Xi Jinpings neue Ära
19.
Kongress der Kommunistischen Partei Chinas

von Claudia Cinatti

11/2017

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Am 25. Oktober endete nach einer Woche Tagungen der 19. Kongress der Kommunistischen Partei Chinas. Präsident Xi Jinping sicherte dort seine Herrschaft, um das Land auf dem steinigen Weg zu einer wirtschaftlichen, diplomatischen und militärischen Supermacht anzuführen.

Ein wichtiges Ergebnis des 19. Kongresses der Kommunistischen Partei Chinas war die Aufnahme der Doktrin des Präsidenten in die Partei-Statuten als „Xi Jinpings Gedankengut für das neue Zeitalter des Sozialismus chinesischer Prägung“. Somit stellte er sich auf die gleiche Ebene wie Mao Zedong, der „große Steuermann“, dessen „Gedankengut“ ebenfalls Teil der Parteiverfassung ist. Deng Xiaoping, der „kleine Steuermann“ (aber große Architekt der kapitalistischen Restauration), wurde erst nach seinem Tod 1997 mit seiner einfallsreichen „Theorie“ des „Marktsozialismus“ aufgenommen.

Xi Jinping hat auf den Erfolg des „Sozialismus chinesischer Prägung“ bestanden, womit er die gleiche Verwirrung streut wie die Massenmedien, die die restaurationistische Bürokratie und ihr autokratisches Ein-Parteien-Regime als „kommunistisch“ oder „leninistisch“ bezeichnen.

Natürlich hat das sogenannte „chinesische Modell“ nichts mit Sozialismus zu tun. Die Kommunistische Partei Chinas ist eine bürokratische Maschinerie und managt die kapitalistische Restauration. Zahlreiche der Delegierten auf dem 19. Kongress waren selbst Multimillionäre, sogenannte „rote Unternehmer*innen“, die von der KPCh kooptiert wurden.

Aufbruch in eine neue Ära

In seiner ausführlichen dreieinhalbstündigen Rede teilte Xi die jüngere Geschichte Chinas in zwei Zeitabschnitte auf: erstens die Ära Maos, die mit der Revolution 1949 begann. Damals wurde die unabhängige Volksrepublik gegründet und den Auslandsinvasionen und Bürger*innenkriegen ein Ende gesetzt, auch wenn das Land noch drei Jahrzehnte nach der Revolution von Elend, Rückständigkeit und politischer Instabilität beherrscht war. Die zweite Ära war die von Deng Xiaoping und begann 1978 mit dem Prozess der kapitalistischen Restauration, die ein Wirtschaftswachstum auf Grundlage der bestehenden Unterentwicklung, der billigen Arbeitskräfte und der harten Disziplin, die von der KP erzwungen wurde, hervorbrachte. Doch laut Xi sei diese Phase des aggressiven Exports, die Jahre außergewöhnlichen Wachstums ermöglichte und China zur zweitgrößten Wirtschaft der Welt aufsteigen ließ, abgeschlossen.

Jetzt beginne eine neue Ära, in der es darum ginge, Chinas Größe wiederherzustellen und das Land zur Weltmacht zu führen. Diese Strategie hat mittelfristige Ziele wie eine „bescheiden wohlhabende“ Gesellschaft 2020 und das langfristige Ziel, China in eine Weltmacht zu verwandeln. Sie beruht auf drei Pfeilern: die Vertiefung der Wirtschaftsreformen, die Ausweitung der militärischen Kapazitäten und die Festigung des Ein-Parteien-Regimes.

Die Ankündigung dieser großen Ziele, die zur Erfüllung des „chinesischen Traums“ nötig seien, macht auch die Schwächen des asiatischen Riesen auf dem Weg in den Rang der Weltmächte deutlich. Sie straft diejenigen Lügen, die China schon jetzt als neuen Imperialismus ansahen. Laut dem Präsidenten wird es noch 30 Jahren dauern (zwei ganze Generationen), bis China eine Armee auf Augenhöhe der größten Mächte haben wird. Ähnlich sieht es bei anderen Faktoren wie dem Pro-Kopf-Einkommen, der technologischen Entwicklung und sozialen Standards aus.

In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die chinesische Außenpolitik und der Aufstieg in der Welt nach der „24-Character-Strategy“ von Deng Xiaoping gerichtet. Diese wurde 1990 nach den traumatischen Ereignissen auf dem Tiananmen-Platz und im Rahmen des Zerfalls der Sowjetunion und der stalinistischen Regime in Osteuropa entwickelt. Es handelte sich um eine geopolitische Behutsamkeit, die sich in Slogans ausdrückte wie „Unsere Kapazitäten verstecken, unsere Zeit abwarten“; „nicht die Forderungen anführen“, „eine gemäßigte Opposition sein“. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass es darum ging, die Hegemonie der USA und anderer Mächte nicht anzufechten, außer in zweitrangigen Fragen.

