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Kauft euch blöd

Über die Liebe zum Fest der Einzelhändler

von Dirk Burchard

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"Kauft euch blöd" stand in den 80ern in Wolfsburg an einem Parkplatz nahe der Fußgängerone an eine Wand gesprüht, als ich dort noch gewohnt habe. Brilliante intellektuelle Kompression auf drei Wörter, zielgruppengerecht plaziert, und dann gefiel mir auch noch die Aussage. Wer immer das damals gesprüht hat, ich habe sein Werk bis heute nicht vergessen.

Weihnachten 2000, ich wohne nach Zwischenstationen in Bremen und Magdeburg in Hamburg, und der letzte verkaufsoffene Samstag fällt auf den 23. Dezember. Da habe ich mir ein Transparent gebastelt, zwei Stöcke, ein altes Bettlaken, und mit schwarzer Farbe draufgepinselt: "Kauft euch blöd". So richtig klassisch, wie das auf diesen riesigen Demos gegen Pershing II und Atomkraft üblich war, als ich selbst dafür noch zu jung war. Nachmittags bin ich damit zum Hauptbahnhof gefahren und habe mein Transparent an der Spitaler Straße ausgerollt. Das war ein interessanter egoTrip, wie Helga Götze vor der Gedächtniskirche für "Ficken für den Frieden" rumzulaufen. In der Spitaler Straße passierte aber gar nichts. Allenfalls mißmutige Blicke auf mein Transparent, dann auf mich und eiliges Weitergehen. Vielleicht standen dort zu viele Glühweinstände herum oder die vielen Musikinstrumente, die sich in den Dienst des Weihnachtsterrors gestellt hatten, verbreiteten erfolgreich Gefühlsduselei.

Bei BurgerKing wechselte ich auf die andere Seite der Mönckebergstraße und begann innerlich zu grinsen, derweil man mich und mein Weihnachtspamphlet zu übersehen versuchte. Schon fast am Rathaus angekommen, passierte es dann. Ein aufopfernder Familienvater mit Schnäuzer, Tüten an den Händen, aus denen Geschenkpapier quoll, seiner Stampfe nebst plärrendem Balg neben sich, schaute krampfhaft ins Schaufenster von Rossmann als sein FamilienIdyll an mir vorbeizog. Gleich daneben eilte ein dunkler Mantel mit sportlichem Kurzhaarschnitt, der vermutlich noch das passende Schmuckstück suchte, damit seine Freundin sich am Heiligabend hingeben würde. Sein Blick streifte mein Transparent beiläufig, dann schaute er zickig auf die andere Straßenseite und wich entlang des Bordsteins aus. Zwei Extreme deutscher Weihnachtskultur zogen nun im selben Moment rechts und links an mir vorbei, und beide sichtlich verärgert. Hinter mir müssen die sich angeschaut und ihre fundamentale Andersartigkeit entdeckt haben. Jedenfalls hörte ich plötzlich Gebrüll: "Ich feiere Weihnachten, wie es mir paßt", und als ich mich umdrehte, haben die sich schon geprügelt. Die Stampfe hat sich auch eingemischt, und das Gör hatte sowieso schon vorher geplärrt. Ich habe dann mein Transparent eingerollt und nicht weiter verfolgt, wie der Kulturkampf um das Fest der Liebe nun ausgehen würde.

In der S1 ab Haltestelle Jungfernstieg in Richtung Poppenbüttel saßen auf den Nachbarbänken zwei angepunkte Kids. Sie hatte sich auf ihrem Kopf drei grüne Weihnachstannen aus ihren Haaren gebastelt, und er war klassisch schwarz gekleidet mit einer Frisur, die man in den 80er mal unter wave eingeordnet hätte, was ich schon damals als Kategorisierung albern fand. Die beiden erzählten sich nun, wie es im Elbtunnel zu einem weiteren Zwischenfall gekommen war. Die Weihnachtstouristen hatten den Elbtunnel verstopft, und ein Radiomoderator hatte diese Verkehrsmeldung kommentiert mit: "Da ist der Weihnachtsmann wohl mit den dicken Geschenken steckengeblieben". Es soll daraufhin ein Mann in einem Opel seine Frau gewürgt haben, mit der er auf dem Weg zu seiner Schwiegermutter war. Es sind weitere Leute schaulustig ausgestiegen, und als eine Frau mit selbstgebackenen Weihnachtsplätzchen schlichten wollte, ist es im Elbtunnel zu einer Schlägerei gekommen. Da war ich offensichtlich nicht als einziger subversiv auf Weihnachten gestimmt.

Nunja, zwar gab es damals in Wolfsburg tatsächlich diese Wandmalerei, aber ich habe das in Hamburg natürlich nicht gemacht, das mit dem Transparent in der Mönckebergstraße. In Hamburg macht man sowas nicht, und in Hamburg brächte das auch nix. Was den Hamburgern nicht paßt, schaffen die nämlich zu ignorieren. Das ist mir eigentlich auch gar nicht fremd, und deshalb bin ich am 23. Dezember einfach im Bett geblieben, derweil sich die Konsumwütigen für ihr Fest der Liebe zu rüsten glaubten. Ich gönnte es ihnen, denn spätestens am zweiten Weihnachtsfeiertag wirken die Süßigkeiten und der Kerzenschein nicht mehr, um diese weihnachtliche Heimeligkeit aufrechtzuerhalten, dann wird gestritten und sich in Hamburg nachts wieder auf dem Kiez ausgetobt.

Aber am Freitag, den 29. Dezember 2000 hält im Planetarium Hamburg Professor Dr Erich Übelacker um 20:00 Uhr den Sondervortrag zur wahren Jahrhundertwende: "Wann beginnt das dritte Jahrtausend? Ägyptischer und islamischer Kalender, die julianische Kalenderreform, Papst Gregor und die gestohlenen 10 Tage, die wahre Jahrhundertwende. Astronomische Grundlagen der Kalender." So ist das im Internet angekündigt. Dort habe ich mir schon eine Karte vorbestellt und werde mir hoffentlich die wissenschaftliche Bestätigung abholen können, daß dieses grauenvolle Jahr 2000 noch zum alten Jahrtausend gehört...