http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/beitrag/diskusio/nszeit/nszeit12.htm 

Die "Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften"

Ein Brain-Trust der NS-Volkstumspolitik?

von Michael Fahlbusch, Basel

12/00
trdbook.gif (1270 Byte)
 
trend
online
zeitung
Briefe oder Artikel: info@trend.partisan.net  ODER per Snail: Anti-Quariat 
Oranienstr. 45
D-10969 Berlin

"Volkstums"-Politik und "Volkstums"-Forschung

1989 hielt der Historiker Klaus Schwabe fest, daß es im NS-Regime weder "schlüssige Vorstellungen vom Wesen der Wissenschaft" gegeben habe, noch die "Lenkung bestimmter seriöser Wissenschaftszweige" gelungen sei. Neugründungen von Sonderforschungseinrichtungen seien im NS von vornherein unmöglich gewesen, weil solche Bemühungen zwischen den miteinander im Konkurrenzkampf befindlichen Machtzentren des Regimes zerrieben worden wären.(1) Diese Auffassung ist heute nicht mehr aufrechtzuerhalten.

Allein die finanziellen Leistungen, die das "Dritte Reich" für die Förderung der Wissenschaften erbracht hat, belegen den Sachverhalt einer forcierten Investition. Das Reichswissenschaftsministerium verdoppelte seinen Aufwand von 1935 bis 1938 auf 22 Mio. RM. Bis 1942 stieg sein Aufwand sogar auf 97 Mio. RM. Das RMdI trug als zweiter wichtiger Förderer 1935 rund 43 Mio. RM für die Wissenschaft bei, bis 1942 erhöhte sich dessen Betrag auf rund 131 Mio. RM, er verdreifachte sich also.(2) Der massive Ausbau der Forschung bildet einen wichtigen Indikator für die Investitionsseite des NS-Wissenschaftssystems. Allein der Großforschungsbetrieb der Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften verfügte in dem Zeitraum von 1931 bis 1945 über einen festen Etat in der Höhe von 6,5 Mio RM. Hinzu kamen 2 Mio. RM für Publikationen wie dem "Handwörterbuch des Grenz- und Auslandsdeutschtums" sowie die Zuwendungen durch private Stiftungen, u. a. rund 460.000 RM der Hamburger Stiftung FVS für die Förderung der sogenannten Grenzlandkultur, die u. a. im Elsaß zu trauriger Berühmtheit gelangte. Da seit 1938 ein Arbeitsabkommen mit dem Deutschen Auslands-Institut in Stuttgart bestand, belief sich der Gesamtetat der völkischen Wissenschaft auf insgesamt etwa 20 Mio. RM.

Der "Volkstums"-Forschung ist indessen bisher zu Unrecht wenig Beachtung geschenkt worden; sie hat aber auf dem Sektor der nationalsozialistischen "Volkstums"-Politik eine strategisch wichtige Rolle gespielt. Die "Volkstums"-Politik war ein wichtiger Bereich der deutschen Auswärtigen Politik und füllte sowohl einen kulturpolitischen, als auch einen bevölkerungspolitischen Auftrag aus. Sie zielte auf die Separierung einzelner Bevölkerungsgruppen in den besetzten Staaten nach ethnischen, politischen und sozioökonomischen Gesichtspunkten. Dabei sollten jene ethnischen Minderheiten aus den okkupierten Gebieten ausgesondert werden, die bereits durch die Nürnberger Gesetze ausgegrenzt wurden oder die aus strategischen Gründen nicht zu "germanisieren" waren. Gleichzeitig konzentrierte sich die Volkstumspolitik auf die Sondierung der "Volksdeutschen" und der politischen Einordnung der sogenannten "Zwischenvölker", also der "Wenden" in der Lausitz, der Schlonsaken, der Masuren, der Windischen oder der sogenannten "Wasserpolen" in Oberschlesien zum Zweck ihrer Eingliederung in den "deutschen Lebensraum".

