Der Schmock der Woche
Sibylle Tönnies, Professorin in Bremen

von Henryk M. Broder  

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Ein Mann muss nicht immer schön sein und eine Frau nicht unbedingt klug, wenn sie es zu was bringen wollen. Horst Mahler, früher RAF-Anwalt, heute NPD-Vordenker, hat sich aus eigener Kraft resozialisiert und auch Sibylle Tonnies, die an der Uni Bremen Sozialwesen unterrichtet und in der Lüneburger Heide lebt, wird langsam erwachsen. Beide verkörpern jene besondere Spezies des furor teutonicus, von deren Angehörigen man nicht sagen kann, ob es sich um rechte Linke oder linke Rechte handelt. Dazu gehören auch solche Lichtgestalten wie Alice Schwarzer, Rainer Langhans, Klaus-Rainer Röhl, Günter Rabehl und Christoph Schlingensief, deren Tragik darin liegt, dass sie zu spät geboren wurden, um in der Kulturverwaltung des Generalgouvernements Polen beweisen zu können, wozu sie in der Lage sind. Und so versuchen sie, jede(r) auf seine(ihre) Art, das Versäumnis nachzuholen. Alice Schwarzer solidarisiert sich mit Saddam Hussein und Leni Riefenstahl, Christof Schlingensief veranstaltet "Kameradschaftsabende" und Sybille Tönnies reist nach Berlin, um über eine NPD-Demo zu berichten, die von der Polizei zuerst geschützt und dann aufgelöst wurde.

Ihre "Gedanken zu einer Berliner Kundgebung", am 28. November in der WELT erschienen, gehören zum Besten, was seit den Tagen geschrieben wurde, da deutsche Soldaten bei Stalingrad gedemütigt wurden. Es ist knallharte Kriegsberichterstatterprosa, mit einem weichen Eyeliner hingezeichnet. Großartig der szenische Einstieg vom "Neptunbrunnen am Alexanderplatz", wo sich ihr ein "bizarres Bild" bietet:

"Hoch oben der Wassergott in schäumend-königlicher Pose, um ihn her wogen Nixen. Um Nixen und Brunnen herum formt sich ein weiterer Kranz aus kahlen, hellen Schädeln. Es sind Neonazis, die eine Kundgebung abhalten. Sie bilden eine engen Kreis, weil sie nicht anders können - um sie schlingt sich wiederum ein grüner Gurt, der sie zusammendrückt: die Polizei. Eine politisch-plastische Rosette. Ein groteskes Mandala."

Drei Super-Bilder in nur zwei Zeilen: grüner Gurt, plastische Rosette, groteskes Mandala. So romantisch könnte die Welt sein, in der Sibylle Tönnies lebt und lehrt, wenn da nicht außerhalb des Kreises die Gegen-Demonstranten wären, die den Nazis den Spaß nicht gönnen.

"Pfeilgleich stechen ihre ausgestreckten Arme gegen die feindliche Mitte... Dazu werden mit heiserer Stimme Parolen skandiert... Die kahlen Schädel... sind freie, leuchtende Zielscheiben... Von Polizei dicht eskortiert, marschieren die Glatzen in braver Kolonne davon..."

Da hat Sibylle Tönnies ein schreckliches Deja Vu. Während sich die Glatzen brav auf den Weg machen, steht sie fassungslos am Straßenrand, randvoll mit Empathie und Idiotie:

"Das Bild erinnert in erschütternder Weise an einen KZ-Marsch. Die rasierten, geneigten Köpfe, die bewaffnete Eskorte... Diese Nazis befinden sich in Schutzhaft..., die Polizei schützt sie vor den Angriffen einer zum Lynchen aufgelegten Menge."

Natürlich ist der Vergleich mit einem KZ-Marsch maßlos übertrieben. Denn erstens waren die KZ-Häftlinge besser dran, sie mussten nicht durch ein Spalier von Gegendemonstranten, die mit heiserer Stimme Parolen skandieren Und zweitens haben die Nazis das Schlimmste noch vor sich: die Fahrt in der S-Bahn zum Bahnhof Schönefeld. Sibylle Tönnies fährt nicht mit, obwohl es eine schöne Gelegenheit wäre, "diese Unglücklichen" zu trösten, ihnen das Händchen zu halten und das Brüstchen zu geben, damit sie sich stärken und beruhigen. Sie bleibt am Neptunbrunnen bei den Nixen stehen und sinniert darüber, was sie soeben erlebt hat:

"Man kann annehmen, dass nicht der Rechtsradikalismus diese Unglücklichen so geformt hat, sondern ein in ihrer Biografie wütendes Schicksal. Sie brauchen den Rechtsradikalismus, um mit einer furchtbaren Kränkung zurechtzukommen. Ihnen bleibt als Stolz nichts übrig, als der Stolz darauf, Deutsche zu sein."

Wo das Schicksal wie ein Stahlgewitter in der Biografie wütet, bietet der Rechtsradikalismus den Unglücklichen und Gekränkten die natürliche Zuflucht. Doch worin liegt die Kränkung, die sie erlitten haben und die ihnen gar keine andere Möglichkeit ließ als die, rechtsradikal zu werden? War bei ALDI das Dosenbier plötzlich alle?

Hat die brandenburgische Regierung ein ausdrückliches Verbot erlassen, Ausländer zu verhauen? Oder wurde wieder ein Jugendclub in Guben geschlossen, um mit dem gesparten Geld Asylanten aus Afrika ins Land zu holen?

Möglich wäre auch etwas anderes: Man hat den Unglücklichen nie die Chance gegeben, eine Vorlesung von Frau Professor Sibylle Tönnies, zum Beispiel über ihr Lieblingsthema, den Kommunitarismus, zu besuchen. Und so bleibt ihnen nichts, als der Stolz darauf, Deutsche zu sein, denn den gibt es umsonst. Erbarmen mit den Nazis? Ja, gewiss. Und Erbarmen mit Sibylle Tönnies, die wieder nach Bremen muss, um dort "Sozialwesen" zu unterrichten. Auch in ihrer Biografie wütet ein Schicksal, auch sie muss mit einer furchtbaren Kränkung zurechtkommen. Sie soll nicht ungetröstet bleiben. Der Schmock der Woche geht an sie. Heil Sibylle!

Diesen und weitere Schmocks der Woche gibt es auf Broders-Homepage