Marion von Osten

Kulturelle Arbeit im Post-Fordismus

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Dass die ökonomischen Transformationsprozesse Ende der 90er Jahre zum Thema von KulturproduzentInnen geworden sind und in theoretischen Texten, der Kunstproduktion, sowie in Aktionen und Kritiken verhandelt werden, sollte nicht erstaunen. Wenn heute die öffentlichen Diskurse von der Sozialhilfe bis hin zu den Nicht-Staatsorganisiationen, der Arbeitsmarkt und die Grenz- und AusländerInnenpolitik von der Ideologie des "Freien Marktes" durchzogen sind und effektiviert werden sollen, liegt es auf der Hand, dass sich die AkteurInnen einer kritischen Kunstpraxis mit eben diesen Veränderungen in den gesellschaftlichen Diskursen beschäftigen.

"Ökonomiese machen", dieser Untertitel der Veranstaltung 'Messe 2 ok' in Köln 1995, deutete bereits an, welche neuen Themenschwerpunkte zu diesem Zeitpunkt in einer "kritischen Kunstpraxis" in Deutschland präsent waren. Im Zentrum dieser Veranstaltung stand die Frage nach der Privatisierung der Kulturförderung und des eigenen urbanen Lebensraumes. Zum anderen wurde die Frage nach den Möglichkeiten und Zielen alternativer Zusammenhänge aufgeworfen. Die Leistung von 'Messe2ok' war die einer Bestandsaufnahme unterschiedlicher Phänomene, wie dem Ineinanderfallen von Wirtschafts- und Kulturinteressen (Corporate Culture), der Kommerzialisierung der Innenstädte und die damit verbundene repressive Politik gegen gesellschaftliche Minderheiten. Messe2ok setzte damit eindeutig einen neuen Schwerpunkt innerhalb einer kritischen Kunstpraxis und löste die Repräsentationsverhältnisse um feministische Diskussionen vorerst einmal ab. Andere Veranstaltungen im deutschsprachigen Raum wie z.B. 'Minus 96', 'Mikrostudio', 'A-clip', 'Baustop.Randstadt,-' in Berlin, 'Sex&Space 1+2' und 'Die aktuelle Wirtschaftswoche' und 'SUPERmarkt' in Zürich, sowie die 'überregionalen InnenstadtAktionen 97' entwickelten parallel ähnliche Debatten, oder überarbeiteten die bereits gesetzten inhaltlichen Vorgaben. In die Betrachtungsweise von Kunst, Musik- und Textproduktion floss die Kritik am Neoliberalismus ebenfalls ein und hat die dort stattfindenden Diskurse Ende der 90er Jahre massgeblich beeinflusst (so etwa in A.N.Y.P., ...Hilfe, Texte zur Kunst, Spex, Springerin etc.).

Auch in der von Catharine David organisierten Dokumenta X wurde dieser Paradigmenwechsel deutlich akzentuiert. Man würde aber sicher zu kurz greifen, wenn man die Zunahme an post-marxistischer Theorie in der Kunst am Ende des 20ten Jahrhunderts, allein als Reaktion auf die gerade stattfindenden gesellschaftlichen und ökonomischen Verschiebungen, verstehen würde. Sicherlich steht dieser Paradigmenwechsel auch im Kontext, der vorgängig vor allem über die 'Cultural Studies' argumentierten Machtanalysen, deren theoretische Wurzeln zum überwiegenden Teil in den Literaturwissenschaften angesiedelt waren und deren Grenzen für eine Re-Politisierung sichtbar geworden zu sein schienen.

Die letzte Dokumenta zeigte aber auch, dass eine Neubewertung des Polit- Ökonomischen für die aktuelle Kunstproduktion, wiederum neue Normen und Ausschlüsse produziert. Feministische Positionen fanden in Catharine Davids Konzept kaum einen Platz. Auch in der vielfältigen Auseinandersetzung mit dem Spätkapitalismus -in der deutschsprachigen linken Kulturszene, wie in der Linken im allgemeinen- , wird die Kritik am Neoliberalismus zu meist nicht auf der Ebene der Ideologiekritik, einer Begriffsklärung oder- analyse geführt - wie es etwa noch zu Beginn der 90er Jahre für die Technologiekritik zutraf.[1] Materialistische und systemische Deutungsversuche, als „die" ökonomietheoretischen Paradigmen der Moderne, gelten in den unterschiedlichen Zusammenhängen weiterhin als brauchbar. Die Lebensrealitäten von MigrantInnen oder nicht nach westlichen Normen strukturierte Gesellschaften, fallen diesen Ansätzen genauso zum Opfer, wie der Kampf um einen nicht-sexistischen Arbeitsbegriff. Die Legitimation beziehen die klassischen Instrumente der Ökonomie durch die Tatsache, dass "Kapitalismuskritik" als das grosse Thema der europäischen Linken galt und gilt, und deren Identität und Intellektualität prägte und fest in unserem Denken verankert zu sein scheint. So ist auch die vermeintliche Radikalität der Linken historisch verbunden gewesen mit dem Diktum eines "revolutionären Subjekts" (weiss, männlich), dessen Geschichte vor allen anderen, den Grundwiderspruch des Kapitalismus beschreiben würde.

So waren die Auslassung von feministischen Positionen in der Dokumenta X geradezu signifikant. Diese diskursiven Auslassungen haben aber, so meine These, direkte Folgen für die Arbeitszusammenhänge in denen eine kritische Kunstpraxis stattfindet.

Exkursion nach Italien

"Dass der Verlust der Arbeit heute als eine Katastrophe erscheint, die den Selbstwert in Selbstzerstörung verkehrt, reicht über die Moderne hinaus. Gleichzeitig ist es die Moderne, die den Begriff der Arbeit totalisiert, indem sie jede Subjektwerdung als Arbeit an sich selbst und an der Gesellschaft definiert. Wer also dem Verlust der Arbeit heute das "Recht auf Arbeit" entgegensetzt, dann klagt er diese ‘Subkjektwerdung’ ein, als ob Arbeit nie mit Schuld und Strafe, nie mit Lohnarbeit und Kapital, nie mit Verwaltung und Bewirtschaftung des Lebens, nie mit Disziplinierung und Effektivierung der Körper, nie mit Ausbeutung - bis hin zur existentiellen Vernichtung- etwas zu tun gehabt hätte." So reagierte die Theoretikerin Gerburg Treusch-Dieter auf die populistische Debatte um "die Zukunft der Arbeit", die im 'Freitag', dem traditionellen Organ der sozialistischen Linken in Deutschland geführt wurde.

