Antiemanzipation als Globalisierungskritik
Referat der Antideutsch-Kommunistischen Gruppe Leipzig, gehalten auf der Veranstaltung "Gegen Attac und Co."
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1. Die Rede der Globalisierungskritiker

Seit dem Zusammenbruch der bipolaren Weltordnung breitet sich das  liberal-amerikanische Wirtschaftsmodell des aggressiven, zynischen Freihandels wie ein Geschwür über die Welt aus. Die Auswirkungen dieser Globalisierung sind verheerend: Mit Willkür werden “die fundamentalen Werte” der unterlegenen Kulturen und Nationen “auf sozialem, ökonomischem, kulturellem und ökologischem Gebiet ”zerstört. “Doch während der Gegensatz zwischen Arm und Reich immer größer wird, hat die verborgene Faust des freien Marktes viel zu tun, ... sie braucht einen Verbund von loyalen, korrupten, vorzugsweise autoritären Regierungen ... eine Presse, die so tut als wäre sie frei, ... Gerichte, die so tun als sprächen sie Recht ... Sie braucht Atombomben, Armeen, strenge Einwanderungsgesetze und Grenzpolizisten, die dafür sorgen, dass nur Kapital, Waren, Patente und Dienstleistungen globalisiert werden.” Denn das Projekt Globalisierung kennt nur die Ideale des amerikanischen way of life und akzeptiert keine anderen. Der Lebensstil der Reichen kann nur durch die Unterdrückung ganzer Völker entstehen. Ohne Skrupel wird sich der Form des Krieges bedient, nur um Freihandelszonen zu schaffen und um den Einfluss der multinationalen Konzerne zu erhöhen. “Der Einsatz von Krieg, Vertreibung, Terror, Völkermord dient einzig und allein dem Ziel, die territorialen Besitzverhältnisse zugunsten der Protagonisten der neoliberalen Wirtschaft neu zu ordnen: die Bevölkerung aus wirtschaftlich vielversprechenden Landesteilen zu vertreiben oder auszulöschen um hier anschließend ungestört die vorgesehenen Geschäfte betreiben zu können.” Die Gefühle der Menschen werden manipuliert und dann benutzt, um solche Kriege zu rechtfertigen. Die verborgene Faust des Marktes heißt US-Army, “denn ohne McDonnell Douglas kann McDonald’s nicht erfolgreich sein.”

Mit seiner anderen Waffe, dem freien Markt, bricht Amerika zusätzlich über die Entwicklungsländer herein und erdrückt sie. Eine Handvoll gieriger Banker und Unternehmenschefs dirigiert diese Unternehmungen und regiert die Welt. Sie sind weder von jemand gewählt noch gewollt worden. Doch sie haben nie genug. Die egoistische Machtgier ist grenzenlos und nicht zu stillen. Die nationalen Wirtschaften werden willkürlich durch mächtige Konkurrenten und erbarmungslose Spekulationen zugrunde gerichtet. Kleine und mittelständische Unternehmen müssen den Konzernen der Superreichen weichen. Börsenspekulanten sind die Nutznießer von Firmenpleiten und fördern somit den Niedergang der produzierenden Betriebe, dadurch werden viele ehrlich arbeitende Menschen arbeitslos. Hinter verschlossenen Türen treffen die Drahtzieher der Globalisierung Entscheidungen in den Gremien von WTO und IWF, die Politiker führen diese Beschlüsse willfährig aus. Die Politik ist zum hörigen Instrument des Neoliberalismus geworden. Somit werden politische Entscheidungen gefällt, zu Lasten der Armen und der unterlegenen Völker und zum Nutzen skrupelloser Ausbeuter.

2. Ressentiment statt Begriff

Die Globalisierungskritiker haben keine Begriffe. Noch vollständiger als die orthodoxen Marxisten haben sie aufgehört, ihre Begriffe untereinander und mit der Realität zu vermitteln. Und dennoch funktionieren sie: Ihre Begriffe begründen zwar nichts mehr, aber sie brauchen es auch nicht, da das Publikum und der inner circle der Globalisierungskritiker kein Verlangen danach hat, sich einen Begriff von der Wirklichkeit zu machen.

