„Reif ist, wer
auf sich selbst nicht mehr hereinfällt“
(Heimito von Doderer).
Friederike
Habermann ist eine Vortragsreisende und
Autorin für „feministisch-ökologisch und
solidarisch ausgerichtete Ökonomie“
(Klappentext). Der Klappentext teilt mit, wo
„die Aktivistin und freie Akademikerin“ sich
engagiert: Sie sei „aktiv im globalen
Widerstand“ (Ebd.).
Habermann
pflichtet Harald Welzers These bei, dass
das, „was im Moment Realpolitik ist“,
„Illusionspolitik ist“ (44). (Seitenangaben
ohne weiteren Zusatz beziehen sich auf ihr
Buch von 2016.) Sie hält ein grundlegend
anderes Wirtschaften für notwendig. Der
Grund dafür liege nicht allein in den
öffentlich präsenten Mega-Problemen
(ökologische Krise, Verhältnis der
Metropolen zum globalen Süden). Im
Klappentext heißt es: „Eine Ecommony (im
Wortspiel mit Economy) befreit unsere Lust
und unser Bedürfnis, uns in dieser Welt
vielfältig zu betätigen“ und zu ihr
beizutragen.
Die Autorin
hat das begrüßenswerte Anliegen zu zeigen,
dass „Prinzipien für ein neues
Wirtschaftssystem zu erfinden keine reine
Frage der Theorie (ist), denn sie zeichnen
sich bereits ab in den praktischen Ansätzen
anderen Wirtschaftens, bei sozialen
Bewegungen, in technischen Entwicklungen und
im Alltag von immer mehr Menschen“
(Klappentext). Gewiss suchen alle, die für
eine Überwindung der kapitalistischen Art
des Wirtschaftens werben wollen, nach
Beispielen, die zeigen, was in dieser
Richtung bereits unterwegs und möglich ist.
Allerdings wäre es ratsam, dass die
Beispiele überzeugend ausfallen und nicht
selbst massive Pferdefüße enthalten.
An Habermanns
Buch fällt auf, dass sie häufig
gesellschaftliche Probleme herunterbricht
auf Lösungsvorschläge, die für kleine
Gemeinschaften sinnvoll sein können. Die
Autorin „textet“ ihre Leser zu. Eventuelle
Zweifel werden mit einem Wust von Beispielen
und Zitaten erstickt. Kaum kommt die Frage
nach Besitz ohne Privateigentum auf, schon
prasseln auf den Leser Informationen über
Repaircafés, eine Rentnerinitiative zur
gegenseitigen Hilfe bei kleinen Reparaturen
im Alltag und Umsonstläden ein. Die Frage,
ob diese gewiss unterstützenswerten
Praktiken nicht Randphänomene bleiben, die
das Privateigentum, auf das es
gesellschaftlich ankommt und das wirklich
zählt, gar nicht tangieren, fehlt vor lauter
bunten Einzelheiten. Eine Auseinandersetzung
mit den Grenzen, die – um nur ein Beispiel
zu nennen – schon das car-sharing hat,
findet nicht statt.
Die
oppositionellen Zusammenkünfte auf dem
Istanbuler Taksim-Platz im Jahre 2013 gelten
der Autorin als Beispiel dafür, „‚dass
Menschen tatsächlich zusammenkommen und ein
‚common life’ ohne herrschende Macht,
Hegemonie oder ein Monopol leben können’
(Mem Aslan)“ (86). Eine Ausnahmesituation
wird bemüht, wo es um „die Mühen der Ebene“
(Brecht) ginge, also um die Frage, wie eine
Gesellschaft nicht nur am Sonntag, sondern
auch am Werktag dauerhaft „ganz anders“ sein
kann.
Habermann
sieht eine hoffnungsvolle Tendenz darin,
dass viele Bürger „zunehmend zu ‚Dr.
Google’“ oder ähnlichen Netzseiten greifen.
„Diese sind zwar bekannt dafür, dass sie
insbesondere zu Hypochondrie führen, und
sicherlich ist es gefährlich, sich auf sie
zu verlassen, doch zugleich ermöglichen sie
eine neue Form der Autonomie. Nicht für jede
Kleinigkeit muss erst bangend stundenlang in
überfüllten Warteräumen die Zeit
totgeschlagen werden. Und mit der Zeit ist
das Phänomen eines patientengeführten
Gesundheitswesens immer ernster zu nehmen.