Treusch-Dieter referiert in ihrer Kritik auf einen alten Streit: Die ArbeiterInnenbewegung und das Kapital waren sich über die Koppelung von Lohn und Arbeit grundlegend immer einig gewesen. Die linken Parteien im Westen hatte die Verbesserung der Arbeitsverhältnisse am Arbeitsplatz selbst gefordert, die Gewerkschaften hatten diese zu erkämpfen versucht. Der Staatsozialismus dagegen hatte zwar die Vergesellschaftlichung der Produktionsmittel durchgesetzt, aber im Zentrum dieser Gesellschaftsformation stand die Arbeit selbst, als alles bestimmende ethisch-moralische Kategorie. Unhinterfragt blieb in beiden Gesellschaftssystemen, dass Arbeit immer auch "Disziplinierung und Effektivierung" war, dass sie dem kleinbürgerlich miefigen Ernährerhaushalt zu diente und letztlich die Arbeit selbst, zur Entpolitisierung der ArbeiterInnenschaft massgeblich beitrug.

Aber auch in den "Nebenwidersprüchen" des Kapitalismus waren sich die Linke und das Kapital über lange Zeit einig gewesen: Zum Einen, dass das "Ökonomische" den anderen Lebensbereichen vorausgestellt sei, und so in der Lage wäre alle Lebensverhältnisse zu regeln - was zu einer kulturpessimistischen Tradition des Argumentierens führte- und als Folge des Ersteren, auch die europäische Linke das Oppositionspaar Produktion / Reproduktion, Arbeit / Nichtarbeit und deren geschlechterdifferente Ausformulierung als gegeben hinnahm.

Ende der 70er Jahre kritisierte die operaistische Bewegung in Italien die "grosse Fabrik" das Dogma lebenslanger, immer derselben Arbeit. Die sogenannten Kämpfe von '77 nutzten die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts für sich, indem sie sich dort sozial organisierten und ihre Stärken entwickelten. Der mobile Wechsel zwischen verschiedenen Jobs, zwischen Arbeit und Nichtarbeit beschrieb eine gemeinsame Praxis und kollektive Haltung, die sowohl Subjektivitäten wie Konflikte formten. Die Möglichkeit, dass Lohnarbeit nur eine Episode im Leben sein könnte, statt ein Gefängnis schien auf. Dem folgte eine Umkehrung traditioneller Erwartungen: Man weigerte sich, danach zu streben, in die Fabrik zu gehen und auch dort zu bleiben, statt dessen begann man, das zu verhindern und davor zu fliehen. Mobilität war nicht mehr länger eine aufgezwungene Bedingung, sondern ein positives Bedürfnis und eine Grunderwartung. Der feste Arbeitsplatz, zuvor das Hauptziel, wurde nun als Ausnahme oder vorübergehender Zustand angesehen.[3]

Auch die die Sex Pistols äusserten sich Ende der 70er Jahre mit: "We're pretty/Pretty vacant/We're pretty/Pretty vacant/We're pretty/Pretty vacant/And we don't care.", ebenso wie die SituationistInnen, die schon in den 50er Jahren die Parole "Arbeite nie" ausgerufen hatten.

In den letzten zwei Jahren erschienen erstmalig in deutscher Übersetzung wieder neuere Texte der OperaistInnen im ID- Verlag "Die Arbeit des Dyonisos" und "Umherschweifende Produzenten" mit Texten von Michael Hardt, Antonio Negri, Maurizio Lazzarato, Paolo Virno. Der euphorische Ausbruch aus der normativen Begriffs- und Lebenswelt der "Festanstellung" wird in den neueren Texten abgelöst, von der Bedeutung der post-industriellen Arbeit für "den Fortgang des revolutionären Projekts". Die zentralen Aussagen der Texte der ItalienerInnen zu Formen "immaterieller" Arbeit liegen darin, dass sie die Produktion von Wissen (Sprache, Kultur, Information), Subjektivität (Herausbildung der Ich-Form, Verinnerlichung der Kollektivziele) und der symbolischen Kreativität (Aneignung und Umdeutung von kulturellem Material durch die Konsumentin)- Bereiche die in der klassischen Ökonomie als "ausserökonomisch" gelten - in die heutigen Wertbildungsprozesse mit einschliessen.

Die neuen Formen der Abeitsorganisation im Post-Fordismus disziplinieren nicht mehr Subjekte durch "Schuld und Strafe", sondern zielen auf die Verinnerlichung der Betriebsziele: den Fleiss, die Freundlichkeit am Kunden und im Team, die Verlässlichkeit durch ein eigenverantwortliches Handeln. So kann der Produktionsprozess der Kommunikation unmittelbar zum Verwertungsprozess werden. Lebensweltliche Vorlieben, die die eigene Subjektivität beschreiben, spiegeln sich im Bedürfnis, nach einem „interessanten" Job oder Projekt wider, und sind zu einem zentralen Bestandteil der neuen Produktionsweisen im Spät-Kapitalismus geworden. Das Subjekt bildet sich selbst entsprechend der neuen Anforderungen (Flexibilität, Lernbereitschaft) aus und ebenso nach seinen Bedürfnissen, nach mehr Gestaltungsmöglichkeiten und Mitspracherecht in der Erwerbsarbeit. Die Ziele der AkteurInnen fallen so aber auch in Teilen mit den Effektivierungstendenzen des Kapitals ineins. Trotz dieses problematischen Zusammenhangs kann die Forderung einer Linken heute dennoch nicht heissen die neuen Arbeits- und Produktionsverhältnisse auf rein ausführende und stumpfsinnige Arbeiten reduzieren zu wollen, die die Arbeit in der Fabrik und die Langzeitslohnbiographien des Fordismus beinhalteten. Die Widerstandspotentiale selbstbestimmter Arbeits- und Produktionszusammenhänge ausfindig zu machen, scheint im Gegenteil wichtiger denn je zu sein. Diese Debatte zu führen macht sich diese Ausgabe des k-bulletin [kollektive/arbeit] zur Aufgabe.

Ich ist produktiv

Das Leben der KulturarbeiterIn ist traditionell nicht bestimmt von den Zwängen einer lebenslangen immergleichen Arbeit, als vielmehr von deren Gegenteil. Die KulturarbeiterIn ist seit dem Aufkommen der bürgerlichen, kapitalistischen Gesellschaft von einer nicht-existenzgesicherten Selbstständigkeit, die mit ihren Arbeitszielen hochgradig identifiziert ist, bestimmt gewesen. Finanzieren kann sie sich heute durch eine eher vage zu umreissenden Verwertungsindustrie, sowie einer prekären Jobstruktur und dem Sozialamt. Die Figur der bildenden KünstlerIn, die ihr Produkte verkauft, so dass sie davon Leben kann, entspricht eher den Hoffnungen von Müttern und Vätern derselben, als irgendeiner ökonomischen Realität. Die Verwertungsindustrien, die der KulturarbeiterIn für die „eigene" Arbeit zu Verfügung stehen (Kunstzeitschriften- und Institutionen, ebenso wie Musikbusiness und - magazine) sind wie andere gesellschaftliche Bereiche auch, von betrieblichen und ausbeuterischen Strukturen (schlechte oder überhaupt keine Bezahlung) durchzogen.

