konkret 12/2000

Stimmen aus einem echt freien Land

von Martin Krauss

12/00
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Wer wissen möchte, wie deutsche Linke ticken, wenn sie an Israel denken, sollte einen Blick in das »Taz«-Online-Forum werfen

»Wir freuen uns über jeden Beitrag«, heißt es seit Anfang Oktober bei der »Taz«. Gemeint sind Online zu lesende Leserbeiträge. Nach Lektüre eines Artikels in der Internet-Ausgabe des Berliner Blattes kann man ein entsprechendes Zeichen anklicken und seine Meinung zum Gelesenen loswerden.

Einen solchen Dienst bieten viele Zeitungen an. Sie erhoffen sich zum einen eine engere Leser-Blatt-Bindung, zum anderen nähere Informationen darüber, wer er so ist, der Leser, was er so denkt und wie zufrieden oder unzufrieden er mit der Zeitung ist. Authentische Informationen also, doch die sind im Fall der »Taz« mitunter so authentisch, daß besser nicht jede gedruckt wird. Am 7. Oktober mußte ein Leser statt seines eigenen Textleins dies lesen: »Beitrag gesperrt: u.a. wg. Gleichstellung Israels mit Nazis.«

Der Leser muß wohl sehr über die Stränge geschlagen haben, schaut man sich an, was dort sonst alles geäußert wird. Aber so ganz allein ist der zensierte und mit dem Namen »maier« zeichnende (und auch sehr fleißig weiterdebattierende) Leser nicht. Ein sich als Eric Bingener vorstellender »Taz«-Leser springt ihm mutig zur Seite: »Hallo! Wir scheinen ja echt ein freies Land zu sein. Was haben Sie denn so Schlimmes geschrieben? Bäh, ausgeschlossen aus der Diskussionsrunde. Ist ja auch wahr, was haben denn Deutsche auch zur Situation in Palästina beizutragen außer Applaus für den Judenstaat und ein paar neue U-Boote.«

Das größte Leser-Mail-Aufkommen findet sich im »Taz«-Online-Forum immer dann, wenn es um Artikel über Israel, Judentum oder Antisemitismus geht. Eric Bingener, der mutige Fechter für Meinungsfreiheit, kennt die Hintergründe, warum da zensiert wurde: »Wir stehen kurz vor der Wahl des US-Präsidenten, und jeder weiß, wer hier von wem abhängig ist. Der Schwanz wackelt halt mit dem Hund.«

Das Bild, das sich vom typischen »Taz«-Leser offenbart, ist nicht das, was sich die Chefredaktion erhofft hatte, wobei redlicherweise zu sagen ist, daß beinahe alle Zeitungen Probleme haben, die solche Online-Angebote eingerichtet haben. Was die »Taz«-Leserschaft zum Spezifikum macht, ist, daß sich in ihr viele Spektren und Richtungen finden, zum anderen bietet die »Taz«, einfach weil sie eine Tageszeitung ist, täglich die Möglichkeit, sich zu jedem Thema öffentlich zu äußern.

Findet sich in dem Blatt eine Meldung, daß auf eine Berliner Synagoge Steine geworfen wurden, ist das für eine als Elke Richardsen auftretende Leserin ein guter Grund, ihren Protestbrief gegen ARD und ZDF ins Netz zu stellen: »ihre berichterstattung über den nahostkonflikt in den letzten tagen ist fern jeder objektivität und nur noch als arschkriecherei in den allerwertesten der zionisten zu bezeichnen.« Warum die ARD-ZDF-Schelte bei der »Taz« landet, erklärt die Autorin recht schnell, sie ist nämlich »keinesfalls ein neonazi«, sondern »eher eine linke und wählerin der grünen«. Als solche hält sie nicht nur die »Taz« für ihre Zeitung, sie neigt auch zu besonders moralischen Urteilen: »ich habe mich auch bei vielen bomben in bussen oder auf plätzen gefragt, ob die israelis dies nicht selbst tun, um jammern und zurückschlagen zu können. für die meisten israelis sind die arabischen nachbarn kakalaken, deren leben ihnen keinen pfifferling bedeutet. ich kann diese holocaust-klagen nicht mehr hören von einem land, das so tief faschistisch ist.«

Gemein fände es Frau Richardsen, wenn sie bloß wegen dieser offenen Worte in eine rechte Ecke gestellt würde: »am schlimmsten finde ich diesen unisono-gesang der medien und politiker, der wachsame und sensible bürger in die nähe von neonazis und npd bringt, wenn sie die geringsten zweifel an der jüdisch-israelischen nahostpolitik äußern. ich - und mit mir viele bürger - argumentieren nämlich von links und von einem humanitären standpunkt.«

