Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Die extreme Rechte sucht die Regionalparlamentswahlen als Sprungbrett zu nutzen
Und zum Lyoner Strafprozess gegen Marine Le Pen

11/2015

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Am 06. und 13. Dezember 2015 wählt ganz Frankreich seine Regionalparlamente (in den dreizehn neuen Großregionen, in denen künftig die bislang 22 Regionen zusammengefasst werden). In zweien dieser Regionen, in der neuen Großregion Nord-Pas de Calais-Picardie (NPDCP) in Nordostfrankreich sowie in PACA oder Provence-Alpes-Côte d'Azur im Südosten des Landes, werden dem Front National hohe Siegeschancen vorausgesagt. In beiden Fällen treten Parteiprominente, die 47jährige Chefin Marine Le Pen sowie deren Nichte – die 25jährige Parlamentsabgeordnete Marion Maréchal-Le Pen -, als Spitzenkandidatinnen an. Inzwischen hat auch der schmollende Vater respektive Großvater Jean-Marie Le Pen, seit dem 20. August d.J. aus der Partei ausgeschlossen, sein Beleidigtsein zurückgestellt und einen Aufruf zur aktiven Unterstützung von Marion Maréchel-Le Pen und ihrer Kandidatur in der Südostregion PACA gestartet.

Vor allem aber Marine Le Pen wird mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Wahlsieg in Nordostfrankreich vorhergesagt: Laut aktuellen Umfragen würde ihre Liste, falls drei konkurrierende Wahlvorschläge in die Stichwahl einziehen, mit 46 Prozent deutlich an der Spitze liegen und den Sieg in der Region davontragen. Treten nur zwei Listen (Konservative und FN) in der zweiten Runde an, dann würde die des FN demnach mit 52 Prozent gewinnen.

Um sich eine Vorstellung davon zu machen, was es bedeuten würde, falls mehrere Millionen Menschen solcherart unter FN-Regierung kämen – auch wenn die Regionen nur begrenzte Vollmachten haben -, lohnt sich ein Blick auf die Praktiken in den Kommunen in Frankreich, in denen heute bereits rund 450.000 Einwohner/innen unter rechtsextremer Verwaltung leben.

Beleidigungen, Drohungen

Der Ton wird rauer. Drei Opponentinnen und Opponenten gegen den rechtsextremen Bürgermeister Robert Ménard (parteilos, doch vom Front National unterstützt) in Béziers erhielten Todesdrohungen, wie die Zeitung Midi Libre am Samstag, den 24. Oktober d.J. berichtet. Es handelt sich um den der französischen KP zugehörigen Kommunalparlamentarier Aimé Couquet sowie um die NGO-Aktiven Lynda Mendi-Hamadi und Mehdi Roland.

Alle drei erhielten einen Brief mit dem Absender „Ku Klux Klan“. Das Schreiben, das mit zweifelhafter Rechtschreibung abgefasst wurde, enthält eine Abbildung, auf der sich ein KKK-Mann mit weißer Kapuze und ein anderer Mann mit der Aufschrift „White League“ die Hand reichen. Im Hintergrund sieht man einen hängenden Schwarzen. In dem Brief wird den drei Empfänger/inne/n ihr „vorprogrammierter Tod“ angekündigt; eine von ihnen wird ferner als „Araberhure“ bezeichnet, und es wird ihr angekündigt, „wie eine Palästinenserin (zu) krepieren“. Neben der Zugehörigkeit mindestens eines der Empfänger zur französischen KP wird ihnen auch ihr pro-palästinensisches Vereinsengagement zur Last gelegt. Jedenfalls in der französischen Mittelmeerregion ist die französische extreme Rechte, die dort überwiegend vom früheren Kolonialverhältnis in Algerien geprägt ist (viele ihrer Wähler/innen dort sind frühere Kolonialsiedler in Nordafrika, die 1962 umsiedelten, und die Familie Robert Ménards zählte zum pro-kolonialistischen und terroristischen OAS-Milieu), auf ausgeprägte Weise pro-israelisch. Der Staat Israels war damals der engste Verbündete Frankreichs im Kampf gegen die Entkolonialisierung in den „arabischen“ (in Wirklichkeit arabisch-berberischen) Ländern Nordafrikas.

