Die Krise des FIAT Konzerns
Die Krise des globalen Kapitalismus
Die Krise der Linken


von Roberto Greco
12/02
 
 
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Die modernen Weltkriege dienten immer nur einem Zweck : Sie sollten den in Seenot geratenen Supertanker Weltkapitalismus retten und eine neue Ordnung der Befehls- und Anteilseigner errichten. Dabei ging es immer auch darum, die Mannschaft in Zaum zu halten, die ihre eigenen Forderungen aufstellte und zum Schrecken der Kapitalisten an den Eigentumsverhältnissen rüttelten.

Wer mit der neueren Geschichte dieser Rettungsaktionen vertraut ist, wird in Italien immer wieder auf den Namen FIAT (Fabbrica Automobili Italiani di Torino) stoßen. Mit dem Firmennamen eng verbunden ist der Name des Familienclans Agnelli, der alle Stürme des vergangenen Jahrhunderts heil überstanden hat und das Turiner Autowerk zum Markenzeichen Italiens machte. Die Geschichte der Agnellis besteht seit Gründung der Werke im Jahre 1906 aus ihren engen Verbindungen zu der jeweils politischen Macht, zu den mächtigen italienischen Geheimlogen und den staatlichen Geheimdiensten und sie waren schon damals keineswegs nur auf die Landesgrenzen beschränkt. Die Agnellis waren schon des Geschäfts wegen Kosmopoliten, paktierten je nach politischer Wetterlage mit den weltbeherrschenden Mächten des Westens. In seiner Philosophie der Praxis charakterisiert Antonio Gramsci, Mitbegründer der Kommunistischen Partei Italiens, in der Parteizeitung Avanti den Fiat-Konzern als eine nordamerikanische Kolonie, in der die rechtschaffenen Wilsonpioniere hartnäckig und ausdauernd daran arbeiten, in Italien den ersten gesellschaftlichen Kern des Völkerbunds zu schaffen. (Avanti 1919)

Zwischendurch hielten es die Agnellis jedoch als eingeschworene Anhänger des Liberalismus ratsam mit dem monarchistisch-faschistischen Regime von Mussolinis Gnaden ihr Arrangement zu treffen, wobei sie nicht schlecht fuhren. Für die Agnellis schuf der Faschismus Bedingungen, denen unsere heutigen Liberalen insgeheim mit nostalgischer Wehmut nachtrauern. Sie machten ihre profitbringenden Geschäfte mit dem Ausland und in ihrer Fabrik machte ein militarisierter Arbeitsalltag die Arbeiter zu rechtlosen Sklaven ihrer Herren. Die Agnellis setzten jetzt auf Waffen und unterstützten die Savoyer und den zum Liberalen und Faschisten gemauserten Sozialisten Mussolini. Die lohnten es ihm am 1. März 1923 mit Verdienstkreuz und der Ernennung zum Senator des Faschismus.

Für alle mit schlechtem Kurzzeitgedächtnis oder dementen Störungen Geplagten sei erwähnt, besonders in einem Augenblick, in dem parlamentarische Rechte und sozialdemokratische Linke gleichermaßen nach Reprivatisierung um die Wette schreien, dass schon Mussolini ein eifriger Anhänger des Liberalismus war. Nicht uninteressant sind seine Worte im Jahre 1921 als junger Abgeordneter des nationalen Parlaments, die heute jeden Anhänger des Neoliberalismus in Begeisterung versetzen müssten: Der Staat gleicht dem Riesen Briarius mit seinen hundert Armen. Ich glaube, dass ihm 95 davon amputiert werden müssen, was bedeutet, dass der Staat auf seine reine juristische und politische Funktion reduziert werden muss. Der Staat gebe uns eine Polizei, welche die Gentlemen vor dem kriminellen Gesindel schützt, eine gut organisierte Justiz und eine Armee, die auf alle Eventualitäten der Außenpolitik, die auf das nationale Interesse abgestimmt sein muß, vorbereitet ist. Alles andere, und ich schließe die Sekundarschule dabei nicht aus, muss wieder in die Hände von Privatpersonen gelegt werden.
Die Quittung für diese Anschauung jedoch kam acht Jahre später mit dem Crac dreier großer italienischen Banken (Comit, Credito Italiano, Banco di Roma), die zahlungsunfähig wurden, weil sie die Spareinlagen ihrer Clienten zu Spekulationszwecken benutzten und damit den größten Teil ihres Aktienkapitals finanzierten. Der Crac kostete den faschistischen Staat 3000 Milliarden Lire und erinnert an Größenordnungen bei den heutigen Betrugsaffairen nordamerikanischer Konzerne. In einer Zeit, in der bereits oppositionelle Gesinnung zumindest Verbannung oder Gefängnisinsel bedeutete, blieben die Verantwortlichen, darunter FIAT-Vorsitzender Giovanni Agnelli, ungestraft. Der faschistische Staat übernahm ihre privaten Verluste und zog keinen von ihnen zur Rechenschaft.

