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Eike Hemmers bewegtes Leben

Agitation, Arbeit und Aufrichtigkeit

von Horst Monsees

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Bremen. Es ist ein Jahreswechsel, der wie kaum ein anderer in die Zukunft weist, ins dritte Jahrtausend nämlich. Ein Mann nutzt das Silvester 2000 zur Vergangenheitsbewältigung, zum Abschiednehmen. Verhaltenen Schrittes bewegt er sich über das Hüttengelände. Er meidet kaum eine Abteilung, um Kollegen noch einmal die Hand zu reichen oder in den Arm zu nehmen.  Es regnet. Erinnerungen werden wach an die Anfangszeit in Bremen. Vor 21 Jahren herrschte klirrende Kälte, als die Klöckneraner draußen vor den Werkstoren standen und erstmals für die 35-Stunden-Woche streikten.

Eike Hemmer war damals natürlich mit dabei. Heute braucht er bald gar nicht mehr zu arbeiten. Er hat sich für Altersteilzeit entschieden. Schlag 24 Uhr, die Böller knallen und sprühen Funken, passiert der 63-jährige die Pforte des Stahlwerks. Seine Frau wartet schon auf ihn. Ein letzter Blick, ein abgeschlossenes Kapitel. "Es gab anschließend nicht einen Morgen, an dem ich aufwachte und dachte: Och, könnte ich doch bloß in die Firma."

Das Leben von Hemmer bleibt bewegt. Er verordnet sich einen Segeltörn durch das Mittelmeer mit eigenem Boot - fünf Monate lang. Er liebt das Meer, das sich nicht auf Kommando ruhig stellen lässt und den Menschen nicht gehorcht. Das gefällt einem, der Ungehorsam für eine wertvolle Tugend hält. "Ich genieße es, frei zu sein."

Tiefe Gräben

1973 kommt der hoch gewachsene Idealist in die Hansestadt, fest entschlossen, für Gerechtigung und Arbeiterrechte zu streiten. Den Akademiker reizt es, an der Walzstraße bei Klöckner angelernt zu werden. Das Glühen, das Zischen, der ohrenbetäubende Lärm faszinieren den Neuen, der aus einem eher bürgerlichen Haushalt stammt. Er ist beeindruckt vom Zusammenhalt der Kollegen. Die Welt der Malocher hat nichts mehr mit den Redaktionsstuben zu tun, in denen er während seines Volontaritats bei der WAZ hockte. Eigentlich fühlte er sich zum Journalisten berufen. Dass er einen Job in der Hütte findet, grenzt an ein kleines Wunder.

Später wird ihm der Personaldirektor offenbaren: "Der Verfassungsschutz hat uns nicht rechtzeitig gewarnt." Der noch einmal Davongekommene gehört der KPD-ML an. Im breit politisierten Betrieb an der Weser bilden sich Fronten und tiefe Gräben. Die moskautreue DKP spielt bei Klöckner eine wichtige Rolle. Hemmer und seine Partei haben sich längst abgegrenzt. Den Einmarsch der Warschauer Pakt-Truppen in die CSSR kritisieren sie als brutalen Akt der Unterdrückung. Die KPD-ML sympathisiert mit der Sozialimperialismus-Theorie aus China.

Hemmer geißelt die DKP, vertreten durch den späteren Betriebsratsvorsitzenden Peter Sörgel, als Revisionistin und Verräterin der Arbeiterschaft. Umgekehrt verteufelt Sörgel die KPD-ML als Agentin des Verfassungsschutzes und Spalterin der sozialistischen Kräfte. Die beiden Gegner kriegen sich fürchterlich in die Haare, jahrelang wechseln sie kein Wort miteinander. Erst mit den gemeinsamen Streikerfahrungen in winterlicher Kälte nähern sie sich an. "Wenn man sich nachts wärmt, treten rein ideologische Differenzen in den Hintergrund." Hemmer zieht 1984 in den Betriebsrat ein, auf Ticket der Vereinigten Linken. Feindschaft wandelt sich in ein Art Freundschaft.

Im Arbeitnehmergremium fällt Hemmer mit scharfem Verstand und klugen Analysen auf. Er entpuppt sich als warmer Intellektueller, der selten aus der Haut fährt, der Menschen zuhört und Zusammengehörigkeitsgefühl vermittelt. Er setzt sich dafür ein, dass sich die Belegschaft politisch nicht weiter zersplittert, sondern verbündet. Minderheiten und Benachteiligte genießen seinen Schutz, ein Ausländerproblem hat es bei Klöckner nie gegeben. Selbst die Gegenmacht in den Vorstandsräumen respektiert einen Mann, der Attacken gegen sie zu keinem Zeitpunkt scheute. "Er ist ein ernsthafter, klar denkender Gesprächsparter, den man manchmal fürchten muss", urteilt sein ehemaliger Chef Klaus Hilker. In seiner Heimat Gröpelingen mögen ihn die Leute, er hat für sie stets ein offenes Ohr, und er engagiert sich für ihren Stadtteil, der still und heimlich an Qualität gewinnt.

Seine Biografie legt die Vermutung nahe, Hemmer sei in seinem langen Erwerbsleben häufig unterfordert gewesen. Er wächst in Bochum auf, leidet unter der Strenge im Elternhaus. Gelobt sei, was hart macht - lautet die Erziehungsdevise. Nicht nur in seiner Familie. Versuche der Erwachsenen, den Willen von Kindern zu brechen, rütteln ihn auf. Später wird ihm klar, dass die antiautoritäre Erziehung der 70er Jahre einen Bruch mit der deutschen Geschichte bedeutet. Und er entdeckt seine eigenen autoritären Züge. Er neigt dazu, seine und keine andere Meinung gelten zu lassen.

