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Die Napster-Revolution und das Gesetz

von Michael H. Goldhaber 
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Das Urheberrecht ist der Kitt aus der Feudalzeit, der die jetzt bröckelnden alten Machtstrukturen der Konzerne noch zusammenhält

Als eine mehrere Tausend Mann starke Menschenmasse im Jahr 1789 die Bastille stürmte, war das der Beginn einer Revolution, die das alte Regime des Königs und seiner Adligen hinwegfegte, und es war gleichzeitig ein Vorbote für das Absterben des Feudalismus.

Im Jahr 2000 stürmen mehr als 20 Millionen Internet-Nutzer eine andere Bastion eines nun überkommenen Regimes: Mit Napster und anderen mit ihm verwandten Programmen. Sie tauschen Musik untereinander aus, die sich in ihren jeweiligen Sammlungen befindet, das ist alles. Aber dadurch stellen sie eine Bedrohung für die Konzerne dar, die über Urheberrechte ihre Macht ausüben.

Vielleicht werden schon bald die ehemals mächtigen Plattenfirmen darniederliegen. Sie werden nicht mehr über den musikalischen Geschmack bestimmen können und sie werden auch die Vielfalt der verfügbaren Musik nicht mehr einschränken können. Und die Revolution könnte sich bald noch weiter ausbreiten, da das Urheberrecht der Kitt ist, der die nun plötzlich bröckelnden alten Machtstrukturen der Konzerne zusammenhält.

Wie zu Zeiten der französischen Revolution ist der gerade stattfindende Entmachtungsprozess - wie auch immer er enden mag - unvermeidlich, sogar notwendig. Wer davon am meisten profitieren wird, ist eine andere Frage. In den Nachwehen der Ereignisse von 1789 war es nicht das Volk, das sich an der Spitze einer egalitären Demokratie wiederfand; stattdessen siegte das Bürgertum, die Händler und die Fabrikbesitzer: Die Klasse der Arbeitgeber. Heute könnten nicht die Fans die Gewinner in den Napster-Konflikten sein, sondern vielmehr die Stars, nach deren Musik sie gieren.

Napster ist, bekanntermaßen, eine einfach zu benutzende Kombination aus Website und Programm, das vor ungefähr einem Jahr von einem Neunzehnjährigen erfunden worden ist. Damit können alle, die irgendwelche digitalen Musikstücke auf ihren Rechnern gespeichert haben, ihre Ressourcen in einer gigantischen Soundbibliothek zusammenführen. Jeder, der an dieses System angeschlossen ist, kann darin fast jedes Musikstück, Sprachschnipsel oder Geräusch herunterladen, das jemals aufgenommen worden ist. Darunter befinden sich auch Werke und Variationen, die überhaupt nicht mehr im Handel erhältlich sind. Während all dieser Vorgänge wechselt kein Geld den Besitzer.

Napster ist nicht die einzige Software, mit der man Musik frei tauschen kann. Gnutella, Scour, Freenet und einige andere funktionieren jeweils anders, aber sie haben dieselben Auswirkungen. Und wenn die Entwicklung des Internet in Richtung von mehr Bandbreite so weitergeht wie vermutet, dann könnte die Qualität der im Netz getauschten Musik und Filme so gut sein wie die der besten CDs und Kinofilme. Während niedrige Tonqualität und mangelnde Bequemlichkeit heute viele Napster-Benutzer dazu bringen, am Ende doch die im Internet gehörte Musik auf CD zu kaufen, so werden diese Faktoren nicht mehr lange wichtige Kaufmotive abgeben. Die Plattenfirmen zittern zu Recht vor Angst.

Aber natürlich beschränken sich diese riesigen Firmen nicht nur aufs ängstliche Zittern. Sie setzen zum vollen Gegenangriff an und versuchen, Gerichte, Exekutive, Verschlüsselungstechnologien und überhaupt alles, was ihnen einfällt, für sich in den Kampf zu werfen. Im Brennpunkt ihrer Angriffe steht nun ihre Klage gegen Napster, mit der dieser Dienst geschlossen werden soll und die schon beinahe erfolgreich ist. Die Plattenkonzerne argumentieren geradeheraus, dass unerlaubtes Kopieren geschützter Inhalte mit Diebstahl gleichzusetzen sei.

(Diese Argumentationslinie mag einleuchten, nicht aber die dafür notwendige ausgedehnte Auffassung des Urheberrechts. Bisher war das Kopieren für nichtkommerzielle Zwecke im Allgemeinen erlaubt und auch vollkommen normal, so wie beispielsweise jemand aus seinen bevorzugten Musikstücken eine Kassette zusammenstellt, um dazu zu tanzen oder sie beim Sport anzuhören. Darüber hinaus verbietet das Urheberrecht nicht, eine CD zum Vergnügen von Freunden oder Passanten so laut abzuspielen, wie man möchte. Napster macht eigentlich nichts anderes, als diese Rechte zu erweitern.)

Wie man feststellen kann, wer recht hat

Die Frage ist also: Erleichtert Napster den Diebstahl, wie die Plattenfirmen und viele Musiker denken? Oder sind seine Nutzer im Recht und es ermöglicht nur ein natürliches Tauschverhalten? Wie John Perry Barlow in früheren Netz-Tagen gesagt hat: "Informationen wollen frei sein". Aber das eigentliche Problem, das beide Seiten in diesem Konflikt haben, ist, dass sie Behauptungen über das Wesen des Eigentums wie außerhistorische ewige Naturgesetze betrachten. Information an und für sich will überhaupt nichts. Die Vögelchen, Bienen und Blümchen kennen kein Urheberrecht.

Eine viel bessere Herangehensweise an die Napster-Kontroverse ist es zu erkennen, dass die Idee vom Urheberrecht ein menschliches Konstrukt ist, das sich im Lauf der Zeit mit den Wirtschaftssystemen fortentwickelt hat. Immer wieder wurden alte Formen durch neue ersetzt, die ganz anders funktionierten, so wie der Feudalismus der Marktwirtschaft gewichen ist.

