Den Friedensnobelpreis hat Jimmy Carter,  Ex-Präsident und Handelreisender für die Pax Americana, völlig verdient!

Ein Gegenstandpunkt-Kommentar
12/02
 
 
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Als Präsident der USA von 1977 bis 1981 war es für ihn selbstverständlich, dass Frieden mit Gewalt hergestellt sein will und dass dazu Amerika und sonst keiner berufen ist. Auch dass mit der Sowjetunion, die sich dem kapitalistischen Zugriff und einer Weltordnung nach den Grundsätzen von ‚freedom and democracy’, also unter amerikanischer Führung verweigert, ein echter Weltfrieden einfach nicht zu haben ist, zumal wenn sie sich mit atomaren Waffen gegen die amerikanische Weltkriegsdrohung zu behaupten vermag. Dagegen war das erste Gebot verantwortlicher Friedenspolitik die Fortsetzung und Forcierung einer weltkriegsfähigen Aufrüstung, um den Systemfeind mit überlegener Gewalt zum Frieden, d.h. in die Knie zu zwingen: Die Russen “tot rüsten”: sie nach Möglichkeit zur Kapitulation zu treiben, weil sie den Kalten Krieg nicht durchstehen und einen “heißen” nicht riskieren, das war das Ideal erfolgreicher amerikanischer Friedensstiftung angesichts der unerträglichen Lage, dass Amerika die ihm zustehende Freiheit zu überlegener Kriegsführung wegen der russischen Atommacht einfach nicht besaß. In diesem Sinne hat Carter keinen geringen Beitrag dazu geleistet, der Sowjetunion die Vergeblichkeit eines ständigen “Rüstungswettlaufs” zur Aufrechterhaltung eines “atomaren Patt” klarzumachen und daraus rüstungsdiplomatisch Friedenskapital zu schlagen, indem er die Verhandlungen mit dem Gegner über seine atomare Abrüstung – weitergeführt hat. Mit Salt II gelang es ihm, den Gegner mit seinen Atomraketen berechenbarer und damit für die USA den Atomkrieg besser führbar zu machen.

Dass das Streben nach einer möglichst weitgehenden friedlichen Entwaffnung des Gegners mit einer Effektivierung der eigenen Bewaffnung für ein denkbares Weltkriegsszenario einhergehen muss, an diese Lesart des alten Sinnspruchs “si vis pacem, para bellum” hat sich Carter auch anderweitig vorbildlich gehalten. Die Stationierung atomar bestückter Marschflugkörper auf dem potentiellen Kriegsschauplatz Europa und der Beschluss zur Stationierung der mit Atomsprengköpfen ausgestatteten Mittelstreckenraketen Pershing 2 wurde mit dem “Angebot” zu einer “Null-Lösung” an die sowjetische Seite verknüpft. Wenn die SU die SS 20 Atomraketen, die sie schon hat, wegschmeißt, noch bevor die amerikanischen Pershings produziert sind und aufgestellt werden können, verzichtet Amerika glatt auf sie: ein Musterbeispiel diplomatischer Friedensarbeit auf der Grundlage unbedingt glaubwürdiger Gewaltandrohung.

Die Feinddiplomatie hat er im übrigen um eine schlagkräftige Waffe eigener Art bereichert: die Menschenrechtswaffe, mit der Amerika fremde Machthaber einer amerikanischen Prüfung auf die Legitimität ihrer Herrschaft unterwirft und damit ihre Anerkennung grundsätzlich unter den Vorbehalt stellt, dass nur “guter Herrschaft” nach dem Kriterienkatalog der USA überhaupt ein Existenzrecht zukommt. Ein wahrhaft welthistorischer Einfall. Gemäß dieser ‚Überprüfung’ sortiert sich die Staatenwelt ja wie von selbst nach den Herrschaftsgrundsätzen des eigenen kapitalistischen, demokratischen Systems und im Näheren nach ihrer Brauchbarkeit und Verlässlichkeit für amerikanische Interessen! Diese diplomatische Waffe leistet also beste Dienste für den Entzug der Anerkennung und die Bestreitung des Existenzrechts fremder Souveräne. Carters Verdienst aber reicht weiter. Mit der Menschenrechtswaffe führte er ein für alle Mal in die Weltdiplomatie den Standpunkt der Unvollkommenheit eines Völkerrechts ein, das formell einen Respekt vor der Souveränität von Staaten festschreibt. Seitdem steht im Prinzip fest, dass Amerika diesem unhaltbaren Zustand mit seiner global ausgeübten Wächterrolle über die inneren Verhältnisse anderer Staaten auf die Sprünge und damit einer globalen Friedensordnung zum Durchbruch verhelfen muss - gegen Serbien z.B. und dann erst recht gegen die Taliban, den Irak.