Zuvor waren die solcherart Bedrohten in der vom Rathaus herausgegebenen kommunalen Monatszeitung Le journal de Béziers heftig angegriffen und als „Chefs der Unruhestifter/Störenfriede im Stadtrat“ bezeichnet worden(1). Auch wurde versucht, sie als „Antisemiten“ hinzustellen, was von Seiten der extremen Rechten beinahe lustig wäre, wenn es nicht ein derartiges Ausmaß an Unverschämtheit darstellen würde. Aus Anlass des Skandals, den das Bekanntwerden des Drohbriefs auslöste, erinnerte die Liga für Menschenrechte (LDH) – eine der traditionsreichsten französischen Vereinigungen, die 1889 aus Anlass der Dreyfus-Affäre gegründet wurde – an eine andere „Leistung“ des Rathauszeitung von Béziers. Aus Anlass eines juristischen Siegs von Bürgermeister Ménard gegen die LDH, es ging um deren Klage gegen das Aufstellen einer Krippe in der Eingangshalle des Rathauses (was in Frankreich wegen des Prinzips der Trennung von Kirche und Staat an einem solchen Ort untersagt ist, die Klage wurde jedoch in Montpellier abgewiesen) triumphierte der Neofaschist dort. Den Artikel begleitete eine Zeichnung, auf der ein sitzender Mann mit Hosenträger einer – im Bild mit einem Bikini bekleideten – Frau den Hintern versohlt(2). Solche Fantasien und Fantasmen nährt ein Robert Ménard... Den Mann rechnete man übrigens dereinst, in den 1970 Jahren, zur (radikalen) Linken. Später machte er als NGO-Chef, als Vorsitzender von „Reporter ohne Grenzen“ (Reporters sans frontières/RSF) in den 1990er Jahren Karriere, um dann aber einen scharfen Rechtsruck hinzulegen und an die kolonialrassistisch/rechtsextremen Ursprünge seiner Familie wieder anzuknüpfen.

Erstmals FN-Bürgermeister strafrechtlich verurteilt

Am 22. September dieses Jahres wurde erstmals ein amtierender rechtsextremer Bürgermeister strafrechtlich verurteilt. Julien Sanchez, der junge FN-Rathauschef in Beaucaire, Anfang dreißig, muss deswegen 1.500 Geldstrafe bezahlen. Es ging um die Beleidigung einer CGT-Gewerkschafterin mit Namen Sylvie Polinière. Der FN-Bürgermeister hat Berufung gegen das Urteil eingelegt.

Im Frühsommer 2014 hatten mehrere gewerkschaftlich organisierte Lehrer/innen sich geweigert, an der Sitzung einer Schulleitung im Beisein des rechtsextremen Lokalpolitikers teilzunehmen, und hatten den Raum verlassen. Julien Sanchez selbst stellte deswegen eine Strafanzeige – wegen „Beleidigung eines Amtsträgers“, die am 27. Januar 2016 zur Verhandlung kommen wird. In Reaktion auf den angeblichen Affront hatte der Bürgermeister von Beaucaire damals ein Pressekommuniqué veröffentlicht, in welchem er über „unerzogene, verbitterte, privilegierte und sektiererische Gewerkschafter“ herzog, „deren Verhalten dem der ,racaille' in nichts nachsteht“. Der letztgenannte französische Begriff bedeutet ungefähr so viel wie „Gesocks“, und in rechten Kreisen werden mit ihm bevorzugt Jugendliche aus proletarischen Vierteln oder Vorstädten mit Migrationshintergrund belegt.

Als Antwort auf das Urteil erklärte Sanchez, er bleibe bei seiner Haltung und schere sich nicht um das Urteil: „Sie können mich ruhig verurteilen und eine Guillotine vor dem Gericht aufstellen ich werde weiterhin sagen, was ich zu sagen habe.“

Ein anderer rechtsextremer Bürgermeiste, der von Béziers mal wieder, hat in ähnlichem Zusammenhang Ärger bekommen. Am 24. September 15 beleidigte er einen Lehrer in seiner Stadt, der sich geweigert hatte, ihm die Hand zu geben – und ihm stattdessen mündlich ,Guten Tag' sagte -, als ,petit con' (sinngemäß: Vollidiot) und drohte ihm an, er werde seine Strafversetzung weg aus der Stadt veranlassen. Zudem stellte er ihm, je nach Quelle, „eine Ohrfeige“ oder „zwei Ohrfeigen“ in Aussicht, welche er sich redlich verdient habe.