Heutzutage, nach dem Fall der Sowjetunion, behaupten manche, wir hätten "das Ende der Geschichte" erreicht. Wie können wir dieser Behauptung Glauben schenken, wenn wir doch Zeugen unglaublich schnell fortschreitender Veränderungen und Entwicklungen sind, zu denen auch Napster gehört? Im Gegenteil: Wir haben deutliche Hinweise darauf, dass wir uns inmitten eines Veränderungsprozesses von historischen Dimensionen befinden, der so grundlegend und alles durchdringend ist, dass er die meisten der Grundsätze unserer Wirtschaft unterminieren kann, die wir für gegeben halten. Wir können uns noch gar nicht vorstellen, was da herauskommen wird.

Allein schon die Tatsache, dass wir jetzt eine immer intensivere Debatte über das Eigentum führen, zeigt uns schon, wie weit die Veränderungen im Wirtschaftssystem schon fortgeschritten sind. Eine Debatte über die verschiedenen Vorstellungen von Eigentum ist auch unvermeidbar ein Kampf um das Wesen der ganzen Gesellschaftsordnung und darum, welche Eigenschaften man mitbringen muss, um ein Mitglied der neuen herrschenden Klasse zu werden. Bis der Kampf offen sichtbar sein wird, werden sich viele der neuen Entwicklungen bereits vollzogen haben. Zu diesem Zeitpunkt wird sich die Gesellschaft mit der neuen Vorstellung von Eigentum angefreundet haben. Eine einfache Weise, damit umzugehen, die ganz natürlich erscheinen könnte, wenn die Überbleibsel der alten Institutionen nicht weiterhin das Denken bestimmen würden.

Im Jahr 1789 fegte der noch in den Kinderschuhen steckende, aber schon ganz schön kräftige Kapitalismus den nicht mehr benötigten Adel hinweg, dessen Handelsbeschränkungen wie die Abgaben, die von jedem Adligen erhoben worden waren, den Fortschritt des Kapitalismus abgebremst hatten. Im Jahr 2000 ist das, was ich Aufmerksamkeitsökonomie nenne, schon recht stark und sie beginnt schon damit, ihre altmodische Hülle der Großkonzerne abzustreifen - zugunsten eines Systems, in dem diejenigen, die mehr Aufmerksamkeit erhalten, als sie anderen schenken, diejenigen dominieren werden, die mehr Aufmerksamkeit aufwenden, als sie selbst erringen können. In anderen Worten: Stars ziehen Fans in ihren Bann. Dieser Wandel entsteht - in sehr einfachen Worten gesagt - dadurch, dass in Westeuropa, den Vereinigten Staaten, Japan und anderen fortgeschrittenen Regionen materielle Güter aufgrund der Massenproduktion weniger knapp und deshalb unwichtiger sind als die Aufmerksamkeit.

Der frühere Kampf zwischen den Wirtschaftssystemen - oder, besser gesagt, zwischen ihren Hauptnutznießern - war schon künstlich verlängert, kompliziert und oft verwirrend. Wir sollten uns darauf einstellen, dass der aktuelle Kampf ähnlich ablaufen wird.

Im 18. Jahrhundert kreisten die alten Vorstellungen von Eigentum um die erblichen feudalen Rechte des Adels, die sich in der Praxis als immer schwerfälliger erwiesen hatten. Neu war damals der Besitz von Waren, was bedeutete, dass alles nach Gutdünken ge- und verkauft werden konnte, materielle Güter, Fabriken und Land mit eingeschlossen. Es ist auch heute noch so, dass wir, wenn wir an Eigentum denken, als erstes an die unglaublich große Auswahl an materiellen Gütern denken werden, die ein Mensch heute besitzen kann. Dementsprechend sollte alles Eigentum einen gewissen genau bestimmbaren Marktwert besitzen, weil es doch klar ist, dass etwas, was man besitzen kann, auch für irgendeinen Preis wieder verkauft werden kann. So natürlich uns das heute erscheinen mag, vor einigen Jahrhunderten, in der Blütezeit des westeuropäischen Feudalismus, war dem nicht so.

Die ganz, ganz alten Sitten machen den alten Sitten Platz

An diesem Höhepunkt (oder sollte ich besser sagen: Tiefpunkt?) des Feudalismus, konnten nicht viele der von den Menschen begehrten Dinge überhaupt verkauft werden oder hätten überhaupt einen Markt vorgefunden, wenn sie zum Verkauf gestanden hätten. Land, Burgen, Kirchen, Schuppen und deren gewöhnliche Einrichtungen und die meisten hausgemachten Nahrungsmittel, Adelstitel, Lehenstreue, die auf dem Grund ihres Herrn siedelnden Bauern, waren alle in gewissem Sinne Eigentum, mit dem nicht gehandelt wurde, sondern das an die nächsten Generationen weitergegeben werden sollte. Noch wichtiger waren die Rechte des Adels, wie das Recht auf die Dienste eines Lehnspflichtigen oder geringeren Adeligen und das Recht, eine Person und ihre Nachkommen in den abhängigen Adelsstand zu erheben.

Eigentumsrechte gründeten sich nicht so sehr auf Besitztum als vielmehr auf das Geblüt. Privilegien, die jemandem ausschließlich aufgrund seiner Abstammung zukamen. Auf was es ankam, waren nicht die Besitztümer, sondern die Privilegien, auf die man Anrecht hatte und die man auf seine Untergebenen und deren Nachkommen übertragen konnte. Diebstahl war damals nicht so besorgniserregend wie Ehebruch, das Zeugen unehelicher Kinder oder Niederlage und im Kampf erlittene Schmach.

Solange die feudale Ordnung weitverbreitet war und sicher im Sattel saß, schuf ihr Erfolg gerade jene friedlichen Umstände, die den Händlern ihren langsamen Aufstieg ermöglichten. Obwohl die Schutzherrschaft durch die Adligen für die meisten Händler und Warenproduzenten zu Beginn unverzichtbar war, wurde sie langsam immer mehr zum Hindernis. Die Adligen waren von ihrer Ausbildung her nicht besonders gut dazu geeignet, unter den neuen Umständen wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen, also versuchten sie, durch die Anwendung ihrer alten Privilegien neuen Reichtum zu erhaschen: Durch die Erhebung von Steuern, Zöllen und allerlei anderer Dinge, die sie sich ausdachten. Das fühlte sich bald wie ein totes Gewicht an, was den Adligen wiederum den Volkszorn zuzog.

