500 Jahre Reformation
Luther - "bewußter Vorkämpfer der Fürstendespotie"

Leseauszug aus Franz Mehrings Schriften zur deutschen Geschichte

11/2016

trend
onlinezeitung

Die Erbfolge des Hauses Hohenzollern war im Jahre 1473 so geregelt worden, daß beim Vorhandensein mehrerer Erben die Mark Brandenburg stets ungeteilt dem Erst-, die fränkischen Besitzungen dem Zweit- und Drittgeborenen zufallen, weitere Teilungen aber unter keinen Umständen stattfinden sollten. Demgemäß fiel 1486 bei dem Tode des Kurfürsten Albrecht, welcher den gesamten Besitz des Hauses in seiner Hand ver­einigt hatte, die Mark an seinen älteren Sohn Johann, das fränkische Ge­biet an seinen jüngeren Sohn Friedrich. Johann starb 1499 und hinterließ zwei Söhne von 15 und 9 Jahren, namens Joachim und AJbrecht. Nach jenem wunderbaren Naturgesetze, welches Fürstensöhne schon in ungleich jüngerem Alter mit menschlicher Weisheit begnadet als andere Menschen­kinder - wenigstens wenn sie frühzeitig zur Regierung kommen, denn im anderen Falle sind sie oft mit fünfzig oder sechzig Jahren noch nicht mün­dig, wie die deutschen Byzantiner in einem gewissen Falle uns erst kürzlich haarscharf nachgewiesen haben -, wurden Joachim und Albrecht ge­meinsame Herrscher der Mark Brandenburg.

So vermied man zwar eine Teilung des Landes und damit - wenigstens äußerlich - eine Verletzung des Hausgesetzes, aber der ältere Bruder fand gemäß fürstlicher Anschauung und Sitte gar keinen Geschmack an der Mitregierung des jüngeren, insbesondere nicht, als derselbe allmählich der Kinderstube entwuchs. Was aber nun tun? Einen Nachgeborenen des Hauses Hohenzollern hilflos und nackt in die Welt zu stoßen, ging doch nicht an; ihn mit fränkischem Besitze zu versorgen, war auch unmöglich, denn der Markgraf Friedrich hatte inzwischen acht Söhne erzeugt, so daß in dem fränkischen Gebiete gar der beklagenswerte Zustand drohte, daß sechs nachgeborene Hohenzollern vergebens nach Land und Leuten lug­ten. Blieb demnach nur der geistliche Stand. Markgraf Albrecht entdeckte in sich den inneren Beruf zum Priester, erhielt mit sechzehn Jahren die Weihe als solcher, und sein Bruder Joachim feilschte nun um eine kirchen­fürstliche Stellung für ihn. Ein Versuch, das Bistum Utrecht von dem bis­herigen Inhaber für eine Jahrespension von 6000 rhein. Gulden zu er­kaufen, scheiterte zwar, aber um so glänzender gelang die Sache beim zweiten Anlauf. Kurfürst Joachim gehörte zu den ersten Handelsleuten der Zeit. Gleich drei deutsche Bistümer heimste er für den Bruder ein, neben Halberstadt die Erzbistümer Magdeburg und Mainz: jenes gab den Vorsitz im Fürsten-, dieses im Kurfürstenkollegium; im Jahre 1514, im Alter von 24 Jahren, war Markgraf Albrecht dem Range nach der erste Fürst in Deutschland, und das Haus Hohenzollern verfügte über zwei unter den sieben Kurfürstenstimmen.

