirklich sehr schwierigen Problembereich stößt Hürtgen mit ihrer Analyse des gewerkschaftlichen Situationsvergleichs zwischen Frankreich und Deutschland vor und ist dabei nach meiner Auffassung in der Lage, die unbefriedigende Situation der Betriebs- und Gewerkschaftslinken etwas zu erhellen und so ein wenig frischen Wind in die verstaubte Bude zu bringen. Ob diese Sichtweise geteilt wird, hängt natürlich an den jeweils eigenen Positionen. Im Zusammenhang mit der hier besprochenen Replik muß sich die 'Sozialismus' die Frage gefallen lassen, ob das angesprochene Kriterium der Subalternität ein Begriff aus den bekannten Sonntagsreden bleibt oder als Kriterium Realitätsgehalt gewinnen soll heute und an jedem Tag unseres Kampfes um Emanzipation.

2 Entgrenzung der Ware Arbeitskraft

Mit der aus meiner Sicht unsäglichen Gegenüberstellung der „Zumutungen der Lohnarbeit“ und der „Verletzung der Bürgerrechte“ unternimmt Detje den Versuch, Hürtgen in eine realitätsferne Ecke zu stellen. Wobei der Gegensatz zwischen Lohnarbeit und Bürgerrechten nicht von Hürtgen stammt sondern von Detje. „Die Regulierung ist nicht das, was SH's begeistertes Interesse weckt. Damit ist aber die Strategiedebatte, die sie führen möchte, bereits weit vom Alltagsgeschäft von Gewerkschaften im Kapitalismus entfernt. Nicht die Reproduktionsbedingungen der Lohnabhängigen nimmt sie ins Visier, sondern die Ansprüche und Anliegen der Bürger“ (Detje, S. 47). Für Hürtgen geht es um Ergänzung, Erweiterung und Entgrenzung - nicht die Gegenüberstellung, sondern das 'sowohl als auch' ist ihr Anliegen. REGULATION hier als Lösung für alles zum Dreh- und Angelpunkt zu machen übersieht selbst die Überlebtheit dieses Ansatzes. Seit gut 30 Jahren wird reguliert, und immer wieder neu wird mit den Erfolgen aus dieser Vergangenheit die nächste Regulationsrunde eingeleutet, damit ja kein Gedanke daran verschwendet wird, ob die Regulation überhaupt auf Dauer trägt. Die Erfolge sind mit der Zeit immer schwächer geworden und scheinen heute stellenweise richtig abgenutzt, von den vor uns liegenden Abgründen ganz zu schweigen. Da kann doch eine Strategiedebatte nicht ganz unrealistisch sein, die es sich erlaubt, einmal hinter den Grenzen bisheriger gewerkschaftlicher Interessenvertretung nach Möglichkeiten für die Zukunft zu suchen, ohne den Versuchungen üblicher Fehler aus der Betriebslinken zu erliegen. Das Problem liegt hier nicht bei Hürtgen sondern bei Detje's Verteidigung des Status quo. In dem sich über die Realität mehr als nur die Vermutung aufdrängt, daß das „Alltagsgeschäft von Gewerkschaften“ selbst nicht 'immer' Rücksicht nimmt auf den Alltag der Beschäftigten, was sich im Organisationsgrad und in der Teilnahmebreitschaft der Mitglieder spiegelt. Worin liegt überhaupt der Sinn, die „Zumutungen der Lohnarbeit“ auf einen selbstgenügsamen Lohnabhängigen Status festzuschreiben, anstatt alle betroffenen Lebensumstände – eben den ganzen Menschen – miteinzubeziehen? Diese Frage wiegt vor dem Hintergrund der marxschen Kapitalkritik besonders schwer, hätte das Proletariat innerhalb des Marxschen Gedankenganges seine fortschrittliche Rolle doch nie erhalten, wenn die Interessen sich hier im Bestand des Lohnarbeitsverhältnisses erschöpften: „Alle früheren Klassen, die sich die Herrschaft