Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Marine Le Pen und Matteo Salvini
Eurofaschistischer Start in den Europaparlaments-Wahlkampf

11/2018

trend
onlinezeitung

Artikel vom 18. Oktober 2018

Durch eine Gewerkschaft als Redner oder Rednerin eingeladen zu werden, das ist der Traum einer jeden rechtsextremen Spitzenfigur – untermauert es doch den selbst erhobenen Anspruch, angeblich eine soziale Protestbewegung zu repräsentieren. Der soziale Unmut der lohnabhängig Arbeitenden soll dabei als ein Teil des allgemeinen „Volkszorns“, den die Rechten verkörpern möchten, im völkischen Ganzen aufgehen.

Diesen Traum erfüllte sich Marine Le Pen nun am Montag, den 08. Oktober 18 in gewisser Weise. Beim Versuch, eigene Gewerkschaften oder vielmehr Pseudo-Beschäftigtenorganisationen zu gründen, wie sie es etwa zwischen 1995 und 1998 in mehreren Bereichen tat, ist ihre Partei – der frühere Front National (FN), welcher seit dem 1. Juni dieses Jahres Rassemblement National (RN, „nationale Sammlung“) heißt – mittlerweile zwar notorisch gescheitert. Doch es war eine vorgeblich Beschäftigteninteressen vertretende Organisation, die „Allgemeine Arbeiterunion“ UGL, die an jenem 08. Oktober d.J. Marine Le Pen zu einer Konferenz nach Rom einlud. In Wirklichkeit handelt es sich bei ihr allerdings vor allem um eine Art Satellitenorganisation der vor allem in Norditalien verankerten Lega, der rassistischen und ursprünglich auch regionalistischen, ja einstmals separatistischen Partei des jetzigen Innenministers Matteo Salvini.

Anlässlich ihrer beider Konferenzteilnahme, und auf einer Pressekonferenz im Anschluss, präsentierte Salvini sich mit den italienischen und internationalen Medien zusammen mit der französischen Gastrednerin. Beide hegen zusammen große Ambitionen: Nach den Europaparlamentswahlen von Ende Mai 2019 wollen sie mit den nationalistischen Rechtsparteien aus mehreren EU-Ländern die dann stärkste Fraktion im Europäischen Parlament aufbauen. Auf der rechten Flanke des Europäischen Parlaments werden dann tatsächlich die Karten neu gemischt werden. Denn dort sitzen bislang Parteien, die rechts von der bürgerlich-konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) angesidelt sind, bislang in drei unterschiedlichen Fraktionen. Eine von ihnen wird durch den französischen FN respektive RN angeführt, eine zweite durch die „Unabhängigkeitspartei des Vereinigten Königreichs“ (UKIP) – einstmals durch den prominenten Nigel Farage geleitet, seine wechselnden Nachfolger sind seit 2016 weniger erfolgreich – und die dritte durch die britischen Konservativen oder Tories. Aufgrund des wohl im kommenden März bevorstehenden britischen EU-Austritts oder Brexit werden zwei der genannten drei Parteien jedoch aus dem EU-Parlament verschwinden. Le Pen und Salvini, zu deren Verbündeten im Europaparlament bislang die österreichische FPÖ zählt und in der nächsten Legislaturperiode vielleicht auch neu dort vertretene Parteien wie die tschechische Partei „Freiheit und direkte Demokratie“ (SPD) gehören werden, sehen sich dadurch im Aufwind.

Ihren eventuellen Wahlerfolg sehen sie allerdings nicht als Auftrag, im Rahmen der bestehenden EU-Institutionen Politik zu betreiben, sondern zu ihrer Überwindung. Anlässlich ihres gemeinsamen Auftritts mangelte es Le Pen und Salvini nicht an harten Worten über die existierende Union. Diese qualifizierten sie unter anderem als „Bunker“, ziehen sie der „Kerkerlogik“, und bezeichneten sie als „ein totalitäres System“, das „für die Ausweitung der Macht einer globalisierten Superklasse und nicht der Völker“ – Alexander Gaulands Ergüsse in der FAZ lassen grüßen – aufgebaut worden sei. Gleichzeitig sprach Matteo Salvini davon, man werde und wolle „das wahre Europa retten“. Gerne mit Voktor Orban und Wladimir Putin, natürlich.

