Die neuzeitliche Wissenschaft und
Philosophie entstanden im 18. Jahrhundert, in der Epoche des
Übergangs von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft. Die
darauf folgenden Jahrhunderte waren eine Periode einer
ungewöhnlichen Blüte der bürgerlichen gesellschaftlichen
Beziehungen, einer ungewöhnlichen Entwicklung der
Produktivkräfte und mit ihnen - der Wissenschaft und der
Philosophie.
Jetzt ist die Menschheit in eine
neue Phase der geschichtlichen Entwicklung eingetreten. Der
Kapitalismus nähert sich schnell seinem natürlichen Ende. Die
auf seiner Grundlage aufgewachsene Ideologie ist von einer
tiefen Krise befallen. Die Naturwissenschaft macht gewaltige
Eroberungen, doch die philosophischen Grundlagen der
Naturwissenschaft, die in den vergangenen Jahrhunderten
geschaffen wurden, erwiesen sich gleichzeitig als zu »eng« und
zu elementar; sie können den ganzen Reichtum des konkreten
Inhalts der Wissenschaft nicht aufnehmen. Uberall, auf allen
Gebieten der materiellen und geistigen Kultur, fühlt man das
Schwanken des Bodens. Es gibt nichts Standfestes, alles befindet
sich im Gärungs- und Formungsprozeß. Zugleich mit der großen
Krise, die die gegenwärtige gesellschaftliche Formation
durchlebt, ereignet sich der Bruch der »oberen Stockwerke«. Die
alte Kultur stirbt ab, und auf ihren Trümmern werden die
Grundsteine einer neuen, höheren Kultur gelegt. Während solcher
Krisenzeiten ertönen gewöhnlich Klageschreie über den Untergang
der Kultur, über den Zusammenbruch der Wissenschaft, über die
Notwendigkeit, zum »Glauben der Väter« zurückzukehren u. a.
Aber nicht jede Krise kennzeichnet
einen Rückschritt oder einen Verfall. Es gibt heilsame Krisen,
die ein Ausdruck des Aufstiegs der Menschheit, die ein
Wendepunkt in ihrer Entwicklung und in ihrem Übergang zu einer
höheren Stufe sind. Die derzeitige »Krise« in der Wissenschaft
ist durch den Prozeß der Anhäufung von Widersprüchen bedingt,
die mit den alten Denkmethoden nicht überwunden werden können.
Die Krise der modernen Wissenschaft - und in erster Linie der
Naturwissenschaft - ist vor allem eine Krise ihrer logischen,
ihrer methodologischen Grundlagen. Die alten Formen des Denkens
erwiesen sich als machtlos vor dem ungewöhnlichen Reichtum des
Inhalts, der tagtäglich durch die stürmische Entwicklung der
Naturwissenschaft geliefert wird. Alles, was bisher
unerschütterlich zu sein schien, das unterliegt jetzt einem
tiefgreifenden Zweifel. Bei einigen Naturwissenschaftlern geriet
das Kausalitätsgesetz, das Gesetz der Erhaltung der Energie usw.
in Verdacht. Darum bestehen jetzt die bedeutendsten
Naturforscher auf der Notwendigkeit eines engen Bündnisses
zwischen der Naturwissenschaft und der Philosophie.
Die Philosophie ist ohne
Naturwissenschaft ebenso unmöglich, wie die Naturwissenschaft
ohne Philosophie unmöglich ist. Indem wir die gegenseitige
Verbundenheit und Abhängigkeit der Philosophie und der
Naturwissenschaft unterstreichen, müssen wir hier gleichzeitig
erwähnen, daß es ein gleiches Verhältnis zwischen der
Philosophie und den Gesellschaftswissenschaften, sowie zwischen
der Philosophie und der wissenschaftlichen Erkenntnis im
allgemeinen gibt.