Um das Ziel der ethnischen Segregation der Bevölkerungsgruppen in den besetzten Staaten zu erreichen, wurde die "Volkstumspolitik" wissenschaftlich durch zahlreiche Forschungsverbünde und hoch spezialisierte wissenschaftliche Einrichtungen beraten. Ihre Tätigkeit konzentrierte sich dabei auf zwei Bereiche: Einerseits lieferten die beteiligten Wissenschaftler der kultur- und politikwissenschaftlichen Teildisziplinen die landeskundlichen Basisdaten zur Begründung bzw. Falsifizierung von Gebietsansprüchen, welche für die ethnische Segregation der einzelnen Bevölkerungsgruppen in den besetzten Gebieten benötigt wurden; andererseits waren sie als Berater der Nachrichtendienste der SS und der Wehrmacht oder in anderen kulturpolitischen Einrichtungen der deutschen Zivil- und Militärverwaltung in den besetzten Gebieten tätig.

Der Brain-Trust

Wie sah die Organisationsstruktur dieses Brain-Trusts aus? Der Beraterstab der "Volkstums"-Politik setzte sich aus den einzelnen Forschungsverbünden und -instituten der sogenannten "Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften" zusammen. Es handelte sich hierbei um eine Großforschungseinrichtung bisher völlig unterschätzten Ausmaßes mit etwa 1.000 Beteiligten. Aufgrund der funktional und regional stark differenzierten Organisationsstruktur und der auf die Problemfelder der jeweiligen deutschen Anrainerstaaten begrenzten Themen war dieser Brain-Trust weder für außenstehende Wissenschaftler noch für die Nachrichtendienste der Alliierten zu verorten. Er stellte sowohl für das Auswärtige Amt, das Ostministerium und das Reichsministerium des Inneren, für Himmlers Planungsbürokratie als auch für die sogenannten Volksdeutschen Verbände, wozu die VDA-Führung und der Bund Deutscher Osten gehörten, sachdienliches Informationsmaterial bereit. Dabei kam es zu einer interdisziplinären und projektorientierten Kooperation zwischen Geographen und Historikern, Archivaren, Volkskundlern, Soziologen, Rassenkundlern und Kunsthistorikern.

Bisher bekannt sind die Arbeitsgebiete dieser sechs Forschungsgemeinschaften, die sich allesamt auf das deutsche Grenzgebiet, also die Anrainerstaaten des Deutschen Reiches und auf die Überseegebiete mit deutschen Auswanderern konzentrierten. Jede dieser sechs Forschungsgemeinschaften verfügte über eine Geschäftsstelle - die sogenannte "Publikationsstelle". Dort wurden die regionalen Arbeiten zentral organisiert und angeleitet. Darüber hinaus wurden nach der Besetzung Europas in den jeweiligen Staaten Filialen eingerichtet. Für die Südostdeutsche Forschungsgemeinschaft waren dies - neben Prag - die Sitze der jeweiligen Führungen der deutschen Minderheiten in den südosteuropäischen Staaten in Preßburg, Budapest, Neusatz, Belgrad und Hermannstadt; hinzu kamen die Südost-Institute in München und Graz.

Die regionale Gliederung schlägt sich auch in der hierarchischen Organisationsstruktur dieses Großforschungsbetriebes nieder. Die zentrale strategische Führung wurde durch den Vorstand der Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften übernommen. Dieser setzte sich sowohl aus den Leitern der sechs Forschungsgemeinschaften und der Publikationsstellen als auch den zuständigen Referenten des RMdI und des AA zusammen. Der Einfluß der SS wurde ab 1937 durch Vertreter der Volksdeutschen Mittelstelle und ab 1943 direkt durch die Abteilungen III B und VI G des RSHA gewährleistet.