Rifkin erinnert in dem Zusammenhang daran,
dass auch beim Start von Wikipedia davor
gewarnt wurde, die Demokratisierung
wissenschaftlicher Forschung könne die hohen
akademischen Standards kompromittieren“
(58f.). Diese Passage ist leider typisch für
das Buch. Es wird allerhand zusammengerührt,
das nicht zueinander passt. Wer rennt denn
„für jede Kleinigkeit“ zum Arzt? Und wer
will politisch glauben machen, das sei so?
Lange bevor das Internet aufkam, existierte
beim Durchschnittsmitbürger ein
Alltagswissen über Erkältung,
Verdauungsprobleme, Wunden u. ä. Und wenn es
auch sonst kaum Bücher im Haushalt gab, so
war doch mit hoher Wahrscheinlichkeit neben
dem Kochbuch ein Titel wie „Das große
Gesundheitsbuch“ anzutreffen. Wikipedia
präsentiert bestenfalls bestimmte Resultate
der Wissenschaft mehr oder minder angemessen
und selektiv – was hat das mit der
„Demokratisierung wissenschaftlicher
Forschung“ zu tun? Welchen Einfluss hat
wikipedia auf die Prioritäten der Forschung?
Wie kommt Habermann darauf, vom Lob des
Laienwissens und der Laientheorien bei
Patienten überzugehen zur These, das
„Phänomen eines patientengeführten
Gesundheitswesens“ sei „immer ernster zu
nehmen“? Wo sie „Phänomen“ schreibt, müsste
„Phantom“ stehen – so unklar bleibt das, was
Habermann unter „patientengeführtes
Gesundheitswesen“ meint. Sie erläutert es
auch nach dem wiedergegebenen Zitat nicht,
schnell ist sie schon wieder bei etwas ganz
anderem. Durchdacht hat sie ihren Einfall
nicht, Wissensportale im Netz würden das
Wissensgefälle zwischen Experte und Laie in
der Medizin schon irgendwie auflösen.
„Stimmt es, dass wir dank Internet und immer
reichhaltigerer Gesundheitsaufklärung
zunehmend zu einem Volk von mündigen,
gutinformierten Patienten werden? Schön
wär’s! Der Overkill an halbgaren,
widersprüchlichen und schlecht aufbereiteten
medizinischen Informationen hinterlässt
weniger kompetente denn verängstigte Bürger“
(Gerd Marstedt: Die Mär vom ‚informierten
Patienten’. In: Psychologie Heute, Mai 2008,
S. 65).
Das Unangenehme an
Arbeiten weginterpretieren
Als Grund
dafür, dass Arbeiten und Tätigkeiten nicht
nur wegen ihres Nutzeffekts für Menschen
wichtig sein können, nennt Habermann:
„Reproduktive Tätigkeiten können eine Form
von Arbeitsmeditation darstellen, wenn sie
nicht ausschließlich, sondern immer wieder
mal zwischendurch stattfinden“ (61). Das
bezieht sich im günstigen Fall auf
Tätigkeiten wie z. B. das Abwaschen, das
Putzen u.ä. Wie verhält es sich aber z. B.
mit der Müllabfuhr? Habermann zitiert (auf
S. 79) die Frage „‚Wenn alle immer nur noch
machen, worauf sie Lust haben, wer macht
dann die Drecksarbeit?’“. Habermann
antwortet darauf, indem sie wieder zitiert:
„Es gelte, unschöne Tätigkeiten schön zu
gestalten – das ist sinngemäß der zweite
Teil von Van Bo Le-Mentzels Antwort. Und
entspricht auch einem der Aspekte, mit denen
Christian Siefke auf diesen Standardeinwand
reagiert: Vieles sei nur im Kapitalismus so
organisiert, dass es unangenehm sei. Die
Müllabfuhr schlägt er als eine Art
Computerspiel vor. Doch Kratzwald wendet zu
Recht ein, dass es besser praktisch keine
Müllerzeugung mehr geben solle“ (79).