Mehrere Gewerkschaften im Bildungssektor, auf nationaler Ebene zuerst SUD Education und UNSA Education, reagierten scharf auf den Vorfall. Und schalteten das Bildungsministerium ein, dessen regionale Abteilung in Montpellier dem betroffenen Lehrer Rechtshilfe für seinen künftigen Prozess zusagte. In einer Presseaussendung vom 28. September d.J. Versuchte Ménard dann zurückzurudern. Er stellte sich darin als Opfer dar („Sich vor Zeugen einen Handschlag verweigern zu lassen, ist eine besonders gewalttätige Sache für das Opfer“, „Ich fühlte mich angegriffen, und es war ein grundloser Angriff“), aber stellte sich dann die rhetorische Frage: „Hätte ich mich der Wortwahl am Ende des Wortwechsels enthalten sollen? Ja, ich räume es bereitwillig ein.“ Nun, Leidtun klingt anders.

Rassismus

Einen besonderen Anlass, um ihre wahre Gesinnung – hinter der ansonsten gern aufgesetzten Maske des konstruktiv regierenden Biedermanns – zur Schau zu tragen, bot den rechtsextremen Bürgermeistern und Kommunalregierungen in jüngster Zeit das muslimische Opferfest Aid el-Kebir. Es fand in diesem Jahr in der letzten Septemberwoche statt.

In Mantes-la-Jolie, einer rechtsextrem regierten Stadt rund fünfzig Kilometer westlich von Paris-Zentrum, musste sich die örtliche muslimische Vereinigung AMMS durch die Instanzen gegen die Kommunalverwaltung durchklagen. Letztere hatte es abgelehnt, ihr Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen, um die Feierlichkeiten auszurichten, zu denen rund 1,000 Menschen erwartet wurden. Mehrere an das Rathaus gerichtete Schreiben vom 06. Mai, 03. Juni und 01. August 15 blieben sämtlich unbeantwortet.

Die muslimische Gemeinde sprach von einem diskriminierenden Ablehnungsbescheid – im französischen Verwaltungsrecht wird das über einen bestimmten Zeitraum hinaus gewahrte Schweigen automatisch als Ablehnung gewertet – und rief das Verwaltungsgericht in Versailles an. Dieses wies die Klage jedoch qm 21. August ab. Am 23. September 15, am Tag vor dem Beginn des mehrtägigen Fests, gab dann jedoch der „Conseil d'Etat“ - ungefähr mit dem deutschen Bundesverwaltungsgericht vergleichbar – der muslimischen Gemeinde in einer Eilentscheidung Recht. Das Rathaus wurde dazu gezwungen, ihr Räumlichkeiten für den folgenden Tag zur Verfügung zu stellen. Da die Kommune es jedoch geschafft hatte, die meisten öffentlichen Räumlichkeiten an dem Tag belegen zu lassen, blieb nur noch ein Zeitfenster dafür von 8 bis 9 Uhr früh übrig.

In Fréjus an der Côte d'Azur, der zweitgrößten FN-regierten Stadt nach Béziers, befinden sich die muslimische Vereinigung El-Fath und die Stadt seit Monaten im Rechtsstreit um die Eröffnung einer Moschee. Deren Errichtung war durch die (konservative) Vorgängermannschaft im Rathaus im Jahr 2011 genehmigt worden. Die aktuelle Rathausregierung beruft sich jedoch auf angebliche bauliche Mängel, Sicherheitsprobleme und diverse andere Vorwände, um deren Eröffnung hinauszuzögern und tunlichst ganz zu verhindern. Zwiuschenzeitlich wurde der Bau jedoch von Experten als sicherheitskonform erklärt, der Rechtsstreit darum läuft jedoch.

Im Juni dieses Jahres hatte die muslimische Gemeinde beantragt, den Moscheebau während es Opferfests von Ende September zumindest für einen Tag dem Publikum öffnen zu dürfen. Das Rathaus reagierte mit kalter Ablehnung. Auch hier musste der muslimische Verband klagen, und bekam am 19. September 15 vor dem Verwaltungsgericht in Toulon daraufhin Recht.

Die rechtsextreme Rathausführung reagierte darauf nun jedoch, indem sie zur Abhaltung eienr Kundgebung am Abend des 24. September – dem ersten Tag des muslimischen Opferfests – ab 18 Uhr in räumlicher Nähe zur Moschee aufrief. Dazu kamen, je nach Angaben, zwischen 200 und 500 Menschen. Bürgermeister David Racheline (ansonsten als Freund oder ehemaliger Freund des prominenten Antisemiten Alain Soral bekannt) trat dort als Redner auf. Und kündigte die Abhaltung eines „Referendums“, also einer Abstimmung, in „seiner“ Stadt an. Dabei soll demzufolge dem Stimmvolk folgende Frage vorgelegt werden: „Wollen Sie eine Moschee in Fréjus?“ In dem Falle hat die Sache zumindest einen Vorzug: Die Dinge sind nun klar auf den Punkt gebracht – es geht den Rechtsextremen im Rathaus eindeutig um das Prinzip selbst, und keineswegs etwa um einzelne Eigenschaften des Baus.