Die Südostdeutsche Forschungsgemeinschaft

Lassen Sie mich Ihnen die Struktur und Arbeitsweise der VFG am Beispiel der bisher unbekannten Südostdeutschen Forschungsgemeinschaft erläutern. Die SODFG war in Wien ansässig und wurde bereits 1931 gegründet. Damit ist sie eine der ältesten der sechs regionalen Forschungsgemeinschaften. Sie übernahm damals in enger Rücksprache mit dem deutschen Auswärtigen Amt und den aus der Konkursmasse der Leipziger "Stiftung für deutsche Volks- und Kulturbodenforschung" zusammengeschlossenen völkischen Wissenschaftlern die Aufgabe, den Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich und die Revision der Pariser Vorortsverträge vorzubereiten. Ihr gehörte an leitender Stelle der Geograph Hugo Hassinger und die Historiker Hans Hirsch, Otto Brunner und Wilfried Krallert an. Die Querbeziehungen zum Südostdeutschen-Institut an der Münchener Universität und nach Prag markiert den Wirkungskreis dieses länderübergreifenden Wissenschaftsverbundes.

Karl Haushofer, der gleichermaßen als Vordenker der Geopolitik und volkstumspolitischer Berater der NSDAP-Führung die Leitung im Volksdeutschen Rat übernommen hatte, vermittelte zwischen dem Auswärtigen Amt und den völkischen Wissenschaftlern in Wien und München. Dabei schrieb er dem südostdeutschen Forschungsverbund folgende Aufgaben zu: Die historisch-geographische Erforschung Südosteuropas diente dem Ziel, den deutschen kulturpolitischen Einfluß historisch in den Ländern bis zur Donaumündung nachzuweisen. Dabei sollten die gegenwärtigen sozioökonomischen und ethnographischen Strukturen erforscht und für die entsprechenden Interessengruppen im Bereich der Verwaltung, der volksdeutschen Verbände und der NSDAP informell aufbereitet werden. Die gesammelten Informationen sollten für propagandistische Zwecke genutzt werden, damit der "Südosten in den Gesichtskreis der Deutschen" gerückt werden könne. Auf mittlere Sicht war der Glauben an eine "Idee der Mitteleuropäischen Raumzusammengehörigkeit" zu erzeugen.(3) Das hiermit beschriebene gesamtdeutsche Programm diente - ungeachtet der politischen Entwicklung im Deutschen Reich - sowohl der wissenschaftlich begründeten Beweisführung für einen Anschluß der österreichischen Kronländer an das Deutsche Reich, als auch der Legitimierung des imperialen deutschen Machtstrebens gegenüber den ostmittel- und südosteuropäischen Staaten.

Mit dem 1937 einsetzenden Kurswechsel der NS-Außenpolitik erfuhr die Südostdeutsche Forschungsgemeinschaft eine deutliche Aufwertung, was sich nicht allein im Etat niederschlug. Die völkischen Wissenschaftler Österreichs schalteten sich aktiv in die Propagandakampagnen zum Anschluß ihres Landes an das Deutsche Reich ein, indem sie - übrigens wie auch die Kollegen der Alpenländischen Forschungsgemeinschaft in Innsbruck - Personal für Propagandasendungen und -vorträge bereitstellten. Die erste Chance, die Verfahren ihrer angewandten Wissenschaft zum Einsatz zu bringen, erhielten die Historiker und Geographen des "Volkstums" im Zuge der Verwaltungsneugliederung Österreichs in sieben Gaue; es war dies die erste Zerschlagung bestehender räumlicher Strukturen durch die NS-Planungsexperten und die Ersetzung "Österreichs" durch den Begriff "Ostmark".

