Die Berliner SPD 
bleibt sich treu


von Birger Scholz
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Die Pleite der Stadt und ihrer Bank im Frühjahr dieses Jahres hat der arg geschundenen Berliner SPD die Möglichkeit eines politischen Machtwechsels eröffnet, den sie auch entschlossen und erfolgreich für sich genutzt hat Das war in der Tat unverdient. Schließlich hatte die Hauptstadt-SPD das Finanz-Fiasko mit der Diepgen-CDU zu gleichen Teilen zu verantworten: War es doch die Große Koalition, die Anfang der neunziger Jahre kollektiv dem Einheitswahn verfiel, von der »Global City« träumte und den Bund ohne Widerstand aus der Pflicht zur Subventionierung entließ. Innerhalb von vier Jahren sank die Berlin-Hilfe von 17,2 Milliarden Mark 1991 auf 6,8 Milliarden Mark im Jahr 1995. Gleichzeitig wurde bis 1995 (wie im Osten insgesamt) wider besseren Wissens weiter auf »blühende Landschaften« gesetzt und kräftig in teure Prestigeprojekte investiert. Oder treffender ausgedrückt: Auf Wachstum spekuliert. Davon zeugen heute die gigantischen Stadtentwicklungsprojekte (z.B. Wasserstadt Oberhavel), die den Haushalt noch auf Jahrzehnte belasten werden.

Insofern hat auch die Pleite der Bankgesellschaft weniger mit Klüngel und Korruption, als vielmehr mit den zerronnenen Hauptstadt Träumen zu tun. Politischer Filz gehört bekanntlich auch in Gewinner-Städten wie Frankfurt und Köln zum Geschäft und ist eher das nötige Schmiermittel im Getriebe einer funktionierenden Stadtverwaltung. Die Berliner Immobilien-Blase war ein »future contract« (sozusagen ein Derivat) auf die erhoffte zweite Gründerzeit. Die blieb bekanntlich aus und die BerlinHyp wurde ihre faulen Kredite nicht mehr los. Welche Folgen das haben kann, durchlebt Japan seit zehn Jahren und das schlimmste ist noch gar nicht ausgestanden.

Von den schönen Metropolenträumen des Berlin-Marketing (»Partner für Berlin«) ist so wenig geblieben. Das FAZ-Feuilleton konstatiert zutreffend: »Das Debakel des Geldhauses steht nur paradigmatisch für die Wüstenei der Berliner Wirtschaft. Die Hauptstadt ist verarmt und deindustrialisiert. Ihr fehlt völlig die ökonomische Basis, die sie einst besaß und die erst all die schönen Metropolenträume antreiben könnte.«

Die Fakten: Von den 400.000 Industriearbeitsplätzen des Wendejahres verblieben bis heute weniger als 30 Prozent. Damit ist der »Industriebesatz« (Industriebeschäftigte pro 1.000 Einwohner) der Finanzmetropole Frankfurt doppelt so hoch wie der in Berlin. Hinzu kommt, dass eine adäquate Ausweitung des Dienstleistungsbereichs nicht stattgefunden hat. Wenn dennoch von Berlin als Dienstleistungsmetropole gesprochen werden kann, dann als die der »Putzkolonnen und schwarzen Sheriffs« (Stefan Krätke).

Ein Vergleich der Wachstumszahlen verdeutlicht diese missliche Entwicklung. Kam es in Berlin von 1991 bis 2000 mit einer Steigerung von 2,3 Prozent des realen Bruttoinlandsprodukts BIP (in Preisen von 1995) im Prinzip zu einer Stagnation, stieg das BIP bundesweit um 14,8 Prozent.
Berlin war 1999 das einzige Bundesland mit Minus-Wachstum. Im ersten Halbjahr 2001 schaffte es die Hauptstadt immerhin, die rote Laterne an Mecklenburg-Vorpommern abzugeben und rangiert nun mit 0,1 Prozent (bundesweit 1,0 Prozent) an viertletzter Stelle.Diese negative Bilanz ließe sich problemlos hinsichtlich der Arbeitslosenquote und der Branchen- und Beschäftigungsstruktur fortsetzen. Die durchaus beachtlichen Zuwächse im Bereich der Zukunftstechnologien erfolgen von einem denkbar geringen Niveau aus und werden in den nächsten zehn Jahren kaum strukturbestimmend sein.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schätzt die Wachstumseinbußen für die Regionalwirtschaft augrund der Sparpolitik der letzten zehn Jahre auf bis zu 1,5 Prozent pro Jahr. Ökonomisch waren die 90er Jahre ein verlorenes Jahrzehnt für die Stadt: Der Rückstand zu den
alten Bundesländern hat sich erheblich vergrößert. 