Die Sprache der Globalisierungkritik entfaltet sich genau auf diesem Umstand: Die Flugblätter, die Äußerungen der Agitatoren und Intellektuellen strotzen vor Begriffen, die ihnen nicht erklärungsbedürftig sind, die sich “von selbst verstehen”, ganz dem Anspruch der Popularisierung verpflichtet. Diese Worte, die so allgemein verständlich erscheinen, sagen tatsächlich eine Menge, nur taugt das was sie sagen nicht, den Umstand zu erhellen. Das was sie sagen funktioniert ähnlich wie das Blinzeln: Die Erwähnung eines Wortes weckt bei den Anhängern und Zuhörern eine Assoziation, die nicht beliebig ist. Sie ist ihre geheime Gemeinsamkeit. Für diese Assoziationen kommen Sie auf Veranstaltungen und auf Demonstrationen. Sie möchten ihre Ahnungen bestätigt sehen und Vorurteile mit anderen zusammen ausleben. Der Begriff der “Herrschenden” zum Beispiel meint auch “die da oben” und “Ausbeuter” oder “Heuchler”, er umschreibt eine unbestimmte Personengruppe, die in irgend einer Weise z.B. “die Menschen” oder gar “die Welt” beherrschen. Sie haben “etwas” vor, was entweder “verborgenen Interessen” unterliegt oder sie “schamlos selbst bereichert”. Agitatoren und Zuhörerschaft der Bewegung haben ein inniges Verhältnis zueinander, der Agitator geht seine Zuhörer nicht von außen her an; vielmehr gibt er sich als einer aus ihrer Mitte, der ihre innersten Gedanken formuliert. Er rührt das auf und drückt das in Worten aus, was in ihnen gärt. Charakteristisch ist die Ähnlichkeit mit der Verführung: keiner der beiden bleibt gänzlich passiv und es ist nicht immer deutlich, wer die Verführung initiiert hat. Es entsteht ein Spielraum für Unbestimmtheiten, der das gemeinsame Geheimnis beständig thematisiert ohne es gedanklich fassen und artikulieren zu müssen. Diesem Umstand entspringt eine starke Dynamik. Es ermöglicht den Unzufriedenen, ohne ihre Wut in Frage stellen zu müssen, die Aggressionen straffrei zu entladen. Gemeinschaft gründet sich eben durch das durch Pseudo-Begriffe und andere Bilder vermittelte Gefühl, das gleiche Objekt des Hasses zu verfolgen. Die Themen der Globalisierungskritiker entstehen aus diesem Drang, weil sie eine Analyse der Gesellschaft aus dem Bauch heraus vornehmen, was zu einer “Verschränkungen von Ressentiment und Wirklichkeit” führt. Die Empirie wird “als Trophäe der Entlarvung begierig aufgegriffen und triumphierend vor sich her getragen”(1), dient jedoch nur der Bestärkung der eigenen Gefühle. Suicide bombers beispielsweise, die über Schulungen der islamistischen Gruppen eingeschworen und gedrillt werden, um sich mit Tricks und großem Aufwand, oft verkleidet, nach Israel zu schleichen, um eine möglichst große Menge Juden mit in den Tod zu nehmen, werden als verzweifelte Menschen mit Wut über das Unrecht dargestellt, die keine andere Wahl hätten, als sich als lebendige Bombe in die Luft zu sprengen. Die Beschreibung der Täter ist nicht zufällig die Beschreibung der eigenen Position, Recht zu haben, gegen das Unrecht loszuziehen – nur ist die Bombe Platzhalter für die Faszination bis ans Äußerste zu gehen, ohne für das Handeln verantwortlich zu sein (“die Umstände zwingen dazu”), ohne Rechenschaft abgeben zu müssen, weil die Legitimation evident scheint: der Lohn ist die selig machende, frei schwebende Gerechtigkeit. All diese infantilen Gelüste - über die Welt größenwahnsinnig nach dem eigenen Seelenhaushalt zu richten - möchten sich ausleben: Sie tun es als Protest in einer Massenbewegung, die ihren Akteuren nichts vorschreibt, sondern die plural irgendwelche Kräfte bündelt, die alternativ klingen, sich Sorgen machen über irgendwas, die von “Verteilung” und “Gerechtigkeit”, von “Imperialismus”, “Kriegstreibern”, “Globalisierung von unten”, “Sozialismus”, “Global Action”, “Kulturkreisen” “Zerstörung von Lebensräumen”, “kultureller Vielfalt”, “Mc-Donald’s-Kultur”, “Machtgier” etc. reden und deren Wörter nichts erklären, sondern eine Bewegung von Bescheidwissern initiieren, die auf “Lösung der Probleme” drängt. Ihre Agitation für eine “bessere Welt” ist auf diese Weise – und es ist die einzige Weise, die in dieser Konstellation möglich ist – antiaufklärerische Agitation. Diese repräsentiert nicht nur ein unbegriffliches Ressentiment-geladenes Denken, sondern bedroht durch ihre tätliche Umsetzung Restbestände emanzipatorischer Positionen, da sie im Namen dieser handelt und sie für das Projekt einer reaktionären Krisenbewältigung einspannt.

