Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Medienpolitischer Streit um die Dauerpräsenz der extremen Rechten

11/2015

trend
onlinezeitung

Wie viel rechter Diskurs – im Originalton – tut den Medien gut? Und bis wohin reicht der Nachrichtenwert, wann endet der Informationsauftrag, wo beginnt die Beihilfe zur Propaganda? Über diese Frage zerstreiten sich derzeit in Frankreich oft Medienschaffende die Köpfe.

Am 06. und 13. Dezember 2015 wählt ganz Frankreich seine Regionalparlamente. In zweien dieser Regionen, in der neuen Großregion Nord-Pas de Calais-Picardie (NPDCP) in Nordostfrankreich sowie in PACA oder Provence-Alpes-Côte d'Azur im Südosten des Landes, werden dem Front National hohe Siegeschancen vorausgesagt. In beiden Fällen treten Parteiprominente, die 47jährige Chefin Marine Le Pen sowie deren Nichte – die 25jährige Parlamentsabgeordnete Marion Maréchal-Le Pen -, als Spitzenkandidatinnen an.

Vor diesem Hintergrund entspann sich in den letzten Tagen eine heftige Mediendebatte. Am Abend des Donnerstag, 22. Oktober 15 sollte Marine Le Pen in die Talkshow und Polit-Prominentensendung „Des paroles et des actes“ (ungefähr: „Von Worten und Taten“) des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders France-2 eingeladen werden. Dort ist die FN-Chefin aber äußerst überproportional vertreten: Von bislang stattgefundenen 23 Ausgaben der Sendung hatte sie an nicht weniger als fünf teilgenommen, mehr als jede/r andere Politikprominente. Das hängt einerseits damit zusammen, dass die Chefin der rechtsextremen Partei für hohe Einschaltquoten sorgt, da sie polarisierend wirkt, Freund und Feind auf sie achten. Auf der anderen Seite ist die Medienpräsenz des FN aber auch wesentlich stärker auf ihre Person konzentriert, als dies in anderen Parteien wohl der Fall wäre; neben ihrem Vizevorsitzenden Florian Philippot vertritt sie ihre Partei fast allein bei Fernseh-Auftritten. Bei den anderen politischen Kräften ist die Medienpräsenz breiter gestreut, auf eine größere Anzahl von Personen.

Die Parteichefs von Sozialdemokratie und Konservativen, Jean-Christophe Cambadélis und Nicolas Sarkozy, schlugen wegen dieser Überrepräsentation von Marine Le Pen nun Krach und kündigten die Einschaltung des CSA, der französischen Fernseh-Aufsichtsbehörde, an. Daraufhin entschied die öffentlich-rechtliche Sendeanstalt, neben Marine Le Pen – weil diese aktuell im Wahlkampf stehe – auch ihre beiden regionalen Gegenkandidaten von den beiden großen etablierten Parteien einzuladen. Marine Le Pen erklärte daraufhin in einem Pressekommuniqué, sie lasse sich dies nicht bieten, und sagte ihre Teilnahme am Spätnachmittag ab. Die Sendung wurde daraufhin, zwei Stunden vor ihrer geplanten (Live-)Ausstrahlung, annulliert. Und die Schlagzeilen drehten sich einmal mehr um den FN.

Am Abend des Dienstag, 27. Oktober debattierten die drei regionalen Spitzenkandidaten – Marine Le Pen, Xavier Betrand und Pierre de Saintignon – dann aber doch, und zwar im Radiosender ,Europe 1'. Auch für de Saintignon besteht ein hohes Interesse, an irgendwie Aufsehen erregenden Debatten teilzunehmen. Vor kurzem erst strich Wikipedia eine Webseite, die dem SP-Spitzenkandidaten gewidmet war: Aufgrund eines „zu geringen Bekanntheitsgrades“ sei er nicht als Person von öffentlichem Interesse zu betrachten.

Bei der Sendung konnten einige Propagandasprüche durchgehen. Marine Le Pen versuchte zunächst, sich relativ konstruktiv zu profilieren, indem sie sich dafür aussprach, Vertriebswege für lokale Landwirte sicher zu stellen, damit diese bevorzgut die Schulkantinen der Region beliefern könnten. Allerdings griff sie daneben auch tief in die Kiste mit den Ressentiments. Sie behauptete etwa, Asylbewerber und Migranten dürften in der Region kostenlos Zug fahren, im Gegensatz zu den französischen Armen. Was nachweislich nicht stimm: Eine Nachfrage bei der Bahngesellschaft SNCF ergibt, dass deren Dokument, das Marine Le Pen in die Kameras hielt, ausschließlich die Reservierungskosten betrifft (welche entfallen, falls der Staat Zugplätze für Asylbewerber reserviert). Bezahlen müssen diese ansonsten auch für ihre Personenbeförderung. Der konservative Spitzenkandidat Xavier Bertrand versuchte, Marine Le Pen zu übertrumpfen; und glaubte, sie durch die Forderung ausstechen zu können, die Armee gegen die „wilden“ Migrantencamps im Raum Calais (wo Flüchtlinge auf Möglichkeiten zum Übersetzen des Ärmelkanals warten) einzusetzen.