Die Sache hatte nur einen Haken: Sie kostete unmenschlich viel Geld. Die Häufung von Kirchenämtern auf Albrechts jugendliches Haupt wider­sprach den kirchlichen Gesetzen; Papst Leo X. war nun zwar nicht der Mann, sich an die Kirchengesetze zu binden, er gab gern seine Zustim­mung dazu, daß Albrecht gleich drei Bistümer verwaltete, wofür Kurfürst Joachim in einem Schreiben vom 18. März 1514 dem päpstlichen Stuhle die tiefste Devotion gelobte, aber der Papst war ein noch größerer Han­delsmann als Joachim und dachte: umsonst ist der Tod. Insbesondere das Erzbistum Mainz war nach dem Preiskurant der römischen Kurie sehr teuer. Joachim mußte sich verpflichten, ein für 42000 Gulden verpfän­detes kurmainzisches Amt dem Hochstift einzulösen; Albrecht sollte an Annaten für seine Besteigung des erzbischöflichen Thrones 25 000 Du­katen entrichten. Wie diese für die damalige Zeit ungeheure Summe auf­bringen? Sie auf die Bewohner des Mainzer Bistums abzuladen, wie es sonst üblich war, ging so ohne weiteres gar nicht oder doch nur sehr schwer an, denn der Mainzer Stuhl war kurz hintereinander mehrmals erledigt worden; das Bistum hatte jedesmal für die Annaten aufkommen müssen und war infolgedessen tief erschöpft. Da machte der Papst dem neuen Erzbischof und Primas von Deutschland folgenden Vorschlag: „Wohlan denn, ich verkünde einen Sündenablaß für alle Deine Diözesen; den treibe ein, und von dem Erlöse machen wir halbpart. Die eine Hälfte fällt dem päpstlichen Stuhle zu; mit der anderen Hälfte bezahlst Du die Annaten, und damit der .Heilige Vater' dabei auf keinen Fall zu kurz kommt, zah­len die Fugger in Augsburg auf Deine Rechnung und Gefahr den Betrag der Annaten vorschußweise." Dieser Handel leuchtete allen Beteiligten ein, und auf Grund des päpstlichen Vorschlags wurde das reinliche Ge­schäft abgeschlossen, mit der Eintreibung des Ablasses in den norddeut­schen Bistümern Albrechts insbesondere der Dominikaner Tetzel betraut, ein gleichfalls sehr hervorragender Handelsmann jener Zeit.

Das Weitere ist jedem Schulkinde bekannt. Aus der Vorgeschichte der gegen den Ablaßhandel Tetzeis gerichteten Thesen Luthers ergibt sich nun aber, daß dieser äußerliche Ausgangspunkt der Reformationsbewe­gung ökonomische Gründe hatte und durch ökonomische Rücksichten seine geschichtliche Bedeutung gewann. Die Thesen an die Türen der Witten­berger Schloßkirche anzuschlagen, war - darin hat Janssen ganz recht -weder „merkwürdig" noch eine „Tat", sondern ein nach damaligen Sitten sehr alltäglicher Vorgang. Die Thesen verwarfen bekanntlich auch nicht den Ablaß grundsätzlich, sondern tadelten nur seinen „Mißbrauch"; sie traten der römischen Schandwirtschaft sehr viel behutsamer und glimpf­licher entgegen, als ihr von anderer Seite, insbesondere in humanistischen Schriften, längst entgegengetreten war. Man kann auch nicht etwa sagen, die humanistische Bildung sei „Kaviar fürs Volk" gewesen, Luther aber habe in derber volkstümlicher Weise den Stier an den Hörnern gepackt. Denn die Thesen waren gleichfalls lateinisch und noch dazu - absichtlich -in jener schnörkelhaften Rätselschrift der scholastischen Theologie abge­faßt, welche dem Volke erst recht unverständlich war; man kann sich heute noch davon überzeugen, wenn man die Thesen etwa mit einer gleichzeiti­gen Schrift Huttens vergleicht. Luther selbst hat später oft genug seine Verwunderung darüber ausgesprochen, daß seine Thesen so tief einschla­gen konnten. Er vollbrachte seine „weltgeschichtliche Tat" völlig absichts-und ahnungslos; so sehr es ihm zum Lobe gereichen mag, daß er zu jener kleinen Minderheit der deutschen Geistlichen gehörte, welche wenigstens die ärgsten Mißbräuche der römischen Kirche einzuschränken versuchte, eine so kindliche Auffassung der geschichtlichen Entwicklung bezeugt es, wenn man an die persönliche Initiative Luthers oder gar an seine Eigen­schaft als „großer Mann" die Reformationsbewegung anknüpfen will.