3. Index der Wahrheit in der falschen Kritik

Die geheime Gemeinsamkeit der Kritiker der “Globalisierung” ist wie gesagt unartikuliert und gedanklich nicht gefasst. Der Grund liegt in dem Umstand, dass die Rede von der Verschwörung sie in die Schublade von nerds befördern würde und weil die Artikulation dessen “was vor sich geht” mangels brauchbarer Fakten ein Problem darstellt, das dadurch behoben wird, dass es bei Andeutungen oder Bildern bleibt, die – wie oben beschrieben - die Phantasie anregen.

Fast alle Themen der Globalisierungsgegner drängen darauf, denn in ihrer Unfähigkeit abstrakt zu denken sind sie genötigt, für das, was passiert, einen Schuldigen zu finden, weil sie die Wirkungsmächtigkeit abstrakter Prozesse nicht denken können. Somit sagen sie aber etwas über die Gesellschaft selber aus, denn sie sind ja ein Teil von ihr. Die Formulierung des Unbehagens, dass etwas falsch läuft, die Empörung über gesellschaftliche Zustände ist nicht aus der Luft gegriffen: Das subjektive Leiden der Einzelnen ist in diesem Sinne Ausdruck des allgemeinen. Adorno: “Das Bedürfnis, Leiden beredt werden zu lassen, ist Bedingung aller Wahrheit. Denn Leiden ist Objektivität, die auf dem Subjekt lastet; was es als sein Subjektivstes erfährt, sein Ausdruck, ist objektiv vermittelt.” Das heißt, erst über sein subjektives Leiden vermittelt sich das Objektive. Wenn man das Verlangen der Globalisierungskritiker betrachtet, stellen sich folgende Fragen: Aus welchen gesellschaftlichen Verhältnissen und Umständen speist sich das Fühlen und Denken? Welche Bedürfnisse befriedigt die Wahl der Themen? Das ideologische Denken, also das aus-dem-Bauch-heraus-Gedachte, ist, wenn man es als eben dieses reflektiert, Index von Wahrheit über diese Gesellschaft. Unser Anliegen als Materialisten, die diese Gesellschaft abschaffen wollen, ist daher Ideologiekritik zu üben, zu kritisieren wie sich Gesellschaft vermittelt über den Einzelnen reproduziert. Aufklärung und aufklärerische Agitation heißt demnach, die Kritik aufzurichten an der Reproduktion der Gesellschaft und ihrer immanenten Tendenz sich in die Barbarei zu stürzen.

4. Das Kapital – Die Verschwörung

Das Ressentiment über das Kapital ist ein gutes Beispiel für die Art und Weise, wie die Globalisierungskritik durch ihr personalisierendes Denken eine Menge über den philosophischen Gehalt des Kapitals sagt, natürlich ohne ihn zu begreifen. Letztendlich ist ihre Form der Kritik so klassisch antisemitisch, dass es ihrer polemischen Erledigung bedürfte, doch bereitet es Erkenntnisgewinn, diese Mülltonne zu öffnen. Weswegen hasst der Antisemit? Beleuchten wir die subjektive Beschwerde des Antisemiten am Weltlauf. Den Verschwörungstheorien ist ein Unbehagen an der Gesellschaft, am Ausgeliefertsein an fremde Mächte und undurchschaubar-verflochtene Entscheidungsinstanzen über Leben und Tod, Aufstieg und Untergang gemein. Diese Mächte sind hier als Mächtige identifiziert, als die Profiteure aller Kriege und Krisen, als verschworene Fädenzieher im Hintergrund, als Juden. Während diese Identifizierung – Macht zu Mächtigen – bereits der Kauf des antisemitischen Tickets ist, lohnt es sich bei dem unmittelbar empfundenen Unbehagen zu verweilen.