Der wichtigste Beitrag zu einer dauerhaften Friedensordnung gelang Carter nach allgemeinem Urteil zweifellos mit dem Abkommen von Camp David 1978 zwischen Israel und Ägypten. Friedensfortschritte lagen zwar förmlich in der Luft, weil Israel seine arabischen Feinde mit seinen Kriegen erfolgreich abgeschreckt und ihnen mit seiner überlegenen Gewalt und amerikanischer Hilfe eingebläut hatte, wie wenig sich Feindschaft gegen das israelische Staatseroberungsprogramm und seinen amerikanischen Paten lohnt. Seit dieser Friedensvermittlung, zu der Carter dank der überlegenen Macht Amerikas berufen war, genießen die USA den von allen Seiten anerkannten Status einer Garantiemacht für Frieden im Nahen Osten. Seitdem setzt Israel unter amerikanischer Oberaufsicht seine Lesart von Friedensstiftung im Nahen Osten nach innen und außen nur noch mit einseitiger militärischer Gewalt durch, was zweifelsohne zur Wahrung der Menschenrechte im Nahen Osten enorm beiträgt.

Carters Einsatz für Frieden und Menschenrechte kannte aber auch sonst keine Grenzen. Im Interesse einer wahren, von Amerika gestifteten globalen Friedensordnung scheute er vor keinem Konflikt zurück. So zögerte er nicht, anlässlich der Invasion der SU in Afghanistan 1979, mit der diese ihre südöstliche Grenze stabilisieren wollte, die Unterscheidung legitimer von illegitimer Gewalt klarzustellen und für den Rest der Staatenwelt verbindlich festzuschreiben: Die Rote Armee unterjocht ein friedliebendes Volk! Das fordert eine eindeutige Antwort der Weltgemeinschaft heraus, weil Amerika eine russische Machtkonsolidierung keinesfalls zulassen will – im Gegenteil. Carter stoppte die Ratifizierung des SaltII-Vertrags, verhängte ein Weizenembargo und organisierte vor allem den Boykott der olympischen Spiele 1980 in Moskau. Weltweite Ächtung und Isolierung des Systemfeindes sollte die für alle Staaten verbindliche Richtschnur sein. Bei der moralischen bzw. diplomatischen Verurteilung ließ es der damalige Führer der freien Welt nicht bewenden, denn das Ergebnis sollte nicht nur auf diesem Feld des friedlichen Systemvergleichs eindeutig ausfallen. Amerika unterstützte auch nach Kräften den Widerstand von Warlords und islamischen Kräften in Afghanistan, die damals für den Hüter von Freiheit und Demokratie noch unter die aufrechten Freiheitskämpfer gehörten, weil sich ihr islamischer Fundamentalismus gegen Moskau richtete. Die Carter-Administration war es auch, die damals die Taliban mit Geld und Waffen ausstattete!

Als Ex-US-Präsident, seit 1981, war Carter unermüdlich in “schwieriger Friedensmission” unterwegs. Zum Beispiel fuhr er 1994 nach Haiti, wo die Clinton-Regierung eine aktuelle Herrschaftsfigur im Hinterhof der USA für illegitim erklärte und Clinton angeblich schon die Bomber starten ließ; oder 1994 nach Nordkorea, nachdem dieser Staat den Atomwaffensperrvertrag gekündigt hatte und die USA seine atomare Entwaffnung mit einem Krieg zu erzwingen drohten. In beiden Fällen ist es Carters gelungen, gewaltlos Frieden zu stiften, d.h. den USA einen in seinen Augen unnötigen, aufwendigen und womöglich schädlichen Krieg zu ersparen. Er erreichte nämlich ein Einlenken und Nachgeben der Gegner - Triumphe alternativer Konfliktlösung, die auf der glaubwürdigen Kriegsdrohung der offiziellen Politik beruhten! Die "erfolgreiche Friedensdiplomatie" des Jimmy Carter baute eben auf den laufenden Erpressungsmanövern auf, um ein Kriegsergebnis ohne Krieg zu erreichen!

