Extreme Rechte im Europaparlament
Werden die Karten neu gemischt – oder doch nicht?


von Bernard Schmid

11-2014

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Bringt das Rückspiel den französischen Neofaschisten ihren nächsten Sieg, statt nur den erwarteten Trostpreis? Der Wettkampf vom Frühsommer dieses Jahres, bei dem es darum ging, ob es der rechtsextremen Französin Marine Le Pen oder dem britischen Rechtsnationalisten Nigel Farage gelingen würde, eine Fraktion im Europaparlament um sich zu scharen, ging vor kurzem in eine neue Runde. So sah es jedenfalls am 16. und 17. Oktober 14 vorübergehend aus.

Im Juni dieses Jahres hatte zunächst Nigel Farage das Rennen gemacht. Am 19. Juni hatte er die Bildung einer Fraktion unter dem vordergründig wohltönenden Namen Europe of Freedom and direct Democrazy Group (EFDD) verkündet. Ihr gehörten 48 Abgeordnete aus insgesamt sieben Mitgliedsländern der Europäischen Union an. Damit lag die Parlamentariergruppe deutlich über der erforderlichen Mindestzahl von 25 Mandatsträgern; aber hart am Limit, was die Anzahl der beteiligten Nationalitäten betrifft. Denn die Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments erfordert, dass mindestens Abgeordnete aus einem Viertel der Mitgliedsstaaten zusammenkommen müssen, um eine Fraktionsbildung zu ermöglichen. Also Parlamentarier aus mindestens sieben EU-Ländern.

Farage hatte es geschafft, indem er neben dem unberechenbaren italienischen Politclown Beppe Grillo und seinen Anhängern - Beppe Grillo, der in jüngerer Zeit auch offen gegen Einwanderer hetzt, verhandelte allerdings parallel dazu auch mit den Grünen im Europaparlament - auch Parteien mit in seine Fraktion aufnahm, die zuvor mit Marine Le Pen und dem französischen Front National mehr als nur geliebäugelt hatten. Insbesondere die rechtsextremen „Schwedendemokraten“ (SD). Die Partei von Jimmie Akesson war bei ihrer Gründung im Jahr 1988 eine offene Neonazigruppierung gewesen, hatte sich jedoch in den letzten Jahren als „geläutert“ zu präsentieren versucht. Mit einigem Erfolg, bei den schwedischen Parlamentswahlen vom 14. September 2014 erzielte sie mit knapp 13 Prozent der Stimmen einen historischen Erfolg. Die SD hatten am 15. November 2013 an einem Treffen in Wien teilgenommen, bei dem es darum ging, die Weichen für die Bildung einer rechtsextremen Europaparlamentsfraktion nach den Wahlen von Ende Mai 14 zu stellen. Dort nahmen neben der FPÖ als Gastgeberin unter anderem auch der französische Front National (FN), der belgische Vlaams Belang die italienische Lega Nord teil.

Doch möglicherweise wollte die schwedische Partei im Juni d.J. dann ihre Wahlchancen auf nationaler Ebene für die Zeit nach der Sommerpause nicht gefährden. Deswegen schloss sie sich lieber dem Engländer Nigel Farage ein, der im Vergleich zu Marine Le Pen und anderen Chefs von einwandererfeindlichen Parteien ein etwas saubereres Image genießt. Die britische UKIP hatte seit ihrer Gründung 1993 zunächst vorwiegend auf einen Anti-EU-Kurs gesetzt. Erst in jüngerer Zeit wurde auch die Agitation gegen Einwanderer zu ihrem zweiten Standbein. (Vgl. dazu ausführlich auch AN 21/2014)

Auf europäischer Ebene werden nun möglicherweise die Karten neu gemischt. Denn wie am Donnerstag, den 16. Oktober 14 bekannt wurde, verlässt die einzige lettische Abgeordnete der Fraktion von Nigel Farage nun dieselbe. Es handelt sich um Iveta Grigule von der „Union der Grünen und der Bauern“, die kürzlich Ambitionen auf den Vorsitz der Europaparlaments-Delegation für die Beziehungen zu den Staaten Zentralasiens – in ihrer Mehrheit früherer Sowjetrepubliken wie Lettland – anmeldete. Ob darüber hinaus auch inhaltliche Differenzen für ihren Austritt mit verantwortlich waren, wurde nicht bekannt. Wenn, dann dürften diese mit der Positionierung gegenüber Russland unter Wladimir Putin zusammenhängen. Nigel Farage ist, ähnlich wie Marine Le Pen, ein bekennender „Putin-Versteher“ respektive Putin-Fan. Paradox wirkt dabei allerdings, dass der Notnagel, der am Montag (20. Oktober 14) auftauchte und der Farage-Fraktion doch noch Rettung zu bieten versprach, ausgerechnet auf einem polnischen Europaparlamentarier beruhte – während polnische Nationalisten in aller Regel Russlandhasser sind.

Der polnische Rechtsnationalist Robert Jaroslaw Iwaszkiewicz, Mitglied der Formation „Kongress der Neuen Rechten“ (KPN) und bislang als fraktionsloser Abgeordneter im Europaparlament unterwegs, gab an dem Tag bekannt, dass er sich der Farage-Fraktion anschloss. Damit wäre diese gerettet, weil ihr damit erneut sieben Nationalitäten angehören würden, falls sich die Nachricht bestätigt.

Marine Le Pen machte sich zwischenzeitlich ernsthafte Hoffnungen darauf, mehrere Verbündete unter den Trümmern der Farage-Fraktion finden zu können. Neben den „Schwedendemokraten“, die sie zurückgewinnen möchte, hatte sie dabei besonders die Litauer von der rechtsnationalistischen Gruppierung „Ordnung und Gerechtigkeit“ (TT) im Visier. Im Juni dieses Jahres hatten ihr Abgeordnete aus zwei Mitgliedsländern bei der Fraktionsbildung gefehlt. Infolge ihres damaligen Scheiterns hatte ihr Bündnispartner Geert Wilders von der niederländischen „Partei für die Freiheit“ (PVV) sein eigenes Mandat im Europaparlament aufgegeben und an den Nachrücker auf der Liste abgegeben.

Anfang Oktober 14 allerdings hatte die Chefin des französischen Front National erneut von ihren Ambitionen auf europäischer Ebene reden gemacht. Am 03. Oktober d.J. kündigte sie an, eine Stiftung in Brüssel zu gründen und eine supranationale Partei unter dem Namen „Europa der Nationen und der Freiheitsrechte“ (Europe des nations et des libertés). Dabei wollten aber zunächst nur die FPÖ und die Lega Nord mitziehen. Es sah aus wie ein Trostpreis, anstatt einer Fraktion. Auf Letztere machte Marine Le Pen sich dann allerdings ab Mitte des Monats Oktober doch wieder neue Hoffnungen, siehe oben.

Würde Marine Le Pen die Fraktionsbildung tatsächlich gelingen, so stünden ihr laut Berechnungen aus dem Frühsommer jährlich 2,974 Millionen Euro an Mittelzuwendungen dafür zur Verfügung. Vorläufig bleiben die FN-Chefin und ihr Anhang davon jedoch ausgeschlossen.
 

Editorische Hinweise

Den Artikel bekamen wir vom Autor für diese Ausgabe.