Denn das subjektive Gefühl der Fremdbestimmung des eigenen Lebens findet eine objektive Entsprechung im gesellschaftlichen Kapitalverhältnis. Eine unbeherrschbare Gesellschaftsmaschinerie führt tagtäglich dem Einzelnen seine Nichtigkeit vor Augen und bedroht ihn in seiner Existenz stoisch wie Natur. Mag das Subjekt sich noch so viel auf seine Freiheit einbilden, diese endet dort, wo seine Verwertbarkeit aufhört. Der individuelle Raum freier Entfaltung und persönlicher Glückserfüllung war nie mehr als eine Nische, das vom gesellschaftlichen Betrieb noch nicht Erfasste. Der Lebensweg ist gesellschaftlich, also objektiv insofern vorbestimmt, als die Menschen, wie Marx sagt, gesellschaftliche Charaktere eines gesellschaftlichen Produktionsprozesses sind. Um nun Aussagen über Form und Inhalt dieses sozialen Zwangskorsetts treffen zu können, müssen wir die gesellschaftlichen Bedingungen erhellen, deren Ausdruck es ist.

Die schlechte moralische Kritik an der Gesellschaft empört sich über deren Ungerechtigkeit. Marx hingegen hat mit der Kritik der politischen Ökonomie gezeigt, dass es sehr wohl gerecht zugeht und gerade hierin das Problem liegt. Denn die formale Gerechtigkeit ist die Gleichheit vor der verselbständigten Kapitalbewegung. Vor dem Gesetz sind alle gleich, doch ungleich in der Lebenswirklichkeit. Alle haben das gleiche Recht, sich für die Kapitalakkumulation benutzen zu lassen und sie müssen es – sei der Wunsch nach Ausbruch noch so groß - wollen sie nicht ins soziale Aus geraten. “Ich verzehre mich nach dem Dunkel – und je dunkler es ist, desto grauenhafter ist es.”(2) Nicht der Mensch ist Mittelpunkt dieses Produktionsverhältnisses, sondern das übergeordnete Formgesetz der Warenproduktion, in welcher alle weiteren Implikationen bereits enthalten sind – Profitmaximierung, Kapitalakkumulation, letztlich die gesellschaftsimmanenten Bewegungen. Davor ist der Einzelne buchstäblich ein Nichts. Die an äußeren Bestimmungen ausgerichtete Existenz des Menschen ist permanent prekär. Die Allmacht der Gesellschaft gelangt jedoch oft erst in Zeiten schleppender Akkumulation zu Bewusstsein. Solange die Produktion rollt und die Massen in Lohn stehen, mag der Zwang zum Mitmachen als natürlich rationalisiert werden – ist doch der individuelle Ausstieg gleichbedeutend mit sozialem Abstieg in die Kälte der Gosse. Sobald aber sich die Wirtschaft in der Krise befindet und die existentielle Bedrohung handgreiflich wird, hebt das Geschrei um die Schuldigen an, welches nicht wahrhaben will, das die Schuld das Produktionsverhältnis trägt.

Doch die Verblendung beginnt nicht mit der Krise. Sie ist vielmehr adäquater Ausdruck einer spiegelverkehrt erscheinenden Welt: Das gesellschaftliche Verhältnis menschlicher Arbeiten erscheint als Verhältnis von Arbeitsprodukten, das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als äußeres Verhältnis von Gegenständen, die gesellschaftliche Bewegung der Tauschenden als Bewegung von Sachen. Der gesellschaftliche Produktionszusammenhang stellt sich wie ein übermächtig wirkendes Gesetz gegen die individuelle Willkür her. Der erwirtschaftete Profit scheint dem Profiteur zur freien Verfügung zu stehen. Dem entgegen wirkt der Konkurrenzdruck, der ihn zwingt, den Profit erneut gewinnbringend anzulegen, bei Strafe des Bankrotts. Somit ist auch der Profit keine individuelle, sondern eine gesellschaftliche Verteilungskategorie(3) Kapitalistische Produktion und Verteilung bedingen sich wechselseitig. Die Form der Produktion prätendiert die Verteilung, wie ihrerseits die Verteilung schon wieder Produktionsmoment ist.

