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Matthias Borgmann 
Heartbreak Hotel

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ALLTAG
»A 4. Ein Zugang!« - Zum ersten Mal in Untersuchungshaft

Raustreten. Nehmen Sie Ihre Sachen mit.« Meine Sachen? Ach so, die Zahnbürste, den Kuli, einen Briefumschlag. »Kommen Sie mit. Gehen Sie bis zur Linie vor.« Ich komme mit. An der Linie steht schon eine Gruppe. Der Fang der vergangenen Nacht. Dann erst mal Wartezelle.

Eingangsuntersuchung. Zwei Vierschrötige mit weißen Hosen. »Ausziehen.« Hemd, Hose, Socken. Ich gucke fragend. »Auch den Schlüpfer« outet er sich als Damenwäscheträger: Größe, Gewicht. »Umdrehen. Backen auseinander.« Die Würde des Menschen ist ertastbar. Merkmale: keine. Befund: rüstig.

Wartezelle. Abmarsch Hauskammer. Wartezelle. Ich nehme erste Blickkontakte auf. Man wird einzeln aufgerufen. Am Schreibtisch ein Beamter. Vor ihm meine Tasche. Dann wollen wir mal sehen. Gürtel, Schnürsenkel, Uhr bekomme ich zurück. Zwei Bücher und das Aftershave werden zur Habe genommen. Zur Habe nehmen ist wegnehmen ohne Enteignung. Ich bekomme: Ein Kissen, zwei Wolldecken, Bettzeug, vier Handtücher, einen großen Teller, einen tiefen Teller, einen Becher, ein Schälchen, Besteck, ein Stück Seife, Zahnpasta. Wartezelle. Man wird aufgerufen.

Wir warten lange. Einer lacht mich an. »Erste Mal?« »Scheiße hier, Moabit ganz große Scheiße. Hoffentlich nix B-Flügel.« Ich hab keine Ahnung, lächle. Pause. Ich zeige auf seinen Mund. »Deine Zähne, wo?« Er lacht. »Polizei, kaputt.« Ich werde gerufen. Zentralbereich. Der Wärter brüllt. »A 4. Ein Zugang!« Dann schickt er mich die Treppen hoch. A-Flügel. Glück gehabt.

Mein Haftraum ist zehn Quadratmeter groß. Ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl. Mit Klo und Waschbecken. Also eine echte Nasszelle. Ein Regalbrett (60 cm), eine Lampe (60 Watt), ein Fenster (vergittert, doppelt). Ich räume meine Sachen ein. Die Tür wird aufgeschlossen. Ein Wärter steht draußen. Ein Häftling kommt rein. Er nimmt meinen Teller, den tiefen. Kommt zurück mit Kartoffeln, Sauce, Rotkohl, einer Bratwurst. »Mahlzeit. Brauchst du noch was?« Ich brauche alles. Sage: »Nein, danke.«

Am nächsten Morgen um 6.15 Uhr Wecken. Tür auf. Frühstück. Kaffee in den tiefen Teller. Drei Scheiben Brot auf den flachen Teller. Marmelade ins Schälchen. Ich balanciere.

Um 7.30 Uhr Hofgang. Kreis-Lauf-Training im Wortsinn. Alle entgegengesetzt zum Uhrzeiger. Ungefähr 40 Männer. Höchstens zehn Deutsche. Ich gehe im Kreis. Einer spricht mich an. »Wie geht's? Alles klar.« Wir lächeln beide, alles klar. Wir gehen zusammen. Und wieder die Frage: »Brauchst du etwas?« Ich brauche immer noch und kann jetzt fragen. Wo gibt es warmes Wasser? Wo kann ich Sachen bekommen? Kann man hier einkaufen? Gibt es etwas zum Lesen? Kann man hier fernsehen? Und überhaupt: Wie läuft's? Er antwortet bereitwillig. Lächelt immer wieder oder lacht. Ich stelle mich vor. Wir geben uns die Hand.

Nach drei Tagen wächst mein Hausstand. Ich habe eine Thermoskanne geliehen bekommen, ein anderer hat mir etwas Kaffee geschenkt. Ich habe meine erste Bestellung aufgegeben: einen Tauchsieder.

Der erste Besuch. Meine Frau und mein Sohn kommen. Der Beamte erklärt: »Hier herrscht Berührungsverbot. Aber Sie dürfen sich zum Beginn und zum Ende die Hand geben. Wenn Sie etwas über Ihr Verfahren sagen, breche ich sofort ab. Setzen Sie sich dort hin.« Neben mir ein Beamter des Bundeskriminalamtes. Daneben der Wortführer der Anstalt. Meine Frau und mein Sohn dürfen eintreten. Ich stehe auf und nehme sie trotz trennenden Tisches in den Arm. »Brauchst du etwas?« Ich brauche alles.

Nach zehn Tagen die erste Post. Zwei Briefe, drei Telegramme. Die Telegramme brauchen viel Zeit von Kreuzberg-Moabit / Karlsruhe-Moabit. Sie sind jetzt sicherheitsüberprüft und dürfen ausgehändigt werden. »Ich liebe dich« wurde nicht beanstandet.