Das göttliche Urheberrecht

Eigenartigerweise entstand das, was wir heute als geistiges Eigentum bezeichnen, während derselben Vorgänge. Wir neigen dazu, das Copyright als Grundlage eines gerechten Umgangs mit Autoren, Musikern und anderen Künstlern zu sehen: Sie sollen über ihre Schöpfungen bestimmen können. Tatsächlich wurde das Copyright in einer frühmodernen Zeit in den Rechtskanon eingeführt, als der Feudalismus noch mächtig war - inklusive der Idee, dass die Macht der Könige direkt von Gott abgeleitet sei. Weil sie allmächtig waren und eigentlich alles besaßen, konnten die Könige nach dem Feudalsystem einige ihrer unerschöpflichen Rechte (oder eher: Privilegien) an beliebige Untertanen verleihen. Sie konnten Land, Adelstitel und staatlich garantierte Monopole auf beliebigen Gebieten des Handels verleihen und die Staatsmacht als Vertreterin des Alleinherrschers würde da sein, um diese Rechte durchzusetzen.

Wie der Historiker Adrian Johns in seinem umfangreichen Werk "The Nature of the Book" ("Das Wesen des Buches" d. Übers.) aufzeigt, war das Copyright zuallererst von englischen Monarchen im 17. Jahrhundert eingeführt worden, kurz nachdem die Buchdruckerei sich als Geschäftszweig zu etablieren begonnen hatte. Es gehörte nicht den Autoren, sondern bestimmten Druckermeistern oder Buchhändlern, die damit das Recht erwarben, gewisse Werke durch ihre Gilde, die Buchdruckerzunft, drucken zu lassen. Der letzteren hatte der König die ausschließlichen Rechte auf private Herstellung von Druckwerken sowie auf den Verkauf von Büchern übertragen. Das Copyright leitete sich aus diesem Recht ab. Es ging auch Hand in Hand mit einer anderen Möglichkeit königlicher Machtausübung: der Zensur. Mit nicht lizenzierten Ausgaben waren sowohl "raubkopierte" als auch jene Bücher gemeint, die von den königlichen Zensoren verboten worden waren, damit dieselben staatlichen Stellen beide Arten der Rechtsverletzung würden verfolgen können.

Das Copyright begann also als eine Form der Machtausübung des starken Staates. Es ist ein Überbleibsel aus der Zeit des Feudalismus, die von Apologeten des freien Marktes gemeinhin als hassenswert angesehen wird. Sogar in seiner modernen Form kann geistiges Eigentum nur durch die Macht und das Eingriffspotential des Staates gesichert werden. Nur in einer Situation wie der gegenwärtigen, in der eine einzelne Supermacht die Welt beherrscht, kann das geistige Eigentum wirklich auch außerhalb der Grenzen dieses Staates geltend gemacht werden, da der Staat in jedem Fall das Recht darauf durchsetzen wird.

Ein Hinweis darauf, dass Urheberrechte - ebenso wie Patente und Geschäftsgeheimnisse - in einer Welt der freien Handelswaren eher wie ein von einem feudalen Staat verliehenes Privileg anmuten, als etwas normales und natürliches, ist die Willkürlichkeit ihrer Gültigkeitsdauer. Urheberrechte sind nun für die Lebenszeit des Autoren plus 75 Jahre gültig, während Patente nur 20 Jahre lange bestehen bleiben. Warum ausgerechnet diese Zeitspannen? Würde es logischer erscheinen, wenn man die Zeitspannen doppelt oder halb so lang bemessen würde? Oder wenn man das Urheberrecht für eine Ewigkeit gültig machen oder, im Gegenteil, die Zeitspanne auf Null reduzieren würde? Beide augenblicklich gültigen Zeitspannen sind vom Gesetzgeber festgelegt worden, der ja der Nachfolger der Könige ist. In dieser Logik unterscheidet sich das Urheberrecht ziemlich stark vom gewöhnlichen Eigentumsrecht, das der Ideologie des freien Marktes unterworfen ist. Nach dieser Ideologie kann man mit den Dingen, die man kauft oder herstellt, machen, was man will. Man kann sie so lange behalten, wie man dazu Lust hat, oder man kann sie - natürlich unter Abzug von Vermögenssteuern - bis in alle Ewigkeit weitervererben.

Das geistige Eigentum ist nicht nur Zeitbeschränkungen unterworfen, sondern es ist gegenüber den normalen Eigentumsrechten auch stark beschnitten. Wenn man einen Stuhl oder eine Tomate kauft, dann kann man diese Dinge aus allen möglichen Perspektiven fotografieren und dann alles mögliche mit den Fotos anstellen. Wenn man aber ein Buch kauft, dann verbietet das Urheberrecht, dass man dessen Seiten fotografiert oder fotokopiert und mit diesen Kopien dann macht, was man will. Dieser logische Bruch mit den ansonsten gültigen Handelsgesetzen zeigt ein weiteres Mal den anachronistischen Charakter des geistigen Eigentums als einer aus feudalen Zeiten übriggebliebenen Beschränkung auf.

Was ist mit jenen, die so argumentieren, als ob das Copyright von einem unveräußerlichen "Naturrecht" des Künstlers auf Kontrolle über die Zukunft seiner Werke abgeleitet sei? Nach dieser Logik sollte man in der Lage sein zu verhindern, dass eine Geschichte, die man geschrieben hat und über deren Urheberrecht man verfügt, in Begleitung von Illustrationen erscheint, die nicht zu der Geschichte passen.