Marx wies mit seinem Begriff des “Fetischismus, der den Arbeitsprodukten anklebt” auf diese Nichtidentität von Wesen und Erscheinung der kapitalistischen Produktion hin. Seine Warnungen waren damals noch leise: “Die Ansicht, die nur die Verteilungsverhältnisse als historisch betrachtet, aber nicht die Produktionsverthältnisse, ist einerseits nur die Ansicht der beginnenden, aber noch befangnen Kritik der bürgerlichen Ökonomie. Andrerseits beruht sie auf einer Verwechslung und Identifizierung des gesellschaftlichen Produktionsprozesses mit dem einfachen Arbeitsprozeß, wie ihn ein abnorm isolierter Mensch ohne alle gesellschaftliche Beihilfe verrichten müßte.” Jene falsche Kritik bildet heute, entfaltet, den Kern der Antiglobalisierungsagitation. Wo sie Totalität erfährt, redet sie von den total Mächtigen. Die geheime, alles bewegende Macht, die ihnen erscheint, ist jedoch nichts als die undurchschaute, allumfassende Bewegung des Kapitals.

Die Kapitalbewegung intendiert nicht die repressiv über den Tausch hergestellte Gleichheit, hat sie aber zum Resultat. Der Zwang zur Verwertung schlägt alles in den Bann von Identität. Dieser Bann, nichts als bewusstlose Konsequenz zur gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeit gebündelter Einzelhandlungen, wird dem Globalisierungsgegner zum Desiderat und zur Grundlage der affirmativen Praxis von Krisenbewältigung.

5. Das Ressentiment als Tat: Die Austreibung der Krise

Der Traum der Verschwörungstheoretiker und Globalisierungskritiker ist im Resultat derselbe: Frieden, gerechte Ruhe zieht ein in die Welt, nachdem diejenigen, die Krise und Ungerechtigkeit verschuldeten, verschwunden sind. Wie selbige das Verschwinden denken, ist abhängig von Restbeständen der Humanität, der rationalen Motive der Handelnden. Als Wahn, der dieser Traum ist, ist jedoch unkalkulierbar in welcher Konsequenz er sich austobt, hat er die Möglichkeit dazu. Die vergangenen Monate, Djerba, Bali, Moskau, Kenia, Bangladesch machen deutlich, dass die Zeit zu beschwichtigen nicht ist. Heißt es nach einem ideologiekritischen französischen Sprichwort: “L‘ argent n’a pas de maître”- “Geld hat keinen Herrn” gilt für den Wahnbehafteten doch, dass er zwanghaft denjenigen sich vorstellen muss, der dem Geld Herr ist: In diesem Akt reproduziert er das Kapital indem er sich gegen das Kapital austobt.

Was das abstrakte Prinzip – der Wert, der sich selbst absolut setzt – mit der Realisierung von Mehrwert konkret werdend vollzieht, nur zu dem Zweck, sich selbst zu verwerten, erscheint in persona im Globalisierungsgegner. Ihm ist der Wert, der absolut werden will, der gerechte Tausch – der reine, absolute Zustand der Ruhe, die Stillstellung der Ökonomie – und in der Personifizierung und Vernichtung der “Schuldigen” akkumuliert er konkret die Idee: gierig und maßlos dynamisch gegen die Dynamik. Denn für den, der dem Kapitalismus nur ein Verteilungsproblem attestiert, ist die Krise Verschärfung der Ungerechtigkeit und Bestätigung seiner Erkenntnis: Die Schmarotzer treiben es immer bunter. Die Krise beschleunigt den Zwang, immer neue Opfer finden zu müssen. Dieser Zwang macht “die Blindheit des Antisemitismus”(4), von der Horkheimer und Adorno sprechen, aus: “Immer ruft der Antisemitismus erst noch zu ganzer Arbeit auf”. Nach der Tat ist vor der Tat, ins Unendliche hinein. Die antisemitische Gefolgschaft, “die weder ökonomisch noch sexuell auf ihre Kosten kommt, haßt ohne Ende; sie will keine Entspannung dulden, weil sie keine Erfüllung kennt.” Doch eben nach Erfüllung drängt es die Antisemiten und gerade das macht ihre Rastlosigkeit aus. “So ist es in der Tat eine Art dynamischer Idealismus, der die organisierten Raubmörder beseelt. Sie ziehen aus, um zu plündern, und machen eine großartige Ideologie dazu, faseln von der Rettung der Familie, des Vaterlandes, der Menschheit. (...) Alles Lebendige wird zum Material ihrer scheußlichen Pflicht.”(5) So wechselt der Antisemit zwischen Idee, Friedhofsruhe und Tat, Totschlag hin und her. “Er geht beständig von der einen in die andere Form über, ohne sich in dieser Bewegung zu verlieren, und verwandelt sich so in ein automatisches Subjekt.”(6) In diesem Sinne wird der Globalisierungsgegner zum Träger der Ideologie der totalen Gerechtigkeit; das ist die unmenschliche Zurichtung, die er sich selbst antut, durch die er seinen Antrieb erfährt und zur Tat schreitet: Beseitigung der Ungerechtigkeit endlos, maßlos, zum Zwecke des in der Unendlichkeit erscheinenden Ideals des gerechten Tauschs. “Die Tat wird wirklich autonomer Selbstzweck”(7) und “die Zirkulation des Geldes als Kapital ist (...) Selbstzweck, denn die Verwertung des Werts existiert nur innerhalb dieser stets erneuerten Bewegung.”(8) Und die Idee der Gerechtigkeit existiert nur, wenn sie einen Träger findet, den es zur Tat drängt. So wie das Geld Repräsentant des Werts ist, ist der Verschwörungstheoretiker Repräsentant der absoluten, endgültigen Gerechtigkeit, indem er sich selbst als allgemeinen Menschen, als “Gleichen”, Allgemeinen darstellt. So wie das abstrakte Prinzip, der Wert, sich das Besondere, Einzelne einverleibt, um sich selbst zu verwerten, so mordet der Entindividuierte die Besonderen, die Anderen, die unter Allgemeinen “auffallen ohne Schutz”, endlos und gefräßig für ein Ziel, das sich - unerreichbar wie eine Fata Morgana - vor dem Wahnsinnigen herschiebt. “Zwischen Antisemitismus und Totalität bestand von Anbeginn der innigste Zusammenhang. Blindheit erfasst alles, weil sie nichts begreift.”