Wie bekannt trat an Stelle des faschistischen Staates die demokratische italienische Republik und die Agnellis hatten sich neu zu orientieren. Sie taten es wie gewohnt, indem sie sich mit den neuen Machthabern arrangierten. Das Turiner Autowerk wurde wieder zur nordamerikanischen Kolonie und stand hinter den großen Plänen, welche die US-Administration mit Italien und Westeuropa im Sinn hatte. Sie sorgte in Westeuropa für demokratische Verhältnisse - in Italien und Südfrankreich hauptsächlich mit Hilfe der Mafia, die sie bereits mit der Landung ihrer Streitkräfte in Sizilien zur Zersetzung des Widerstandes und der revolutionären Linken benutzte. Auf westeuropäischer Ebene schuf und finanzierte der nordamerikanische Geheimdienst im Jahre 1951 eine Geheimorganisation, die Bildelberg Group, in der sich außer Industriellen wie Agnelli oder Bänker wie Hermann Abs (Deutsche Bank) auch die Creme der politischen Klasse Westeuropas und Nordamerikas zusammenfanden (u.v.a. De Gasperi Christdemokrat und Premier Italiens, Franz Joseph Strauß, Ludwig Erhard, David Rockefeller, Henri Kissinger etc.). Natürlich fehlten hier auch nicht europäische Gewerkschaftsbosse sowie Militärs der NATO und der nordamerikanischen Streitkräfte, um die Geschicke Westeuropas voranzubringen. Die Bildelberg Group wurde 1973 durch die Gründung einer weiteren Organisation, der Trilateral Commission, ergänzt, die weniger konspirativ und um Japan erweitert, sich den weltpolitischen Themen widmete. Auch in dieser Organisation, deren führende Köpfe mit der Bildelberg Group indentisch sind und die ebenfalls enge Verbindungen zur NATO und dem CIA pflegt, war Gianni Agnelli Mitglied der italienischen Delegation.

Dies sind nur einige der politischen Rahmenbedingungen, unter denen FIAT während des Kalten Krieges sich auf die 5. Stelle der weltweiten Automobilproduktion schob und in Italien zu einem Imperium anwachsen konnte, das massiven Einfluss auf die jeweiligen nationalen Regierungen ausübte und über Jahrzehnte Investitionen und Innovationen mit öffentlichen Geldern finanzierte. Der Konzern verwendete sie auch, um nach Innen sein eisernes Regime der Disziplinierung und Kontrolle der Arbeiter durchzusetzen. Auf seiner Lohnliste stand u.a. in den 70iger Jahren der Turiner Exjournalist von Unità, der als Agent des CIA enttarnt und deshalb von der kommunistischen Tageszeitung an die frische Luft gesetzt wurde. Seine Spezialitäten bestanden in der Organisierung antigewerkschaftlicher Kampagnen und der Aufstellung von Schlägertrupps gegen gewerkschaftlich organisierte Arbeiter.

Bereits 1953 begann FIAT mit der systematischen Bespitzelung seiner Belegschaft, und engagierte zu diesem Zwecke den ehemaligen Carabiniere Caterino Ceresa. Anfang der 70iger Jahre gekündigt, strengte er einen Prozess gegen FIAT an, in dessen Verlauf u.a. auch entdeckt wurde, dass im Turiner Personalbüro 354.000 Dossiers über Mitarbeiter angelegt waren. Allein 151.000 davon bezogen sich auf die Zeit von 1967 -1971, einer Periode von Streiks, einer 68iger Bewegung und von sozialen Spannungen. Die Auswertung der Akten von Einstellungen und Bewerbungsablehnungen ergab den für FIAT idealtypischen Arbeiter. Er war apolitisch, eifriger Kirchgänger und besaß einen guten Leumund. Politische Arbeiter waren dann bei FIAT willkommen, wenn sie den Zentrumsparteien und denen der Rechten angehörten.
In dieses Bespitzelungssystem investierte FIAT eine Menge Lire und engagierte sogenannte Experten, die aus den Reihen der Carabinieri und des italienischen Geheimdienstes kamen. Unter diesen Bedingungen erarbeiteten nach dem zweiten Weltkrieg hunderttausende Arbeiter im Norden und Süden Italiens den Reichtum des Agnelli Clans. Sie wurden je nach wirtschaftlicher und politischer Lage auf viele Arten unterdrückt und gedemütigt und wer das Spiel der kapitalistischen Produktionsweise am eigenen Leibe erfährt, weiß, dass die Situation für die Kapitalisten immer schlecht ist. So ist auch nicht verwunderlich, dass FIAT im Wechsel von Rezession und Aufschwung mehrmals auf der Kippe stand. Doch bislang hatten die Agnellis ihre Beziehungen und Gönner, u.a. den lybischen Staatspräsidenten Gheddafi. Just zur Zeit als vor Ustica eine DC9 der Itavia ins Meer stürzte und sich der Verdacht eines lybischen Anschlags sofort verdichtete, kaufte die lybische Staatsbank einen erheblichen Teil des Aktienpaketes von FIAT (10-15%) ein, das der Konzern jedoch 1986 wieder zurückerwarb, nachdem am 15. April d.J. Lybien die italienische Insel Lampedusa mit Scud-Raketen beschoß. Seit dem Jahre 2000 arbeitet Lybien an einer Besserung der Beziehungen zu den westlichen Staaten. Italien ist der erste Handelspartner des arabischen Landes mit einem Warenumsatz von 7000 Milliarden Euro (Jahr 2000) und Lybien ist in Italien präsent, u.a. als Aktienhalter bei Juventus Turin, dem Fußballclub des Agnelli Clans.