Tatsächlich respektieren nur wenige Buch- und Musikverlage diesen Gedanken, und wenn dieses Recht tatsächlich existieren würde, dann würde es nicht zu den Realitäten des freien Marktes passen. Warum sollte es nur anerkannten Künstlern zugesprochen werden und nicht auf alle Güter ausgedehnt werden? Und wer erkennt die Künstler an? Offensichtlich nur der Staat. Wenn ich in einer Fabrik arbeite, die Löffel herstellt, warum sollten die Löffel nicht nur für jene Zwecke verwendet werden, die ich für angemessen halte? Oder, wenn ich ein Bauer bin, warum sollte ich nicht in der Lage sein, zu kontrollieren, wer die Nahrungsmittel verzehrt, die ich herstelle und auf was die Menschen die Energien verwenden, die sie aus meinen Produkten beziehen? Wenn ich, beispielsweise, ein pazifistischer Bauer wäre, sollte es mir dann nicht erlaubt sein, zu verbieten, dass meine Nahrungsmittel zur Ernährung von Soldaten verwendet würden? Oder falls ich ein Schwulenhasser wäre, sollte ich nicht verbieten dürfen, dass Homosexuelle meine Nahrungsmittel verbrauchen?

Wie diese Beispiele zeigen, ist die Idee, dass die Hersteller irgendwelcher Güter den Konsumenten ihren Willen aufzwingen könnten, mit den grundlegenden Funktionsweisen der Märkte unvereinbar. Und darüber hinaus mit dem Grundsatz, dass eine Ware nach ihrem Erwerb das Privateigentum des Käufers wird und dieser damit in seiner Privatsphäre machen kann, was er will. Es ist nicht überraschend, dass kein einziger moderner kapitalistischer Staat jemals solche Gesetze zum vollkommenen Schutz seiner Künstler erlassen hat. Während solcherlei Ideen mit dem Urheberrecht übereinzustimmen scheinen, das immer noch aus den Tagen des Feudalismus in unsere Zeit hinüberragt, wäre es wohl eher richtig, die Ehrung des Künstlers als ein Echo aus der Zukunft einer ausgewachsenen Aufmerksamkeitsökonomie zu betrachten, da sie, wie ich noch darlegen werde, eine Auffassung ist, die mit der Verehrung einhergeht, die die Fans ihren Stars entgegenbringen.

Eine Zeit der Materie

Nur 100 Tage vor dem Fall der Bastille im Jahr 1789, trat die Verfassung der Vereinigten Staaten in Kraft. Ein Dokument, das in seinem Streben nach Modernität mutig und ausdrücklich das Tragen von Adelstiteln verbot. Der spätere Erfolg der USA sprach dann sehr dafür, dass man auf Formen der Adelsherrschaft von nun an verzichten konnte. Trotzdem übertrug das Dokument dem Kongress viele der früher gottgegebenen königlichen Privilegien. Eines dieser Privilegien findet man in Artikel II, Paragraph 8, in dem viele der Befugnisse des Kongresses aufgezählt werden.

Paragraph 8, der gleich auf einen Paragraphen folgt, der die Einrichtung von Postämtern erlaubt, überträgt dem Kongress das Recht "den wissenschaftlichen Fortschritt und die nützlichen Künste zu fördern, indem Autoren und Erfindern die ausschließlichen Rechte an ihren jeweiligen Schriften und Entdeckungen gesichert werden." Diese Formulierung zeigt, dass das geistige Eigentum ein Hoheitsrecht des Staates bleibt, das im Rahmen der Staatsraison ausgeübt wird - in diesem Fall, um den "Fortschritt" zu fördern. Nichts weist hier auf ein Recht des Künstlers auf Kontrolle über das zukünftige Schicksal seiner Arbeiten hin.

Dieser Abschnitt der US-Verfassung musste in den größeren Kontext dieses Dokuments passen, das wie kein anderes bei der Propagierung des neuen Konzepts der Eigentumsrechte auf Handelsgüter half, es zu seiner Sache machte und die Welt für den Handel so frei wie möglich machen sollte. Diese Güter wurden natürlich zunächst hauptsächlich in Werkstätten und etwas später in Fabriken hergestellt. Fabriken, die an Größe und Komplexität zunehmen, aber immer noch für lange Zeit hauptsächlich standardisierte und materiell vorhandene Dinge herstellen sollten.

Die Urheberrechtsgesetzgebung passte zu den damaligen Umständen, weil sie nur punktuell auf die materielle Produktion von Werkstätten und Fabriken angewendet worden ist. Als das Urheberrecht zum ersten Mal eingeführt worden ist, und auch noch für lange Zeit danach, umfasste beispielsweise die Herstellung eines Buches dessen arbeitsintensiven Neusatz, eine gewaltige Arbeit, die man schlecht verstecken konnte. Diese Arbeit hinterließ Spuren in den fertigen Produkten, raubkopierte Bücher waren nun einmal materiell vorhandene Gegenstände.

Während die Aufrechterhaltung der Rechte am geistigen Eigentum als solche schwierig war, so war diese Aufgabe zu jener Zeit noch bis zu einem gewissen Grad einfach zu lösen, weil man dazu nur wissen musste, was gerade am Markt zum Verkauf angeboten wurde. Die Ursprünge der meisten solcher Produkte, sogar jener aus Schwarzarbeit, waren meistens nicht schwierig herauszufinden. Die Druckerei oder die Fabrik, die raubkopierte Produkte herstellte, war leicht zu ermitteln. Wenn nicht durch die Bücher in ihrem eigenen Lager, dann doch dadurch, indem man die Eigenarten der in der Raubkopie verwendeten Bleilettern mit denen der Buchstaben im Setzkasten der verdächtigten Druckerei verglich.