Aber was soll man unter
Philosophie verstehen? Ohne diesbezüglich in nähere
Einzelheiten einzugehen, halten wir es für notwendig zu
unterstreichen, daß die gewöhnliche Gegenüberstellung der
Philosophie und der Wissenschaft unter aller Kritik ist. Die
Philosophie ist unserer Auffassung nach nicht irgendetwas, was
im Gegensatz zur Wissenschaft steht. Im Gegenteil, die
Philosophie ist für uns ebenfalls Wissenschaft. Es wäre falsch
zu glauben, daß die Geschichte der Philosophie während mehr als
zweitausendfünfhundert Jahren einen fruchtlosen Kampf
verschiedener Meinungen über untaugliche Dinge darstellte und
daß dieser Kampf mit nichts anderem als mit dem Ergebnis Null
beendet sei. Menschen, die die Geschichte der Philosophie und
der Wissenschaft wenig kennen, denken gewöhnlich so. Sie nehmen
sogar an, daß alles »Übel« von der Philosophie kommt und daß die
»Rettung« nur von den positiven Wissenschaften, insbesondere von
der Naturwissenschaft, kommen wird. Obwohl dieses Vorurteil bei
uns beträchtlich erschüttert ist, so hat es sich doch in vielen
Köpfen festgesetzt. Doch hat die Menschheit während ihrer
jahrhundertealten Geschichte nicht umsonst gearbeitet und
nachgedacht. Die Geschichte des menschlichen Denkens ist eine
Widerspiegelung des harten Kampfes des Menschen gegen die
Natur, gegen verschiedene Formen der Ausbeutung und der
Unterdrückung, ebenso wie gegen die eigene Unwissenheit und die
eigenen Vorurteile. Wenn wir einen Blick auf den Weg werfen, der
von den Menschen zurückgelegt worden ist, dann müssen wir
einsehen, daß die gegenwärtige Generation ein gewisses Erbe von
der Vergangenheit erhalten hat. Aber dasselbe muß man auch von
der Philosophie sagen. Außerdem waren die Philosophie und die
Wissenschaft immer derartig eng miteinander verbunden, daß sie
sich gegenseitig ergänzten. Die Philosophie, die sich auf die
positiven Wissenschaften stützte, brachte gewöhnlich allgemeine
Ideen und Prinzipien hervor, die für die Spezialwissenschaften
richtunggebend waren. Die Vertreter des positiven Wissens, die
oft überzeugt waren, daß sie von jeder Philosophie »unabhängig«
seien, waren in Wirklichkeit unbewußt Anhänger des einen oder
des anderen philosophischen Systems. Gewöhnlich nimmt man an,
daß zum Beispiel die Naturwissenschaft eine Garantie gegen
unrichtige philosophische Ansichten, gegen idealistische
Vorurteile ist. Aber so können wiederum nur Menschen denken, die
wenig mit der Geschichte der Wissenschaft vertraut sind. Lenin
vertrat diesbezüglich eine andere Meinung. Er hat vortrefflich
verstanden, daß »durch den plötzlichen Bruch, den die
gegenwärtige Naturwissenschaft erlebt, auf Schritt und Tritt
verschiedene philosophische reaktionäre Schulen, Schülchen und
Richtungen entstehen.« Doch hat Lenin im Gegensatz zu vielen
derzeitigen oberflächlichen Menschen nicht geraten, »die
Philosophie über Bord« zu werfen; er war auch nicht der
Meinung, daß »die Wissenschaft - sich selbst Philosophie« sei.
Er schrieb: ». . . um einer solchen Erscheinung nicht ratlos
gegenüberzustehen, müssen wir verstehen, daß ohne eine
gediegene philosophische Grundlage keine Naturwissenschaft,
kein Materialismus im Kampf gegen den Ansturm der bürgerlichen
Ideen und gegen die Wiederherstellung der bürgerlichen
Weltanschauung bestehen kann.« (1)
Mit einem Wort, Lenin vertritt die
Meinung, daß die Naturwissenschaft ohne die Philosophie nicht
auskommen kann. Die gleiche Meinung vertrat im Grunde genommen
auch Engels. Zu dieser Ansicht gelangen jetzt auch die
bedeutendsten Naturforscher. Wenn wir uns fragen, was das
Ergebnis der jahrhundertelangen Entwicklung des menschlichen
Denkens ist, so werden wir auf diese Frage folgendermaßen
antworten: die materialistische Dialektik als Entwicklungslehre
und als Denkmethode. Die materialistische Dialektik ist nicht
vom Himmel gefallen, sie ist ein Ergebnis der Entwicklung des
menschlichen Denkens, ein gesetzmäßiges Produkt der Geschichte
der Wissenschaft, der Technik und der Philosophie. Ohne
materialistische Dialektik ist der Marxismus undenkbar. Marx und
Engels ist es nur darum gelungen, ihre monumentale Lehre zu
schaffen, weil sie sich von der vorangegangenen Philosophie
nicht einfach abkehrten, sondern diese überwunden und
umgearbeitet haben. Wenn die Methode von Marx eine derartige
Fülle von Ergebnissen auf dem Gebiete der
Gesellschaftswissenschaften hervorgebracht hat, so steht es ihr
noch bevor, eine Umwälzung auf dem Gebiete der Naturwissenschaft
zu vollziehen, wo das theoretische Denken sich bis jetzt im
Banne der alten Metaphysik befindet. »Die empirische
Naturforschung«, schrieb Engels im Jahre 1878, »hat eine so
ungeheure Masse von positivem Erkenntnisstoff angehäuft, daß die
Notwendigkeit, ihn auf jedem einzelnen Untersuchungsgebiet
systematisch und nach seinem inneren Zusammenhang zu ordnen,
schlechthin unabweisbar geworden ist. Ebenso unabweisbar wird
es, die einzelnen Erkenntnisgebiete unter sich in den richtigen
Zusammenhang zu bringen. Damit aber begibt sich die
Naturwissenschaft auf das theoretische
Gebiet, und hier versagen die Methoden der Empirie, hier kann
nur das theoretische Denken helfen. Das theoretische Denken ist
aber nur der Anlage nach eine angeborne Eigenschaft. Diese
Anlage muß entwickelt, ausgebildet werden, und für diese
Ausbildung gibt es bis jetzt kein andres Mittel als das Studium
der bisherigen Philosophie.«(2)
Die Philosophie stellt auf jeder
gegebenen geschichtlichen Entwicklungsstufe ein bestimmtes
Verständnis der allgemeinen Zusammenhänge der Erscheinungen dar.