Am Ende der 90er Jahre heisst das für den Fall der durchaus wohlhabenden Schweiz beispielsweise, als KulturarbeiterIn eine grosse Bereitschaft entwickelt zu haben sich in unterschiedlichen Freelance-Jobs (Grafik/Multimedia) ad hoc zu organisieren, um neben dieser Tätigkeit, an den „eigenen" Projekten arbeiten zu können. In diesem Prozess durchmischen sich Anpassung und Selbstbestimmung und fallen zum Teil hundertprozentig ineinander. Die eine „selbstbestimmte" Tätigkeit, - etwa Musik oder Videos zu produzieren, oder Politik zu machen- , wird jeweils abgelöst durch eine andere „selbstbestimmte" Tätigkeit, etwa CD- Roms für kleine bis multinationale Unternehmen zu entwickeln. Die Fähigkeiten die für die eine selbstbestimmte kulturelle Tätigkeit entwickelt wurde, ist innert Sekunden auch für die Hyperausbeutungsverhältnisse und alla minute Projekte des Kapitals anwendbar. Der eigene bohemiestische, künstlerische Lebensstil hilft diese Verhältnisse zu verdecken. Unter diesen Bedingungen wird es zunehmend schwierig, freie oder „Eigenzeit" von Arbeitszeit zu unterscheiden - in gewissem Sinn fällt das Leben mit der Arbeit ineins.

In diesem Zusammenhang wird die flexible Biographie und die hohe Eigenmotivation der KulturarbeiterIn auch als "Avantgarde" der neuen Arbeitsmodelle im Post- Fordismus beschrieben und für diese propagandistisch missbraucht. Es scheint als sei das „widerständige", „selbstbestimmte" auf seine Lebenszeit beharrende Subjekt eingekreist von den Geistern die es rief, ohne je mit diesen, um den Gewinn der „Selbstbestimmung" gepokert zu haben.

Seit neuerem haben durch die o.g. Entwicklungen ökonomistische Argumentationen wieder grossen Anteil an dem, wie Lebensverhältnisse und Biographien von KulturproduzentInnen beschrieben und gedacht werden. So argumentiert Hans- Christian Dany beispielsweise in einem Interview mit Peter Gente und Heidi Paris (Merve Verlag) in der Zeitschrift Starship 1/98: "Das Erfinden von Berufen, daran hat meine Generation ausgiebig mitgearbeitet. Was aber auch mit erfunden wurde, sind Vorläufermodelle für die neuesten Ausbeutungsstrategien. Diese Bastelberufe und - karrieren sind der Arbeitskraft, die das Kapital momentan braucht, einfach sehr adäquat." Ich stelle hier dieses Zitat nicht für Danys Argumentation exemplarisch vor, sondern es bildet meines Erachtens eine ganze Debatte mit ab. Das "Kapital" wird hier für die KulturarbeiterIn nicht nur als determinierend wahrgenommen, sondern auch als intelligentes System beschrieben, dass neueste avangardistische Tendenzen sofort erkennt, aufspürt und inkorporiert, - aufisst. Diese Perspektive unterschlägt völlig, dass das "Ausprobieren unterschiedlicher Karrieren und Berufe", wie es genannt wird, der Versuch bleibt, die Enge der Zuständigkeiten, eindeutige Identitäts- und Rollenmodelle, aber auch den Akademismus und seine onkelhaften Lehrehaftigkeit und geizige Wissensverteilung zu unterlaufen und weiterhin die Wurzeln eines widerständigen Handelns darstellt.

Eine rein ökonomische Sichtweise kann die Machtverhältnisse und Widersprüche, in die wir verstrickt sind, nie vollständig abbilden. Im Gegenteil trägt eine solche Sichtweise zu neuen kulturpessimistischen Gesten bei, die für die Weiterführung einer kritischen Diskussion in der "Kulturlinken" eher hinderlich sind. Kulturelle Bedeutungen sind zum Beispiel niemals statisch, sondern können jeweils neu interpretiert, angeeignet und umgedeutet werden. Gerade für eine kulturelle Produktion gilt, dass das, was wir für Wert erachten, sehr vieldeutiger ist und auch ausserhalb seiner ökonomischen Verwertbarkeit seinen Wert nicht einfach verliert, oder möglicherweise (hier begänne die Analyse) gar nicht Teil des Ökonomischen ist.

Für die Interpretation der Erweiterung der Wertbildung für den Post-Fordismus auf das "Ausserökonomische" wäre daher zu fordern, das der Wert den Tätigkeiten und Gegenstände haben, nicht ausschliesslich nur aus der Perspektive ihrer ökonomischen Verwertung betrachtet werden können. Wenn nämlich die Bereiche des Lebens, die in der klassischen Ökonomie als "Nicht-Arbeit" beschrieben werden, nur dann in Betracht gezogen und damit sichtbar gemacht werden, wenn diese "Nicht-Arbeit" ebenfalls in den ökonomischen Wertbildungsprozess mit einfliesst, ist dies ein weiterer einvernehmlicher Handschlag zwischen den Linken und dem Kapital. Die Konstruktion von Produktion und Reproduktion aufrechtzuhalten, bedeutet dann unsere viefältigen Tätigkeiten immer noch aus der warenproduzierenden Industriearbeit zu betrachten. Das neue Paradigma der "Produktivität" bedeutet somit auch einen neuen Zwang: Ohne etwas zu "produzieren", oder besser "produktiv machen zu können" gesellschaftlich nicht anerkannt zu sein.

Die OperaistInnen stellen daher auch nicht das Widerstandspotential flexibler Biographien und die Möglichkeit alternativer und kollektiver Arbeitsformen an sich in Frage, sondern weisen darauf hin, dass über die Frage der Subjektivität, die Form der Kollektivität und die Möglichkeiten ihrer Konstitution nachzudenken bedeutet, erst einmal nach der Art und Weise, wie Arbeit organisiert und gesellschaftlich hierarchisiert ist zu fragen.[4] Die neuen Formen der Arbeitsorganisation können nicht einfach nur als ultimativer Zwang zur Normalisierungsgesellschaft gelesen werden, sondern in den Prozessen der Flexibilisierung und Mobilität, in der subversiven Unterwanderung der klassischen Lohnarbeit liegt auch die Potentialität, sich aus den Zwängen des 'Kommandos des Kapitals' zu befreien.

Die Frage lautet also, aus welcher Perspektive, von welchem Ort aus will man die Produktions- und Lebensverhältnisse der KulturarbeiterIn heute betrachten, um sie nicht auf den Widerspruch des Ökonomischen/Ausserökonomischen zu reduzieren. Statt einem systemischen Fatalismus zu frönen, wäre es für KulturproduzentInnen demnach eher angebracht, die eigenen Arbeits- und Machtverhältnisse daraufhin zu untersuchen, wie diese verteilt sind, wer darin vorkommt oder nicht vorkommt, wie sich die "kritischen" Themen abbilden, etwa in Bezug zur Kritik an Sexismus, Homophobie und Rassismus, usw.,- statt dem "Kapitalismus" wieder das Ruder zu überlassen.

