Ergänzungen zum Debattenartikel "Linke und Volk"

Der "marxistisch-leninistische" Volksbegriff
Leseauszug aus dem Philosophischen Wörterbuch der DDR

11/2016

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Vorbemerkung: In der Nr. 10/2016 erschien der Artikel "Linke und Volk" von Detlef Georgia Schulze. Die Redaktion hoffte auf Stellungnahmen. Bisher liegen uns leider keine vor. Dem Vernehmen nach soll es im Arbeitskreis Kapitalismus aufheben (AKKA) anläßlich des "Linke&Volk"- Artikels zu einer Beschäftigung mit dem "Volksbegriff" gekommen sein. Vielleicht kommen demnächst von dort Stellungnahmen? Zwischenzeitlich wollen wir die Debatte ein wenig mit weiteren Texten munitionieren.

1. Volk im politisch-soziologischen Sinne ist eine historische Kategorie. Sie umfaßt alle jene Klassen und sozialen Schichten der Gesellschaft, die daran interessiert und objektiv dazu fähig sind, den gesellschaftlichen Fortschritt zu verwirklichen. Die anderen Klassen oder Schichten oder Teile von diesen, deren Interessen gegen den historischen Fortschritt gerichtet sind, gehören in diesem Sinne nicht zum Volk, sondern zur Kategorie der Volks­feinde. Zu allen Zeiten sind die Werktätigen der entscheidende Teil des Volkes. Sie sind Träger der Produktion und damit der grundlegenden Bedin­gungen des gesellschaftlichen Fortschritts und werden in den Ausbeuterordnungen unterdrückt. Dergestalt haben sie objektiv das größte Interesse an der Änderung der Verhältnisse. Im staats­monopolistischen Kapitalismus ist das Volk die Gesamtheit der antiimperialistisch-demokratischen Kräfte, deren Interessen objektiv gegen die reak-lionären und aggressiven Interessen der kleinen Gruppe der Monopolbourgeoisie gerichtet sind. Mit dem Aufbau des Sozialismus, der Überwin­dung der Ausbeuterklassen in Stadt und Land, mit der Entwicklung der politisch-moralischen Ein­heit des Volkes, insbesondere nach dem Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse, wird der Begriff Volk identisch mit Bevölkerung des sozia­listischen Staates. Im Sozialismus und Kommunis­mus ist das Volk als Herr seines eigenen Schicksals an der ständigen Verbesserung und Vervollkomm­nung des gesamten gesellschaftlichen Lebens interessiert.

Von allen werktätigen Klassen und Schichten ist gegenwärtig die Arbeiterklasse die entscheidende, wichtigste und schließlich führende Kraft des Volkes. Jedoch sind in den verschiedenen Epochen der Existenz von Ausbeuterordnungen auch gesellschaftliche Kräfte, die keine Werktätigen sind, aus historisch bestimmten Klasseninteressen an der fortschrittlichen Entwicklung des gesellschaftlichen Lebens interessiert (z.B. die Bourgeoisie beim Ubergang vom Feudalismus zum Kapitalismus oder die nationale Bourgeoisie in den jungen Nationalstaaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas).

Die Hauptkriterien dafür, ob eine Klasse oder gesellschaftliche Schicht als Teil des Volkes betrachtet werden kann, ist nicht deren Stellung in der Gesellschaft als «Produzent materieller Güter» bzw. als «Werktätiger», sondern ist ihr objektiv bedingtes Interesse und ihre Fähigkeit, aktiv an der fortschrittlichen Entwicklung der Gesellschaft teilzunehmen. Alle gesellschaftlichen Kräfte einer Zeit, die sich der gesetzmäßig notwendigen Entwicklung entgegenstemmen, sind Feinde des Volkes, gehören nicht zum Volk. Aus welchen Klassen und Schichten das Volk konkret besteht, hängt von der Epoche, vom Charakter der Gesellschaftsformation und den konkreten politischen Aktionen für den sozialen Fortschritt ab.

2. Volk als Form vornationaler menschlicher Gemeinschaftsbildung. Bevor sich die Menschheit mit dem aufkommenden Kapitalismus in verschiedenen Nationen zusammenschloß, waren die Menschen nach Völkern oder Völkerschaften gegliedert und noch früher nach Stämmen, Gentes und Horden. Solche Völker oder Völkerschaften sind Vereinigungen von Stämmen mit artverwandter Sprache und gemeinsamem Territorium. Ihre wirtschatllicne Basis sind die vorkapitalistischen Produktionsweisen.

3. Volk als Bezeichnung für Gesamtbevölkerung, für Einwohner eines Landes, eines Staates, einer Nation. Diese Begriffsbestimmung findet in der Umgangssprache breiteste Anwendung. Im Sinne von Gesamtbevölkerung wird der Begriff Volk auch zur Bezeichnung dieser oder jener Nation gebraucht (z.B. deutsches Volk, französisches Volk usw.).

Quelle: Philosophisches Wörterbuch, Band 2, hrg.v. Georg Klaus und Manfred Buhr,Berlin 1964, S. 1128f