Gedankenkontrolle

Aber eine bloße Überwachung von Gegenständen auf dem Markt hat wenig damit zu tun, was man sich momentan unter den besonderen Eigenschaften des geistigen Eigentums vorstellt. Markenzeichen, Patente und Copyrights gelten als eine Form geistigen Eigentums, weil die Gesetze, die sie durchsetzen sollen, letzten Endes Ideen, Gedanken und andere geistige Schöpfungen schützen sollen. Deshalb gilt es als eine Verletzung des Copyrights, eine Audio-Kassette mit der Vertonung eines Romans ohne Lizenz herauszugeben, obwohl die Kassette keinerlei Ähnlichkeit mit der Erscheinungsform des gedruckten Romans aufweist. Aus diesem Grund hat auch die Technologie, die mit den Kassettenrecordern und den einfach zu bedienenden Fotokopierern zu Beginn der 1970er Jahre aufgekommen ist, das Kopieren immer weniger offensichtlich als Diebstahl erscheinen lassen. Nur deshalb, weil es nun so schwierig zu überwachen und zu kontrollieren war wie herkömmliche Güter. Damit das Copyright und die mit ihm verwandten Rechte auch noch in Zukunft durchsetzbar sind, legt man in der gegenwärtigen technologischen Entwicklung großen Wert auf den Schutz von Ideen oder geistigen Schöpfungen und Erfahrungen.

Wo existieren Ideen als solche eigentlich wirklich? Eine CD in ihrer Verpackung, ein Buch im Regal oder sogar eine Website können nur dann nützlich sein, können nur dann zu Ideen oder Musikerfahrungen werden, wenn der Geist eines Hörers oder eines Lesers daran beteiligt ist. Ideen können letzten Endes nur in Gehirnen existieren und Urheberrechtsgesetze, die dem Eigentum von Ideen einen Sinn geben sollen, implizieren logischerweise, dass ihre Durchsetzung in genau diesen Gehirnen erfolgen muss.

Man stelle sich den technologischen Extremfall vor, dass es möglich sein könnte, Menschen kleine Implantate ins Hirn zu pflanzen, mit denen sie an einander voll ausgearbeitete Ideen oder Musikstücke oder Bilder übertragen können, ohne, wie in manchen Science-Fiction-Geschichten bereits beschrieben, überhaupt noch auf sichtbare äußerliche Gerätschaften zurückgreifen zu müssen. Es wäre beinahe Telepathie. Während das niemals in vollem Umfang stattfinden mag, so bewegen sich die Entwicklungen der Technologien von heute ganz deutlich immer näher auf dieses endgültige Ziel zu.

Wie wir sehen, wäre die einzige Möglichkeit, Urheberrechte wirklich durchzusetzen, totale Gedankenkontrolle auszuüben. Jemand würde nachzusehen haben, was sich in den einzelnen Gehirnen befindet und feststellen müssen, ob die Gedanken auf legale Weise dorthin gelangt sind, wo sie sich jetzt befinden. Das hört sich zugegebenermaßen ziemlich unmöglich an, stellt aber auch - von heutigem Standpunkt aus - einen inakzeptablen Eingriff dar. Abgesehen davon würde ein solcher Eingriff in die Persönlichkeitsrechte die Grundlagen des Marktsystems unterminieren.

Wenn man dieses System richtig versteht, dann kann ein potentieller Käufer für sich selbst entscheiden, wieviel er für eine von ihm begehrte Ware ausgeben will, ohne es dem Verkäufer verraten zu müssen. Eine solche Rechnung kann nicht aufgehen, wenn der Käufer für den Verkäufer oder für den Staat, der die Rechte des Verkäufers durchzusetzen bereit ist, durchschaubar ist. Also wird die Durchsetzung der Rechte auf geistiges Eigentum letzten Endes selbstzerstörerisch und absurd werden. Diese Art von Besitztum kann nicht länger andauern.

Die Aufmerksamkeitsökonomie

Trotzdem gibt es eine andere Ansicht, aus der heraus jemand mit Recht behaupten kann, dass der Inhalt eines Bewusstseins - sagen wir einmal, von Ihrem - jemand anderem gehört als Ihnen selbst. Nehmen wir einmal die Ideen und Gedanken, die ich gerade ausgeführt habe und die Tatsache, dass Sie diese Gedanken aufgenommen haben und sich mit ihnen beschäftigen. Wenn Sie auch nur versucht haben, diese Ideen aufzunehmen, sei es auch nur, um sie schließlich zurückweisen zu können, dann haben Sie mir Aufmerksamkeit geschenkt und in gewissem Ausmaß "gehört" mir damit der Teil Ihres Bewusstseins, der diese Gedanken ausführt. Wenn diese auf Sie Eindruck machen, dann mache auch ich auf Sie Eindruck und die Tatsache, dass diese Gedanken von mir gekommen sind, wird ihre Bereitschaft, mir zuzuhören, beeinflussen und vielleicht erhöhen. Sie werden in Zukunft an mich denken oder mir sogar einen Gefallen tun. Das bedeutet, dass Sie darauf ausgerichtet sind, mir noch mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Wie ich schon in anderen Texten detailliert dargelegt habe, ist die Aufmerksamkeit anderer Menschen die knappste Ressource in den fortschrittlichen Ländern. Und je knapper sie wird, desto stärker ist das Leben darum organisiert, Aufmerksamkeit entweder zu erhalten oder zu spenden. Aufmerksamkeit zu haben entspricht Reichtum, wenngleich dieser Reichtum sich nicht im Besitz einer Person oder einer Bank befindet, sondern über viele Gehirne verteilt ist. Aufmerksamkeit ist mit Reichtum zu vergleichen, da sie alle möglichen Bedürfnisse befriedigen kann. Um es nochmals zu wiederholen: Wir können all jene, die viel Aufmerksamkeit haben, als Stars bezeichnen und jene, die dazu tendieren, mehr Aufmerksamkeit zu schenken, Fans nennen, egal um welche Form des Aufmerksamkeitserwerbs es sich handelt. Zusammengefasst ist das die Klassenstruktur dieser neuen Ökonomie.

Fans können auf alle möglichen Arten reagieren, aber insgesamt lieben sie die Stars, deren Werke sie lesen, ansehen oder anhören oder auf andere Art Aufmerksamkeit schenken, und sie würden für sie vielleicht nicht alles tun, aber doch eine ganze Menge. Einer der offensichtlichsten Dienste, die Fans ihren Künstlern erweisen ist, dass sie Mund-zu-Mund-Propaganda betreiben, indem sie beispielsweise ihre Lieblingsplatten ihren Freunden und Bekannten vorspielen, ihnen Bücher leihen, sie zu Ausstellungen ihrer Lieblingskünstler mitnehmen und natürlich heute auch darauf drängen, diese oder jene Website anzusteuern.