Als der zweite Vorsitzende der SODFG, der Historiker Hans Hirsch 1940 starb, hinterließ er seinem Nachfolger Otto Brunner einen funktionierenden Forschungsapparat, der sich in den Augen der Nationalsozialisten bereits bewährt hatte. Ebenso wie Hassinger und Hirsch verfolgte Otto Brunner ein instrumentelles Wissenschaftsverständnis. Es ging ihm um die Generierung neuer bevölkerungs- und raumkundlicher Verfahren, um die ethnische "Neuordnung" Europas vorzubereiten. Die führende Rolle, welche die Südostdeutsche Forschungsgemeinschaft auf dem Gebiet der nationalsozialistischen "Volkstums"-Politik erwarb, betraf vor allem die Erfassung und Kartierung zunächst der deutschen Minderheiten, die später im Gefolge der "Neuordnung" Europas als bevölkerungspolitischer Aktivposten zur Auffüllung des annektierten deutschen "Lebensraumes" benutzt werden sollten. So lieferte beispielsweise der Geograph Hugo Hassinger nach der Besetzung Polens eine Denkschrift zur Umsiedlung der Südtroler in den dafür vorgesehenen Beskidengau. Ferner beteiligte er sich als Spezialist für Bevölkerungsverhältnisse an den Vorbereitungen des Wiener Schiedsspruches 1940, durch den eine erste Korrektur der Friedensverträge in Südosteuropa erfolgen sollte.

Bis 1941 war es dem Vorstand der SODFG gelungen, einen wissenschaftlichen Nachrichtendienst zur Beschaffung und Aufbereitung von Informationen - ähnlich der Publikationsstelle Berlin-Dahlem - aufzubauen. Dabei wurden nicht nur die zuständigen Referenten für "Volkstumspolitik" im RMdI und dem Auswärtigen Amt, sondern auch die Offiziere der SS und die "Führer" der deutschen Minderheiten in Südosteuropa eingebunden. Anläßlich der Jubiläumsfeier zum zehnjährigen Bestehen der SODFG, die am 17. und 18. März 1941 im Rahmen einer Geheimtagung in Wien begangen wurde, definierte Brunner die künftigen Arbeitsbereiche. Diese beinhalteten:

1. die Ermittlung des "blutsmäßigen germanisch-deutschen Anteils" an der Bevölkerung in Südosteuropa und die Wiederbelebung des "Bewußtsein[s] der verlorenen Siedlungsbrücken" des mittelalterlichen Siedlungsraumes;

2. die Widerlegung der These ungarischer Wissenschaftler, wonach die "natürlichen Grenzen des Donau-Karpatenraumes" entlang des Karpatenhauptkammes verlaufen würde;

3. den historiographischen Nachweis, daß es homogene ethnische und territoriale Einheiten im Südosten gegeben habe;

4. die Belegung der Existenz der "Volksgruppen", indem nicht mehr nur die Sprache als ausschlaggebendes Merkmal heranzuziehen sei, sondern auch ihre Herkunft;

5. die "Immunisierung der deutschen Volksgruppen gegen die geistige Beeinflussung durch fremde Staatsideen", und schließlich

6. die Begründung einer deutschen kulturellen Hegemonie über die Kleinvölker Südosteuropas.(4)

Damit drückte Otto Brunner die Direktive der neuen bevölkerungspolitischen Arbeit aus, an der Germanisierung des deutschen "Lebensraumes" teilzunehmen, also die sogenannte "Fahndung nach deutschem Blut" einzuleiten. Allerdings standen schon bald nicht mehr allein die "Volksdeutschen" im Interesse der Forschung, sondern alle Bevölkerungsgruppen, die entweder Objekt der nationalsozialistischen Großraumpolitik werden sollten oder zur Deportation ausgewiesen waren. An der Jubiläumstagung nahm Ernst Kaltenbrunner teil, der zu diesem Zeitpunkt Staatssekretär für das Sicherheitswesen und Höherer SS- und Polizeiführer Wien war und später Chef der Sipo und des SD des RSHA werden sollte. Ferner entsandte die Gauleitung Wien und Niederdonau die SS-Brigadeführer Karl Scharizer und Karl Gerland. Sie wußten, was sie ihren Volkstumswissenschaftlern zu verdanken hatten, zumal die Vorbereitungen für den wenige Wochen später erfolgenden Überfall auf Jugoslawien auf vollen Touren liefen.(5)