Habermann zitiert zustimmend Autoren, die
anlässlich eines ernsten Problems in eine
Sektlaune geraten. In ihr kommt die soziale
Realität nur noch im Modus von Späßchen vor,
die sich über solch spröde Themen erheben
und mit ihnen nichts zu tun haben wollen:
Das Problem der Müllabfuhr – warum nicht als
Computerspiel praktizieren? Der Müll selbst
– der wäre doch gar kein Problem, wenn es
ihn nicht gäbe. Das lässt sich mühelos von
so ziemlich allem behaupten.
Auch über den
Bergbau, eine weitere typische Stätte harter
und schmutziger Arbeit, hat Habermann so
ihre Gedanken bzw. referiert Gedanken
anderer. Ich zitiere die Passage komplett
und füge Ziffern ein: „(1)Von Männern werden
meist als erstes das Reinigen der Toilette
oder Reinigungsarbeiten allgemein als
unangenehme Tätigkeiten genannt – aber haben
die alle eine Putzkraft zu Hause, dass sie
das im Kapitalismus nicht auch tun? (2)
Frauen, so Brigitte Kratzwalds Wahrnehmung,
führten oft die Arbeit im Bergwerk an. (3)
Doch erstens erlaube heutige Technik,
Menschen sicher auf den Mond und wieder
zurück zu fliegen, warum also nicht auch
sicher ins Bergwerk rein und wieder raus,
und (4) zweitens stiegen Menschen auch
freiwillig in Höhlen, um sie zu erforschen;
warum sollten nicht welche einige Zeit in
einer Mine tätig werden wollen, wenn die
Bedingungen entsprechend seien“ (81). In
Satz 4 folgert Habermann aus der Tatsache,
dass manche Mitmenschen gern Höhlen
erforschen und deshalb in sie einsteigen,
dass etwas ganz anderes – nämlich Arbeit
im Bergwerk – doch durchaus attraktiv sein
könne. Habermann macht dann den
tautologischen Zusatz: „wenn die Bedingungen
entsprechend seien“. Die Autorin erläutert
dies in Satz 3 mit einem Vergleich zwischen
Raumfahrt und Bergbau und pflichtet einem
Technikoptimismus bei. Dieser bezieht sich
auf die „Sicherheit“, mit der Menschen zum
Mond und ins Bergwerk kämen. Diese
„Sicherheit“ sagt aber rein gar nichts aus
über die Lebensqualität der Arbeit in der
Raumfahrt oder im Bergwerk. Im Gegenteil:
Gerade die zu erfüllenden
Sicherheitsauflagen in einer
menschenfeindlichen Umwelt sind es, die den
Raumfahrern Bedingungen auferlegen
(Strahlung, Raumfahreranzug,
Astronautenkost), die alles andere als
attraktiv sind. Satz 1 enthält einen bei
vielen Feministinnen verbreiteten Blick auf
„unangenehme Tätigkeiten“ von Männern.
Tatsache ist, dass die gefährlichsten,
gesundheitlich abträglichsten und körperlich
anstrengendsten Arbeiten Männern zugewiesen
werden. Vor diesem Hintergrund wirkt es
schon etwas speziell, dass die Autorin ihren
Lesern mitteilt, wenn Männer an unangenehme
Arbeiten dächten, so dächten sie ans
Kloputzen. Verständlich wäre diese
Mitteilung vielleicht, würde das Zitat in
einen Kontext eingebettet sein, in der die
Arbeitsverteilung im Haushalt zwischen Mann
und Frau das Thema bildet. Das ist aber
nicht der Fall.
Gegensätze
ignorieren
Gegensätze
zwischen Teilzielen der grundlegenden
Veränderung sind für Habermann kein Thema.
Einerseits
zitiert sie zustimmend die Meinung, „viele
Arbeiten, ja, ganze Berufe“ seien
„schlichtweg überflüssig, denn es gibt sie
nur, weil es Geld gibt.“ (80). Einsparen
könne und solle die Gesellschaft z. B.
„industrielle Kernsektoren (Hochbau,
Tiefbau, Maschinenbau), was wiederum zur
Folge habe, dass weniger Energie verbraucht
werden müsste“ (80). Andererseits zitiert
Habermann gleich im nächsten Absatz
beipflichtend den Gedanken, „viele
langweilige Routinetätigkeiten könnten
automatisiert werden“ (80). Der Widerspruch,
sich einerseits für das Verschwinden des
„Maschinenbaus“ auszusprechen, andererseits
für die Automatisierung „langweiliger
Routinetätigkeiten“, kümmert die Autorin
nicht.