In Hayange (Lothringen) stellte der 36jährige FN-Bürgermeister Fabien Engelmann kurz vor der Eröffnung des muslimischen Opferfests – bei dem üblicherweise Schafen und Ziegen geschlachtet werden, in Erinnerung an „das Opfer Abrahams“ - eine Kurznachricht bei Twitter ein. Darin sah man ihn von mehreren Vierbeinern umgeben. Die Nachricht belehrte das Publikum darüber, dass es sich um vier prospektive „Opfer von Aid el-Kebir“ handelte, welche der Bürgermeister „gerettet“ habe: Er hatte die armen Viecher aufgekauft, welche er nun einem Tierheim spenden wolle.

Engelman ist zwar selbst als Vegetarier und militanter Tierschützer bekannt, doch hatte ihn dies nicht daran gehindert, am 07. September 2014 und erneut am 06. September dieses Jahres jeweils ein „Fest des Schweins“ („La fête du cochon“) in den Straßen seiner Stadt zu zelebrieren. Dabei wurde die arme Sau nicht nur gefeiert, sondern auch – und in großem Ausmaß – verzehrt. Praktischer Nebeneffekt dabei: Ein Fest mit solcher kulinarischer Ausrichtung muss ohne Muslime auskommen (übrigens auch ohne Juden, aber Engelmann hat nachweislich vor allem mit muslimischen Menschen ein Problem). Daran rührte sich die tierschützerische Seele Engelmanns nicht. Wie heißt es nicht bereits bei George Orwell so schön?: Alle Tiere sind gleich. Aber einige sind gleicher als die anderen.

Prozess gegen Marine Le Pen

Unterdessen wurde nicht nur ein FN-Bürgermeister verurteilt. Auch Parteichefin Marine Le Pen selbst wartet nun auf ein strafrechtliches Urteil, das ihr ihre allererste Verurteilung eintragen könnte – während ihr Vater mindestens dreißig mal, unter anderem wegen Volksverhetzung und Finanzdelikten, verdonnert wurde -, wobei die Staatsanwaltschaft allerdings einen Freispruch forderte. Am Dienstag, den 20. Oktober 15 stand Marine Le Pen in Lyon vor Gericht, weil sie in ebendieser Stadt in einer Rede im Dezember 2010 Moslems dafür angeprangert hatte, dass sie in Frankreich auf der Straße beten würde, und mit einer „Besatzungsarmee“ verglich. Sogar eine Parallele „zum Zweiten Weltkrieg“, also der Nazibesatzung, hatte sie ausdrücklich gezogen mit der Bemerkung, man möge sich doch lieber um solche aktuellen Besatzungsprobleme als um olle historische Kamellen kümmern.

Antirassistische Verbände hatten deswegen Strafanzeige erstattet, die jedoch erst nach Jahren eines langwierigen Verfahrens zur Anklage führte, weil erst das Europäische Parlament die Immunität seiner Abgeordneten Marine Le Pen aufheben musste, was es 2003 tat. Angesichts der Position der Staatsanwaltschaft ist ein Freispruch zu befürchten, den Marine Le Pen natürlich propagandistisch erst recht zu ihrem Vorteil ausschlachten würde. Sie hatte es sich auch nicht nehmen lassen, persönlich zu ihrem Prozess zu erscheinen (während eine anwaltiche Vertretung genügt hätte), um ihn als politische Tribüne zu nutzen. Auf dem Gerichtsflur wurde eine schwarze Prozesszuschauerin von Anhängern Le Pens rassistisch angepöbelt, wie die Nachrichtenagentur AFP kurz vermeldete, bevor es in Vergessenheit geriet. Immerhin hatte das Gericht die Geistesgegenwart, den Termin der Urteilsverkündung auf den 15. Dezember 15 zu legen, also auf die Zeit (kurz) nach den Regionalparlamentswahlen, um deren Wahlkampf nicht zu beeinflussen. Bis dahin ist Marine Le Pen allerdings vielleicht bereits Regionalpräsidentin...

2Vgl. zum Inhalt der Auseinandersetzung: http://www.lesinrocks.com/2015/08/06/actualite/robert-menard-et-ses-fantasmes-misogynes-dans-le-journal-de-beziers-11765425/ , und zur Abbildung: selbe Quelle wie in Fußnote 1.

Editorische Hinweise

Den Artikel bekamen wir vom Autor für diese Ausgabe.