Selbst das bürgerliche Feuilleton spricht von »nichtmarktwirtschaftlicher Nachmoderne«, um die seit Jahren unter Ökonomen verbreiteten Erkenntnis unter das gehobene Publikum zu bringen, dass sich die Stadt nicht aus ihrer eigenen Wertschöpfung reproduzieren, d. h. ernähren kann.

Nicht ohne Grund installierte die vom Wähler abgestrafte SPD 1995 die ehemalige Herforder Stadtkämmerin Annete Fugmann-Heesing (SPD) als neue Finanzsenatorin und Rettungsanker für die morbiden Stadtfinanzen. Fortan war Haushaltskonsolidierung als Selbstzweck angesagt. Und zwar in der radikal neo-liberalen Variante.

Die SPD versuchte als thatcheristische Konsolidierungspartei zu punkten, die CDU übernahm dankbar den sozialdemokratischen Part und profilierte sich als entschiedene Interessenvertretung der »Kindl- und Bolle-Berliner«. Wer die Konsolidierung aus eigener Kraft als Lebenslüge der Berliner SPD benannte, galt fortan als nicht politikfähig. Wer auf die Kosten des Austeritätskurses für die Stadtökonomie verwies, wurde bestenfalls als keynesianischer Trottel
belächelt. Das Ergebnis ist bekannt: Die Berliner Sozialdemokratie verlor auch die Wahl 1999 grandios mit knapp 23 Prozent der Stimmen.

Dass es auch anders geht, bewies das Saarland. 1986 und 1992 erklagte es sich (zusammen mit Bremen) unter Oskar Lafontaine durch zwei Urteile beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) besondere Bundeszuschüsse zur Beseitigung der festgestellten »extremen Haushaltsnotlage«. Seit 1994 erhält das kleinste Flächenland jährlich 1,6 Mrd. DM zusätzliche Mittel des Bundes zur
Schuldentilgung. Würde diese Summe nur anhand der Bevölkerungsunterschiede auf Berlin hochgerechnet, wären dies 5 Mrd. DM zusätzliche zweckgebundene Bundeszuschüsse zur Schuldentilgung jährlich. Im Herbst 2000 betonte Dieter Vesper (DIW) in einem Gutachten für den DGB Berlin-Brandenburg zurecht: »Ohne Hilfen von außen wird der Haushalt nicht zu sanieren sein. Legt man die Kriterien zugrunde, die seinerzeit die Ansprüche Bremens und des Saarlands begründeten, so müssten künftig auch nach Berlin Bundesergänzungszuweisungen zur Milderung der Haushaltsnotlage fließen.«

In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird auch die regelmäßige Überschreitung der Investitionsausgaben durch die Nettokreditaufnahme und die damit einhergehende Verletzung der Landesverfassung des Saarlands angeführt. Ein Blick in die Berliner Haushaltspläne der 90er Jahre (oder besser in den aktuellen!) zeigt, in welch erheblichem Maße auch in Berlin gegen dieses Gebot aus Artikel 87 der Landesverfassung und dem ersten Absatz von Paragraph 18 der Berliner Landeshaushaltsordnung verstoßen wurde und wird. Ausnahmen lässt die Landesverfassung nur zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu. Noch 1991 wurden knapp 7 Mrd. DM investiert, in 2001 sind es nur noch 4 Mrd. DM. Allein die PDS weist seit langem darauf hin, dass mehr als 60 Prozent der Investitionen aus Geldern der Europäischen Union oder des Bundes finanziert werden und die eigene Investitionskraft de fakto noch viel geringer ausfällt. Einmal mehr erwägt die PDS daher eine Verfassungsklage. Die Entscheidungsformel liest sich geradezu als Einladung der Bundesrichter an Berlin, mit dem Bund in Verhandlungen über eine nachhaltige und strukturelle Konsolidierung einzutreten. Umso verheerender erscheint in diesem Lichte die jahrelange Tabuisierung dieses naheliegenden Wegs durch die Berliner Politik.

