Massaker in Mogadischu
Nach einem Massenmord in Somalia

von Bernard Schmid

11/2017

trend
onlinezeitung

Die Einwohnerinnen und Einwohner von Mogadischu, der – laut Ergebnissen einer Volkszählung von 2015 – gut zwei Millionen Menschen zählenden Hauptstadt von Somalia, sind an einige Katastrophen gewöhnt. Seit dem Sturz des vormaligen, zunächst pro-sowjetischen und später eher pro-westlichen Diktators Siad Barre im Jahr 1991 wird das Land von bürgerkriegsförmigen Auseinandersetzungen durchzogen. Jihadistische Kräfte, deren wichtigste die mit dem Netzwerk Al-Qaida verbundene Miliz Al-Schabab (arabisch: „Die Jungen“ oder „jungen Männer“) darstellt, setzten sich in diesem Kontext in weiten Landesteilen fest.

Doch die Brutalität des Attentats, das am vergangenen Samstag, den 14. Oktober 17 an der „Kilometer 5“ genannten belebten Straßenkreuzung im Stadtbezirk Hodan verübt wurde, ist auch in Somalia ungewöhnlich. Das Attentat, bei dem zwei Sprengsätze gezündet wurden, stellt alles bisher in dem nordostafrikanischen Land Erlebte in den Schatten. Ein Anzeichen für seinen außergewöhnlichen Charakter ist, dass am Sonntag (15. Oktober d.J.) Somalier auf Hunderten von Metern in Mogadischu Schlangen standen, um freiwillig Blut für die überlebenden Opfer zu spenden. Dies ist neu. Bislang wurden die fast im Wochenrhythmus stattfindenden Anschlägen in der Stadt mit relativem Gleichmut ertragen: Im Anschluss an ein Bombenattentat wurde der Platz gereinigt, und danach wurde versucht, ein „normales Leben“ wiederaufzunehmen.

Dieses Mal verhält es sich anders. Das hat mit dem ungeheuren Ausmaß der Attacke zu tun, bei der in einem Kilometer Umkreis alle Fensterscheiben zerplatzten. Üblicherweise verwendeten die Jihadisten bei bisherigen Anschlägen rund neunzig Kilogramm Sprengstoff, dieses Mal soll die Sprengmasse jedoch zwei Tonnen betragen haben. Bei sonstigen Attentaten bekannte sich die Miliz Al-Schabab in der Regel schnell dazu. Nicht so bei diesem Male. Die somalische Zentralregierung und internationale Medien gehen jedoch eindeutig von ihrer Täterschaft aus.

Die Zahl der Toten wurde am Montag, den 16. Oktober 17 durch das somalische Informationsministerium mit 276 angegeben; Foreign Policy in den USA sprach von über 300 Toten und The Guardian in London von 320. Die meisten von ihnen wurden lebendig verbrannt. Hinzu kommen über 300 Verletzte. Einhundert von ihnen wurden mit einem türkischen Militärflugzeug ausgeflogen, um medizinische Behandlung in der Türkei zu finden. Die Wucht der Doppelexplosion war dadurch verstärkt worden, dass an der Kreuzung „Kilometer 5“ viele fliegende Händler ihrem Geschäft nachgehen. Viele von ihnen verkaufen Benzinkanister, die infolge des Bombenanschlags Feuer fingen.

Die Miliz Al-Schabab war im Jahr 2011 aus der Hauptstadt Mogadischu vertrieben worden und wurde zwischenzeitlich auch aus mehreren anderen Städten verdrängt, kontrolliert jedoch beträchtliche Teile des Hinterlands.

Die Armee der somalischen Zentralregierung konnte sich in den letzten Jahren stabilisieren, vermag der Lage jedoch nicht Herr zu werden. Ihr zu Hilfe kommt auch die UN-Truppe für Somalia AMISOM mit 22.000 Soldaten, die jedoch häufig unmotiviert sind und hauptsächlich für den Sold – als Einkommensquelle von Regierungen in wirtschaftlich schwachen Ländern in Afrika oder Südasien – ihren Dienst verrichten. Das stärkste Kontingent stellte lange Zeit Burundi, das jedoch infolge der seit 2015 eskalierenden Repression mit UN-Sanktionen belegt wurde und deswegen diese Stellung verlor. Auch 400 US-amerikanische Militärberater sind in Somalia im Einsatz. Die US-Administration kündigte am Montag (16.10.17) an, sie könnte ihr Engagement ausweiten.

Daneben verurteilten auch die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und Deutschlands Außenminister Sigmar Gabriel alsbald die Tat, und in Paris wurde der Eiffelturm aus Solidarität mit den Opfern in Dunkel gehüllt.

Al-Schabab ist international weniger bekannt als die Jihadistengruppe Boko Haram in Nigeria, da sie fast nur Ziele in Somalia selbst angreift – abgesehen von einer Attacke auf die Universität Garissa im Nachbarland Kenia im Jahr 2015, die 150 Tote kostete. Boko Haram greift hingegen auch auf die Nachbarländer Kamerun, Nigeria und Tschad aus.Die Gewaltbilanz der somalischen Jihadistenmiliz fällt jedoch mörderischer aus als die von Boko Haram, mit 4.200 Getöteten im Jahr 2016, im Vergleich zu 3.500 für die nigerianischen Jihadisten.

Im Februar 2017 war in Somalia ein neuer, zu Anfang ziemlich populärer Präsident gewählt worden, Mohamed Abdullahi Mohamed, genannt „Farmajo“. Der 55jährige unterrichtete zuvor an der Universität von Buffalo im US-Bundesstaat New York und hat auch die dortige Staatsbürgerschaft; er hielt sich seit 1985 – als er einen Posten an der somalischen Botschaft in den USA einnahm – in Nordamerika auf. Seine Wahl fiel in eine Zeit relativer Verbesserung der Sicherheitslage in Somalia. Im Mai 2017 hatte er bei einer Internationalen Somaliakonferenz in London angekündigt, Al-Schabab könnten „bis in zwei Jahren besiegt“ sein. Nunmehr haben die Jihadisten auf ihre Weise versucht, ihn tatkräftig zu dementieren. „Farmajo“, dem nun Viele im Land mangelnde Kenntnis der örtlichen Verhältnisse vorweisen, wird Konsequenzen ziehen müssen. Es wird etwa eine Kabinettsumbildung erwartet. Der Präsident spendete zudem demonstrativ Blut und ordnete eine dreitägige Staatstrauer an.

 

Editorischer Hinweis

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe. – Eine gekürzte Fassung dieses Artikels erschien am 19. Oktober 17 in der Berliner Wochenzeitung ,Jungle World´