eroberten, suchten ihre schon erworbene Lebensstellung zu sichern, indem sie die ganze Gesellschaft den Bedingungen ihres Erwerbs unterwarfen. Die Proletarier können sich die gesellschaftlichen Produktivkräfte nur erobern, indem sie ihre eigene bisherige Aneignungsweise und damit die ganze bisherige Aneignungsweise abschaffen“ (Kommunistisches Manifest, MEW 4, S. 472). Bei Holloway klingt dies heute so: „Nur insoweit, als die Arbeit etwas über die Arbeit hinausgehendes, der Arbeiter mehr als nur Verkäufer der Arbeitskraft ist, kann das  Problem der Revolution überhaupt aufgebracht werden“ (Die Welt verändern ohne die Macht zu übernehmen, S. 167). Man braucht sich nur ein paar Auseinandersetzungen der letzten Zeit durch den Kopf gehen zu lassen, und die Marxsche Differenz wird in der augenblicklichen Situation – zumal in Deutschland - kaum wieder gefunden werden können: Holtzmann-Pleite (Inanspruchnahme von Staatsknete unabhängig von allen Folgen für Beschäftigte anderer Firmen), Metrorapid (unabhängig von den Konsequenzen für die NutzerInnen der Bahn soll durch Einführung eines völlig inkompatiblen Systems ein paar Arbeitssplätze geschaffen werden, auch wenn dies den ÖPNV im Ruhrgebiet erheblich verteuert, anderweitige Verbesserungen zukünftig aufgrund der steigenden Finanzmisere einschränkt und über den Trassenklau technisch verunmöglicht), diverse Lebensmittelskandale, Airbus, Getränkedosenproduktion und last but not least unsere täglichen Bahnkatastrophen nicht zu vergessen – alle Beispiele zeigen eine absolute Gleichgültigkeit der hier jeweils Beschäftigten in Richtung auf den gesellschaftlichen Charakter ihrer Produktion und lassen jede Verantwortung für das Große und Ganze vermissen. Hürtgen entnimmt die Anregungen daher der französischen Situation, aus denen praktisch folgt, daß die deutschen Festlegungen im 'entweder oder' eben nicht so festgelegt sind, wie es z. B. gerade auch bei Detje scheint. Die Solidarität zwischen Lohnabhängigen mit und Lohnabhängigen ohne Beschäftigungsverhältnis, die Solidarität zwischen Produzenten und Konsumenten, ein geändertes Verhältnis zwischen Produzenten und den UmweltaktivistInnen, ein geändertes Verhältnis auf Seiten der ProduzentInnen untereinander vor allem und vieles mehr erzwingt ein neues Selbstverständnis auf Seiten der Lohnabhängigen, was auch eine Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Führung und Basis bei der Interessenvertretung bedingt. Mit enger Anlehnung an Bourdieu fasst Hürtgen das Problem u. a. folgendermaßen zusammen: „Das Verhältnis zwischen den verschiedenen Lohnarbeiterkategorien, die Frage, auf welche positive oder negative Weise sie in einem Zusammenhang stehen, gerät hier ins Zentrum der Betrachtung“ (Hürtgen, PROKLA 130 S. 8). Was wird hier anders beschrieben, als ein Selbstfindungsprozeß auf Seiten der Lohnabhängigen insgesamt, der stark an die klassischen Begrifflichkeiten von „der Klasse an sich“ zur „Klasse für sich“ erinnert. „Das durch 'neoliberale Politik' provozierte 'Gegeneinander' wird hier nicht nur als entscheidende Ursache für die eigene Schwäche benannt, sondern es ist zentraler Gegenstand dieser Debatte, nachzuspüren und zu konkretisieren, welches die Beziehung der verschiedenen, von 'Globalisierung' betroffenen sozialen Gruppen