Rezension
Domenice Losurdo: "Wenn die Linke fehlt..."

von
Anton Holberg

 

11/2017

trend
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Das Schild der Humanität ist die beste, sicherste Decke der niederträchtigsten öffentlichen Gaunerei“. Dieser Satz des Schriftstellers Johann Gottfried Seume (1763-1810) könnte zusammen mit „Doppelte Moral – möchte man hinzufügen – war schon immer etwas weniger als gar keine Moral“ (Jörg Fauser im Nachwort zu Mickey Spillane’s Roman „Gangster“) als Motto für das im Oktober auf Deutsch erschienene Buch (die Originalausgabe wurde 2014 in Rom veröffentlicht) des emeritierten italienischen marxistischen Philosophieprofessors Domenico Losurdo dienen. Losurdo zitiert hingegen in gleichem Sinn Nietzsche: „Und niemand lügt soviel als der Entrüstete“.

Auf 338 Seiten (plus 16,5 Seiten Literaturverzeichnis) legt Losurdo in acht Kapiteln im Sinne der Eingangszitate die Verlogenheit natürlich nicht etwa der Menschenrechte als solcher, wohl aber des imperialistischen Menschenrechtsdiskurses dar. Gleichzeitig thematisiert er dessen trotzdem gegebene Macht. Diese ist nicht nur Ergebnis der wachsenden Monopolisierung und technischen Entwicklung der Medien, sondern auch des Zerfalls der Linken insbesondere seit der Kapitulation der Staaten, die von ihm ebenso wie von der Mehrheit der Menschen als „sozialistische“ betrachtet wurden und werden. Ob zu recht oder zu unrecht, spielt in diesem Zusammenhang nur eine untergeordnete Rolle.

Diese Macht verdeutlicht Losurdo insbesondere an der zersetzenden Wirkung auf verschiedene namhafte Ideologen der – realpolitisch inzwischen weitgehend abwesenden – Linken wie etwa dem Gespann Hardt/Negri oder Slavoy Zizek, um von philosophischen Hofnarren der herrschenden Bourgeoisie à la Sloterdijk oder Habermas oder gar einem Bernard-Henri Lévy erst gar nicht zu reden. Auf den dort nicht selten im – zumindest objektiven – Interesse militärischer Interventionen imperialistischer Staaten in solche der Peripherie gepflegten Menschenrechtsdiskurs verweist er u.a. an Beispielen von Cuba über Vietnam bis hin zu Afghanistan, Jugoslawien, Irak, Libyen, Syrien und der Ukraine. Er tut das auf der Basis großbürgerlicher Quellen – d.h. solcher, denen kein eingebautes Interesse an einer Demaskierung der imperialistisches Kriegspropaganda zugeordnet werden kann. Was dort zu finden war, fand sich naturgemäß generell erst post festum, d.h. nachdem die Mainstreampropaganda bereits ihren Zweck erfüllt hatte. Deren Verlogenheit bzw. mangelnder Wahrheitsgehalt nicht zuletzt in Form von Einseitigkeit hat denn sogar ausgewiesene Linke wie Rossana Rossanda von „Il Manifesto“ oder die Generaklsekretärin des italienischen Gewerkschaftsbunden CGIL, Susanna Camusso, mit dazu animiert, sich begeistert für die Bombardierung Libyens einzusetzen. Deren katastrophale Folgen für die Menschenrechte der Mehrheit der Libyer, ganz zu schweigen von den dortigen schwarzafrikanischen Migranten, waren allerdings absehbar und sind inzwischen offenkundig. Eine besondere Rolle spielen hier im übrigen nicht wenige der internationalen NGOs, die oft nur formell von ihren Regierungen und deren „Diensten“ unabhängig sind. All diese Kräfte haben – so Losurdo -  gewissermaßen die Rolle der christlichen Missionare in der Zeit des direkten Kolonialismus für die Zeit der neokolonialen Interventionen übernommen.

