Kommentare zum Zeitgeschehen

Von noPAG zu Unteilbar: Eine Zwischenbilanz

von Marius Rabe

11/2018

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So viele Menschen wie lange nicht gingen dieses Jahr auf die Straße. Während es einen solidarischen, antirassistischen und demokratischen Protest gibt, bleibt die Politik in München und Berlin sehr rechts. Was soll das?

München am 10. Mai 2018: 40.000 Menschen gehen gegen das neue Polizeiaufgabengesetz (PAG) auf die Straße. Eine Demonstration, wie sie die Stadt seit vielen Jahren nicht gesehen hat. Sie war einer der Höhepunkte monatelanger Mobilisierungen gegen die rechte und unsoziale Politik der CSU-Regierung. Darauf folgten die Großdemos zu #ausgehetzt, der Seebrücke, der Mieter*innendemo #ausspekuliert und den Umweltprotesten zu #miahamssatt. Die Stimmung gegen die CSU auf den Straßen ist deutlich. Auch bei den Landtagswahlen verlor sie 10,5 Prozentpunkte. Dennoch ändert das vorerst nichts: Söder bleibt Ministerpräsident. Das PAG und die rechte Politik gegen Geflüchtete werden weiterhin durchgesetzt. Die Bewegung auf der Straße hat gezeigt, dass sie in der Lage ist, das sonst so ruhige Bayern aufzurütteln. Aber wie kann sie wirklich zur Umsetzung ihrer Forderungen gelangen?

Ein Blick auf die Vorgeschichte der Proteste zeigt: Nach Demos in Städten wie Nürnberg, Augsburg und Würzburg bildete sich in München ein Bündnis aus zahlreichen verschiedenen Parteien, Verbänden und linken Gruppen. Als am 10. Mai mehr als 40.000 Menschen auf die Straße gingen, überraschte das Potenzial selbst die Initiator*innen. Die Dynamik und die stadtweite Ausstrahlung kam mit der Initiative der Jugend: #NoPAGJugend. Durch Mobilisierung an den Schulen und Universitäten hat die NoPAGJugend dazu beigetragen, das Thema in den Alltag der Münchner Bevölkerung zu tragen. Sie trat mit einem eigenen Block bei der Großdemonstration auf und veranstaltete einen Schulstreik am 15. Mai, dem Tag der Verabschiedung des PAG.

Es war eine kurze Phase, in der die CSU den Anschein machte, die Kontrolle zu verlieren und versuchte, mit absurden Maßnahmen wie dem Kreuzerlass für Behörden zu kontern oder indem sie den Gegner*innen des PAG „Fake News“ vorwarf. Doch bald gewann sie ihre Fassung zurück. Denn SPD und Grüne, die die meiste Mobilisierungskraft hatten, verzichteten darauf, den Protest zu radikalisieren. Die folgenden Demonstrationen wie #ausgehetzt erreichten wieder Zehntausende. Auch bundesweit dehnte sich der Unmut aus, am stärksten mit einer Viertelmillion Menschen bei #unteilbar in Berlin. Doch die Mobilisierungen waren in ihren Forderungen viel unkonkreter als die Demo gegen das PAG.

Was bei den Großdemonstrationen ausblieb, war die Beteiligung der Gewerkschaften. Es waren zwar Funktionär*innen und Jugendstrukturen anwesend, ohne jedoch die Betriebe miteinzubeziehen. Folglich fehlte ein Programm der Arbeiter*innen, das in der Lage gewesen wäre, über den moralischen antirassistischen Diskurs hinauszugehen. Es gab kein soziales Programm, das den Kampf gegen rechts mit Fragen wie höheren Mindestlöhnen, Altersarmut, Pflegenotstand, der Abschaffung von Hartz IV, Arbeitszeitverkürzungen und ähnlichem kombiniert hätte. So blieben die Demonstrationen auf die gut ausgebildeten städtischen Schichten und die Jugend beschränkt, was zwar immerhin einige Zehntausend auf die Straße brachte, aber unter den arbeitenden Massen wenige mitreißen konnte.

Die Verantwortung dafür liegt insbesondere bei den Grünen und der SPD, die lieber mit moralischen Argumenten gegen rechts mobilisieren, als tatsächlich der CSU eine soziale Opposition entgegenzustellen. Ihre ganze Argumentation war darauf aufgebaut, sie zu wählen, damit sie am Verhandlungstisch mit der CSU die gröbsten Ausmaße des Rechtsrucks abmildern. Mit einem Blick auf die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg zeigt sich, wie wenig diese Strategie aufgeht: Unter grüner Führung wurde ein ähnlich scharfes Polizeigesetz wie in Bayern umgesetzt. Das Versagen der SPD ist durch die Große Koalition im Bund ohnehin offensichtlich. Sie schaffte es nicht einmal, gegen Seehofers Willen den skandalösen Ex-Verfassungsschutzpräsidenten Maaßen von allen Ämtern zu entfernen – nun dient er im Innenministerium.

Für ein soziales Programm

Da SPD und Grüne nicht bereit sind, den Protest gegen rechts im nötigen Maß weiter zu vertiefen und auch eine Antwort auf die sozialen Probleme der Beschäftigten zu geben, bleibt die Frage, wie der Protest wirksam fortzuführen ist. Die Antwort, die wir als marxistische jugend vorschlagen, ist die Selbstorganisierung der Jugend, Beschäftigten, Frauen, LGBTI* und Migrant*innen an ihren Ausbildungs- und Arbeitsplätzen und in Gewerkschaftsstrukturen. Wir wollen nicht davon abhängig sein, ob die großen Parteien uns für die Demos die passenden Inhalte vorgeben. Wir sind selbst in der Lage, die geeigneten Antworten auf den Rechtstruck zu geben. Anstelle der Illusion, dass diese Parteien uns vertreten, schlagen wir eine Selbstorganisierung für ein Programm vor, das unseren Interessen tatsächlich entspricht. Ein zentrales Interesse als Jugendliche und Lohnabhängige liegt in der Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich und der Verteilung der Arbeit auf alle Schultern. Diese Forderung richtet sich gegen Abschiebungen und die Arbeitsverbote von Geflüchteten. Sie sind unsere Kolleg*innen und brauchen gleiche Rechte. Gemeinsam können wir den Personalmangel im Öffentlichen Dienst und der Versorgung aufheben. Die Kapitalist*innen werden uns diesen Wunsch nicht erfüllen. Auf den Straßen und in den Betrieben müssen wir daher mit einem sozialistischen Programm für die Perspektive der Verstaatlichung der Großkonzerne und der öffentlichen Dienstleistungen eintreten.

Wenn wir wollen, dass Demonstrationen tatsächlich etwas bewirken, brauchen wir ein solches Programm, das die Massen mobilisieren kann. Wir haben uns als marxistische jugend mit dieser Perspektive an den Demonstrationen in den letzten Monaten beteiligt und werden dies auch weiterhin tun. Wenn es die Selbstorganisierung der Ausgebeuteten und Unterdrückten voranbringt, beteiligen wir uns auch an Bündnissen, nicht aus reinem Selbstzweck. Aus dem noPAG-Bündnis sind wir jedoch ausgetreten, da es ohne Basisbeteiligung nur eine Verhandlungsplattform mit SPD und Grünen war. Mit denen, die für demokratische und soziale Forderungen die Mobilisierungen vorangebracht haben, werden wir weiterhin gemeinsam auf der Straße stehen.

Quelle: https://www.klassegegenklasse.org/von-nopag-zu-unteilbar-eine-zwischenbilanz/

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