Camouflage

Wenn wir heute davon ausgehen können, dass die Wissensproduktion, die Information und auch die Kunst für den Spätkapitalismus "produktiv" sind, muss auch gefragt werden, wie dies beschrieben und ermöglich wird. Maurizio Lazzarato verweist in diesem Zusammenhang in seinem Text zur "immateriellen Arbeit" zum einen auf die "informationelle Seite" der Ware und spielt dabei direkt auf die Veränderungen an, denen die Arbeitsorganisation im "Produktions"- wie im "Dienstleistungssektor" unterworfen ist. Auf der anderen Seite spielt der Begriff des „Immateriellen" auf eine Reihe von Tätigkeiten an, die in der Regel nicht als Arbeit erkannt werden, die im Bereich kultureller und künstlerischer Felder operieren, die auf Moden, Geschmack und Konsumgewohnheiten Einfluss haben und "die öffentliche Meinung bearbeiten".[5]

Die Frage ist allerdings, ob das, was über den "Markt" produktiv wird, etwa Wissen, nicht auch einmal dinghaft werden muss. Denn auch geistige Arbeit und Information bleibt nicht "immateriell", sondern benötigt ihre Verdinglichung, um in Erscheinung zu treten. Die sog. geistige ArbeiterIn bringt erst dann ein Produkt zustande, wenn sich ihre Tätigkeit nicht allein in Denken erschöpft. Das Denken selbst benötigt, um verwertbar werden zu können, einen Trägerstoff. Das können bekanntlich wissenschaftliche Veröffentlichungen, theoretische Texte, Kunstwerke, Musik, aber auch Veranstaltungen, Symposien oder informelle Treffen sein. Das Denken, die immateriellste aller Arbeiten, wird erst durch sehr spezifische soziale und auch räumliche Bedingungen produktiv. Ich muss erst einmal schreiben lernen, also eine Schule besuchen, über ein Wissen verfügen, dieses Wissen schreibend umsetzen, den Text gestalten, dies alles auch lernen, um es dann dinglich zu machen. Diese "Produktivität" verdankt die Denkende dann dem Werk ihrer Hände und nicht allein der "Arbeit" ihres Kopfes. "Die geistige ArbeiterIn ist Herstellende, wie andere Herstellende auch."[6] Selbst wenn dieses Denken zum Produkt 'Text‘ oder 'künstlerische Arbeit‘ geworden ist, ist diese Arbeit solange nicht verwertbar, wenn nicht die entsprechende soziale Anbindung, der Verlag/die VerlegerIn die mich veröffentlichen, in unserem Fall der Kunstraum/die KuratorIn, die diese Arbeit zeigen will, die KritikerIn/Kunstzeitschrift, die über mich schreibt, als Voraussetzung für einen Verwertungsprozess existieren. Auch der "Bar, dem "Verein", der "Eröffnung", als sozialer Treffpunkt, kommen für diese Arbeitsverhältnisse der KulturproduzentIn, aber auch für die freiarbeitende WissenschaftlerIn, ProgrammiererIn, oder JournalistIn von jeher grösste Bedeutung zu.

Die "immaterielle Arbeit" im Bereich betrieblicher/unternehmerischer Organisation ist ebenso an materielle Bedingungen geknüpft, die sie erst ermöglichen. Eine sog. Dienstleitungs- oder Informationsgesellschaft ist beispielsweise nicht auf Wissensproduktion und Computertechnologie alleine, sondern auch auf Hardware und deren Produktionsstätten angewiesen. Diese Fabriken - ausgelagert in die Länder des Südens und Ostens- arbeiten unter Bedingungen, die kaum noch mit den Arbeitsbedingungen- und kämpfen in den westlichen Ländern nicht vergleichbar sind. ArbeiterInnen der neuen Weltmarktfabriken, etwa in der Elektronikindustrie, sind heute vor allem Frauen. Diese vergeschlechtlichten Produktionsverhältnisse sind an die sog. "immaterielle Arbeit" angeschlossen.

Auch die repräsentativen Geschäftsgebäude für Kunden oder das Marketing sind auf räumliche Organisationen, also entsprechend neue Bürokonzepte zur Effektivierung der Arbeitsorganisation angewiesen, wie es einst die Maschinenhalle war. Selbst das mit Grünpflanzen umrankte Design, muss in irgendeiner Werkstatt von HandwerkerInnen hergestellt werden, wurde von jemanden auf Papier skizziert, als Modell geformt und muss nachträglich von entsprechendem Personal nach Bürozeiten 'gepflegt‘ werden. Die Soziologin Saskia Sassen hat daher immer wieder daraufhin gewiesen, dass die spezifischen lokalen Bedingungen, ebenso wie die sexistisch und rassistisch hierarchisierten Arbeitsverhältnisse, Teil der Effizienz neuer "abstrakter" Geldflüsse und Arbeitsverhältnisse sind. Produktivität vermittelt sich demnach heute nicht undeutlicher, es fehlen eher die richtigen Instrumente für die Betrachtung. Die Qualität einer Arbeit und ihre vermeintliche Produktivität, werden durch eine symbolische Ordnung vermittelt, die an ihre öffentliche Verhandlung direkt geknüpft ist und die Machtverhältnisse unter denen gearbeitet wird verdecken helfen. Diese Ordnung wird nicht nur über Räume repräsentiert und geprägt, sondern bestimmt auch das, was wir für Arbeit halten und wie wir uns als Subjekte dabei fühlen sollen. Die gesellschaftlichen Transformationsprozesse, die heutige "Revolution" wie Negri sie nennt, finden in einem hohem Masse über die Reorganisation der symbolischen Ordnung statt. Dabei erscheint das, was wir ehemals als das Private identifiziert haben in aggressiver Sichtbarkeit. Räume werden neu definiert und umstrukturiert. Subjektivität ist Arbeit oder wird durch sie vermittelt.

In den letzten Jahren hat sich in einer politisierten Kunstpraxis eine Herangehensweise an diese Themen etabliert, die ich weiterhin für sinnvoll halte und trotz ihrer Überschneidung zu Bereichen der Forschung als kritische Intervention verteidigen würde. Projekte wie 'Firmini‘,die 'Utopie des Designs‘, 'Studio Hellerau‘, 'Sex&Space‘, 'SUPERmarkt', 'Baustop.Randstadt,-' , u.a. haben die sozialräumlichen Bedingungen für kapitalistische Produktionsweisen, ebenso wie für die Herausbildung von Subjektivität aufgegriffen. Das „Ökonomische" wurde in diesen Ansätzen jeweils aus der Perspektive des „Ausserökonomischen" betrachtet. Damit wurde eine neue Betrachtungsebene innerhalb der europäischen Linken entwickelt, die die alten Paradigmen der Kapitalismuskritik durch identitätspolitische Sichtweisen und die Analyse der symbolischen Ordnung als Herrschaftsapparat, erweitert hat.