Ausgelassene Stimmung beim Duschen. Die halbe Station gemeinsam. Zweimal ein Dutzend Duschköpfe hängen von der Decke. Rechts duschen die Muselmanen, links die Christen. Die einen mit Hose, die anderen ohne. Aber alles Warmduscher. Davor und danach immer Zeit für eine Zigarette.

Und wieder Hofgang. Einer guckt mich an. »Ich kenne dich.« Wir setzen uns. »Wo verkehrst du?« Nein, keine gemeinsamen Kneipen, aber dann: »Wo wohnst du denn?« Kreuzberg. Er lacht, wendet sich an die Umstehenden: »Mein Nachbar.« Wir reden über unser Warum. Und du, wie lange schon? Und ich frage auch ihn: »Deine Zähne, was ist passiert?« Festnahme durch das SEK. »Verstehst du?« Ich verstehe.

Es gibt drei Mahlzeiten am Tag. Frühstück um 6.45 Uhr, Mittagessen um 12 Uhr, Abendbrot um 15 Uhr. Es gibt verschiedene Ein-Teller-Menüs: Gesunde Kost. Leichte Kost. Diät-Kost. Moslem-Kost. Vegetarische Kost. Standard ist die »Gesunde Kost«, alles andere auf Antrag, gegebenenfalls unter Beifügung eines ärztlichen Attestes. So erfahre ich es durch den Schließer. Sein Motto: »Fragen Sie uns. Wir sind für Sie da.« Gestern gab es Tortellini. Die sind gesund, leicht, diät, moslem und vegetarisch. Getrennt marschieren, vereint schlagen.

Einmal am Tag ist Umschluss. Außer dem Hofgang die einzige Stunde an Werktagen (sonntags wegen Personalmangel gestrichen), wo wir nicht eingeschlossen sind. Wir dürfen uns gegenseitig besuchen, aber immer nur einzeln. Kein Skatspiel drin. Ich verabrede einen ersten Besuch auf dem Hof. Er kommt. Seine Kaffeetasse in der Hand. Um den Hals den Tauchsieder. In der Hosentasche eine Orange. Ich biete Tee oder Kaffee an. Ich offeriere Erdnüsse (Geschenk vom Besuch, Automatenzug). Wir reden eine Stunde. Lachen, sind ernsthaft. »Eine Mann kaputt. Staatsanwalt sagen sechs Jahre, Richter machen neun. Jetzt Revision.« Wie soll das gehen? Was wird aus der Familie. Was passiert danach. Wir reden später weiter.

»Ihr Anwalt ist da.« Circa zwölf Türen. Aufschließen. Zuschließen. Dann hinter einer Glasscheibe. Reden über Mikro. »Ich soll dich grüßen.« »Danke.« »Brauchst du etwas?« Ja, Hilfe, aber unter diesen Umständen? »Find dich erst mal zurecht.« Und dann ein Blick in die ersten Akten. »Hast du meine Post schon?« Nein, auch die Verteidigerpost wird kontrolliert. Von einem Lese-Richter. Und der ist gerade krank. Oder in Urlaub. Wegen der Trennscheibe werden wir etwas unternehmen. Notfalls bis zum Verfassungsgericht. Wie lange?

Der Hofgang heißt Freistunde. Wir spielen Federball. Die Federn stammen von Tauben, so circa vier Federn. Der Ball besteht aus zusammengeklebten Kreis-Scheiben aus Shampooflaschen, Durchmesser sechs Zentimeter. Chilenische Erfindung, dort vielleicht ohne Taubenfedern. Schön leicht, er darf nicht auf die Erde fallen. Rekord sind 21 Ballwechsel. Das Spielen auf dem Hof ist verboten. Unfallgefahr. Nach der Stunde ruft der Schließer »Einrücken.« Spaßvögel rufen auch »Ausrücken«. Neulich ist auf Berta 2 wieder einer ausgerückt. Direkt in die Ewigkeit. »Brauchst du was?« Ja.

Moabit, August 2000

Matthias Borgmann wurde am 18. 4. 2000 verhaftet und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Es wird gegen ihn und fünf weitere Personen, die alle ebenfalls in Haft sitzen, wegen § 129a »Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung«, unter anderem konkreter Beteiligung an zwei Sprengstoffanschlägen (1987 Anschlag auf die Zentrale Sammelstelle für Asylbewerber und 1991 auf die Siegessäule in Berlin) ermittelt. Die Beschuldigungen stützen sich allein auf die Aussage von Tarek Mousli, der selber dieser Anschläge, der Mitgliedschaft nach § 129a und der Rädelsführerschaft beschuldigt wird. Er hat sich als Kronzeuge zur Verfügung gestellt, befindet sich mittlerweile auf freiem Fuß und auzf Bewährung verurteilt, sowie mit  neuer Identität und finanzieller Unterstützung durch die staatlichen Behörden ausgestattet.

 


und alle anderen von Mousli Denunzierten