Einerseits
hält die Autorin es hofferisch für bare
Münze, wenn ein Vortragsreisender über die
Praxis im selbstverwalteten Betrieb Vio.Me
in Thessaloniki feststellt: „The factory ist
a place of fun now“ (73). Andererseits
bezieht sich Habermann positiv auf ein
„‚Gesetz’“, „dessen Wahrheit sich immer
wieder erstaunlich bestätigt findet“. Es
laute: „‚Given enough people you will find a
nerd for every task hat has to be done’“
(81). Habermann vergisst mit diesem „Gesetz“
die Perspektive, die Arbeiten so
umzugestalten, dass sie die Subjektivität
der Menschen positiv entfalten, und geht
über zum Lösungsvorschlag, jeweils die
Person ausfindig zu machen, die mit ihrer
problematischen Subjektivität („nerd“) zur
problematischen Arbeit passe.
Einerseits ist
„Gegenseitigkeit“ ein hoher Wert für
Habermann. Das Problem des Wissensgefälles
zwischen Experten und Laien ignoriert sie
beflissentlich. Die Autorin schwärmt davon,
„dass sich Wissen durch das laterale, also
sich gegenseitige Beibringen vervielfacht“
(58). Was aber bringt der Zahnpatient dem
Zahnarzt auf dem Zahnarztstuhl bei? Das von
Habermann favorisierte Prinzip „Beitragen
statt Tauschen“ sei nicht mit
„Wohltätigkeit“ zu verwechseln, „sondern es
basiert auf dem Gedanken der
Gegenseitigkeit; dem Vertrauen, dass die
andere Person für sich schaut, wie sie
beitragen kann“ (65). Zugleich betreffen
Caretätigkeiten gerade Relationen zwischen
Menschen, in denen es ein Gefälle gibt
zwischen dem, was sie „beitragen“, handelt
es sich doch häufig um den Kontakt zwischen
Gesunden und Kranken, Jungen und Alten,
Eltern und Kindern. Bei solchen
„asymmetrischen Beziehungen“ steht „die
Abhängigkeit im Zentrum“ (31).
In
Sonntagsreden werden alle Ecken rund
Das Stillen
eines Babies zeigt Habermann zufolge, wie
wenig Freiheit und Lust (26) sowie
Abhängigkeit, Freiheit und Notwendigkeit
(149) Gegensätze sind. Die Autorin
stilisiert im letzten Teil ihres Buches die
gesellschaftliche Wirklichkeit zu
Anwendungsfällen für dünnste
pseudophilosophische Abstraktionen. Ihr
Vorschlag lautet: CAREt ab vom binären
Denken! Lasst ab davon, diese Abstraktionen
einander entgegenzusetzen, sondern versteht
sie richtig – als sich gegenseitig positiv
steigernd oder positiv miteinander
rückgekoppelt (wie Beuger und Strecker)!
Insbesondere
der letzte Teil des Buches (ab S.141) ergeht
sich im „Jargon der Eigentlichkeit“. Er
„beschirmt“ seinen Anhänger „vor der
Unannehmlichkeit, ernsthaft zur Sache sich
zu äußern, von der er nichts versteht, und
erlaubt ihm doch, womöglich übersachliche
Beziehungen zu ihr vorzutäuschen. Dazu
eignet der Jargon sich so gut, weil er stets
von sich aus den Schein eines abwesenden
Konkreten mit dessen Veredelung vereint“
(Theodor W. Adorno: Jargon der
Eigentlichkeit. Frankfurt M. 1969, S. 69).
Habermann bietet Sinnsprüche in Serie an.