Nichts als Arbeit

Obwohl die Bedeutung der Subjektivität für die Mehrwertproduktion des Spätkapitalismus in neueren theoretischen Ansätze zentral beschrieben werden, ist die Subjektwerdung von Männlichkeit / Weiblichkeit, wenig bis überhaupt nicht in Betracht gezogen worden. So könnte sich gerade zu der Eindruck aufdrängen, das der Trubel ökonomischer Wechselfälle von den darin eingeschriebenen Frauen- und Männerrollen gänzlich unabhängig sei. Weder in Gerburg Treusch-Dieters Statement zur "Zukunft der Arbeit", noch bei Paulo Virnos Beschreibung der ‘77er Bewegung, taucht die Frage auf, ob nicht das, was wir unter Arbeit verstehen und unter ihrer vermeintlichen Produktivität, sich vor allem an ein männliches Subjekt richtet. Es wird ausgeklammert, dass gerade Arbeit (bezahlte und unbezahlte) eine kulturelle Praxis ist, in der gleichzeitig Geschlechter- und Klassenhierarchien produziert und reproduziert werden. Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im Beruf (wie auch im Haushalt, im Studium, der Wohngemeinschaft etc.) ist dabei einer der zentralen Mechanismen zur Aufrechterhaltung der Geschlechterdifferenz als solcher.[7]

Bereits die Titel der letzten Veröffentlichungen der ItalienerInnen im ID-Verlag liessen auch darauf schliessen, - durch die hier angerufenen männlichen Subjekte- den 'Dionysos' und den 'umherschweifenden Produzenten'- dass die aktuellen Prozesse im Post-Fordismus, weiterhin von einem indifferenten Subjektbegriff her betrachtet werden.[8] Verweise auf eine feministische Forschung zum Thema Arbeit/Nichtarbeit gibt es kaum. Die Referenzen die hergestellt werden verweisen vor allem auf männliche TheoretikerInnen. In einem kürzlich im b_books Verlag erschienen Textsammlung, "Negri Ready Mix‘, versucht Antonio Negri mit dem Begriff "Frau-Werden-der-Arbeit" einen zentralen Aspekte "der Revolution, die wir heute erleben" beschreibbar zu machen. "Wenn ich versuche, kritisch gegenüber mir selbst zu sein und an die klassische Unterscheidung zwischen der Warenproduktion (die grundsätzlich den Männern zukommt, denn ungeachtet der Existenz anderer Subjekte sprach man immer von männlichen, weissen in Städten wohnenden Arbeitern) und der Reproduktion der Arbeitskraft (ausschliesslich den Frauen zugesprochen) samt ihrer Folgen denkt, also an den Ausschluss der Frauen von der Fähigkeit Wert zu produzieren- ökonomischen Wert, versteht sich-, und wenn ich ausserdem daran denke, dass auch wir im Inneren des klassischen Operaismus Gefangene dieser Mystifikation waren, so glaube ich, dass heute das „Frau-werden-der-Arbeit" eine ganz aussergewöhnliche Idee ist." (A. Negri, Ready Mix, S.26) Diese Feminisierung der Arbeit, in der Interpretation Negris, hat zur Vorraussetzung, dass mit "Frau sein" weiterhin eine bestimmte Arbeit, nämlich die der "ausserökonomischen" Sphäre assoziiert werden kann. Diese Annahme verdeckt, das es auch einmal ein "Mann -Werden-der-Arbeit" gegeben haben muss.

Gerade die Subjektivität des Fabrikarbeiters, des Proletariers, dem Held der klassischen Linken, ist ein "kulturelles" und identitätspolitisches Konstrukt. Die Herausbildung von Subjektivität war für die Moderne ebenso notwendig , wie sie es heute ist. Die Körper dieser Dychotomie (Arbeit/Nicht-Arbeit) mussten definiert, diszipliniert und geformt werden. Kleidung, Rationalität, Körpersprache, der Umgang mit Geld und Öffentlichkeit, all dies waren subjektkonstituierende Faktoren, die das Ernährermodell stetig reproduzierte. Männlichkeit definierte sich über den Arbeitsbegriff des Herstellens / Produzierens / Ernährens. Die diesem Produktionsbegriff gegenübergestellten pflegenden, erziehenden und "wert-erhaltenden" Subjekte in der sogenannten ausserökonomischen Sphäre- waren zentraler Bestandteil dieser Gesellschaftsformation. Die Subjektvität des starken männlichen Arbeiters und der pflegenden Hausfrau waren in höchstem Masse produktiv für den Kapitalismus der Moderne.

Die Langzeitlohnbiografie im klassischen Ernährerhaushalt, stellte so den dominanten Identitätsentwurf weisser, westlicher Männer dar. Diese Formen der Arbeitsorganisation waren ebenso auf "ausser-ökonomische" Faktoren angewiesen um produktiv sein zu können.

Für den herrschenden Diskurs - aber auch für ihre KritikerInnen - schien dies nicht sichtbar zu sein. Zwar hatte selbst Karl Marx den Begriff der Arbeit noch weiter gefasst, als es dann die sich politisierende ArbeiterInnenschaft interpretierte. Auch das „zum Lachen bringen des Publikums" (KulturarbeiterIn / Unterhaltungsindustrie) verstand Marx durchaus als Arbeit und protestierte gegen die ProtagonistInnen der ArbeiterInnenbewegung, die unter Arbeit vor allem die traditionelle Industriearbeit verstehen wollten. Schweiss und Muskelkraft, echte Manpower und die Maschinenhalle, liessen sich scheinbar besser politisieren als die KomikerIn, DienstleisterIn des Lachens, oder die Frau, der die unbezahlte Pflege- Erziehungs- Konsum- und Hausarbeit zugedacht war, aufgrund sog. weiblicher Eigenschaften. Deren Ausbeutungsverhältnisse fanden verdeckt statt, aber um nichts weniger brutal. Im Gegensatz zur UnterhaltungsdienstleisterIn, ein damals recht seltener Beruf, traf das zweite Schicksal, fast die gesamte 'andere Hälfte' der Gesellschaft. Neben der klebrigen psychosozialen Abhängigkeit der Geschlechter, der Abhängigkeit der Frau von dem Geld des Mannes, bestimmte diese Dichotomie die gesamte symbolische Ordnung.

Die Studentenrevolte 1968 gilt als Ausgangspunkt nicht nur eines neuen Ökonomieverständnisses, sondern auch der neuen Frauenbewegung.[9] "Die rebellierenden Frauen, versuchten mit dem Terminus Reproduktion für sich und für ihre Versorgungsarbeit die Tür zum ökonomischen Feld einen Spalt breit aufzusperren. Doch der Begriff blieb im warenproduzierenden System und seinen Theorien ebenso undeutlich und problematisch wie der sog. Frauenberuf. Auch andere Ausbruchsversuche aus dem von materieller Produktion ursupierten Terrain des Wirtschaftens blieben auf halben Wege liegen. Aus dem modernen Begriff des Haushaltsproduktion, der die Wichtigkeit des Haushalts-Geschehens sichtbar machen sollte, blieb per Definition alles ausgeschlossen, was nicht anonym von Dritten, und d.h. ebenso gut über den Markt geleistet werden kann. Genaueres Hinsehen entlarvte auch die "Forderung Hausarbeit ins Bruttosozialprodukt" als Einstieg in ein höchst fragwürdiges Unterfangen, die den Ökonomismus, wie die Geschlechterdifferenz mehr bestätigte statt sie zu bekämpfen." So beschreibt die feministische Ökonomin Elisabeth Stiefel das Dilemma die vergeblichen Ausbruchsversuche der Frauen aus der dychotomen und normativen Begrifflichkeit von Produktion/Reproduktion, als Effekt des androzentrischen Produktionsparadigmas und dem damit verbundenen unterschiedlichen gesellschaftlichen Status von Tätigkeiten.[10]