Auch Printmedien zerstritten sich in jüngster Zeit darüber, wieviel die Rechtsextremen (im Originalton) zu Wort kommen dürfen. Am 10. Oktober 15 hatte die Sonntagszeitung JDD mit der dicken Hauptschlagzeile aufgemacht: „Jeder dritte Franzose ist bereit, für Marine Le Pen zu stimmen.“ Die groß aufbereitete Titelstory beruhte auf einer Umfrage, deren Ergenisse – im Blattinneren mit mehr Details vorgestellt – allerdings differenzierter ausfielen, als es die Überschrift ahnen ließ. 31 %, also etwas unter einem Drittel, betrug demnach der Anteil der befragten Französinnen und Franzosen, die es „sich vorstellen können“, für die FN-Chefin zu votieren. Das sind also keine festen Stimmabsichten (Letztere liegen allerdings auch bei mindestens 25 Prozent) – es sei „keine Wählerschaft, sondern Potenzial“, erläuterte das beteffende Meinungsforschungsinstitut dazu. Vor allem fallen einigen Antworten der Befragten eher zu Ungunsten von Marine Le Pen aus: So antworteten 58 Prozent der Befragten mit „Nein“ auf die Frage, ob die Vorsitzende des FN „demokratischen Werten“ anhänge. Und 70 Prozent verneinten die Frage, ob Le Pen „Lösungen für das Land“ anzubieten habe. Dies erfährt man auch aus der Lektüre der Seiten im Inneren der Zeitung. Bleibt man jedoch an der Überschrift hängen, liest man diese etwa im Vorbeigehen oder am Zeitungskiosk, drängt sich ein anderer, stärker eindeutig wirkender Eindruck auf.

Kritik kam deswegen aus mindestens zwei Ecken. Wie das konservative Wochenmagazin Le Point am 13. Oktober d.J. berichtete, hatte der Aktionär und Eigentümer der Sonntagszeitung, der Medienmogul und Rüstungsunternehmer Arnaud Lagardère, wutentbrannt zum Telefonhörer gegriffen. Er rief demnach Denis Olivennes an, den Leiter des mehrere Zeitungen umfassenden Presseunternehemens Lagardère, um ihm zu bedeuten, er möge die Zeitungsdirektion anweisen, künftig „eine anspruchsvollere Blattlinie“ zu wählen. Und um ihr einen Rüffel zu erteilen, weil die Seite Eins über Marine Le Pen „zu empathievoll“ gewesen sei, sprich, die rechtsextreme Politikerin faktisch unterstützt habe. Lagardère spricht dabei keinesfalls als Linker, für den ihn niemand halten dürfte. Doch seine, öffentlich bekannten, politischen Sympathien gelten Nicolas Sarkozy, dem amtierenden Parteichef der französischen Konservativen und politischen Konkurrenten Marine Le Pens, den er als Duzfreund behandelt.

Am 16. Oktober 15 beschloss dann auch eine Vollversammlung von angestellten JournalistInnen der Zeitung, ihrer Direktion die gelbe Karte zu zeigen. In einer Resolution, die aus diesem Anlass verabschiedet wurde, wird zunächst „das Eingreifen des Aktionärs (Arnaud Lagardère) in die redaktionelle Arbeit“ kritisiert und als unzulässige Einmischung in deren Autonomie zurückgewiesen. Danach folgt jedoch auch scharfe Kritik an der, von ebendiesem Lagardère frisch zusammengestauchten, Redaktionsleitung. Diese arbeite stets „ohne Vision und Strategie“, unter ständigem Druck der aktuellen Ereignisse „und ohne inhaltliche Vorbereitung“ auf Themen, und gebe sich ihrer Faszination für Umfrageergebnisse hin.

An solchen Übeln leidet in Frankreich jedoch nicht nur das JDD. In diesem Falle, und im Umgang mit Marine Le Pen, richteten sie aber mutmaßlich einen größeren politischen Schaden an.

Editorische Hinweise

Den Artikel bekamen wir vom Autor für diese Ausgabe.