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aus: Vorwärts hrg. v. PdAS

EU-Fünfjahresplan für Freiheit, Sicherheit und Recht

von Salvatore Pittà

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Nach der Schaffung eines «gemeinsamen Raums des Wohlstands und des Friedens» durch die Öffnung des Binnenmarkts, der Wirtschafts- und Währungsunion und einer gemeinsamen Sicherheits- und Aussenpolitik bot der Vertrag von Amsterdam die Voraussetzungen für einen «gemeinsamen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts». Letztes Wochenende stellte der Europäische Rat im finnischen Tampere einen Fünfjahresplan auf, um dieses hohe Ziel zu verwirklichen.

Allein schon das Vorgehen um die Umsetzung des Amsterdamer Vertrages müsste linke BefürworterInnen eines Schweizer EU-Beitritts aufhorchen lassen: Entgegen der Praxis in den einzelnen Staaten und der traditionellen Definition der Demokratie stellt der Vertrag der Exekutive alleinige Beschlusskraft zu. Die Kommission entscheidet in den nächsten fünf Jahren auf Initiative der Staatsexekutiven über die konkrete Umsetzung eines gemeinsamen Rechtssystems. Das Europäische Parlament – wohlweislich das einzig direkt gewählte EU-Gremium – hat darin nur beratende Funktion. Auch die Entstehung von bedeutenden Teilen des Vertrages spricht eigentlich Klartext: Da werkeln zum Beispiel Experten und Regierungen aus fünf Ländern über 10 Jahren am Schengener Kooperationsabkommen fernab aller Öffentlichkeit, dann macht es schwups: Schon ist das ganze Vertragswerk mitsamt Weisungen und Verordnungen für alle in Kraft zu setzen. Dass die EU mit der Gewaltenteilung etliche Mühe hat, zeigt sich aber auch hieraus: Das Ende des in Tampere eingeleiteten Prozesses sollte zu einer Stärkung des Europäischen Gerichtshofs führen. Womit schon einmal gesagt wird, dass dieser im Moment nicht viel Macht besitzt. Zwar können die nationalen Gerichte den Hof nach wie vor mit grenzüberschreitenden Fällen beliefern, im Asyl- und Rechtsbereich geht dieser Weg aber nur, wenn der Rechtsstreit vorher alle Gerichtsinstanzen des jeweiligen Staates durchlaufen hat: Ein für die Betroffenen kostspieliges Verfahren, das die Einrichtung des Gerichtshofes wieder abschafft.

Recht und Sicherheit – für wen?

Konkreter werden die Schlussfolgerungen zum Tampere-Meeting im Bereich des Strafvollzugs. Strafverfolgungsorgane werden künftig sehr wohl europäisiert. Nicht nur sollen förmliche Auslieferungsverfahren für rechtskräftig verurteilte Personen zugunsten einer einfachen Überstellung abgeschafft werden. Europol erhält die Möglichkeit, sich an gemeinsamen Ermittlungsteams von verschiedenen EU-Ländern zu beteiligen und operative Daten von ihnen regelmässig zu erhalten und zu bearbeiten. Europol wird zudem ermächtigt, zusammen mit diesen Teams Ermittlungen einzuleiten, durchzuführen oder zu koordinieren. Der Hammer kommt dennoch bei der beabsichtigten Schaffung einer neuen Stelle zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität namens EUROJUST. Darin sollen von den einzelnen Mitgliedstaaten Staatsanwälte, Richter oder Polizeibeamte mit gleichwertigen Befugnissen zusammengeschlossen werden. Schliesslich soll die Schulung von hochrangigen Angehörigen der Strafverfolgungsbehörden in einer neu zu schaffenden Europäischen Polizeiakademie an die Hand genommen werden.

Festhalten an der Genfer Flüchtlingskonvention?