Alles deutet darauf hin, dass der 19. Kongress der KPCh die fast 40 Jahre der kapitalistischen Restauration als ausreichend angesehen hat, um die Zeit des Aufstiegs im Schneckentempo aufzugeben. Es müsse eine aggressivere Außenpolitik gefahren werden, um den Traum eines Großmachtstatus zu erreichen. Damit rücken die inneren und äußeren Widersprüche für eine nötige Umwandlung Chinas erneut ins Zentrum.

China vor der sozialen Explosion?

Innenpolitisch steht China vor einigen Problemen. Der aktuelle Chef der chinesischen Zentralbank erklärte vor kurzem, dass die chinesischen Finanzmärkte aufgrund der hohen Schuldenberge und der enormen Spekulation vor einem „Minsky-Moment“ stünden. Dieser Begriff wurde während der Weltwirtschaftskrise 2008 häufig verwendet, um die finanziellen Risiken zu beschreiben, die zu einer Krise solchen Ausmaßes führen könnten.

Es stehen schwierige Zeiten an. Dies drückte sich auch auf dem 19. Kongress in einer verschärften Bonapartisierung aus durch die erneute Bekräftigung des Ein-Parteien-Regimes und der absoluten Machtkonzentration von Präsident Xi Jinping über die Kommunistische Partei und die Volksbefreiungsarmee. Xi sicherte sich seine Führungsrolle durch eine intensive Anti-Korruptions-Kampagne, um die KPCh von Oppositionellen und möglichen Rivalen zu befreien, zu denen auch der Regionalchef Bo Xilai gehöhrte. Bo hatte zum Ziel, den „senilen Maoismus“ zu stärken angesichts der stärkeren Marktöffnung und der schrittweisen Auflösung der leblosen Staatskonzerne.

Im Laufe der letzten zehn Jahre hat China aufgehört, Anbieter von Billigstarbeitskräften zu sein. Sieben andere Länder in der Region nehmen nun diesen Platz ein und streiten um Auslandsinvestitionen. Zu ihnen gehören Bangladesch, Vietnam, Pakistan, Kambodscha, Indonesien, Thailand und die Philippinen. Das verbindet sich mit einer zunehmenden Streikbereitschaft in breiten Sektoren der chinesischen Arbeiter*innenklasse. Das größte Beispiel davon war sicherlich der Streik bei Honda 2010, aber es gibt eine Reihe von Bewegungen, die von Abwehrkämpfen gegen Entlassungen bis zu Offensivkämpfen für Lohnerhöhungen und Gewerkschaftsrechte reichen. Dem China Labour Bulletin zufolge gab es 2016 mehr als 2.600 kollektive Aktionen von Arbeiter*innen.

Die Stärkung der Kontrolle der KPCh und der Repressivkräfte des Staates ist eine präventive Antwort auf die wahrscheinlichen Explosionen der sozialen Unzufriedenheit.

Xi benutzte einen nationalistischen Ton, um die „große Nation“ hinter seinen imperialen Träumen zu vereinen. Er bestätigte erneut die Kontrolle über die künstlichen Inseln im Chinesischen Meer und hob die Initiative der Neuen Seidenstraße hervor, ein wirtschaftliches und geopolitisches Mega-Infrastruktur-Projekt, um Europa und Asien auf dem Landweg durch Hochgeschwindigkeitszüge und Autobahnen sowie auf dem Seeweg zu verbinden. Praktisch ausgeschlossen sind von diesem Projekt die USA, was zu neuen Spannungen mit Washington führt. Dort ist mit Donald Trump ein rauerer Ton ins Weiße Haus eingezogen, der auch vor der Androhung von Wirtschaftskriegen und anderen Maßnahmen, um den chinesischen Einfluss einzuschränken, nicht zurückschreckt.

Die neue Ära der gesteigerten chinesischen Ambitionen von Xi Jinping wird nicht friedlich verlaufen. Die Anhäufung von US-amerikanischem Kriegsmaterial im Nordosten Asiens und die Möglichkeit eines militärischen Zwischenfalls mit Nordkorea sind Anzeichen kommender Konflikte. Diese aggressivere Politik, die von Obama begonnen und von Trump verschärft wurde, macht deutlich, dass sich der US-Imperialismus nicht zurücklehnen wird, um den Aufstieg seines größten Konkurrenten zu beobachten.

Editorische Hinweise

Der Artikel wurde erstveröffentlicht bei https://www.klassegegenklasse.org/
Claudia Cinatti ist Redakteurinn von LaIzquierdaDiario und Mitglied der PTS aus Buenos Aires.