Seit dem Jahre 2000 ist auch klar, dass FIAT nicht mehr der große Konzern ist, der aufgrund des nationalen Monopols auch weltweit seinen Platz behaupten kann. Seit letzte Woche ist bekannt, dass FIAT kurz vor der Schließung steht. Die Experten rätseln ob der Ursachen und noch nie war in breiten Kreisen in Italien soviel über Globalisierung die Rede. Je nach Gewichtung ist es die Fusion von Daimler-Chrysler, die allgemeine Krise der Autoindustrie seit den 90igern, verursacht durch eine immer restriktivere Umweltschutzpolitik, Fehler des Managments, das Einfrieren der Subventionspolitik aufgrund der Verträge von Maastricht etc. Vielleicht ist es auch nur die Tatsache, die bereits vor zwei Jahren in dem Artikel Die Yankees kommen nach Turin von Enrico Deaglio angedeutet wurde, in dem er schreibt: Der König ist müde. Habt ihr im Fernsehen den Rechtsanwalt Giovanni Agnelli gesehen? Er wirkte etwas müde. Er würde auch in Zukunft gerne den König spielen, doch hat er eine große Familie, die keinerlei Begeisterung für die Produktion von Motoren hat. Und er ist nun schon fast achtzig. Da ist ein Managment, das sich in Dollars auszahlen lassen will und kaum abwarten kann, bis ihr hier ankommt. Da ist eine Unzahl von kleinen Fabriken, die Schrauben, Türgriffe, Scheinwerfer, Fußmatten für FIAT produzieren und sich die Aufträge mit einigen Zugeständnissen sichern. Schaut euch ein wenig um. Werft auch einen Blick auf die Arbeiter und dann Willkommen in Turin. Willkommen in der Stadt der guten Gastronomie, wo ihr einige Sonntage wegen Luftverschmutzung zu Fuß gehen müßt. Und denkt nicht, dass eure Verständigung (FIAT – General Motors) einen Sprung in die Zukunft bedeutet. Wir werden euch die Süßigkeiten der Vergangenheit kosten lassen.

Sollten die Manager von General Motors zur Zeit in Italien anwesend sein, denn sie stehen als potentielle Käufer zur Debatte, dann ist es wirklich ratsam, einen Blick auf die Arbeiter zu werfen. Sie sind gut organisiert und weder Reformismus, noch ein eiserner antigewerkschaftlicher Kurs der Berlusconiregierung schaffte es, ihren gewerkschaftlichen Forderungen Einhalt zu gebieten. Ebenfalls mischen sie sich anders als in Deutschland ins politische Tagesgeschäft, beziehen aktiv Stellung gegen Sozialabbau, der Einschränkung demokratischer Rechte und gegen den Krieg. Für den 18. Oktober 2002 hat die größte Gewerkschaft Italiens einen weiteren Generalstreik angekündigt und derzeit befinden sich alle Arbeiter der Fiatwerke in ganz Italien im Ausstand. Was ihnen fehlt sind effektive politische Strukturen, die es leisten könnten, ihre Aktionen auf eine Umgestaltung der Gesellschaft zu konzentrieren. Doch kommt noch zu wenig von der Linken und der neuen Bewegung gegen den Neoliberalismus. Hier wird die Forderung nach Verstaatlichung des FIAT-Konzerns laut, wobei sicherlich die Famiglie Agnelli hier mehr profitiert als bei einem Verkauf an General Motors. Es bleibt zu hoffen, dass die Arbeiter bei FIAT andere Wege gehen, und dass die italienische linke Bewegung insgesamt Antworten auf die vielen Fragen findet, die sich derzeit aus der Situation ergeben.

Editorische Anmerkungen

Der Artikel ist eine Spiegelung von http://www.megraphics.de/aktuelles/fiat.html