Der Vater kämpft mit der Waffen-SS. Das Schweigen über den Nazi-Terror nach dem Krieg, das Verharmlosen und Beschönigen, die neuen alten Biedermänner treiben Eike Hemmer in die Rebellion: Nie wieder Faschismus. Anfangs studiert er in Frankfurt, später in Berlin: Soziologie und Geschichte.

Der brave Sozialdemokrat entwickelt sich in der Frontstadt zum außerparlamentarischen Oppositionellen. Er gibt Seminare bei den Falken, referiert über die Dritte Welt. Eines Tages hören ihm zwei schwarzbärtigen, in dunkle Lederjacken gehüllte Typen zu: Entwicklungshilfe nütze den Armen überhaupt nicht, tönen sie. Notwendig sei eine Revolution. Die Provokateure heißen Rudi Dutschke und Bernd Rabehl. Die unerhörten Thesen gehen Eike Hemmer nicht mehr aus dem Kopf, ja sie überzeugen ihn. Und es drängt sich ihm der Verdacht auf: Die so genannten Linken in der SPD kümmern sich auch nicht um eine andere, bessere Politik, sondern möchten nur Posten erobern. Er entsagt der Sozialdemokratie.

Seine wilde Phase im Zirkel der 68er-Generation beginnt. Hemmer, Dutschke und andere ziehen sich in eine Villa in Zell am See zurück - zum großen Palaver. Es wird theoretisiert und schwadroniert. Die Zeit sei reif für Enteignungen und große Umwälzungen, der revolutionäre Kampf müsse beginnen, Orte des Widerstandes seien zu bilden. Nach West-Berlin zurückgekehrt, gründet Hemmer die Kommune II mit. Sie wird als Kern einer heraufziehenden Widerstandsorganisation definiert: Gemeinsam leben, lieben, arbeiten und kämpfen. Als er an der Spitze der Anti-Springer-Kampagne marschiert, schimpfen Bauarbeiter lautstark: "Kommunisten-Gesindel; geht doch nach drüben."

Der Arbeiter, das unbekannte Wesen. Hemmer will endlich wissen, wer diese Leute wirklich sind, was ihr Alltag bestimmt. Er schließt sich einer linken Basisgruppe im roten Wedding an. Vor allem junge Arbeiter und Lehrlinge fühlen sich von ihr angezogen, reagieren an ihrem Arbeitsplatz plötzlich aufmüpfig. Hemmer malt sich eine Allianz aus Intelligenz und Werktätigen in hellsten Farben aus. Er sucht seinen Platz bei den Beschäftigten in der Industrie. Bei der AEG funktioniert er so manche Nachtschicht in ein Diskussionforum um. Nach vier Wochen fliegt er raus. Die Führungsetage fürchtet, da wolle einer eine Apo-Zelle errichten. Den Septemberausstand 1969 der Stahlkocher im Ruhrgebiet beobachtet Hemmer mit wachsender Neugier. Begehrt dort nicht eine fortschrittliche Masse gegen die Verbindung von bürokratisierten Gewerkschaften mit dem Kapital auf? Was hält ihn noch in Berlin, wo sich das Leben zunehmend steril gestaltet? Am Ende landet er nicht bei den Kumpels in Dortmund, sondern in Bremen-Gröpelingen. Der Vater von drei Kindern bleibt seinen Prinzipien treu, in der betrieblichen Praxis und im Altersprozess verblassen freilich die Ideologien.

Kein Bedauern

1992 erlebt Hemmer Außergewöhnliches. Mit Kollegen kämpft er unerbittlich für den Erhalt der von Zerschlagung bedrohten Hütte - am Ende sogar Schulter an Schulter mit der Arbeitgeberseite. Die Aktionen zeigen überraschenden Erfolg. Der internationale Arbed-Konzern rettet das Unternehmen. Hemmer wird in den neuen Euro-Betriebsrat geschickt, den die Arbeitnehmer der Arbed-Töchter erstritten. Er sammelt Stimmen und Informationen über soziale Realitäten in Europa, die er nicht missen möchte. "Wir sind unserer eigenen Überzeugungsarbeit ein bisschen auf den Leim gegangen", erzählt Hemmer heute aus der Distanz heraus. "Wir haben die Hütte zu einem Juwel hochstilisiert und später festgestellt, dass manches nicht in Ordnung, fehlinvestiert war." Das Glück meinte es gut mit den Tüchtigen und Aufrechten. Hemmer sitzt im Lichthauscaf<\#233> und blickt auf die Sandlandschaft des werdenden Space Parks. Schade, dass so gar nichts mehr an die AG "Weser" erinnert. Der Bockkran war nach der Schließung der Werft nach wie vor maritimer Orientierungspunkt. Jetzt ist er verschwunden. Arbeiterkultur verliert ihre Spuren. Hemmer würde sie gern im alten Getreidespeicher revitalisieren: Schiffbau in einer ständigen Ausstellung erfahrbar machen, eine neue Herausforderung für den Mann im Unruhestand. Mit Einkaufsraketen und Spaßanlagen kann er sich nicht wirklich anfreunden.

Nach einer langen Pause bei einem Schluck Tee gibt sich Eike Hemmer einen Ruck: "Du könntest sagen, ich sei politisch ganz schön naiv gewesen; oder ich hätte das, was mir möglich war, nicht für die Karriere genutzt. Das würde mich nicht verletzen, ich würde dir völlig Recht geben." Der Mann steht zu seinen Taten, er bedauert und bereut nichts.

  • Texte und Dokumente zu Eike Hemmers APO-Zeit in Westberlin  - speziell Kommune II und AEG-Betriebsarbeit betreffend - gibt es im Partisan.net Archiv in der Sammlung Aufruhr & Revolte