zueinander sind und mithin, welche Mechanismen der Konkurrenz überwunden werden müssen, um Solidarisierung zu ermöglichen“ (ebenda). Es ist interessant, sich in diesem Zusammenhang an folgende Worte aus dem Kommunistischen Manifest zu erinnern:„Alle bisherigen Bewegungen waren Bewegungen von Minoritäten oder im Interesse von Minoritäten. Die proletarische Bewegung ist die selbständige Bewegung der ungeheuren Mehrzahl im Interesse der ungeheuren Mehrzahl“ (MEW 4, S. 472). Gerade diese Voraussage ist bisher eben genau nicht eingetreten und es wird Zeit, zu klären warum. Was hat die proletarische Bewegung bisher davon abgehalten, ein gemeinsames, mehrheitsfähiges Interesse zu entwickeln? Verhielt sich das Proletariat bis jetzt nicht sprichwörtlich wie das variable Kapital oder die personifizierten Lohnkosten, eben als menschliche Maschinen Mehrwert / Profit produzierend, sich bewegend reineweg im Rahmen des vertraglichen Kontraktes mit dem Kapital, allein pochend auf die Vertragseinhaltung, gleichgültig den Folgen eigenen Handelns gegenüber!? Dabei sind wir doch Menschen mit einer unendlichen Vielfalt von Bedürfnissen und lassen uns einsperren in diesen Affenkäfig von Profitmaschinerie –  WIR bilden als PRODUZENTINNEN doch selbst Herz und Kopf dieser Ökonomie – mit uns geht (fast) alles, ohne uns aber geht nichts! Dreht sich nicht genau darum der ganze Bewußtwerdungsprozeß? Wenn wir als ProduzentInnen beginnen, Verantwortung zu übernehmen für das was passiert oder nicht in den Betrieben, also auch für das, was bei der Produktion herauskommt oder nicht, verlassen wir die gemeinsame Geschäftsgrundlage mit dem Kapital und erst jenseits dieser beginnt das richtige Leben, nicht vorhergeplant in den Marketing- und Produktionsentwicklungsabteilungen der Unternehmen zur Steigerung des Profits – born to be wild, wir erinnern uns? Dagegen erscheinen mir Detjes Kritikpunkte hier wie Halteleinen, die mich auf dem Boden des herrschenden Geschäftsverhältnisses festzurren – ehrlich gesagt, bin ich der Sonntagsreden überdrüssig!

3 Vorsicht Sackgasse!                                Vorsicht Status Quo!

Auf dem Boden der kapitalistischen Geschäftsverhältnisse sinkt die Nachfrage nach Arbeitskraft mit den entsprechenden Folgen für den Warenpreis, wenn die Geschäfte schlecht laufen. So gesehen gerät die LohnarbeiterInnenschaft  bei der Verteidigung ihrer Warenpreise in die Defensive, wenn diese Geschäftsverschlechterungen keiner kurzfristigen Nachfrageschwäche sondern längerfristigen Strukturproblemen der Kapitalakkumulation geschuldet sind. Das ist ein einfacher aber sehr wirkungsvoller Zusammenhang! Aber ist das alles, gibt es keine weitergehenden Aspekte? Natürlich nicht! Aber wenn Detje nichts mehr anderes gelten läßt als diesen Zusammenhang, dann ist das ein ganz eigenes Problem. Die Defensive auf Seiten der Lohnabhängigen bezieht sich in dieser Situation ja zunächst 'nur' auf die konkreten Geschäftsverhältnisse selbst und wirkt hier umso gravierender, je totaler sie in Abhängigkeit von diesem System stehen. In dem Maße aber, wie sie über eine Alternative zu diesem System verfügen (würden), in dem Maße sinkt ihre Abhängigkeit und aus der Defensive könnte sich sogar eine Offensive entwickeln. In diesem Zusammenhang ist an die Durchsetzung des 8-Stunden