Im Zentrum des Buches stehen zwei Staaten – die USA und die VRChina. Jene, weil sie als vor allem auch militärisch stärkste imperialistische Macht nach dem Ende der direkten – politischen – Kolonialherrschaft der ausschlaggebende Pfeiler des imperialistischen Systems sind, zu dem die übrigen imperialistischen Länder in einer Art Vasallen-Verhältnis stehen. Auf der anderen Seite steht die VRChina, der man nun keineswegs die ihr vom Autor wohl zugesschrieben „sozialistischen“ Qualitäten andichten muss, um doch ihre Bedeutung als (zusammen mir Russland) primärer Gegenmacht zu den USA und Anhang zu sehen – auf Grund ihrer (Bevölkerungs -) Größe, vor allem aber auch ihrer wirtschaftlichen Entwicklung seit der Herrschaft Deng Hsiapings. Darüber besteht bei den herrschenden Klassen diesseits und jenseits des Atlantiks keinerlei Zweifel. Mehr als alle einschlägigen Erklärungen legt davon die militärische Konzentration der USA auf den pazifischen Raum Zeugnis ab. Die USA, in denen die Sklaverei noch legal war als sie in ihrem früheren Mutterland bereits abgeschafft war, und in deren Südstaaten noch bis weit in die 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts nicht nur faktisch Rassentrennung und – unterdrückung herrschten (G.B.Shaw: „Man nennt mich allenthalben einen Meister der Ironie, aber auf die Idee, ausgerechnet im Hafen von New York eine Freiheitsstatue zu errichten, wäre nicht mal ich gekommen“), pflegen bis in die Gegenwart den quasi-religiösen Anspruch, eine – nein: „die“ – Nation mit einer ewigen globalen „Mission“ zu sein.

War diese menschheitsbeglückende Mission zwischenzeitlich – nämlich unter Präsident F.D.Roosevelt im 2. Weltkrieg – auch auf die Realisierung oder zumindest Propagierung der „Freiheit von Not“ und der „Freiheit von Furcht“ gerichtet, hat sie sich unterdess wieder auf die alten liberalen Freiheiten des „Marktes“, oder ungeschminkter: auf die Freiheit der Ausbeutung, zurückentwickelt. Entsprechend lehnten die Herolde des Neoliberalismus wie Ludwig v. Meses und Friedrich August v. Hayek den Sozialstaat und die zugehörigen gewerkschaftlichen Rechte als der „Freiheit“ grundsätzlich widersprechend ab. Ihre Position ist also im engeren Wortsinn „asozial“. Dem dient natürlich seitens dieses Hortes der Demokratie, der sich längst zur Plutokratie entwickelt hat (Pfaff,W. im „International Herald Tribune vom 11./12.3.2000) unter dem Schlachtruf „Demokratie und Menschenrechte“ durchaus auch erklärtermaßen die Unterstützung sorgfältig ausgewählter mit dem Ehrentitel „Dissidenten“ versehener Oppositioneller in Ländern, die dieser Art von reduzierter Freiheit Widerstand entgegensetzen.

Am Beispiel des Kapitels VIII,5 („Vergesellschaftestes Elend“ oder Sozialstaat?) setzt sich Losurdo mit der Sichtweise des zweifellos marxistischsten der hier behandelten „Linken“, David Harvey, auf die Entwicklung der VRChina auseinander und betont dabei nicht zuletzt die reale Abhängigkeit der politischen Demokratie von der realen „Freiheit von Not“ (materieller Armut) und „Freiheit von Furcht“ (d.h. der vor militärischen und/oder wirtschaftlichen Angriffen von außen). Er macht überzeugend deutlich, dass der Menschenrechtsimperialismus allen Menschenrechten mit Ausnahme des Rechts auf Profitmaximierung realiter verneint.

Losurdos Buch, das eine unwahrscheinliche Fülle an Fakten zu den angesprochen Themen umfasst und dabei auch in außerhalb der Fachwelt eher wenig bekannte philosophie-historische Bereiche vorstößt, ist unbedingt lesenswert, wenngleich in manchen Teilen Wiederholungen etwas zu sehr wuchern. Lesenswert ist es durchaus auch für jene, die als Linke sein relativ ungebrochenes Verhältnis zum „Realsozialismus“ nicht teilen.
 

Domenico Losurdo
Wenn die Linke fehlt ...

Gesellschaft des Spektakels, Krise, Krieg


Erschienen im Oktober 2017

PapyRossa Verlag
Neue Kleine Bibliothek 250
374 Seiten

ISBN 978-3-89438-651-1

19,90 €

Quelle: Zusendung per Email