Auf Kritik eines mitdiskutierenden Lesers reagiert Frau Richardsen verärgert: »ich würde mich liebend gern mit dem jüdischen volk, so wie mit jedem anderen unterdrückten menschen, solidarisieren. es fällt mir nur angesichts der taten israels außerordentlich schwer.«

Auch der schon bekannte Leser »maier« findet sich zur Unterstützung von Frau Richardsen ein: »Ich bin auch ein Linker in diesem Land der die Sachen genauso sieht.« Leser »maier«, der seine klare politische Linie durch den Verzicht auf Interpunktion teuer erkauft hat, erinnert sich immerhin noch an den Anlaß der Zionistenschelte - eine Meldung zu Steinwürfen auf eine jüdische Einrichtung in Berlin: »Was die Synagoge betrifft ist das natürlich sehr häßlich was man gemacht hat. Aber die Israelis haben mit der Antwort nicht gezögert und eine Moschee in Israel (im Norden glaube ich) in Brand gesetzt ...«

Der offene Brief an ARD und ZDF aus Anlaß des Angriffs auf eine Synagoge ist kein Einzelfall. Im »Taz«-Online-Forum findet sich erstaunlich oft unverhüllter Antisemitismus, ja, die Debatten über Berichte und Kommentare aus Israel würden gar nicht stattfinden, wenn sich nicht judenfeindliche Leser zu Wort meldeten.

Daß die Juden die deutschen KZs ungeläutert verlassen hätten, ist ein immer wiederkehrendes Motiv: mal in der dummen, mal der gebildeten Version. In der dummen Fassung schreibt Leser »kregel«: »durch die gezielten schüsse auf die mit steinen (!) bewaffneten palästinenser - meist jugendliche - zeigt sich der judenstaat deutlich. ein coming out wie man es sich nur wünschen kann. Und das seit über 50 (!) jahren und nach dem selbst erlittenen ns-terror. und niemand gebietet einhalt. soll dem antijudaismus eine reale basis gegeben werden?« Doch auch die gebildete Variante kommt keinesfalls mit weniger Stottern daher. Sie wird von einem Leser namens Fred Krug formuliert: »Irritiert bin ich dabei vor allem darüber, daß die Israelis aus der ›genoziden Selbsterfahrung‹ in der Vergangenheit ... nichts anderes gelernt haben, als ihrerseits einen ›Genozid‹ oder wenigstens eine ›ethnische Säuberung‹ kraft Verdrängung und Vertreibung und sogar in Teilen Unterdrückung mit weniger drastischen Mitteln durchzuführen.«

Scheinbar differenziert argumentierende Leser erwähnen schon mal, daß es, entgegen dem Wissensstand hierzulande, auch gute Israelis gibt - »Ich kenne persönlich paar Leute« - oder daß man auch mal das »Werk von einem jüdischen Professor (Herr Schahak)« lesen solle, denn »das ist wohl kein Araber und ist doch meiner Meinung«. Wieder ein anderer diskutiert hoch und runter, mit was man Israel vergleichen könnte, und kommt letztlich nur zu diesem Ergebnis: »Wäre da nicht eher das ehemalige südafrikanische Apartheidsystem vergleichbar?«

Es ist nicht die »Taz«-Redaktion, die so etwas schreibt, es gibt auch Leser, die sich mit harschem Widerspruch zu Wort melden, und die übelsten Ausrutscher werden sogar von der Redaktion aus dem Netz genommen. Aber in den »Taz«-Online-Diskussionen findet sich sehr wohl ein authentischer Ausdruck des Denkens eines nicht geringen Teils der hiesigen Linken.

Der wüsteste Debattierer, der mit dem Namen »maier« zeichnet und dem die »Taz« gemeinerweise seine Gleichstellung von Nazis und Israel untersagte, bringt die typische Mischung aus Pathos, Dummheit und Antisemitismus in einem einzigen Satz unter: »Schon wieder bewiesen die Israelis, daß sie von Menschenrechten nix gehört haben, aber am Ende wird Palästina bestimmt befreit von diesen Neofaschisten, dies ist der normale Verlauf der menschlichen Geschichte.«

Von Martin Krauß erschienen soeben: »Doping« (Rotbuch Verlag) und »Kampftage. Die Geschichte des deutschen Berufsboxens« (zusammen mit Knud Kohr, Werkstatt-Verlag)

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