Selbstverständlich nahm die Publikationsstelle Wien an den umfangreichen Aktionen zur Sicherung von Beuteakten teil. Unter Leitung Wilfried Krallerts requirierte das Sonderkommando Künsberg kurz nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Jugoslawien eine Reihe von Schlüsseldokumenten in Belgrad, u. a. nicht veröffentlichte Bevölkerungsstatistiken der jugoslawischen Volkszählung von 1931. Allein das Vorgehen war hoch organisert. Die Luftwaffe war angewiesen worden, weder das Geographische und das Militärgeographische Institut noch das im Innenministerium untergebrachte Statistische Amt zu bombardieren. Am 17. April konnte das Militärgeographische Institut vollständig ausgeräumt werden. Dabei wurden mehrere LKW-Ladungen an Kartenmaterial und landeskundlichen Büchern beschlagnahmt. Darunter waren auch die bis dahin nicht im Besitz der Deutschen befindlichen Karten im Maßstab 1:50.000 sowie die neugedruckten, gerade zum Versand abgepackten topographischen Karten Jugoslawiens im Maßstab 1:25.000.(6) Diese Beutebestände wurden durch Mitarbeiter der P-Stelle Wien nach Ländergruppen vorsortiert und umgehend in ethnographische Karten umgesetzt. Das Material wurde benötigt, um die Ausbeutung und Zerschlagung des jugoslawischen Staates anzuleiten.

Laut Hans-Ulrich Wehler soll die P-Stelle Wien nicht an den Grenzziehungsverhandlungen und den Planungen zur ethnischen Segregation in Ost- und Südosteuropa beteiligt gewesen sein.(7) Diese sachunkundige Feststellung ist mitnichten der Fall. Lassen Sie mich zwei Beispiele nennen:

Erstens: Der Leiter der Publikationsstelle Wien, SS-Hauptsturmführer Wilfried Krallert, nahm als Sachverständiger an der fraglichen Sitzung vom 18. April 1941 in Wien teil, auf der die Grenzziehungsverhandlungen mit Italien vorbereitet und die Grundlinien der "Volkstumspolitik" für Jugoslawien festgelegt wurden. Krallert beriet dort den für Grenziehungs- und Volkstumsfragen zuständigen Staatssekretär des RMdI, den SS-Mann Wilhelm Stuckart.(8) Die Ergebnisse dieser Besprechung wurden im RMdI in den folgenden Wochen zur "Denkschrift über die Lage und das zukünftige Schicksal des Deutschtums im ehemaligen jugoslawischen Staatsgebiet" ausgearbeitet und am 15. Juli 1941 dem AA zugesandt. Zweitens: Die Kooperation der Publikationsstelle Wien mit den Sondereinsatzkommandos der SS erreichte ihren traurigen Höhepunkt in Rußland zwischen Juli 1941 und 1944. Dabei kam es zu einer Arbeitsteilung zwischen dem Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg, den Sondereinsatzkommandos der Waffen-SS und der Publikationssstelle Wien. Deren Arbeit konzentrierte sich vor allem auf die Sammlung und Verarbeitung von Informationen für die politische und militärische Führung. Eine Aktion, an der Mitarbeiter der Publikationsstelle Wien 1944 beteiligt waren, sollte sich auf die Sicherstellung jener Bücherbestände der jüdischen Buchhandlungen und Antiquariate in Budapest richten, die für die Forschungsinstitute der SS relevante Literatur enthielten. Die Eigentümer sollten wegen Besitzes antideutschen Propagandamaterials festgenommen werden. Die Planung dieser Aktion lag ganz und gar in den Händen von Wilfried Krallert, also der Südostdeutschen Forschungsgemeinschaft. Die gezielte Zerstörung des kulturellen Erbes war dabei nicht nur ein völkerrechtswidriger Akt, sondern ein Baustein im Gesamtvorhaben der "Endlösung".