Tages zu erinnern, inzwischen an die 80 Jahre alt und leider noch immer sehr lebendig - allen Diskussionen um 35 oder 30 Stunden Woche zum Trotz. Ohne Zweifel verfügen wir über eine solche Alternative zur Zeit nicht, aber müßte es deshalb nicht gerade darum gehen, eine solche zu entwickeln? „In Zeiten des Übergangs zu neuen Akkumulationsbedingungen und einer neuen gesellschaftlichen Betriebsweise gibt es weder für die Kräfte der Arbeit noch für das Kapital einen 'one best way'“ (Detje, S. 46). Einerseits redet Detje an dieser Stelle grundsätzlichen Schwierigkeiten der Wertökonomie das Wort und muß die Wiederaufnahme des 'normalen' Geschäftsbetriebes – worunter zumeist schönfärberisch nur die beispiellose Zeit nach dem 2. Weltkrieg in Westeuropa verstanden wird – auf einen unbekannten Zeitpunkt in die Zukunft verschieben. Andererseits verortet er die Schwierigkeiten in falschen Politikvorstellungen bei den politischen Akteuren, die „durch moderate Lohnabschlüsse, Kürzung von Sozialtransfers“ (Detje, S. 47) die Tiefe und Länge der Krise negativ beeinflussen. „Deshalb kommt der Auseinandersetzung um die Einkommenstarifpolitik gerade in einem 'Typus nachfragebedingter Stagnation' eine herausgehobene Bedeutung für die Frage zu, ob die Linke Alternativen zum Kurs der Perpetuierung der Krise aufzeigen kann“ (ebenda). Die innere Zerrissenheit der politökonomischen Begründung Detjes spiegelt selbst das Dilemma sozialdemokratischer Politik, mit keynesianischen Argumenten die Abwahl Kohls zu schaffen, um dann von den ökonomischen Verhältnissen in Richtung neoliberaler Umsteuerung weit über Kohl hinaus getrieben zu werden. Es sind die bekannten Schwächen gewerkschaftlicher Agitation, in den Profitbetrieben Wein zu predigen und in den eigenen Häusern das Wasser auszuschenken, um im Zweifel sich eben den neoliberalen Anliegen stillschweigend anzuschließen. Diese Zerrissenheit selbst zeigt ganz deutlich, daß gar keine Konzepte vorhanden sind, einer länger anhaltenden ökonomischen Schwäche zu begegnen. Hürtgens Ansinnen - nach 30 Jahren Regulationserfahrung und einer in die Gänge gekommenen Totalisierung gesellschaftlichen Lebens durch die Verwertungsökonomie, in der auch die geringsten Sozial- und Umweltstandards noch unterboten werden können - diese Beschränkung nicht mehr hinzunehmen, ist nur wundersam für jene, die noch nicht mal mehr von einem anderen Leben träumen können – für alle anderen ist es ein Glück: ich kann nur hoffen, daß ihr aus der heterogenen Betriebslinkengemeinschaft möglichst viele folgen, Bewegung ist gesund auch für den Kopf! „'Utopische' Ansprüche, 'verrückte' Wünsche und insgesamt ein Raisonnieren über Möglichkeiten ganz anderer Formen von Gesellschaftlichkeit werden in ihnen gleichsam erstickt. Dabei deutet das gegenwärtige vorsichtige Wiederaufleben sozialer Utopien nicht zuletzt in Teilen der weltweiten globalisierungskritischen Zusammenhänge, auf prinzipielle Grenzen der vorgefundenen sozialen Lebensformen, unabhängig vom Grad ihrer 'Regulierung'. Diese Ansätze aufzugreifen, und damit das emanzipative Projekt über die – zudem verklärten – Möglichkeiten der Vergangenheit hinauszutreiben, ist Sache der Autoren nicht, obwohl auch sie 'sozialistische, emanzipatorische Alternativen' proklamieren“ (ebenda S. 17). Das diese