6. Die Negativfolie des Glücks

“Noch als Möglichkeit, als Idee müssen sie [die betrogenen, antisemitischen Massen] den Gedanken an jenes Glück immer aufs neue verdrängen, sie verleugnen ihn um so wilder, je mehr er an der Zeit ist.”(9) Von dieser Erkenntnis ausgehend ist es notwendig – so merkwürdig es klingt – den Antisemitismus als Bedürfnis ernst zu nehmen und ihn ideologiekritisch zu wenden. Kurz: Was der Antisemit hasst, ist Index für den Kommunismus. Indem in der Projektion, der Jude, Amerikaner, Kommunist als Statthalter für die verbotenen Früchte, nach denen er sich selbst sehnt, erscheint, treten – negativ – die Genüsse auf den Plan, die ein kleines Licht auf den Kommunismus werfen: Als Kosmopolit dort zu wohnen, wo er möchte. Als unverdient Glücklicher, der nicht arbeiten muß. Als mit Reichtum Überschütteter, der sich keine Sorgen machen muss. Als Feinfühliger, der sinnliche Erfahrung auskostet. Als Ungerechter, der dem Zwang des Tauschs, dem Elend des Vergleichens entkommen ist. Das Objekt der antisemitischen Projektion ist abzutasten auf die Fixpunkte für den Hass. Aus diesen Fixpunkten könnte in der Reflexion darauf eine neue kommunistische Tradition – gegen die verhärtete des Arbeiterbewegungsmarxismus – entstehen , die keinen Platz für antiemanzipatorische Mogelpackungen, wie sie die Globalisierungsgegner sind, hat. Diese haben nur einen Nutzen: als Negativfolie.

Fußnoten:

(1) Dan Diner, Feinbild Amerika – Über die Beständigkeit eines Ressentiments, S. 24

(2) Samuel Beckett, Spiel

(3) Karl Marx, Das Kapital Bd. 3, Kap. 51

(4) Alle folgenden Zitate entstammen der zweiten These des Aufsatzes “Elemente des Antisemitismus” aus dem Buch “Dialektik der Aufklärung”.

(5) “als die Verteidiger der Wahrheit, als die Erneuerer der Erde, die auch den letzten Winkel noch reformieren müssen.”

(6) Marx, MEW 23 – Kapital Bd.1, S.169

(7) Horkheimer und Adorno, Elemente des Antisemitismus in: Dialektik der Aufklärung

(8) Karl Marx, MEW 23 - Kapital Bd. 1, S. 169

(9) Horkheimer und Adorno, Elemente des Antisemitismus in: Dialektik der Aufklärung

Editorische Anmerkungen

Der Artikel ist eine Spiegelung von
http://www.germany.indymedia.org/2002/12/37163.shtml