Das chilenische Volk überwindet das Erbe der Pinochet-Diktatur 

11/2020

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Ende Oktober fand in Chile eine Volksabstimmung statt, in der darüber entschieden wurde, ob die 1980 von der Pinochet-Militärdiktatur oktroyierte Verfassung aufgehoben und in einem breiten gesellschaftlichen Dialog eine neue Verfassung erarbeitet werden sollte.
Dieser Volksabstimmung waren monatelange Proteste gegen die reaktionäre Politik der gegenwärtigen Regierung unter Sebastian Pinera vorausgegangen. Arbeiter, Studenten, selbst kleine Unternehmer protestierten immer wieder gegen Fahrpreiserhöhungen, Studiengebühren und andere Formen der Abwälzung der Krisenlasten auf den Rücken der Bevölkerung.

Die Regierung legitimierte ihre Maßnahmen auch mit Hinweis auf die Verfassung, in der alle sozialen Schutzrechte für die Bevölkerung, die unter der Regierung von Salvador Allende erweitert worden waren, gestrichen waren.

Die FIR erinnert daran: Die „Chicago-Boys“, die als Berater für Pinochet nach dem CIA-unterstützten Putsch gegen Allende am 11. September 1973 die Entwicklung in Chile massiv beeinflussten, hatten mit der 1980 eingeführten Verfassung das Musterbeispiel neoliberaler Wirtschaftspolitik geschaffen. Die Konsequenzen waren für das chilenische Volk in den folgenden vier Jahrzehnten verheerend. 

Es ist bezeichnend, dass selbst mit dem Ende der Militärherrschaft diese Verfassung nicht außer Kraft gesetzt wurde. Offenbar waren die wirtschaftlichen Profiteure der Pinochet-Diktatur weiterhin politisch so mächtig, dass sie daran keine Änderung zulassen wollten.

Es waren erst die vielfältigen Protestaktionen, die in den vergangenen Monaten das Land erschütterten, die die Regierung zwangen, über eine Änderung der Verfassung nachzudenken. Als Ausweg aus der von der Regierung nicht mehr kontrollierbaren Situation verkündete Sebastian Pinera ein Plebiszit über den Verfassungsprozess, bei dem er hoffte, zumindest Teile seiner Machtpositionen halten zu können.

Das Ergebnis der Volksabstimmung war ein großartiger Sieg der demokratischen und antifaschistischen Kräfte des chilenischen Volkes. Fast 80% der Wähler stimmten dafür, dass die Pinochet-Verfassung ausgesetzt und eine neue erarbeitet werden soll. Was aber mindestens ebenso bedeutend ist, ist das Ergebnis der zweiten Abstimmungsfrage. Fast 80 % der Wähler stimmten dafür, dass alle Abgeordneten dieser Verfassungsgebenden Versammlung in Direktwahl vom Volk gewählt und nicht zur Hälfte vom Parlament bestimmt werden. Das ist ein großer Sieg der direkten Demokratie. Damit besteht die Möglichkeit, dass die progressiven Kräften nicht nur die Mehrheit der Abgeordneten stellen, sondern dass auch eine Blockade-Politik der Rechtskräfte, die mit ein Drittel der Mandate progressive Entscheidungen blockieren könnten, verhindert werden kann.

Dafür kommt es darauf an, dass die demokratischen und antifaschistischen Parteien und Gruppen im Sinne des Geistes der früheren „Unidad Popular“ ihre Kräfte bündeln und gemeinsame Kandidatinnen und Kandidaten für diese Verfassungskonferenz aufstellen, so dass der Einfluss der reaktionären Kräfte in dieser Versammlung möglichst klein gehalten wird.

Die FIR gratuliert ihrer chilenischen Mitgliedsorganisation und allen Demokraten zu diesem Sieg und wünscht viel Erfolg auf dem Weg zur Demokratisierung des Landes.

Zusendung durch die Autor*innen am 30.10.2020