Während einzelne, spezielle Wissenschaften sich mit dem Studium
irgendeines Abschnittes der Natur, eines ihrer Teile, befassen,
war die Philosophie immer bestrebt, den allgemeinen
Zusammenhang des Ganzen aufzudecken. Engels sieht den Vorzug
der griechischen Philosophie im Vergleich zu der Metaphysik des
17. und 18. Jahrhunderts in der Tatsache, daß sie den Standpunkt
des Ganzen vertrat und sich bemühte, in den allgemeinen
Zusammenhang des Existierenden einzudringen, während die
Metaphysik der neuen Zeit »sich den Weg
versperrte, vom Verständnis des Einzelnen zum Verständnis des
Ganzen ... zu kommen. Bei den Griechen - eben weil sie noch
nicht zur Zergliederung, zur Analyse der Natur fortgeschritten
waren - wird die Natur noch als Ganzes, im ganzen und großen
angeschaut. Der Gesamtzusammenhang der Naturerscheinungen wird
nicht im einzelnen nachgewiesen, er ist den Griechen Resultat
der unmittelbaren Anschauung. Darin liegt die Unzulänglichkeit
der griechischen Philosophie, derentwegen sie später andren
Anschauungsweisen hat weichen müssen. Darin liegt aber auch
ihre Überlegenheit gegenüber allen ihren späteren metaphysischen
Gegnern. Wenn die Metaphysik den Griechen gegenüber im einzelnen
recht behielt, so behielten die Griechen gegenüber der
Metaphysik recht im ganzen und großen.«(3)
Engels sieht vollkommen richtig in
der Metaphysik eine notwendige Etappe in der Entwicklung des
menschlichen Denkens, weil man zum Verständnis der Prozesse und
des gegenseitigen Zusammenhangs der Erscheinungen das
Verständnis für Dinge, das Verständnis für einzelne
Erscheinungen haben muß. Aber die Metaphysik bleibt auch deshalb
Metaphysik, weil sie das endgültige
Ergebnis der Forschung in der Analyse der Natur sieht und
unfähig ist, sich bis zur Synthese zu erheben. Andererseits
besteht der Mangel, an dem die griechische Philosophie litt,
darin, daß für sie das Ganze, der allgemeine Zusammenhang der
Erscheinungen, sich als Ergebnis einer unmittelbaren
Anschauung, aber nicht eines durch die Aufgliederung des Ganzen
vermittelten Verständnisses darstellte.
Die materialistische Dialektik
grenzt historisch und logisch unmittelbar an die Hegelsche
Dialektik an, indem sie deren Fortsetzung und Weiterentwicklung
auf einer qualitativ anderen Grundlage ist, soweit sie von Marx
und Engels einer grundlegenden Überarbeitung auf dem Grunde des
Materialismus unterzogen wurde. Die Dialektik ist Ergebnis der
Entwicklung der ganzen Geschichte des menschlichen Denkens, ein
Produkt der Wissenschaft, der Philosophie und des praktischen
menschlichen Schaffens auf höchster Ebene. »Grade die Dialektik
ist« -sagt Engels - »aber für die heutige Naturwissenschaft die
wichtigste Denkform, weil sie allein das Analogon und damit die
Erklärungsmethode bietet für die in der Natur vorkommenden
Entwicklungsprozesse, für die Zusammenhänge im ganzen und
großen, für die Übergänge von einem Untersuchungsgebiet zum
andern.«(4)
Der gegenwärtige Zustand der
Wissenschaft ist so, daß sie sich nicht mehr mit der Masse des
angesammelten empirischen Materials, mit dem riesigen Reichtum
an einzelnen Tatsachen, Beobachtungen, Erscheinungen oder sogar
Gesetzen zufrieden geben kann. Man fühlt das unüberwindbare
Bedürfnis, alle diese Beobachtungen und Gesetzmäßigkeiten in
Zusammenhang zu bringen, und zwar sowohl auf einem jeden
einzelnen Gebiet, als auch in der Gesamtheit der Wissenschaften,
indem man die einzelnen Zweige des Wissens in ein Ganzes
vereinigt. Unter solchen Verhältnissen ist die empirische
Naturwissenschaft gezwungen, sich auf die Stufe des
theoretischen Denkens zu erheben, d. h. die Naturwissenschaft
enger mit der Philosophie zu verbinden.
