Ende Oktober
fand in Chile eine Volksabstimmung statt, in
der darüber entschieden wurde, ob die 1980
von der Pinochet-Militärdiktatur oktroyierte
Verfassung aufgehoben und in einem breiten
gesellschaftlichen Dialog eine neue
Verfassung erarbeitet werden sollte.
Dieser Volksabstimmung waren monatelange
Proteste gegen die reaktionäre Politik der
gegenwärtigen Regierung unter Sebastian
Pinera vorausgegangen. Arbeiter, Studenten,
selbst kleine Unternehmer protestierten
immer wieder gegen Fahrpreiserhöhungen,
Studiengebühren und andere Formen der
Abwälzung der Krisenlasten auf den Rücken
der Bevölkerung.
Die
Regierung legitimierte ihre Maßnahmen auch
mit Hinweis auf die Verfassung, in der alle
sozialen Schutzrechte für die Bevölkerung,
die unter der Regierung von Salvador Allende
erweitert worden waren, gestrichen waren.
Die FIR
erinnert daran: Die „Chicago-Boys“, die als
Berater für Pinochet nach dem
CIA-unterstützten Putsch gegen Allende am
11. September 1973 die Entwicklung in Chile
massiv beeinflussten, hatten mit der 1980
eingeführten Verfassung das Musterbeispiel
neoliberaler Wirtschaftspolitik geschaffen.
Die Konsequenzen waren für das chilenische
Volk in den folgenden vier Jahrzehnten
verheerend.
Es ist
bezeichnend, dass selbst mit dem Ende der
Militärherrschaft diese Verfassung nicht
außer Kraft gesetzt wurde. Offenbar waren
die wirtschaftlichen Profiteure der
Pinochet-Diktatur weiterhin politisch so
mächtig, dass sie daran keine Änderung
zulassen wollten.
Es waren
erst die vielfältigen Protestaktionen, die
in den vergangenen Monaten das Land
erschütterten, die die Regierung zwangen,
über eine Änderung der Verfassung
nachzudenken. Als Ausweg aus der von der
Regierung nicht mehr kontrollierbaren
Situation verkündete Sebastian Pinera ein
Plebiszit über den Verfassungsprozess, bei
dem er hoffte, zumindest Teile seiner
Machtpositionen halten zu können.
Das Ergebnis der Volksabstimmung war ein
großartiger Sieg der demokratischen und
antifaschistischen Kräfte des chilenischen
Volkes. Fast 80% der Wähler stimmten dafür,
dass die Pinochet-Verfassung ausgesetzt und
eine neue erarbeitet werden soll. Was aber
mindestens ebenso bedeutend ist, ist das
Ergebnis der zweiten Abstimmungsfrage. Fast
80 % der Wähler stimmten dafür, dass alle
Abgeordneten dieser Verfassungsgebenden
Versammlung in Direktwahl vom Volk gewählt
und nicht zur Hälfte vom Parlament bestimmt
werden. Das ist ein großer Sieg der direkten
Demokratie. Damit besteht die Möglichkeit,
dass die progressiven Kräften nicht nur die
Mehrheit der Abgeordneten stellen, sondern
dass auch eine Blockade-Politik der
Rechtskräfte, die mit ein Drittel der
Mandate progressive Entscheidungen
blockieren könnten, verhindert werden kann.
Dafür kommt
es darauf an, dass die demokratischen und
antifaschistischen Parteien und Gruppen im
Sinne des Geistes der früheren „Unidad
Popular“ ihre Kräfte bündeln und gemeinsame
Kandidatinnen und Kandidaten für diese
Verfassungskonferenz aufstellen, so dass der
Einfluss der reaktionären Kräfte in dieser
Versammlung möglichst klein gehalten wird.
Die FIR
gratuliert ihrer chilenischen
Mitgliedsorganisation und allen Demokraten
zu diesem Sieg und wünscht viel Erfolg auf
dem Weg zur Demokratisierung des Landes.

Zusendung durch die
Autor*innen am 30.10.2020 |