Wenn Luthers Ablaßthesen, obgleich sie an Geist und Schärfe weit hin­ter anderen Kundgebungen gegen die päpstliche Ausbeutung zurückstan­den, dennoch eine um so größere Wirkung hatten, so war dabei der innere Zusammenhang der Dinge ein rein ökonomischer. Die päpstliche Plünde­rung Deutschlands hatte längst eine tief gärende Erbitterung im Volke hervorgerufen, und der zwischen dem Papst Leo X. und dem Hause Hohenzollern wegen des Mainzer Bischof Stuhles abgeschlossene Geschäfts­vertrag war selbst für jene durchaus nicht verwöhnte Zeit ein etwas hartes Ding. Besonders die Bevölkerung Kursachsens, in welcher Luther lebte und wirkte, mußte über dieses neue Attentat auf ihren Geldbeutel erbit­tert sein; setzt man selbst den höchsten Grad von Gottes- und Fürsten­furcht bei ihr voraus, was ging sie denn dieser neueste Raubzug überhaupt an? Der Kurfürst Friedrich von Sachsen, der mächtigste unter den welt­lichen Fürsten des Reiches, dem mehr noch als sein stattliches Gebiet sein durch den Segen der sächsischen Bergwerke stets gefüllter Geldkasten in jener ebenso geldhungrigen wie geldarmen Zeit eine außergewöhnliche Macht verlieh, war nicht minder erbittert als die Bevölkerung seines Lan­des. Er hatte schon lange vor Luthers Ablaßthesen Schritte gegen die ewigen Ablässe getan, was um so bezeichnender ist, als er persönlich ein äußerst bigotter Katholik war und Unsummen Geldes verschwendete, um fragwürdige Heiligenknochen zu kaufen, die er in derselben Schloßkirche von Wittenberg, an welche Luther seine Thesen anschlug, zur Anbetung ausstellte. Der neueste Ablaß schlug aber auch bei ihm dem Fasse den Boden aus. Er sollte sein Land „auspowern" lassen, um einem nachgebo­renen Sohn des Hauses Hohenzollern die größten Diözesen des Reiches zu verschaffen, um die Wettiner durch die Hohenzollern überflügeln zu lassen - welche Zumutung! Ihm konnte deshalb nichts Willkommneres geschehen, als daß in seiner Residenzstadt Wittenberg ein Geistlicher, ja ein Mönch - mehr als die Pfarr- und Weltgeistlichen waren damals die Mönche die eigentlichen Vorkämpfer des Papsttums - gegen den Ablaß zu predigen begann. Luther wurde gleich bei seinem ersten Auftreten ein Werkzeug des Fürstentums - wenn auch unbewußt, wie er denn in dem logischen Verlaufe der Dinge weiterhin ein bewußter Vorkämpfer jeder Fürstendespotie geworden ist. Wie alle sogenannten „großen Männer" war er nicht ein Erzeuger, sondern ein Erzeugnis der geschichtlichen Ent­wicklung; seine Ablaßthesen waren eine mäßige Leistung, die nur deshalb eine ungleich größere Wirkung hatten oder eigentlich zu haben schienen als ungleich geistvollere und schärfere Bekämpfungen der päpstlichen Plünderung, weil inzwischen die innere Entscheidung reif geworden war und sich an dem ersten, dem besten Anlasse entlud.

Je befriedigter aber der Wettiner Friedrich von Luthers Auftreten war, um so zorniger waren natürlich die Hohenzollern Albrecht und Joachim. Ihr feines Plänchen war gründlich durchkreuzt, und diese gewiegten Ge­schäftsleute befanden sich in der angenehmen Stimmung eines heutigen Gründers, der seine Aktien eben unter glänzenden Aussichten an der Börse eingeführt hat und sie plötzlich, etwa durch die „freche" Kritik eines „verlaufenen" Zeitungsschreibers zu reiner Makulatur entwertet sieht. Was half aber alles Schelten auf den „frechen, verlaufenen" Mönch, was half es, daß Joachim den aus Sachsen vertriebenen Ablaßkrämer Tetzel mit Pauken und Trompeten in der Mark empfing, ihn sogar an seiner Universität Frankfurt zum Doktor ernennen ließ? Von der Bevöl­kerung der Mark war nicht viel zu holen, und was noch etwa zu holen war, das gab selbst der dümmste Teufel nicht mehr her. Die Ablaßzettel stan­den eben gleich Null.

Quelle: Franz Mehring, Gesammelte Schriften, Band 5, Zur deutschen Geschichte, Berlin 1964, S.271-274