All das findet statt, ohne dass Geld den Besitzer wechselt. Trotzdem legen die erfolgreichen Künstler, die Stars, ein mächtiges Reservoir an Aufmerksamkeit an - Aufmerksamkeit, die im Bewusstsein ihres weltweiten Fankreises gespeichert ist. Das ist das wirkliche und andauernde Vermögen der Stars, ein Vermögen, das, wenn es gut gepflegt wird, niemals aufhören wird, Dividenden zu zahlen und das sich nicht auf Gerichte und Gesetze verlassen muss, um sich durchzusetzen. Identitätsdiebstahl oder Plagiate sind Methoden, mit denen Aufmerksamkeit "gestohlen" werden kann, aber sogar diese könnten möglicherweise allein mit guter Öffentlichkeitsarbeit bekämpft werden.

Gerade weil wir den Stars soviel Aufmerksamkeit schenken, sorgen wir uns darum, dass sie nicht gerecht entlohnt werden könnten und dass sie das Recht auf eine Kontrolle über ihre Schöpfungen haben können. Wir sind fehlgeleitet und scheinen oft zu denken, dass man diese Sorgen mit Hilfe der Urheberrechtsgesetze aufheben kann. Dabei ist es unsere bloße Aufmerksamkeit, die den Stars ihre wahre Stärke und Sicherheit verleiht und unsere besten Möglichkeiten, ihnen dazu zu verhelfen, stehen oft in Konflikt mit den Urheberrechtsgesetzen.

Die Grenzen des Kapitalismus

Wie beim Erfolg des Feudalismus, der dem Handel den Weg bereitet hat, welcher dann zum Sturz des ebendieses Feudalismus geführt hat, war es nichts anderes als der überwältigende Erfolg des Kapitalismus, der zur Produktion von großen Mengen an materiellen Gütern führte, was wiederum das Feld für den derzeitigen Konflikt vorbereiten half. Zunächst sind wichtige materielle Güter wenigstens in den Industrienationen nicht mehr knapp, also werden wir zunehmend von dem beherrscht, was wirklich sowohl notwendig als auch knapp ist, nämlich die Aufmerksamkeit. Also wird eine neue Ökonomie unvermeidbar an Wichtigkeit zunehmen.

Zweitens können kapitalistische Konzerne nicht mehr länger allein dadurch überleben, indem sie einfach nur Güter herstellen. Wenn es heute tatsächlich einen freien Markt gäbe und wenn man sich unter Eigentum hauptsächlich materielle Besitztümer vorzustellen hätte, dann wäre es mittlerweile kaum mehr möglich, sich noch Gewinne zu sichern. Es ist so einfach, die meisten aus jener endlosen Zahl von Gegenständen zu kopieren, die heutzutage hergestellt werden, dass im Fall fast aller Güterproduktion der Konkurrenzkampf so brutal geführt werden würde, dass die Ausgaben längst nicht mehr durch die Einkünfte gedeckt werden könnten. Es wäre für die großen Konzerne genauso schwierig, in den schwarzen Zahlen zu bleiben, wie es heute für den durchschnittlichen amerikanischen Bauern ist, der sich ständig an der Schwelle zum Bankrott befindet.

Trotzdem ist die Welt voll von riesigen, hierarchisch organisierten Großkonzernen. Was treibt diese Kolosse an? Was sichert ihren Profit? In großem Ausmaß stützt sich ihr Erfolg darauf, dass sie das Konzept des Eigentums vertreten und durchsetzen, das vor kaum zwei Jahrhunderten noch unwichtig gewesen ist. Die Idee, an der sie vorgeben festzuhalten und an die sie manchmal vielleicht auch glauben, ist genau die alte: Besitztum zählt. Kein anderes als geistiges Besitztum. Das umfasst Patente, Geschmacksmuster, Warenzeichen, Geschäftsgeheimnisse und, last but not least, das Copyright. Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass der Kapitalismus ohne die Wirkung dieser Gesetze schon längst zusammengebrochen oder zumindest auf wesentlich stärkere Unterstützung von Seiten des Staates angewiesen wäre.

Die Durchsetzung des Urheberrechts unterstützt den Kapitalismus auf besonders einfache Art. Es verhindert echten Wettbewerb, schafft staatlich sanktionierte Monopole für Markenwaren, neue Gerätschaften, Software, Medikamente, Designer-Kleidung, Turnschuhe, Fastfood-Ketten und viele andere Dienstleistungen und, natürlich, fast alle Texte, Filme, Bilder und Musik, die den ganz besonderen Schutz des Urheberrechts genießen.

Zusammengenommen umfassen diese Kategorien die überwältigende Mehrheit an persönlichem und geschäftlichem Verbrauch. Wenn Produkte und Dienstleistungen nicht neu gestaltet oder nicht offensichtlich von einem anerkannten Künstler oder Autoren stammen, dann werden sie meistens aufgrund von Werbung gekauft. Aber die Werbung selbst ist von der Aufmerksamkeit abhängig, die von der Medienumgebung, innerhalb derer sie stattfindet, auf sie überstrahlt und ist somit von den Stars abhängig, von den Unterhaltern, Publizisten, Journalisten oder Sportlern, die Aufmerksamkeit auf sich und somit auf die Medien ziehen.

Weiterhin muss die Werbung selbst Aufmerksamkeit gewinnen, und zwar durch andere Mittel als durch die bloßen Markennamen, die sie herausstellen soll. In anderen Worten: Unternehmen sind heute nur erfolgreich, weil sie die Beschränkungen des Urheberrechts nutzen, um die Aufmerksamkeit zu kanalisieren, die ursprünglich von Erfindern, Gestaltern, Redakteuren und anderen schöpferischen Menschen eingefangen worden ist. Die Unternehmen nutzen dann diese kanalisierte Aufmerksamkeit, um die von ihr in Bewegung gesetzten Geldmengen durch ihre eigenen Kassen zu schleusen. Käufer sind im Grunde genommen Fans, die von Stars fasziniert sind, die daran gehindert werden, von ihrem Aufmerksamkeitswert direkt zu profitieren und die unter dem Stiefelabsatz der Großkonzerne vegetieren.

