Angela in Afrika

von Bernard Schmid

11/2018

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Die deutsche Kanzlerin macht dem afrikanischen Kontinent ihre Aufwartung, nahezu zeitgleich mit der britischen Premierministerin. Es geht u.a. um den Zugang zu Rohstoffen – und um Migrationskontrolle. Aktueller Artikel, erstmals publiziert in Sozialistische Zeitung (SoZ) im Oktober 2018

Der afrikanische Kontinent wird derzeit von einigen Großmachtvertretern heftig umworben. Am 3. und 4. September d.J. etwa fand in Peking die siebte Ausgabe des China-Afrika-Forums statt, umgerechnet rund anderthalb Milliarden Euro Kreditzusagen wurden dort getätigt – der Rohstoffhunger Chinas als „Werkbank der (kapitalistischen) Welt“ treibt das Land seit der zweiten Hälfte des vorigen Jahrzehnts zu einer immer intensiveren Zusammenarbeit mit einer Reihe afrikanischer Staatsführungen. Vom 28. bis zum 30. August besuchte die britische Premierministerin Theresa Mey mehrere englischsprachige Staaten Afrikas wie Nigeria, Südafrika und Kenia. Ihr Staatsbesuch stand ganz offenkundig im Zeichen des Bemühens, im Vorgriff auf den für März 2019 programmierten – und mit vielen Unsicherheiten verknüpften - EU-Austritt des Vereinigten Königreichs intensivierte Wirtschaftsbeziehungen auf anderen Kontinenten zu knüpfen.

Schließlich bereiste auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel vom 29. bis 31. August, also fast zeitgleich zur Tour Theresa Mays, den Westen Afrikas. Auch hier ging es unter anderem um Wirtschaftsbeziehungen, um Absatzmärkte für die deutsche Industrie – Werkzeugmaschinen und Fahrzeuge made in Germany bleiben auch hier gefragte Produkte – und um neue, ausgeweitete Freihandelsabkommen. Nach denen der ersten Generation im Rahmen des Lomé-Rahmenabkommens mit der EWG von 1975 werden derzeit Freihandelsvereinbarungen der neuen Generation ausgehandelt. Die deutsche Bundesregierung ist dabei seit Jahrzehnten innerhalb der EWG / EG / EU führend auf diesem Gebiet und unterhält eine eigene Kommission für dieses Verhandlungsgebiet, obwohl die Kompetenz dafür fachlich eigentlich bei der EU in Brüssel angesiedelt ist.

Freihandelsabkommen „öffnen die Märkte“, wie man es im bürgerlichen Jargon nennt. Sie erleichtern die Überflutung der Binnenmärkte in Ländern mit schwächeren Ökonomien und geringerem Produktivitätsniveau mit Agrar- und Industrieprodukten etwa aus der EU. Angefangen etwa bei den Tonnen von Hühnchenfleisch, dessen Produktion auf EU-Territorium hochgradig subventioniert wird und das in Westafrika dazu beiträgt, manche Landwirtschaftsbetriebe zu ruinieren.

Insofern stellen Freihandelsregeln astreine „Fluchtursachen“ dar, wie man die Motive und Gründe für internationale Migration heute im Politikbetrieb allgemein bezeichnet. Allerdings berührten die Gespräche Angela Merkels mit den Staatsführungen im Senegal, im Anschluss dann in Ghana und in Nigeria nicht diesen Punkt, als es um die „Bekämpfung von Fluchtursachen“ ging. Vielmehr wurde das Thema der gewollten Verhinderung „illegaler“, d.h. durch die Länder des Nordens unerwünschter Migration hier nahezu ausschließlich unter dem Aspekt des Abstellens von Folgen und Symptomen behandelt.

In der senegalesischen Hauptstadt Dakar beispielsweise versicherte der 2012 ins Amt gekommene, liberale Staatspräsident Macky Sall – er muss sich demnächst eine Wiederwahl stellen – der deutschen Kanzlerin seine Kooperation auf dieser Ebene. Ein dpa-Bericht fasste es lapidar wie folgt zusammen: Der senegalesische Präsident Macky Sall hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) seine Zusammenarbeit im Kampf gegen illegale Migration und Schleuser zugesagt. Der Kampf gegen die Schleuser sei <eine Frage der Würde Afrikas>, sagte Sall (…) nach einem Gespräch mit Merkel in der senegalesischen Hauptstadt Dakar. Afrikanische Regierungen dürften sich nicht zu Komplizen von Schleppern und Schleusern machen. Der afrikanischen Jugend müssten Chancen auf dem eigenen Kontinent geboten werden. Merkel sagte, es sei wichtig, Schlepper und Schleuser zu bekämpfen…“ Allerdings sei der Vollständigkeit halber erwähnt, dass Kanzlerin Merkel sich an derselben Stelle durchaus auch dafür aussprach, „legale Möglichkeiten des Zugangs zu Europa“ zu schaffen. Dabei geht es in Wirklichkeit vor allem um die Visavergabe für eine Minderheit von Hochqualifizierten sowie um die Ausbildung von Studierenden, welche auch im Interesse der künftigen bilateralen Wirtschaftsbeziehungen sowie der Beziehungen auf Verwaltungsebene erfolgt.

In Nigeria wurden ähnliche Themen angesprochen, dort ging es allerdings eher um die Schwerfälligkeit der nigerianischen Bürokratie in Botschaften und Konsulaten im nördlichen Ausland, was die Ausstellung von Passierscheinen für Abschiebeflüge betrifft. Solche Passierscheine bilden eine Notwendigkeit für die erfolgreiche Abschiebung von ausländischen Staatsangehörigen, die keinen Reisepass mit sich führen, wenn sie durch die Polizei des Aufnahmelands angetroffen werden.