Fazit

Die "Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften" bildeten einen bisher unterschätzten Sektor der nationalsozialistischen "Volkstums"- und "Vernichtungspolitik". Sie lieferten die Begleitforschungen für die Umsiedlungen der deutschen "Volksgruppen" und die sogenannte "Endlösung" der Judenfrage. Ihre Institutionen sind allerdings nicht eine Neuentdeckung der Wissenschaftsgeschichte. Dies trifft nicht den Kern des Problems. Bereits der sowjetische Chefankläger Roman Rudenko hatte während des Internationalen Militärgerichtsverfahrens in Nürnberg Belege beigebracht, daß das Südost-Institut in Graz die Personenlisten zur Fahndung ausgeschriebener jugoslawischer Staatsbürger an die Gestapo in Maribor (Marburg/Drau) weitergeleitet hat; die ostdeutschen Historiker haben schon in den fünfziger und sechziger Jahren wichtige Teilbereiche der deutschen "Ostforschung" identifiziert und analysiert. Dies führte auf der westlichen Gegenseite während des Kalten Krieges zu einer Verschleierung der "Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften" als rein wissenschaftliche Einrichtung, die bis heute aufrecht erhalten worden ist. Dies hatte m.E. zwei Gründe:

Erstens wurden die "Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften" u. a. in Gestalt des Herder-Forschungsrates in Marburg und der Boehm-Akademie in Lüneburg im Zuge des "Kalten Krieges" restrukturiert;

zweitens sind die beteiligten Akteure durch die "Vergangenheitspolitik" (Frey) in der Bundesrepublik vor dem Zugriff strafrechtlicher Ahndung dem Zwang zur ethischen Läuterung weitgehend geschützt worden.

Die "Erfolgsstory" dieses Wissenschaftsbetriebes ist um so bemerkenswerter, als den "volksdeutschen" Wissenschaftlern zwischen 1933 und 1945 folgende Funktionen zukamen:

Sie wachten, was übrigens auch Ingo Haar im Fall der "Nord- und Ostdeutschen Forschungsgemeinschaft" nachgewiesen hat, an den Universitäten und Lehrstühlen über die Einhaltung der Zensurverordnungen des Reichsministerium des Innern und der selbstgesteckten Paradigmen;(9)

sie kontrollierten die Vergabe öffentlicher Mittel an deutsche Wissenschaftler innerhalb des Deutschen Reiches durch Tagungen und Stipendien und lenkten die illegale Forschungsförderung der Vertreter der deutschen Minderheiten in den Anrainerstaaten des Deutschen Reiches;

sie übernahmen nachrichtendienstliche Tätigkeiten, indem ständig Pressemeldungen und einzelne Artikel nichtdeutscher Wissenschaftler dieser Länder übersetzt wurden;

sie erstellten landeskundliche Expertisen, kartographische Grundlagen oder Denkschriften, um Himmlers "Siedlungs"- und "Vernichtungspolitik" zu unterstützen.

Allein deshalb, weil sie zum Teil selbst an den Bestandsaufnahmen der nichtdeutschen Bevölkerung teilgenommen hatten oder die Sonderkommandos der SS beim Kulturraub in den besetzten Gebieten unterstützten, kann von einer mittelbaren Beteiligung der "Volksdeutschen Wissenschaftler" am Völkermord an den europäischen Juden gesprochen werden.