Die Berufung der ehemaligen saarländischen Wirtschafts- und Finanzministerin Christiane Krajewski (SPD) zur neuen Berliner Finanzsenatorin ließ immerhin auf einen Kurswechsel hoffen. Hatte sie doch mit Bundesgeldern die strukturelle Entschuldung des Saarlands und damit die Wiedererlangung der Gestaltungsmacht der Saar-SPD ein bedeutendes Stück vorangebracht. So sprach selbst Klaus Wowereit vor der Wahl erstmals zaghaft von der Notwendigkeit eines »Berlin Paktes«. Die Berliner SPD bewegte sich in der für die Zukunft der Stadt entscheidenden Frage.

Nach der Wahl reichte die deutliche Drohung des Kanzlers, der Stadt bei einer Regierungsbeteiligung der PDS den Geldhahn zuzudrehen, um Klaus Wowereit (SPD) innerhalb einer Woche zu disziplinieren. »Demokratischer Zentralismus« hieß das früher mal. Dass der Regierende Bürgermeister nun die bisher verfemten Bundesgelder zum alleinigen Kriterium der Entscheidung für die Ampel-Koalition machte, ist eine Dreistigkeit. Die »Konsolidierung aus eigener Kraft« – jahrelang das Dogma der Austeritätspartei SPD – endete nun auch offiziell als Treppenwitz der Berliner Landespolitik. Erstaunlich nur, dass kaum jemand an der Parteibasis das bemerkt. Trotzdem: Den entscheidenden Schritt – die Haushaltsnotlage feststellen zu lassen – wagt die Berliner SPD allerdings auch weiterhin nicht. Aber erstmals wird diese Möglichkeit n einem Strategiepapier der Finanzsenatorin auch nicht mehr kategorisch ausgeschlossen: »Sofern eine Verständigung mit dem Bund über einen derartigen Berlin-Pakt in einem überschaubaren Zeitraum nicht oder nicht auskömmlich zu realisieren wäre, wird Berlin seine Ansprüche (...) auch auf juristischem Wege einfordern müssen.« Für Berliner Verhältnisse kommt dieses Eingeständnis einer kleinen Revolution gleich.

So stürmisch die »Wowi«-Hysterie in der SPD wogte, so substanzlos war sie inhaltlich und war folgerichtig auch zwei Wochen nach der Wahl Geschichte - »und das ist auch gut so«. Was bleibt ist der übliche Katzenjammer des marginalisierten linken Flügels der SPD, der sich parteiintern nach der Wahl zum Stillhalten verpflichten ließ und dachte, rot-rot käme so sicher wie das Amen in der Kirche. Dumm gelaufen! Ab sofort ist wieder Geschlossenheit angesagt. Sozialdemokratische Sekundärtugenden haben Tradition und Konjunktur.

Auf den Kanzler ist dagegen Verlass. Symbolisch wird das eine oder andere Haushaltsloch (vornehmlich im prestigeträchtigen Kulturbereich und neuerdings auch bei der »inneren Sicherheit«) vom Bund gestopft werden. Eine nachhaltige, strukturelle und sozial ausgewogene Konsolidierung wird dabei nicht herauskommen. Wer sich ohne Not und ohne verbriefte Zusagen von Gerhard Schröder einschüchtern lässt - wie Wowereit und mit ihm die lammfromme Berliner SPD - hat auch nichts anderes verdient. Die gemeinsame Opposition von PDS und CDU – den beiden originären Volksparteien Berlins – verspricht für die Zukunft der Berliner Sozialdemokratie nichts Gutes. Mit der FDP in der Regierung dürfte die Politik schnell in das alte Fahrwasser der Großen Koalition zurücktreiben. Damit stehen auch die letzten verbliebenen Landesbeteiligungen und Vermögenswerte zum Verkauf. »High noon« im Kürzungsmassaker ist angesagt. Der Abbau von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst in Höhe von 1 Mrd. DM Personalkosten jährlich bis 2006 und die völlig unrealistische Reduzierung der Netto-Neuverschuldung auf Null bis zum Jahr 2009 wurde schon im SPD-Wahlprogramm gefordert. Die aktuellen Sparlisten aus dem Giftschrank der
Finanzsenatorin gehen nun deutlich weiter. Nicht nur das erwartete Defizit für 2002 fällt nochmals fast 5 Mrd. DM höher aus als noch im »ultimativen« Kassensturz vor der Wahl verkündet und wird nunmehr - unter Einrechnung der aktuellen Steuerschätzung Eichels - mit gigantischen 10,4 Mrd. DM veranschlagt. Auch Kürzungen im Bildungsbereich, bei Kindergärten und der Sozialhilfe sind keine Tabus mehr. Ohne große Phantasie lässt sich eine effiziente Kooperation und Aufgabenteilung zwischen selbstbewusster FDP und rechtem SPD-Konsolidierungsflügel prognostizieren – wohlmöglich erfolgreicher als es mit der »sozialdemokratischen« Diepgen-CDU je möglich war.

