Die Einwohnerinnen und Einwohner von Mogadischu,
der – laut Ergebnissen einer Volkszählung von 2015
– gut zwei Millionen Menschen zählenden Hauptstadt
von Somalia, sind an einige Katastrophen gewöhnt.
Seit dem Sturz des vormaligen, zunächst
pro-sowjetischen und später eher pro-westlichen
Diktators Siad Barre im Jahr 1991 wird das Land von
bürgerkriegsförmigen Auseinandersetzungen
durchzogen. Jihadistische Kräfte, deren wichtigste
die mit dem Netzwerk Al-Qaida verbundene Miliz
Al-Schabab (arabisch: „Die Jungen“ oder „jungen
Männer“) darstellt, setzten sich in diesem Kontext
in weiten Landesteilen fest.
Doch die Brutalität des
Attentats, das am vergangenen Samstag, den 14.
Oktober 17 an der „Kilometer 5“ genannten belebten
Straßenkreuzung im Stadtbezirk Hodan verübt wurde,
ist auch in Somalia ungewöhnlich. Das Attentat, bei
dem zwei Sprengsätze gezündet wurden, stellt alles
bisher in dem nordostafrikanischen Land Erlebte in
den Schatten. Ein Anzeichen für seinen
außergewöhnlichen Charakter ist, dass am Sonntag
(15. Oktober d.J.) Somalier auf Hunderten von
Metern in Mogadischu Schlangen standen, um
freiwillig Blut für die überlebenden Opfer zu
spenden. Dies ist neu. Bislang wurden die fast im
Wochenrhythmus stattfindenden Anschlägen in der
Stadt mit relativem Gleichmut ertragen: Im
Anschluss an ein Bombenattentat wurde der Platz
gereinigt, und danach wurde versucht, ein „normales
Leben“ wiederaufzunehmen.
Dieses Mal verhält es sich anders. Das hat mit dem
ungeheuren Ausmaß der Attacke zu tun, bei der in
einem Kilometer Umkreis alle Fensterscheiben
zerplatzten. Üblicherweise verwendeten die
Jihadisten bei bisherigen Anschlägen rund neunzig
Kilogramm Sprengstoff, dieses Mal soll die
Sprengmasse jedoch zwei Tonnen betragen haben. Bei
sonstigen Attentaten bekannte sich die Miliz
Al-Schabab in der Regel schnell dazu. Nicht so bei
diesem Male. Die somalische Zentralregierung und
internationale Medien gehen jedoch eindeutig von
ihrer Täterschaft aus.
Die Zahl der Toten wurde am
Montag, den 16. Oktober 17 durch das somalische
Informationsministerium mit 276 angegeben;
Foreign Policy in den USA sprach von über
300 Toten und The Guardian in London
von 320. Die meisten von ihnen wurden lebendig
verbrannt. Hinzu kommen über 300 Verletzte.
Einhundert von ihnen wurden mit einem türkischen
Militärflugzeug ausgeflogen, um medizinische
Behandlung in der Türkei zu finden. Die Wucht der
Doppelexplosion war dadurch verstärkt worden, dass
an der Kreuzung „Kilometer 5“ viele fliegende
Händler ihrem Geschäft nachgehen. Viele von ihnen
verkaufen Benzinkanister, die infolge des
Bombenanschlags Feuer fingen.
Die Miliz Al-Schabab war im Jahr 2011 aus der
Hauptstadt Mogadischu vertrieben worden und wurde
zwischenzeitlich auch aus mehreren anderen Städten
verdrängt, kontrolliert jedoch beträchtliche Teile
des Hinterlands.
Die Armee der somalischen
Zentralregierung konnte sich in den letzten Jahren
stabilisieren, vermag der Lage jedoch nicht Herr zu
werden. Ihr zu Hilfe kommt auch die UN-Truppe für
Somalia AMISOM mit 22.000 Soldaten, die jedoch
häufig unmotiviert sind und hauptsächlich für den
Sold – als Einkommensquelle von Regierungen in
wirtschaftlich schwachen Ländern in Afrika oder
Südasien – ihren Dienst verrichten. Das stärkste
Kontingent stellte lange Zeit Burundi, das jedoch
infolge der seit 2015 eskalierenden Repression mit
UN-Sanktionen belegt wurde und deswegen diese
Stellung verlor. Auch 400 US-amerikanische
Militärberater sind in Somalia im Einsatz. Die
US-Administration kündigte am Montag (16.10.17) an,
sie könnte ihr Engagement ausweiten.
Daneben verurteilten auch die
EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und
Deutschlands Außenminister Sigmar Gabriel alsbald
die Tat, und in Paris wurde der Eiffelturm aus
Solidarität mit den Opfern in Dunkel gehüllt.
Al-Schabab ist international weniger bekannt als
die Jihadistengruppe Boko Haram in Nigeria, da sie
fast nur Ziele in Somalia selbst angreift –
abgesehen von einer Attacke auf die Universität
Garissa im Nachbarland Kenia im Jahr 2015, die 150
Tote kostete. Boko Haram greift hingegen auch auf
die Nachbarländer Kamerun, Nigeria und Tschad
aus.Die Gewaltbilanz der somalischen
Jihadistenmiliz fällt jedoch mörderischer aus als
die von Boko Haram, mit 4.200 Getöteten im Jahr
2016, im Vergleich zu 3.500 für die nigerianischen
Jihadisten.
Im Februar 2017 war in Somalia
ein neuer, zu Anfang ziemlich populärer Präsident
gewählt worden, Mohamed Abdullahi Mohamed, genannt
„Farmajo“. Der 55jährige unterrichtete zuvor an der
Universität von Buffalo im US-Bundesstaat New York
und hat auch die dortige Staatsbürgerschaft; er
hielt sich seit 1985 – als er einen Posten an der
somalischen Botschaft in den USA einnahm – in
Nordamerika auf. Seine Wahl fiel in eine Zeit
relativer Verbesserung der Sicherheitslage in
Somalia. Im Mai 2017 hatte er bei einer
Internationalen Somaliakonferenz in London
angekündigt, Al-Schabab könnten „bis in zwei Jahren
besiegt“ sein. Nunmehr haben die Jihadisten auf
ihre Weise versucht, ihn tatkräftig zu dementieren.
„Farmajo“, dem nun Viele im Land mangelnde Kenntnis
der örtlichen Verhältnisse vorweisen, wird
Konsequenzen ziehen müssen. Es wird etwa eine
Kabinettsumbildung erwartet. Der Präsident spendete
zudem demonstrativ Blut und ordnete eine dreitägige
Staatstrauer an.
Editorischer Hinweis
Wir erhielten den Artikel vom Autor
für diese Ausgabe. – Eine gekürzte Fassung
dieses Artikels erschien am 19. Oktober 17 in der
Berliner Wochenzeitung ,Jungle World´
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