Der Aufwand, den die Volksdeutschen Wissenschaftler bis weit über 1945 betrieben haben, um ihre vielfältigen Tätigkeitsbereiche im Nationalsozialismus vor dem Blick der "scientific community" abzuschotten, muß beträchtlich gewesen sein. Die Abhängigkeiten zwischen den leitenden Beamten der nationalsozialistischen Vertreibungspolitik, die nach 1948 im Westen wieder in ihre Ämter und Funktionen eingesetzt wurden, und den Historikern, die auf ihre Lehrstühle zurückgekehrt waren, reichen so weit, daß die Geschichte der nationalsozialistischen Volkstumspolitik ein Desiderat der Zeitgeschichte geblieben ist. Alle wichtigen Arbeiten über die sogenannten Flüchtlinge und Volksdeutschen nach dem Krieg stammten aus der Hand jener Generation von Geographen, Soziologen und Historikern, die sich unmittelbar während der NS-Zeit in zahlreichen Denkschriften und Publikationen über die Eindeutschung, die Ausgrenzung und die Vernichtung von Bevölkerungsgruppen geäußert hatten. Indessen fällt der Höhepunkt des beruflichen Wirkens dieser zumeist um die Jahrhundertwende Geborenen in die Zeit ihrer zweiten, bundesrepublikanischen Karriere. Als die rechtzeitig zum damaligen Historikertag von 1953 veröffentlichte und nicht unumstrittene mehrbändige "Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa" entstand, die ein weiteres Mal die "Deutschen" als Opfer darstellte, gelangte selbst Theodor Schieder zu der Einsicht, daß "das ganze Spektakel [...] ja nichts weiter als der Versuch [ist], die Volksgruppen aus dem allgemeinem Gericht über die NS-Politik auszunehmen [...]".(10) Die Erkenntnis, daß, wie Schieder schrieb, nur die deutschen "Volksgruppen" für sich das Recht in Anspruch genommen haben, als "Opfer" dazustehen, war zwar bemerkenswert, aber zu spät. Die Generation, für die Schieder sprach, hat im Nationalsozialismus ethisch versagt. Deshalb war sie unfähig, über ihre Handlungen nach geschehener Tat zu reflektieren und die Verantwortung dafür zu übernehmen.

Wenn wir jetzt über die Historiker des Volkstums urteilen, sollte man sich vor einem allzu voreiligen Aktionismus hüten. Es ist nicht allein damit getan, die vorhandene Betroffenheit durch einen symbolischen Akt manifest werden zu lassen. Mindestens eine weitere Generation deutscher Historiker, dies trifft übrigens auch auf die Geographen, Kunsthistoriker und Soziologen zu, war bis heute anscheinend unfähig, die tradierten Forschungsprogramme und Institutionen ihrer akademischen Lehrer einer Evaluation zu unterziehen. Wenn wir heute über die Beteiligung deutscher Historiker am Völkermord sprechen, können wir nicht den Nepotismus im veralteten Wissenschaftsbetrieb der "Bonner Republik" übersehen, der die Aufklärung über diesen Teilsektor der nationalsozialistischen "Volkstumspolitik" verhindert hat.

Fußnoten:

(1) Klaus Schwabe 1989: Deutsche Hochschullehrer und Hitlers Krieg (1936-1940), S. 297.

(2) Die DFG wandte jährlich einen etwa gleichbleibenden Betrag auf. Vgl. K. Zierold 1968. In diesen Beträgen ist der Etat des Deutschtumsfonds, über den wesentliche Mittel in die völkischen Wissenschaften flossen, nicht enthalten. Frank R. Pfetsch 21985: Datenhandbuch zur Wissenschaftsentwicklung. Die staatliche Finanzierung der Wissenschaft in Deutschland 1850-1975. Köln, S. 352.

(3) Bundesarchiv Potsdam, Film Nr. 3289, NL Karl Haushofer, Das Münchner Südost-Institut o.D. Vgl. auch Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bonn (im folgenden PAAA), Kult VI A, 2-FOG Bd. 9, F. Machatschek / F. Stieve AA v. 11.3. 1937, Bl. E62593-607.