Trotz seiner anscheinenden Stärke sieht sich der Kapitalismus zunehmend bedrängt. Die Gesetze rund um das geistige Eigentum sind unabdingbar für das Geschäft, nicht für die Künstler. Schon wird ihre Durchsetzung immer schwieriger. Während neue Technologien, die die Aufmerksamkeitsgewinnung erleichtern, an Boden gewinnen, werden das Schenken und Gewinnen von Aufmerksamkeit in der New Economy zunehmend wichtiger werden und den Druck auf die Old Economy weiter erhöhen.

Wie die Adligen im feudalen Frankreich werden die Konzernbosse ihre Macht nicht kampflos aufgeben oder gar erkennen, dass sie nicht mehr gebraucht werden. Daher die Kämpfe um Napster. Wir sollten uns nun die Musikindustrie näher ansehen, um die Bedingungen genauer betrachten zu können, unter denen diese Kämpfe stattfinden.

"Werkaufträge" und mehr

Die Verfassung der Vereinigten Staaten bot den Autoren Schutz, wie wir bereits sahen. Durch eine Begriffserweiterung sind mit "Autoren" nun auch Komponisten, Sänger und Musiker gemeint. Aber im 20. Jahrhundert besaßen solche kreativen Köpfe nur selten das Copyright auf ihre Arbeiten, weil sie, um ihre Platten hergestellt, beworben und vertrieben zu bekommen, die Rechte an Plattenfirmen verkaufen mussten. Heute bestehen die Plattenfirmen darauf, dass Musikaufnahmen "Werkverträge" sind, eine besondere Kategorie, die einschließt, dass die Musiker auf gar keinen Fall ihre Rechte jemals wieder zurückbekommen können. Typischerweise verlangen die Plattenfirmen auch gleich, dass Verträge über mehrere Platten unterzeichnet werden. Da die Plattenfirmen versuchen, die Musiker noch unter Vertrag zu nehmen, solange sie jung und unerfahren sind, haben sie nur selten Schwierigkeiten damit, diese Knebelverträge unterzeichnet zu bekommen. Danach kontrollieren diese Firmen umsichtig alle weiteren Plattenerscheinungen und kalkulieren für ihre eigenen Profite, nicht für die der Musiker. Dadurch, dass sie nur selten Alben erscheinen lassen, können sie verhindern, dass die Musiker irgendwann aus dem Vertrag über mehrere Platten herauskommen.

Trotzdem kann ein kleiner Teil von Musikern ansehnliche Vermögen anhäufen. Die größten Gewinne kommen normalerweise von Konzertauftritten, besonders vom Verkauf von Eintrittskarten, T-Shirts und anderen Artikeln für diejenigen unter ihren Fans, die hingebungsvoll genug sind, zum Konzert zu kommen. Die Platten selbst schaffen nur am Anfang einen Aufmerksamkeitsschub.

Aber natürlich spielen die meisten Musiker aus anderen Gründen als dem bloßen Geldverdienen. Diese Gründe müssen für sie überwältigend wichtig sein, da die meisten Musiker, wie andere Künstler und Schriftsteller, nur eine winzige Chance haben, auch nur ihren Lebensunterhalt dadurch zu verdienen. Da gibt es natürlich die reine Liebe zur Musik und dann gibt es da auch den Wunsch, angehört zu werden, ein Publikum zu haben und eine Art direkte Verbindung zum Publikum zu haben - in einem Wort: Aufmerksamkeit. Wenn es denn möglich wäre, sich ein Publikum ohne den Umweg über die Plattenfirmen zu schaffen und noch dazu ohne dass auch nur ein Pfennig Geld den Besitzer wechselt, dann würden viele Musiker und andere Künstler immer noch Lust haben weiterzumachen. Sogar aus volkswirtschaftlicher Sicht würde das alles andere als dumm sein, weil sie im Sinne der neuen Aufmerksamkeitsökonomie riesige Vermögen ansammeln würden.

Die Liebe der Fans zu ihren Stars ist nun bestimmt nichts Neues. Relativ neu ist dagegen die riesige Größe des Publikums, die nun Milliarden umfasst. Neu ist auch die Möglichkeit für einen Superstar, sich ziemlich direkt an sein Publikum zu wenden und es danach zu fragen, was es haben will. Wir sind noch nicht ganz am Ziel, aber wir sind sehr nahe an dem Punkt, an dem ein Star endlich nicht einmal mehr ein Bankkonto benötigt, um sehr gut leben zu können. Er braucht nichts weiter als die Aufmerksamkeit der Fans und die Fans können ihre Aufmerksamkeit dem Star dadurch erweisen, dass sie ihm alle seine Wünsche erfüllen. Bestimmt könnte heute ein ausreichend bekannter Star das Internet dazu benutzen, seine Fans nach Geld zu fragen, um, sagen wir, ein neues Haus zu kaufen, und würde es sofort kriegen.

Ein neues Lied

So groß die Plattenfirmen auch sein mögen, Musik erwirtschaftet vielleicht gerade einmal ein Prozent des Bruttosozialprodukts der Erde - eine Einheit der Old Economy. Aber hinsichtlich der Aufmerksamkeit erzielt die Musik bestimmt einen wesentlich größeren Anteil: Viele von uns hören täglich viel Musik. Anstatt die Musiker zu beschützen, verweigern das alte Copyright-System und die alten Abrechnungsmethoden den Musikern ihre wirtschaftliche Macht.

Für einen durchschnittlichen Musiker ist es ein großer, wenn auch verständlicher Fehler, an der Seite der Plattenfirmen gegen Napster und andere Innovationen vorzugehen, die der New Economy in den Sattel helfen können. Weil diese Erfindungen die Musik zugänglicher machen, würden sie auch den Anteil an Aufmerksamkeit erhöhen und damit den Kapitalfluss in Richtung der Musiker verstärken.