Das Dilemma der feministischen Kritik kann also auch als Krise der Darstellung begriffen werden, denn die Tätigkeiten die als Nicht-Arbeit gelten bleiben bis heute scheinbar verdeckt. Diese Darstellungskrise ist in der Ideologiegeschichte des Arbeitsbegriffs eingeschrieben. Die Entdeckung der Arbeit als die Quelle von Eigentum und Reichtum, wie es Locke und Adam Smith entwickelten, verhalf der Arbeit, als ehemals vom Adel verachtete Tätigkeit, zur höchstgeschätzten des aufkommenden Bürgertums. Dominant wurde sie aber erst in Marx’s "System der Arbeit", wo sie zur Quelle aller Produktivität und zum Ausdruck der "Menschlichkeit des Menschen" selbst wird. Obwohl die drei genannten TheoretikerInnen völlig unterschiedlichen Denkrichtungen angehörten und verfolgten, waren sich dennoch darin einig, dass die Arbeit die produktivste und eigentlich weltbildende Fähigkeit des Menschen darstelle. Alle Tätigkeiten die in diesem Sinne nicht produktiv waren, vielen aus der Vorstellung heraus Wert bilden zu können. Der offensichtlichste Grund, warum diese Theoretikerinnen und auch die Linke diesem Reduktionsimus nicht gewahr wurden, liegt in der Identifizierung von Herstellen mit Arbeiten, bzw. darin, dass sie der Arbeit bestimmte Fähigkeiten zusprachen, die nur das Herstellen besitzt.[11] Dieser reduktionistische Arbeitsbegriff formte die Vorstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit, Produktivität und Passivität, Produktion/Konsumtion, Arbeit und Nicht-Arbeit laufend mit, im Zustand ideologischer Bewusstlosigkeit. Selbst die Thesen von der Ausbeutung der Submilieus, wie sie von Rosa Luxemburg definiert wurden, setzt das Ökonomische allen anderen gesellschaftskonstituierenden Faktoren voran. Der Kapitalismus selbst, wurde wie Stuart Hall es beschreibt, zum "Determinator erster Instanz".[12] Für die Frage der Identitätsbildung und Subjektwerdung und deren Produktivität im Spätkapitalismus scheinen daher neue Instrumente der Betrachtung nötig zu sein.

Geld für Alle

Wenn heute im Zuge der gesellschaftlichen Transformationsprozesse in den 90er Jahren, - die durch eine "ökonomische Trendwende" begleitet wurde, auch die "kritische Kunstszene" sich diesem Thema vermehrt widmet, ist auch zu fragen unter welchen Prämissen sie das tut. Die ökonomiekritischen Ansätze feministischer TheoretikerInnen, wie etwa der sozialistische Feministin Michèle Barret, aber auch TheoretikerInnen wie Luce Irigaray, oder Maria Mies, Christel Neusüss, Mascha Madörin, Elisabeth Stiefel u.a., aus dem deutschsprachigen Raum, blieben im Ganzen gesehen beispiellos ungehört. Der "Thrill" den der neue Ökonomismus auslöste übertönte wohl kurzfristig auch dessen Widersprüche.

Im Gegensatz zu anderen Denkrichtungen steht bei den feministischen und operaistischen TheoretikerInnen, neben der Analyse der post-industriellen Wirtschaftsform, nicht die Dominanz des Kapitalismus im Vordergrund, als vielmehr die Frage, wie wir aus dem Wissen um das Konstrukt von Arbeit/Nichtarbeit dissidente, feministische und subversive Methoden und Produktionsformen denken und entwickeln können. Diese Überlegungen deuten auch direkt auf neue Handlungsterrains für eine dissidente kulturelle Praxis. Die Tatsache das Frauen von jeher "flexiblere" Biographien hatten liess andere Interpretationsansätze zu, um das, was wir für "Arbeit" und für das "Ökonomische" halten, beschreibbar zu machen. Die feministische Forschung hat zeigen können, dass Geschlechterzugehörigkeit in sozialen Situationen, in der Begegnung mit anderen wechselseitig dargestellt und zugewiesen wird. Arbeit, sowohl die bezahlte wie die unbezahlte ist eine zentrale Arena der Geschlechtsdarstellung und - zuweisung.

Eine neuer Ansatz in der feministischen Diskussion fordert heute daher das Reden über Geld statt über Arbeit ein und damit auch das Reden über weibliche Ökonomieverhältnisse an sich. Im Zentrum dieser Denkrichtung steht die Überlegung, sich aus der protestantische (auch linken) Verzichtslogik des westlichen Arbeitsbegriffes theoretisch und praktisch herauslösen zu können und die moralische Verpflichtung Erwerbsarbeit leisten zu müssen, und nur darüber zu Geldbesitz und gesellschaftlicher Anerkennung zu gelangen, abzuwerten. Darüber hinaus zielt die Diskussion auf die Dekonstruktion des traditionellen Geschlechterregimes an sich, da Geldbesitz für Frauen bedeutet, unabhängig vom klassischen "Ernährerhaushalt" zu sein. Ohne Geldbesitz sind Lebensverhältnisse, die nicht dem heterosexuellen Zwangsregime entsprechen, etwa gleichgeschlechtliche Beziehungen, gar nicht denkbar. Ebenso müsste die Frage nach dem Wert von Tätigkeiten neu gestellt werden, wie es die Frauen bereits für die, als Nicht-Arbeit deklarierte Konsum-, Erziehungs- und Hausarbeit getan haben. Gleichzeitig greift die Diskussion über "Geld statt Arbeit" ein in die Zuschreibungen von gutem (erarbeitetem) und schlechtem (geschenktem, spekuliertem, flatterhaftem ) Kapital,- einer der problematischsten Grundpfeiler klassisch Linker und ultrarechter TheoretikerInnen. Eine andere These besagt, dass ohne die Angleichung der Einkommen von Männern und Frauen sich weder die Ungleichheit der Geschlechter, noch die Kontrollfähigkeit und Erpressbarkeit der ArbeiterInnenschaft gebrochen werden kann.