Im Mittelpunkt des EU-Gipfeltreffen stand die angekündigte Harmonisierung des Asylrechts. Entgegen früherer Entwürfe und aufgrund breiter Proteste aus NGO- und Medienseite hält die EU in ihren Tampere-Schlussfolgerungen nun doch an der «uneingeschränkten und allumfassenden Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention» fest. Dass allein damit «sicher gestellt wird, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist», wird allerdings dadurch nicht wahrer, dass es so im Wortlaut aus dem Internet abrufbar ist. Selbstgefällig setzt die Union die Konvention für Angehörige von Mitgliedstaaten schon einmal ausser Kraft, indem sie erklärt, alle Mitgliedsstaaten seien sichere Drittstaaten, deren Angehörige also auf keinen Fall asylwürdig. Das wird nun verstärkt, indem rechtskräftige Entscheide einzelner Staaten ohne zwingende Prüfung durch den Europäischen Gerichtshof aufs gesamte Gebiet erstreckt werden sollen. Ferner fordert der Rat dringend dazu auf, das Kernstück der Festung Europa, das System zur Identifizierung von Asylsuchenden, EURODAC, endlich einzuführen, womit nicht nur die absolute Kontrolle über die Antragstellenden, sondern auch die Umsetzung der Dubliner Verträge ein grosses Stück weiter kommen dürften. Erst später sollen die Kriterien zur Entgegennahme und Prüfung von Asylanträgen vereinheitlicht werden. Dieser Mangel in Verbindung mit dem Dubliner Übereinkommen und dem Konzept der sicheren Drittstaaten führt dazu, dass weiterhin Flüchtlinge z.B. aus Deutschland über benachbarte Oststaaten in die Ukraine zurückgeschafft werden können, ein Land, das die Genfer Flüchtlingskonvention nicht unterschrieben hat. Für die Betroffenen bedeutet dies, schliesslich in das Land zurückgeschafft werden zu können, wovor sie laut Genfer Konvention zwingend geschützt werden sollten.

Ein weiterer Meilenstein europäischer Abschreckungspolitik ist das in der Schweiz mit dem neuen Asylgesetz bereits angewandte Konzept des vorübergehenden Schutzes. Immer wieder wird von den EU-Ministern neuerdings betont, dass es hier um Schutzsuchende gehe, die nach der Genfer Konvention keinen Flüchtlingsstatus erhalten können. Dem steht das Handeln der EU (und der Schweiz) krass entgegen. Den Ursprung der Vorschläge einer eigens eingesetzten und weiterhin bestehenden «Hochrangigen Arbeitsgruppe Asyl/Migration» haben die Ereignisse im Canal d'Otranto von Ende 1997. Damals waren Hunderte von Flüchtlingen aus Irak/Kurdistan an der Adria-Küste in Süditalien gelandet. Aus Angst vor einer «Überschwemmung» setzte Deutschland Italien massiv unter Druck. Um die Wiederholung der Schreckensbilder der Festung Europa künftig zu vermeiden, entschloss sich der Rat im Januar 1998 zu einem Aktionsplan für Irak. Dieser beinhaltete die Schaffung eines sogenannten Schutzraumes im Nordirak und die Errichtung von Flüchtlingslagern in der Türkei. Ferner wurden Massnahmen gegen die illegale Einwanderung verstärkt, namentlich das Abschneiden der sogenannten türkisch-albanischen Fluchtroute und weiter verstärkte Kontrollen an den Aussengrenzen der EU. Der EU-Aktionsplan für Irak war bisher zwar ohne Erfolg. Die obengenannte Strategie führte dennoch, auf Kosova-Flüchtlinge angewandt, zum bisher perfektesten Asylverweigerungsmechanismus europäischer Zeitgeschichte.

Seit 1993 starben an den Grenzen Europas mindestens 1000 Menschen, die versucht hatten, hier ein bisschen Freiheit, Recht und Sicherheit zu erlangen. Mindestens 41 Romas ertranken laut montenegrinischer Polizei am 15./16. August dieses Jahres im Canal d'Otranto. Am Vorabend des Treffens in Tampere sprach die italienische Regierung 45 Milliarden Lire (40 Millionen Franken) für die Errichtung von optischen und Infrarot-Kameras am Canal d'Otranto. Die EU-Minister sprachen in Tampere schöne Worte. Dass sie bereit wären, eine wirkliche Kehrtwende zu machen in Richtung Solidarität und Menschlichkeit, ja gar in Selbstverantwortung, stand schon im Voraus ausser Diskussion.

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