Lohnabhängige werden sich erfreuen an der
Weisheit „‚Jedes Geben ist in Wirklichkeit
ein Weitergeben dessen, was man bekommen
hat’“ (155). Auch angesichts der Knappheit
von Ressourcen, die bei der Verwendung für
einen Zweck oder für das Interesse einer
Gruppe einer anderen Gruppe oder einer
anderen Region nicht zur Verfügung stehen,
weiß Habermann zu trösten – wieder mit dem
Zitieren eines blumigen Kalenderblattverses:
„Ein wichtiger Schritt zu einem guten Leben
ist der, den Blick für die in Wirklichkeit
vorhandene Fülle zu richten (sic!): die
Fülle, die die Erde schenkt … die Fülle an
Gaben, die die meisten Menschen täglich
erhalten“ (162). Knappheit gilt Habermann
als Missverständnis der Realität, die von
Fülle charakterisiert sei. Angesichts von
Problemen in Gruppen weiß HabermannRat zu
erteilen, indem sie Autorinnen zitiert, die
„eine neue Form von Kollektivität“
empfehlen. Sie „basiert auf einer
Wertschätzung vielfältiger Individualität,
bei der die Einzelnen sich nicht dem großen
Ganzen unterordnen, sondern darin einen
selbst gewählten, ihnen angenehmen Platz
finden“ (151). Solche Redensarten, die „das
Herz erheben, aber die Vernunft leer lassen“
(Hegel), bietet Habermann mit vielen
weiteren Zitaten seitenlang an. Ich
schwelge, also bin ich. All das grenzt an
Realsatire. Habermann meint es völlig ernst.
Bewusstsein
und Selbstbewusstsein
Die
Unterschätzung von Care-Tätigkeiten zu
revidieren ist erforderlich. Habermann
schreibt dazu: „Care-Logik erlaubt einen
anderen Blick auf das gesamte Wirtschaften:
Denn wenn es Care ist, einer Kranken Essen
zu verabreichen – warum sollte es nicht Care
sein, das Essen anzubauen? Wenn es Care ist,
ein Kind ins Bett zu bringen – warum sollte
es nicht Care sein, das Bett zu
produzieren?“ (67). Manche verstehen unter
Arbeit nur Erwerbsarbeit. Die Autorin
antwortet auf diesen Fehler mit einer
niveaugleichen Retourkutsche: Alle Arbeit
ist Care-Tätigkeit. Die grenzenlose
Ausweitung des Care-Begriffs macht ihn
inhaltlich leer. Wenn Care alles „sein
soll“, was ist dann Care?
Wer eine
ernsthafte Denkarbeit an Problemen einer
nachkapitalistischen Lebensweise und Weise
des Wirtschaftens erwartet, wird von
Habermanns Buch enttäuscht sein. Ihre
Gedankengänge sind oft sprunghaft. Sie
wechselt Ebenen und Themen auf
abenteuerliche Weise und schließt sie
miteinander kurz. Da Habermanns „Begriffe so
unscharf“ sind „wie Gestalten in einer
Waschküche“, kann die Autorin „von keiner
ihrer Idee eine Weile sprechen, ohne
unversehens schon in die nächste zu geraten“
(Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften.
Reinbek bei Hamburg 1981, S. 458).
Habermanns
Buch wirkt wie das Spiel einer Jongleurin,
die alle Bälle nur ganz kurz anfassen kann
und viele Bälle gleichzeitig hochwirbelt.
Damit lässt sich zuverlässig vermeiden,
irgendeinem einzelnen Thema nachzugehen.
„Das ideenflüchtige Denken wird nicht mehr
von einer Zielvorstellung straff geführt,
sondern wechselt oft das Ziel oder verliert
es. Das Denken wird dauernd von
dazwischenkommenden anderen Einfällen
abgelenkt“ (Christian Scharfetter:
Allgemeine Psychopathologie. Stuttgart 1996,
S. 151f.). Da aber immer gleich schon von
etwas anderem die Rede ist, fehlt jeweils
die Zeit dafür einzuhaken. Wie der Lahme dem
Blinden, so soll der eine nicht durchdachte
Gedanke dem anderen halbgaren Einfall
beistehen und umgekehrt.
Die
Autorin erklärt nebenbei auch schnell mal
die Ess-Sucht: „Erst Diäten machen
esssüchtig, da durch den Gedanken, es gäbe
nicht genug, oder aber durch das schlechte
Gewissen beim Genießen die Befriedigung
verdorben wird“ (160). Schade nur, dass
Habermann nicht auch noch die
Krebskrankheiten in einem Satz … bespricht.
Einige Zeilen später dann die Mitteilung der
Autorin, die selbst elfenschlank ist:
Habermann sagt in Ich-Form, es sei "meine
Überzeugung, dass zum relaxt schlank
bleiben gehört, immer genau das zu essen,
worauf mensch Lust hat“ (Ebd.