Dabei stellte er klar, dass es sich bei seiner Diplomatie um ein ganz ausnahmsweises und nur durch Unterwerfung unter Amerikas Verlangen zu rechtfertigendes Entgegenkommen an Politfiguren handelt, die keinerlei Achtung, sondern auch seinerseits nur Verachtung verdienen: “Diese kleinen Burschen, die vielleicht Atomwaffen bauen oder die Menschenrechte verletzen, brauchen jemanden, der ihnen zuhört, ihre Probleme versteht und ihnen hilft, zu kommunizieren.” (FAZ, 12.10.)

Sicher hält Carter aktuell auch Saddam Hussein für so einen gefährlichen Irren, der dieser seiner Behandlung bedarf, um Amerika einen kostspieligen und nicht ungefährlichen Krieg zu ersparen. Aber diesmal ist solch ein Friedenswirken von offizieller Seite nicht erwünscht. Der Antiterrorkrieg von Bush lässt eine Diplomatie, die mit “Zuhören” und “Kommunizieren” verbunden ist, also auch nur entfernt etwas von “Vermittlung” an sich hat, nicht zu. Antiamerikanische Schurken gehören bestraft und vernichtet, mit ihnen wird nicht einmal der Form nach verhandelt. So tritt die “friedliche Konfliktlösungsstrategie” eines Carter, also seine Art von Kriegsdiplomatie, weil noch viel zu sehr Diplomatie, in Konflikt zur kompromisslosen Kriegspolitik der Bush-Regierung und erscheint vor diesem Hintergrund glatt als moderat Das Nobelpreis-Komitee 2002 meinte: “In der heutigen, von drohender Machtanwendung geprägten Lage hat Carter auf dem Prinzip beharrt, dass Konflikte in größtmöglichem Umfang durch Vermittlung und internationaler Zusammenarbeit auf Basis des Völkerrechts, Respekt vor den Menschenrechten und wirtschaftlicher Entwicklung gelöst werden müssen.” (Begründung, www.sueddeutsche.de/dpa)

Die interessierte Welt hat selbstverständlich sofort verstanden, wie es gemeint ist: Carter – man bedenke: ein Ex-US-Präsident! – als besonders glaubwürdiger Kronzeuge für den aktuellen europäischen Antiamerikanismus. Das sitzt gegen Bush, den Kriegstreiber, der ohne auf Europa zu hören, also leichtfertig einen Krieg vom Zaun bricht! Weil das aber schon wieder ein wenig weit aus dem Fenster gelehnt ist, tadelt das norwegische Komitee dann auch gleich wieder seinen Vorsitzenden, der den Preis ausdrücklich als einen “Tritt ins Bein” von Bush verstanden haben will. Sonst könnte es ja glatt zu echten diplomatischen Verstimmungen mit der US-Regierung kommen. Nicht auszudenken.

 

Editorische Anmerkungen

Der Artikel erschien als "
Die Analyse des GegenStandpunkt-Verlags" in der CasaBlanca-Flugmail vom 01.12.2002 unter dem Titel: Den Friedensnobelpreis hat Jimmy Carter, Ex-Präsident und Handelreisender für die Pax Americana, völlig verdient! “... für seinen beharrlichen Einsatz über mehrere Jahrzehnte zur friedlichen Lösung internationaler Konflikte, für Demokratie und Menschenrechte sowie für wirtschaftliche und soziale Entwicklung.” (Begründung des Nobelpreiskomitees, www.sueddeutsche.de/dpa, 11.10.).
Wir erhielten ihn vom
GegenStandpunkt-Verlag zur weiteren Veröffentlichung.