Ich kann diese Diskussion hier selbstverständlich nur anreissen. Es ist aber interessant, dass auch die OperaistInnen zu ähnlichen Schlüssen gekommen sind und ebenfalls dafür plädieren das linke Projekt auf der Ebene der Geldverteilung, statt auf der Ebene der Arbeitsverteilung- und Kämpfe weiter zu führen und vertreten daher, wie andere Gruppierungen, die Forderung nach einem garantierten Einkommen. Und zwar auf der Grundlage, daß die Produktion nicht so sehr mittels der "garantierten", in Lohnarbeit stehenden Arbeiterinnen und Arbeiter Zustande kommt, als vielmehr durch die Mobilität und Flexibilität, die Ausbildung und ständige Höherqualifizierung der gesellschaftlichen Arbeit. Wenn diese dynamische, flexible, bewegliche, fliessende sich verzweigende Konzeption von der Gesellschaft übernommen wird, so muss man sie, nach Negri, auch garantieren. „Und sie garantieren bedeutet, jedem den garantierten Lohn zu geben."

Konzepte die sich mit der Frage der Existenzsicherung von KulturproduzentInnen und im speziellen mit der von bildenden KünstlerInnen auseinandersetzten, wurden bislang nur auf zwei Ebenen entwickelt: Das progressivere Modell sieht eine gesetzliche Regelung des Ausstellungshonorars vor und versucht die „Bildrechte" der ProduzentInnen zu schützen. (vgl. VG Bildkunst). Der zweite Vorschlag argumentiert weiterhin für die bestehenden Strukturen, also für den Kunstmarkt und die üblichen Stipendien. Beide Modelle sind aus der Perspektive einer kritische kulturellen Praxis nicht gerade progressiv. Zum einen muss und wird eine kritische Praxis nicht ausschliesslich innerhalb von Institutionen stattfinden und so auch nicht ständig in die entsprechende Gunst der Honorare kommen. Stipendien und Kunstmarktverkäufe setzen zu dem weiterhin auf die Selektion von Einzelpersonen und sind daher immer nur individuelle Lösungen, während eine kritische Kunstpraxis bereits längst mit Personen kollaboriert, die nicht allein dem Feld der Kunst zuzuordnen sind. Damit wurde eine kulturelle Praxis etabliert, die das enge Korsett der eindeutigen Zuweisung auf "Kunst", als ein in sich selbst funktionierendes autonomes Wertbildungssystem, vielleicht schon überwunden hat. Und doch -, zu seiner Ehrenrettung sollte gesagt werden, das das Ausstellungshonorar sich immerhin dem Konzept der 'Gage' und dessen Entsprechung im Musikbusiness und im Theater, nähert. Das kulturelle Produkt das hier entlohnt wird, ist daher auch relativ weit gefasst.

In der Kulturlinken ist dagegen die Diskussion um das sog. Existenzgeld oder Grundlohn weiterhin schwer zu führen. Sie ist als reformistisch, als nicht revolutionär, als FDP Finte verschrien. Die Positionen zu diesem Thema klären sich gerade erst und werden in Zukunft sicher konkretere Vorschläge folgen lassen, und das hoffentlich auch im Feld der Kulturarbeit.[13] Sicher aber ist, dass die Überlegungen zum Existenzgeld aus der feministischen oder italienischen autonomen Linken nicht das selbe meinen, wie die sog Armutssicherung der Liberalen. Einig sind sich allerdings alle, dass die Koppelung von Lohn, Arbeit und Lebenszeit in eine Krise geraten ist. Diese Koppelung ist, wie die Ökonomin Mascha Madörin es betont, allerdings schon immer eine Lebenslüge von Männern gewesen. Die Krise im traditionellen Gesellschafts- und Geschlechtervertrag im Post-Fordismus ist aus Frauensicht alles andere als nur eine Katastrophe, sondern eröffnet auch die Möglichkeit das starre Geschlechterregime der Moderne aufzubrechen und das Konstrukt Arbeit/Nicht-Arbeit zu destabilisieren und neu zu beschreiben.[14]

Niemand wird allerdings behaupten wollen, dass die sozialen Folgen der gegenwärtigen ökonomischen Ausschlüsse nicht brutal sind. Es geht nicht darum die negativen Folgen der Derregulierung für ihre positiven Seiten in Kauf nehmen zu wollen. Weder die OperaistInnen noch die Feministinnen befürworten eine Übernahme des herrschenden Paradigmas neoliberaler Politik noch die Anpassung an die UnternehmerInnenziele. Vielmehr geht es um den Kampf, sich die eigenen Methoden und Inhalte nicht aus der Hand nehmen zu lassen, sondern diese zu stärken und auch ihr Scheitern nicht zu verhindern, vielmehr zu überarbeiten oder aber selbst ihr Scheitern überhaupt möglich zu machen.

Für die KulturarbeiterInnen lassen sich so auch neue Perspektiven und Politikfelder entwickeln. Beide, die KulturarbeiterIn mit ihren asynchronen Wertbildungsprozessen, sowie die von jeher flexiblen Arbeitsbiografien von Frauen werden heute für die neuen Arbeitsorganisationen, als Avantgarde angenommen. Aber obwohl beide Positionen auch ein Effekt sind der Trennung von Arbeit /Nichtarbeit und gleichzeitig für die Überschreitung dieser Konzepte stehen, passen sie sich dennoch nicht nahtlos in die spätkapitalistische Logik vollständig flexibilisierter Subjekte ein.

Eine dissidente kulturelle Praxis kann und sollte daher nicht einfach mit den selben Mitteln erklärt werden, wie die Motivation von MitarbeiterInnen in einem Betrieb. Obwohl beiden eine ähnliche Erfolgsstruktur nach zu weisen wäre, zielen sie dennoch auf unterschiedliche Ergebnisse und haben äusserst unterschiedliche soziale Qualitäten.

Eine feministische kulturelle Praxis geht beispielsweise von kollektiven Arbeitsmethoden aus, die auf Tauschverhältnissen aufbauen und dessen Wertbildungsprozesse nicht hierarchisch entstehen können, ohne gleich „Corporate Culture" zu sein.[15] Diese Praktiken können nicht einfach über das post- fordistische Paradigma und das Konzept der "Selbstausbeutung" erklärt und damit politisiert werden. Netzwerkbildung, Informationsaustausch, gegenseitige Bezugnahme und Identifikation ist für die feministische Bewegung eine notwendige und gleichzeitig subversive Strategie, um sich dem patriachalen Herrschafts- und Wissensapparat wiedersetzen zu können. Darüber hinaus schreiben dissidente Praktiken auch die Biographien ihrer AkteurInnen mit, die dem bürgerlichen Benimmkanon eben gerade nicht entsprechen und ganze Szenen und Gruppen beinflusssen können.[16]

Wenn also die KulturarbeiterIn nicht nur als Avantgarde post-industrieller Zwangsverhältnisse beschreibar ist, sondern vielmehr gerade auch über die Widersprüche eines „Nicht-genau-Hineinpassens", könnten sich an der Figur der KulturarbeiterIn auch die Qualitäten nicht rein ökonomisch determinierter Arbeitsverhältnisse entwickeln lassen. Das ist insofern von grosser Bedeutung, da die neoliberalen Wirtschaftspolitik versucht über das Konzept des Marktes alle Lebensbereiche zu ökonomisieren und damit tatsächlich bereits in unsere sozialen Beziehungen eingegriffen hat.