Die Etappe in Rom bildete für Marine Le Pen nur den Auftakt für eine Art Europatourne; sie war jedoch symbolisch in ihren Augen wohl die wichtigste. Italien war für die französische extreme Rechte lange Zeit ein Land des Träume. Aus Italien kamen das Geld, die Infrastruktur, das Know-How und auch die Plakate, mit denen 1972 – in einer Zeit der globalen Schwäche der extremen Rechten in Frankreich, nach ihrer Niederlage im Algerienkrieg sowie ihrer Marginalisierung im Mai 1968 – der Front National gegründet und aufgebaut wurde. Sponsor und Unterstützer war dabei die italienische neofaschistische Partei MSI („Italienische Sozialbewegung“), die 1946 in der unmittelbaren Nachkriegszeit gegründet worden war und nicht zufällig ähnlich hieß wie die „Italienische Sozialrepublik“ oder RSI, vulgo das Marionettenregime Nazideutschlands am Gardasee, das von 1943 bis 1945 bestand und nach dem Ende der faschistischen Zentralregierung in Rom errichtet worden war.

Den italienischen MSI gibt es in der damaligen Form nicht mehr, seine Erben sind über mehrere Parteien verstreut. Auf französischer Seite hat seine politisch-historische Hinterlassenschaft bei der extremen Rechten westlich der Alpen mindestens eine sichtbare Spur hinterlassen: Als Parteisymbol benutzt der RN – wie vor ihm der FN – nach wie vor die blau-weiß-rote Flamme in den Nationalfarben, die ursprünglich eine pure Adaption des MSI-Symbols darstellte.

Ein weiterer Akteur stand bei dem gemeinsamen Auftritt in Rom zumindest geistig im Raum: Steve Bannon, der US-amerikanische vormalige Präsidentenberater. Er sieht sich gerne als Ideen- und Stichwortgeber für die europäischen Rechtsparteien. Diesbezüglich erteilten Le Pen und Salvini ihm jedoch eine Abfuhr, man brauche keinen Hintermann. Wozu ist man auch Nationalist, wenn man unter Kontrolle eines US-Amerikaners stehen soll? Am darauf folgenden Donnerstag, also vor einer Woche, traf  Marine Le Pen dann Bannon doch noch persönlich. Von ihrem Gespräch wurde bekannt, Bannon habe anerkannt, bei der von ihm gegründeten Struktur The movement handele es sich nicht um eine Partei im europäischen Sinne. Das bedeutet, dass er sich auf eine Rolle als ideenlieferant bei Themen wie Immigration und Ökonomie – wo er sich als Vordenker einer „Anti-Davos-Partei“, also gegen das Weltwirtschaftsforum (WEF) und die „Globalisierer“, versteht – beschränken soll.

Ein weiterer Exponent rechter, extremer Politik findet bei Marine Le Pen Gefallen, auch wenn sie sich von einigen seiner Aussprüchen (besonders den frauenfeindlichen sowie schwulenfeindlichen Ausbrüchen) vorsichtig distanziert mit der Anmerkung, jedes Land habe seine kulturellen Eigenheiten, die nicht auf Frankreich übertragbar seien. Es handelt sich um den am 28. Oktober 18 zum künftigen brasilianischen Präsidenten – ab 1. Januar 19 – gewählten Jair Messias Bolsonaro. ( Vgl. http://www.lefigaro.fr/ )

Editorischer Hinweis

Wir erhielten diesen Artikel vom Autor für diese Ausgabe.