161). Care in
Großbuchstaben zu schreiben koexistiert bei
Habermann damit, sich unempathisch und
ignorant zu Mitmenschen zu verhalten, für
die Übergewicht ein Problem ist. „UmCARE zum
Miteinander“ – so der Untertitel des Buches
– zu predigen koexistiert mit einer
Unsensibilität aus Mangel an Einsicht in die
eigene Inkompetenz. Ihre Stellungnahme
zeigt: Sie weiß nicht nur nichts über
Essprobleme, sondern ihr ist auch nicht
bewusst, dass sie nichts weiß. Deshalb
schwatzt sie Phrasen daher und bietet
Patentrezepte und Leerformeln feil: „immer
genau das essen, worauf mensch Lust hat“.
Und erachtet dieses Gerede als ein weiteres
Beispiel dafür, wie sie zu „Care“ und
„Miteinander“ „beiträgt“. Auf das
Bewusstsein von dem, was sie tun, kommt es
solchen „Aktivisten“ weniger an als auf das
„Selbstbewusstsein“, mit ihrer Praxis und
ihrer Existenz ganz & ganzheitlich immer
busy „dem Positiven Raum zu geben“ (9).
Ebenso massive wie komplexe gesundheitliche
Probleme wollen sie mit einfältigen Sprüchen
von sich fern halten und reden sich und
anderen die entsprechende Kälte vollmundig
als Zuwendung schön.
Die
Selbstdarstellung, es handele sich bei der
Autorin um eine „neoliberal geschulte und
marxistisch belesene Ökonomin“ (16), ist
überraschend. Wer wäre aus der Lektüre des
Buches darauf gekommen? In ihm macht sich
weder das eine noch das andere bemerkbar.
Habermann malt sich in ihrer social fiction
die Welt, wie sie ihr gefällt. So
begrüßenswert ihr vermeintliches Anliegen
ist, nach einer Wirtschaft jenseits von
Markt und Staat (84) zu suchen, so
entnervend wirken die Eigentore, die das
Buch in Serie enthält.
Das
Verlangen nach pseudoreligiöser Gestimmtheit
Die Autorin
prüft ihre Gedanken nicht inhaltlich. Die
Wohlfühlwirkung ist der Maßstab ihres
affektiven Denkens. Sie überzeugt ihre Leser
nicht, sie vereinnahmt sie. Das schließt
home-stories ein über Habermanns
„Lieblingsschoki“ (Schokolade) (161) und
ihren „Compi“ (PC) (61). Alle sollen sich
einig fühlen mit ihrem Vorhaben, „dem
Positiven Raum zu geben“ (9). Ihr Buch
gleicht trotz aller Zitate eher dem Monolog
eines fast manischen „Zweckoptimismus“
(128). Die Grenzen, Probleme und
Widersprüche der herbeizitierten „positiven“
Praxen sind nicht nur kein Thema, sie
sollen es auch bloß nicht werden.
Habermanns
Parole „UmCARE zum Miteinander“ klingt nicht
nur wie eine Mischung aus Kirchentag und
Berliner Stadtreinigung (BSR). Letztere war
ja bereits 1999 mit dem Reklameslogan „we
kehr for you“ aufgetreten. Welche Rolle die
Müllabfuhr bei der Autorin spielt, haben wir
bereits erfahren. Wenden wir uns nun ihren
religiösen Erweckungserlebnissen zu.
Habermann muss unbedingt ihre Empfindungen
bei einer Demonstration anlässlich eines
Klimagipfels in Paris mitteilen: „Nun
spannen wir von einer nahen Brücke ein rotes
Tuch über die ganze Breite der Seine: Es
folgt eine Multitude aus Zeremonien,
authentisch und queer zugleich: die
traditionellen Lieder, Farben und Sagen –
von Maoris aus Aotearoa, Sammi aus Sápmi
oder Kuna aus Kuna Yala – werden gemischt
und mit uns Nicht-Indigenen geteilt:
Trachten sind zum Teil aus alten Bannern
genäht. ‚Wir sind gekommen, Euch Medizin zu
bringen’, sagt eine ältere Lummi. Sie lehrt
uns ein Lied ‚gegen jede Art von Sucht’:
Auch CO2-Sucht, Öl- und Kohle-Sucht.
Kapitalismus-Sucht.’ Gemeinsam singen wir.
Dann brechen wir auf zum Arc de Triomphe“
(175). Der „Kampf“ als inneres Erlebnis.