KritikerInnen dieser Argumentation werden nun berechtigterweise darufhinweisen, das gerade die differenten Tauschverhältnisse in der Kulturproduktion bisher missbraucht wurden, um die Arbeit der KulturarbeiterIn ebenso, wie die der KünstlerIn als reines Selbstverwirklichungsprojekt abzuwerten und damit für eine Nichtbezahlung zu plädieren. Prekäre Verhältnisse und Verarmung konnten sogar als einen Motor für kulturelle Produktion stilisiert und romantisiert werden. Diese Konstruktion konnte aber nur insofern greifen und aktzepiert werden, als dass die KulturarbeiterIn als gesellschaftliche Aussnahme, als rein individualisierter Lebensentwurf beschrieben wurde. Das dies nicht mehr so ist, sondern das „flexibele Subjekt" zum Regelfall des Spätkapitalismus zu werden scheint, wird es nötig sein, die Qualität und Problematik des Tätigkeitsfeldes der Kulturarbeiterin / Künstlerin genauer zu beschreiben.

Das könnte z.B. bedeuten den eigenen Arbeitsbegriff bezüglich seiner Effektivierungstendenzen genauer anzuschauen. Der Mythos der Freischaffenden, "immer selbst und ständig", kann auch auf sein eurozentrisches Produktivitätsphantsma hin beleuchtet und abgewertet werden. Die Arbeits- und Lebensbiographien der KulturarbeiterIn liesse sich auf diese Weise politisieren: Sie könnten dazu dienen, die Widersprüche des ökonomischen Denkens, besprechbar zu machen und den ideologisch geformeten Begriff der "Produktivität" und die darin eingeschriebenen Geschlechterverhältnisse genauer zu analysieren, um neue Instrumente der Betrachtung zu entwickeln. Das Ineinanderfallen von AutorInnenschaft und RezipientIn im aktuellen post-industriellen Wertbildungsprozess könnte so auch ein neues Licht werfen auf die Produktionsverhältnisse und strukturellen Probleme von Kulturarbeiterinnen.

Die Überlegungen der OperaistInnen und feministischen TheoretikerInnen zeigen auf, das auch für die intellektuelle und künstlerische Arbeit das spezifische Modell der Produktion und Reproduktion zu überarbeiten ist. Denn gerade das ist es, was die post-industrielle Wende andeutet, dass wir die Vorstellung von Kreativität als Ausdruck von Individualität, als Erbe einer bürgerlichen Elite grundlegend überdenken müssen.

Fussnoten

[1] etwa in den Ausstellungen "Game Grrrl" Zürich/München und "when tekkno turns to sound of poetry" Zürich/Berlin , 1994 / 95

[2] Das Video für die Wiener Secession war eine Homage an eine Videoproduktion von Carole Roussopoulos aus dem Jahr 1968, in dem sich ebenfalls zwei Frauen an einem Arbeitstisch vor einem Bücherregal gegenübersassen und sich laut das 'Scum Manifesto' vorlasen und abtippten. Auf dem Monitor im Hintergrund liefen in Roussopoulos Nachrichten über den Vietnamkrieg. In unserem Video lief im Hintergrund ein Video von Elfe Brandenburger, das sich mit der filmischen Repräsentation des autonomen Künstlersubjekts befasst.

Pauline Boudry, mit der ich gemeinsam das Video gedreht habe, war unter anderem Teilnehmerin bei Sex&Space in Zürich und Graz und organisierte mit mir das Projekt "SUPERmarkt". Sie hat darüber hinaus gemeinsam mit Brigitta Kuster und Renate Lorenz für die Ausstellung 'Baustop.Randstadt,-' ein Video zum Arbeitsbegriff produziert und den Reader „Reproduktionskonten Fälschen" zum feministischen Arbeitsbegriff mit herausgegeben. (siehe dazu französischen Text in dieser k-bulletin Ausgabe)

[3] Paolo Virno, 'Do you remember Counterrevolution?', Umherschweifende Produzenten, ID Verlag, Berlin1998, S. 87

[4] vgl.M. Lazzarato, "Immaterielle Arbeit", Umherschweifende Produzenten, ID- Verlag, Berlin 1998

[5] vgl. M. Lazzarato, ebenda

[6] Hanna Arendt, ‘Die Fruchtbarkeit der Arbeit im Unterschied zu ihrer vermeintlichen "Produktivität’’, in 'Vita Activa oder vom tätigen Leben', Serie Piper, München 1996

[7] Eva Nadai, 'Arbeit teilen statt Arbeitsteilung',Olympe Nr. 7, Zürich 1998

[8] Es wäre interessant die Texte der ItalienerInnen genauer daraufhin zu befragen, inwieweit sie die neuen Ökonomien immernoch aus der Perspektive der "warenproduzierenden Industrie" betrachten.

[9] Im Video für die Veranstaltung in Wien lesen Pauline Boudry und ich Teile aus der Rede von Helke Sanders vor dem Studentenrat 1968, die den Beginn der Diskussion über das Politische des Privaten markiert.

[10] Elisabeth Stiefel, 'Über den Zwiespalt zwischen globaler Ökonomie und der simplen Sorge für das Leben', Politik und Gesellschaft Nr.3, Bonn 1998

[11] Hanna Arendt, ‘Die Fruchtbarkeit der Arbeit im Unterschied zu ihrer vermeintlichen "Produktivität’’, in 'Vita Activa oder vom tätigen Leben', Serie Piper, München 1996

[12] Stuart Hall, 'Marxismus ohne Garantien', in 'Das Phantom sucht seinen Mörder', Shedhalle-Reader zur Kuturaliserung der Ökonomie, b_books Verlag, Berlin 1999

[13] In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass einige Frauen aus Berlin einen Existenzgeldtagung ins Leben gerufen haben mit dem Titel „Schluss mit dem Stress! Arbeitskonferenz für Existenzgeld und radikale Arbeitszeitsverkürzung. Zur Kritik der Lohnarbeitsgesellschaft", der vom 19.- 21.März 99 in der Humboldt Universität und im Mehringhof Berlin stattgefunden hat. Für weitere Informationen: http: //www.nadir.org/nadir/initiativ/fels/konferen

[14] Mascha Madörin, 'Der kleine Unterschied in hunderttausend Franken', in Widerspruch Nr. 31, 'Globalisierung- Arbeit und Ökologie', Zürich1996

[15] Die Bezugnahme auf eine feministische Praxis wird immer wieder in unterschiedlichen Kontexten aufgegriffen. Im Umfeld von Kunstproduktion beispielsweise in den „Salons" der Berliner Künstlerin Judith Hopf, die sich absichtlich im Bereich des Halböffentlichen ansiedelten und eine Kontinuität anderer Produktionsweisen ermöglicht haben; oder aber in den unterschiedlichen Veranstaltungen und Workshops in der autonomen Frauenszene, wie etwa der Frauenhetz in Wien.

[16] vgl. Diedrich Diederichsen " Der Boden der Freundlichkeit", Die Beute. Neue Folge Nr1, Berlin 1998

Editoriale Anmerkung:
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