Um es anders zu sagen: Musiker, Filmschauspieler, Computerspiele-Programmierer, Schriftsteller und andere Hersteller von Aufmerksamkeit erhaschenden Produkten, werden vom gegenwärtigen System betrogen. Sogar diejenigen, die reich an Geld sind, werden noch viel zu kurz gehalten. Anstatt das Copyright zu brauchen, leiden sie darunter, wie das gegenwärtige System ihre Macht an die Konzerne und ihre Bosse durchreicht.

Bald könnten die neuen Technologien die Dienstleistungen der Plattenfirmen und -vertriebe, sowie der Radiosender überflüssig machen. Die Stars werden ohne sie ihre Werke an eine große Öffentlichkeit verbreiten können. Natürlich werden neue Verfahren eingeführt werden müssen, damit die Künstler von dieser neuen Situation profitieren können. Einige dieser neuen Verfahren existieren bereits. Schon heute könnte jeder bekannte Künstler seinen Fans erlauben, Stücke kostenlos von seiner Website herunterzuladen und es würde ihm dabei sehr gut gehen. Er könnte von dem Geld leben, das er mit Konzerten macht. Und all die neuen Fans, die er durch die Freigabe seiner Musikfiles im Internet anwerben würde, würden die Einkünfte von den Konzerten erhöhen.

Alternativ dazu könnte ein Musiker oder eine Gruppe Eintritt für ein Konzert im Internet verlangen, das zu einer bestimmten Zeit ablaufen würde. Alle ihre echten Fans auf der ganzen Welt würden sich das Konzert genau zu dieser Zeit ansehen wollen, nur um sie "live aus dem Internet" zu hören. Und sie würden gerne dafür bezahlen. Es ist auch nicht allzu schwer, sich eine Technologie vorzustellen, die es den Musikern erlauben würde, ihre Fans zu sehen und zu hören, während sie spielen und die Fans untereinander Kontakt aufnehmen zu lassen - ganz wie bei einem Offline-Konzert.

Eine weitere Möglichkeit wäre, Alben und Tracks über das Netz zu veröffentlichen und die Fans einfach zu fragen, ob ihnen danach ist, dafür zu bezahlen. Der Schriftsteller Stephen King, ein berühmter Verfasser von Horror-Romanen, hat neulich mit der Veröffentlichung eines neuen Werks im Web begonnen, wobei er sagte, dass er nur dann an dem zweiten Teil weiterschreiben würde, wenn 75% der Leser einen Dollar für jedes der von ihnen abgerufenen Kapitel bezahlen würden. Manche seiner Fans fragten über seine Website nach, ob sie nicht mehr bezahlen dürften, damit sie sichergehen konnten, dass das ganze Buch veröffentlicht werden würde, auch wenn die gewünschte Prozentzahl an zahlenden Lesern nicht erreicht werden würde. Es stellte sich heraus, dass weit mehr als 75% der Leser bezahlt hatten.

Musiker könnten offensichtlich jedes dieser Modelle übernehmen. Sie könnten ihre Fans dazu aufrufen, eine bestimmte Menge an Geld zu überweisen, bevor sie mehr von ihren Songs freigeben. Oder sie könnten einfach eine bestimmte Summe verlangen und die Fans wissen lassen, wieviel mehr sie noch brauchen würden. Zurückhaltendere Künstler könnten sich auf Fanclubs verlassen, die Sites für sie erstellen und sich um sie kümmern. Eine endlose Menge anderer Vorgehensweisen würde noch funktionieren - und das alles ohne jede Verbindung zu irgendeinem Großkonzern.

Wenn sie nur wüssten ...

Wieviele Künstler all das wirklich verstehen, ist unklar. Viele sorgen sich um die Verluste bei den Verkäufen. Aber viele diese Verluste wären so und so aufgetreten und die Künstler hätten nur minimale Summen aus den Verkäufen erhalten, wenn man ihre Einkünfte mit denen der Plattenfirmen vergleicht. Wie die frühen Kapitalisten, die unter dem Schutz eines Adligen begonnen hatten, fühlen sich diese Künstler von ihren Plattenfirmen und vom Urheberrecht abhängig und somit können sie nicht sehen, wie sie ohne sie zurechtkommen könnten. Aber das Publikum wird sich schon um sie kümmern.

Ich muss hinzufügen, dass es den meisten Musikern besser gehen wird als jetzt. Einigen wird es bestimmt schlechter gehen, genau wie einigen Händlern, die versagten, als ihre adligen Schutzherren guillotiniert wurden. Dasselbe wird auch auf alle anderen Arten von Aufmerksamkeitsattraktoren gelten. Und auch nicht allen Fans wird es besser gehen, obwohl ich vermute, dass die Mehrheit der Fans besser dran sein wird, weil die Konzerne nicht mehr Aufmerksamkeit aufsaugen, die anderweitig besser verwendet worden wäre.

Das zunehmend komplexe Gebäude des Urheberrechts und seiner Durchsetzungsmöglichkeiten hat schon zu wackeln begonnen. Jeder, und ganz besonders die Künstler, können froh sein, wenn es endlich zusammenbricht. Natürlich sollten wir nach Möglichkeiten suchen, jenen zu helfen, denen es wirklich schlecht gehen wird, wenn das passiert und sicherstellen, dass die Künste und andere Arten der Innovation wirklich gefördert werden, während die Veränderung stattfindet.

In der Zwischenzeit sollten wir erwarten, dass der Kampf um das geistige Eigentum sich verschärfen wird, bevor er endet. Die "Inhalteanbieter" wie die Plattenfirmen werden versuchen, sich die Internet-Infrastruktur zu sichern, sie werden die Welt mit Propaganda überfluten, sie werden nach neuen Arten des Polizeischutzes schreien, um das zu verhindern, was in ihren Augen Diebstahl ist. Und sie werden noch vieles mehr tun. Gerade jetzt jedoch sieht es so aus, dass die Flut der Geschichte sie hinwegspülen wird.

Übersetzung aus dem Englischen von Günter Hack [0]

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