Kritik sich zurecht gegen Bischoff und Detje richtet, zeigt nichts so deutlich wie Detjes Replik. Ihr Anliegen läßt sich nur als Abschottungsversuch vor allen weiter gehenden Überlegungen begreifen, den Status quo der Wertproduktion nicht mehr als letzte Grenze zu respektieren. Detjes Warnung vor den Sackgassen, in die nun ausgerechnet gerade Hürtgen's Argumentation führen, soll natürlich „nicht strukturkonservativ missverstanden werden. Es geht nicht um Rückkehr zu einem fordistischen Sozialstaatsarrangement, sondern darum, die Zusammenhänge von Tarif- und Arbeitspolitik mit Beschäftigungs- und Sozialpolitik anders als im überkommenen Modell einer passiven Revolution oder eines Staatsreformismus zu bearbeiten“ (Detje, S. 47). Und außerdem „bedeutet das nicht, daß die Organisationsstrukturen keine – auch grundlegende – Verbesserung vertragen würden. Die Kritik, daß wir dieses Thema unzureichend behandelt haben, trifft zu“ (ebenda, S.48). Angesichts einer Gewerkschaftspolitik, die im wesentlichen darauf beruht, die breiten Massen von einem selbständigen Handeln gerade auszuschließen, nimmt sich eine solche Selbstkritik geradezu bescheiden aus. Zu bescheiden, wie ich finde: Die sich hier versteckende Subalternität der Massen bricht ja erst auf, wird erst richtig sichtbar, wenn sie beginnen sich aufzulehnen gegen ihre Eingrenzung und Unterordnung. Gerade der in Frankreich offenbar gewordene „massenhafte Wille der  Basis, die Bewegung zu kontrollieren“ (Hürtgen, S. 23), anstatt selbst als kontrollierte und gelenkte Subalterne dem Willen eines übergeordneten Subjektes (Führung) dienlich zu sein, macht die Beschäftigung mit diesen Ereignissen so brisant. Diese Auseinandersetzung ist im übrigen die einzige Möglichkeit, sich nicht nur nicht in diversen Sackgassen zu verrennen, sondern erstmal aus der bestehenden auszubrechen – die auch durch noch so gute 'Repliken' nicht mehr versteckt werden kann! Vor den französischen Ereignissen hätten Detjes Ausführungen noch als normaler, wenn auch nicht sehr hilfreicher Beitrag in der betriebslinken Meinungsvielfalt gelten können. Hier jedoch steht sie bzw. stellt sie sich explizit in der Beurteilung dieser Ereignisse zur Diskussion. Das etwas zu großspurige ex Post Lob („selbstverständlich war der französische Winter 1995 ein mutmachendes Signal dafür, dass breite Bündnisse gegen Ausgrenzung und für sozialen Fortschritt für alle mehr als nur 'Rage' sein können“) steht in eigentümlichen Kontrast zu der offensichtlichen Befriedigung, mit der man gleich im nächsten Satz melden zu können glaubt, daß von der fraglichen Bewegung sowieso „nicht mehr als ein Hauch geblieben“ sei (Detje,S. 48). Dabei offenbart Detje hier inhaltlich das Standard Denkmodell, bei der der Basis allein – also ohne Kontrolle und Vorgabe von oben – nur die 'Rage' zugetraut wird, unfähig selbständig zu tragfähigen Lösungen zu kommen.

Verschafft sich hier nur eine fehlgeleitete Fürsorgepflicht Gehör oder bricht sich schon wieder der uralte Herrschaftsanspruch Bahn, auch durch die Millionengräber in der proletarischen Bewegungsgeschichte noch nicht von seinem unsinnigen Anliegen kuriert?

Hubert Herfurth Bochum im November 03

Editorische Anmerkungen

Der Artikel wurde uns vom Autor mit der Bitte um Veröffentlichung zu geschickt.