In Anbetracht des explosiven sozialen Gemisches in der Stadt ist es fast ein Wunder, dass die rechtspopulistischen Angebote bisher nicht angenommen worden sind. Das ist zweifelsohne auch ein Verdienst der PDS. Ob das so bleibt, ist offen. Wenn sich Schill in Hamburg stabilisiert, wird er zuerst in die Hauptstadt expandieren wollen. Der Durchmarsch der Republikaner 1989 in Berlin zeigt, welch Potential schon vor der Wende im Westen der Stadt bestand.

Eine sozial tragfähige Sanierungskonzeption, die Lösungswege für die prekären Arbeits- und Lebensbedingungen breiter Schichten der Bevölkerung aufzeigt, ist nicht in Sicht. Dies betrifft im übrigen nicht allein die SPD. Vor einem Jahr konstatierte die Berliner PDS in einem Strategiepapier, dass es zur großen Koalition in Berlin bislang keine Alternative gäbe, weil SPD,
Grüne und PDS gleichermaßen in einem desolaten Zustand seien, beziehungsweise kein überzeugendes Politikkonzept hätten. Eine eigene Profilierung der PDS »links von der Mitte«, um die SPD unter »Druck von links« zu setzen, sei nicht gelungen. Kein Wunder, dass der
PDS-Spitzenkandidat Gregor Gysi dies auch gar nicht mehr versucht, wenn er in einem Interview mit der Illustrierten Super-Illu erklärt: »Die PDS wäre in einem rot-roten Senat dafür zuständig, dass die Menschen - selbst wenn sie unter Sparmaßnahmen leiden - das Gefühl haben: zumindest gehts dabei gerecht zu.« »Neoliberalismus light« - aber mit menschlichem Antlitz.

Solange auf nationaler und europäischer Ebene kein Kurswechsel in der Wirtschafts-, Steuer- und Beschäftigungspolitik organisiert wird – und zwar jenseits eines dreckigen Kriegs-Keynesianismus à la George W. Bush - und der Kanzler stattdessen mit der Politik der »ruhigen Hand« zielsicher in die Depression steuert, bleibt es bei »Neoliberalismus light«. Aber wo - wie in Berlin - nicht mehr zwischen verschiedenen Politikentwürfen gewählt werden kann, sollte im Sinne von Karl Mannheim auch nicht mehr von Politik, sondern ehrlicherweise von Administration gesprochen werden.

Der Vertrauensvorschuss für die Ampel ist gering. Wer aber die Berliner SPD kennt, der weiß, dass sie sich um des Machterhalts willen auch in der Ampel – wie vormals in der Großen Koalition – bis zur Unkenntlichkeit verbiegen wird. Da kann Peter Strieder noch so selbstbewusst verkünden, in der Ampel habe die SPD die Hosen an. Wetten auf ein SPD-Ergebnis unter 25 Prozent bei der nächsten Wahl werden nicht angenommen - wer sollte dagegenhalten?

Editoriale Anmerkungen:

Der Autor schrieb uns:

Liebe Redaktion, 
wäre nachfolgender Artikel aus der "Sozialismus" 12/2001 nichts für das Berlin-Spezial in der Ausgabe 7-8/2001 oder auch für die Dezember-Ausgabe der Trend?

Freundliche Grüße
Birger Scholz

Der Autor, Birger Scholz, ist Dipl. Verwaltungswirt (FH), und studiert Volkswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin und ist Mitglied der SPD
Friedrichshain-Kreuzberg

Erstveröffentlicht wurde sein Artikel in der Zeitschrift "Sozialismus" 12/2001: http://www.sozialismus.de/12.01/index.html

Obgleich nun nach Fertigungsstellung dieses Artikels die "Ampel" geplatzt ist, hat er seine Bedeutung nicht verloren. Ganz im Gegenteil illustriert der Autor doch mit hervorragender Sachkenntnis die Krise Berlins, so dass klar wird, dass "Rot-Rot" den selben Sachzwängen unterworfen sein wird.