Pseudoreligiöser Kitsch, Lummi-Romantik und
aufgesetzte Bezugnahme auf modische Vokabeln
wie „Multitude“ werden zusammengerührt.
Habermann lässt nichts aus. Fern davon,
„authentisch“ zu sein, macht die zitierte
Passage den Eindruck einer verzweifelten
Alleinunterhalterin, die auf möglichst viele
Stimmungs- und Reklameknöpfchen drücken will
– „authentisch und queer zugleich“.
Ein Buch an
einem inhaltlichen Anliegen zu messen
(und insofern „Eigentore“ festzustellen) ist
ihm nur dann angemessen, wenn dieses
Anliegen das Buch ausmacht. Anders verhält
es sich dort, wo es, wie in Habermanns Text,
zwar nicht ausschließlich, aber doch
durchgängig um einen pseudoreligiösen Drang
geht. Also um das Verlangen, eine „negative“
oder dysphorische affektive Gestimmtheit
zugunsten von „positivem“ Denken und Fühlen
zurückzudrängen. Vorgegangen wird so, als
würde sich ein Zahnarzt nur dem Zahnschmerz
widmen und nicht dem ihm zugrundeliegenden
Problem (Günter Anders: Die Antiquiertheit
des Menschen. Bd. 2. München 1988, S. 365).
Angestrebt wird der „Sieg des Glaubens als
seelischer Tätigkeit über den Glauben als
inhaltliches Credo“ (Ebd., 371). Dann „ist
alles schon in Ordnung, wenn nur überhaupt
geglaubt wird, gleich ob die Dogmen
‚Trinität’ oder ‚klassenlose Gesellschaft’
heißen“ (Ebd.). Um einen „Glauben an
bestimmte Inhalte“ geht es dieser (insofern
pseudoreligiösen) Orientierung nicht.
Vielmehr bejaht sie „den Glauben an den
Glauben. Nämlich den Glauben an dessen
Überleben fördernde Leistung“ (Ebd.). Im
Zentrum stehen die positiven Effekte auf die
affektive Stimmung, die sich ihre
Veranstalter versprechen.
So auch bei
Habermann. Ihr Buch gehört zu einer recht
speziellen Sorte von Literatur. Ihr dienen
die Probleme der gesellschaftlichen Realität
faktisch vorwiegend als Anlass und
Gelegenheit dazu, eine inhaltlich konfuse,
aber irgendwie „positiv“ stimmende
Kreativität und Phantasie zu entfalten und
auszustellen. Das Wunschdenken will bei sich
bleiben und sich nicht auseinandersetzen mit
dem, was ihm entgegensteht.
Habermann
bedient den Drang, die eigene Bedürftigkeit
nach „Positivem“ mit Luftschlössern und mit
die Realität verniedlichenden Einfällen zu
befriedigen. Das Buch präsentiert ein
Paralleluniversum. Wie in einer Echokammer
sollen sich die Belege für das „Positive“
gegenseitig bestätigen. Das entspricht dem
Motto, das die Autorin ihrem Buch
voranstellt: „Glaube nie eine Vorhersage,
die dich nicht stärkt“ (Sean Stephenson)
(5). Es bleibt nicht beim positiven
Denken. Habermann zitiert zustimmend den
Satz „With this hand I heal myself and with
this hand I heal the world“ (155). Ohne
Realitätsfluchtvokabeln, Konfusion und die
Denkfehler, die wir an ihrem Buch
herausgearbeitet haben, funktioniert solch
esoterischer Größenwahn nicht. Habermann
will gleich die ganze Welt heilen („‚Wir
sind gekommen, Euch Medizin zu bringen.’“
(175)). Hätte es fürs erste nicht völlig
gereicht, die eigene Verwirrung zu
überwinden, statt aus ihr ein Poesiealbum zu
formen und es zu veröffentlichen?
Mein Artikel
zeigt, zu welchen negativen Botschaften es
führt, wenn Habermann sich und anderen die
uneingestandene eigene politische Depression
mit einem fast schon manischen positiven
Denken wegreden will. Das wäre für sich
genommen uninteressant, wenn es sich bei
diesem Vorgehen um einen Einzelfall handeln
würde.
Editorischer Hinweis: Wir erhielten
den Beitrag von der Autorin für diese
Ausgabe.
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