(4) Archiv der Republik Wien Süd-Ost-Europa-Gesellschaft Karton 58, Aktenvermerk F. Kraus' über die 10-Jahrestagung der SODFG am 17./18.3. 1941.

(5) Der Führer der österreichischen SS, E. Kaltenbrunner, war sofort mit der Annexion Österreichs von H. Himmler zum Leiter der Polizei ernannt worden. Der SD baute systematisch einen hochkarätigen Spitzelapparat auch in Wien auf, dem viele prominente Personen aus dem kulturellen Leben angehörten. Vgl. Wolfgang Neugebauer 1988: Das NS-Terrorsystem. In: Tálos, Emmerich; Hanisch, Ernst; Neugebauer, Wolfgang (Hg.): NS-Herrschaft in Österreich 1938-1945. Wien, S. 163-184. Zur Rolle K. Gerlands bei der Germanisierung des tschechischen Volkes, er legitimierte die Zerstörung des Dorfes Liditz bei Kladno, vgl. Helma Kaden 1988: Die faschistische Okkupationspolitik in Österreich und der Tschechoslowakei (1938-1945). Berlin, S. 189f. Über den Kulturgutraub in Frankreich und der Sowjetunion erscheint eine ausgezeichnete Dissertation von Anja Heuß über "Kulturraub der Nationalsozialisten in Frankreich und der Sowjetunion". Diss. phil. Frankfurt 1998. Sie hat nach einer Odyssee von Bremen über Freiburg i. Brg. nun in Frankfurt die Gelegenheit erhalten, ihre exzellenten - offenbar nicht zeitgemäßen - Ergebnisse doch noch der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen.

(6) PAAA R27531, Bericht Krallerts über den Einsatz in Belgrad v. 3.5. 1941, sowie Befehl für Einsatztrupp Stettin v. 5.4. 1941.

(7) Hans-Ulrich Wehler 1980: Nationalitätenpolitik in Jugoslawien. Die deutsche Minderheit 1918-1978. Göttingen, S. 53 und 131.

(8) Vgl. PAAA R27531, Bericht W. Krallerts und V. Paulsens über die Tätigkeit im Rahmen des Einsatzkommandos des AA v. 3.5. 1941, S. 9.

(9) Vgl. auch Ingo Haar 1998: Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus. Die deutschen Historiker und der "Volkstumskampf" im Osten. Diss. phil. Halle/Saale.

(10) BAK NL 1188/41 T. Schieder/H. Booms v. 21.5. 1957, zitiert in Mathias Beer 1998, Politik und Zeitgeschichte in den Anfängen der Bundesrepublik. Das Großforschungsprojekt "Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa". In: VZG 46, 3, Fn. 149.

Weiterführende Literatur:

a) M. Fahlbusch: Die Alpenländische Forschungsgemeinschaft - eine Brückenbauerin des großdeutschen Gedankens? In: Robert Allgäuer (Hg.), Grenzen Alpenrhein, Brücken und Barrieren 1914 bis 1938. Chronos Verlag Zürich 1998.

b) M. Fahlbusch: Wissenschaft im Dienst der nationalsozialistischen Politik? Die Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften von 1931-1945. Nomos Baden-Baden 1998.

  • Der obenstehende Beitrag stellt die schriftliche Fassung des Vortrages dar, den Michael Fahlbusch am 10. September 1998 auf dem 42. Deutschen Historikertag in Frankfurt am Main in der Sektion ueber "Deutsche Historiker im Nationalsozialismus" hielt. Auf Wunsch der Veranstalter trug Michael Fahlbusch diesen Vortrag in gekuerzter Version am 15. September d.J. auf dem Soziologentag in Freiburg im Breisgau in der Sektion ueber "Zur Begruendung der Nachkriegssoziologie in Deutschland: Kontinuitaet oder Bruch?" noch einmal vor.