Der „Kampf gegen Schlepper und Schleuser“ ist dabei eine alte Leier in der Rhetorik aller europäischen Staatsführungen, wenn es um die Bekämpfung unerwünschte internationaler Migration geht. Dabei wird eine Auswirkung zur Ursache erklärt: Die Politik der (weitgehenden) Grenzschließung für Menschen, die anders als Waren- und Kapitalflüsse keine Freizügigkeit eingeräumt bekommen, hat unter anderem zur Folge, dass ein Markt für teilweise mafiöse Gruppen entsteht. Diverse Akteure, von denen einige aus kriminellen Motiven und Bereicherungsantrieb handeln – hinzu kommen allerdings auch ehemalige Migranten, die mitunter ihrer Landsleuten oder Leidensgenossen auf relativ selbstlose Weise beim Grenzübertritt helfen -, treten als Vermittler oder Unterstützer beim Überwinden nationaler oder europäischer Grenzen auf. Der „Schlepper“ hat dabei immer ein Doppelgesicht: Er ist einerseits die Figur, die die Möglichkeit zur Überwindung der Grenzsperren schafft und deswegen durch die Migrationswilligen herbeigesehnt wird – aber oftmals andererseits auch derjenige, der dafür einen hohen Preis in Form von Geldzahlungen, Dienstleistungen oder sexueller Ausbeutung verlangt. Aus dem erstgenannten Grund wird ihm mit oft berechtigtem grundsätzlichem Misstrauen begegnet. Politiker, die in Wirklichkeit in erster Linie die (unerwünschten) Migranten sowie Flüchtlinge und nicht ihre Verfolger oder Ausbeuter bekämpfen, berufen sich aber auf die erstgenannte Facette, um in moralisch wohlklingenden Tönen in Wirklichkeit die zweite Facette zu verteufeln.

Dabei sind übrigens nicht alle „Schleuser“ auch moralische Monster, obwohl sich auch tatsächliche Sklavenhalter im „Schleppergewerbe“ betätigen. An der nordfranzösischen Ärmelkanalküste im Raum Calais, wo viele Migranten verzweifelt die Überfahrt auf die britischen Inseln versuchen, agieren als so genannte Schleuser etwa oft Kurden und andere Iraker, deren Tun darin besteht, die Tür zu LKWs zu öffnen, in deren Inneren die Einwanderungskandidaten die Fahrt auf britisches Territorium versuchen. Die finanzielle Komponente ist dabei in vielen Fällen unbedeutend, auch wenn manche Akteure sich diese bescheidene Hilfestellung teuer bezahlen lassen.

Im Falle eines Landes wie des Senegal kommt hinzu, dass die europäische Außenwirtschaftspolitik und Wirtschaftsbeziehungen an führender Stelle dazu beitrugen, dass überhaupt Menschen zu haupt- oder nebenberuflichen „Schleppern“ wurden. Viele der Personen an der senegalesischen Atlantikküste, die „außergesetzliche“ Reisen in Richtung Europa vermitteln – früher per Boot auf die Kanarischen Inseln und damit spanisches Territorium, heute, infolge der starken Zunahme von Kontrollen auf dem Atlantik, über Land bis nach Libyen – waren früher als Fischer tätig. Die Präsenz von Fischfangflotten aus der EU (mitunter auch aus Ostasien), die das Meer vor den Küsten buchstäblich leerräumten, ruinierte viele dieser kleinen, unabhängigen Fischer. Einige von ihnen orientierten sich daraufhin wirtschaftlich auf den Transport von Auswanderungswilligen um. Ihr Tun verurteilen zu wollen, ohne sowohl die Gründe ihres Handelns als auch die Motive der Migranten zu analysieren, ist nichts als scheinheilig.

Afrikanische Union richtet „Beobachtungsstelle“ zur transkontinentalen Migration ein
 

Anlässlich ihres dreigisten Gipfels am 1. und 02. Juli dieses Jahres in der mauretanischen Hauptstadt Nouakchott // vgl. http://afrique.le360.ma/// beschloss die Afrikanische Union (AU) die Einrichtung einer „Beobachtungsstelle für Migration“ // vgl. http://www.lefigaro.fr/ sowie https://lnt.ma/ oder https://www.voaafrique.com/ //, die v.a. für jene zwischen Afrika und Europa zuständig sein soll. Kritische Stimmen sprechen allerdings davon, die AU „täusche“ mit ihrem Beschluss lediglich „Bewegung vor“; vgl. https://www.afriqueeducation.com/

Dieser Beschluss ging auf einen Vorschlag der marokkanischen Regierung zurück. Die marokkanische Monarchie war zuvor auf dem 28. Gipfel der Union mit einer „Leitrolle“ zum Thema Migration und der Ausarbeitung von Vorschlägen beauftragt worden. // Vgl. https://www.huffpostmaghreb.com/ //

Allerdings ist Marokko dasselbe Land, das just in den letzten Wochen – infolge von Attacken auf den Grenzzaun um die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla -, nach einigen Jahren Ruhe, erneut mit einer massiven Vertreibungspolitik gegen subsaharische Migranten aus dem Norden des Landes begonnen hat. // Vgl. bspw. https://mailchi.mp/ und  http://observers.france24.com/fr//

Editorischer Hinweis

Wir erhielten diesen Artikel vom Autor für diese Ausgabe.