Diesen Zusammenschluß der
Naturwissenschaft und der Philosophie kann man nur auf der
Grundlage der materialistischen Dialektik verwirklichen. »Die
modernen Naturforscher«, schrieb Lenin im Jahre 1922, »werden in
der materialistisch gedeuteten Dialektik Hegels eine Reihe von
philosophischen Fragen beantwortet finden (wenn sie es verstehen
werden zu suchen und wenn wir es erlernen werden, ihnen zu
helfen), die die Revolution in der Naturwissenschaft aufwirft
und bei denen die intellektuellen Verehrer der bürgerlichen Mode
zur Reaktion >abgleiten<.« Ohne die Dialektik zu kennen, sagte
Lenin, werden die Naturforscher in ihren philosophischen
Schlußfolgerungen und Verallgemeinerungen hilflos sein. »Denn
die Naturwissenschaft macht so schnelle Fortschritte, erlebt
eine Periode eines so tiefen revolutionären Umbruchs auf allen
Gebieten, daß die Naturwissenschaft in keinem Falle ohne
philosophischen Schlußfolgerungen auskommen kann.«(5)
Die moderne Naturwissenschaft ist schon, wie uns scheint, in die
von Engels und Lenin vorausgesagte neue Entwicklung
eingetreten. Soweit angesehene Naturforscher von der
Entwicklung der Wissenschaft selbst zu ihrer theoretischen
Konzeption gezwungen werden, gehen sie auf den dialektischen
Standpunkt über, oder sie beginnen auf diesen Standpunkt
überzuwechseln. Die moderne Wissenschaft macht eine Periode »der
Wirren« durch - das ist ohne Zweifel. Wir befinden uns
vielleicht vor einer gewissen Umstellung des ganzen Gebäudes der
modernen Wissenschaft. Darum ist es auch nicht verwunderlich,
daß viele Naturforscher zum Idealismus und sogar zum Mystizismus
herabgleiten, ohne imstande zu sein, theoretisch die in der
einen oder anderen wissenschaftlichen Disziplin angesammelten
Widersprüche zu begreifen. Es stellt sich heraus, daß die alte
formale Logik zur Überwindung letzterer nicht ausreicht. Sie
muß durch eine dialektische Logik ersetzt werden. [...] Wenn man
von den von uns angeführten grundsätzlichen Mängeln der
Hegelschen Logik absieht, so müssen wir anerkennen,
daß man im allgemeinen die Hegeische Konstruktion auch
vom materialistischen Standpunkt aus als richtig betrachten muß.
Damit wollen wir überhaupt nicht sagen, daß alle Kategorien bei
Hegel unerschütterlich auf dem ihnen zukommenden Platz stehen,
daß bei ihnen absolut keine Verschiebungen zulässig sind. Für
uns ist es nur wichtig zu unterstreichen, daß die
grundsätzlichen Linien in der Hegelschen Logik richtig
gezeichnet sind. Wir berühren hier noch nicht eine Reihe von
Fragen, in denen wir mit Hegel auseinandergehen. Wir haben nicht
einmal die Frage nach dem Zusammenhang zwischen dem System und
der Methode berührt, nach dem Ubergange der Kategorien
ineinander u. a. Alles das würde zu viel Platz beanspruchen.
Was insbesondere die Frage der Übergänge der Kategorien in
andere betrifft, so sind diese unnatürlich und erdacht, was man
vor allem damit erklären kann, daß Hegel es mit einem rein
logischen Prozeß zu tun hat, bei dem die Kategorien als
logische Wesenheiten in andere übergehen. Natürlich fühlt man in
diesen Übergängen mehr als sonst den Einfluß des Systems auf
die Methode. Die Kategorien können überhaupt nicht in andere
übergehen. Bei Hegel haben die Kategorien als Gesetze des
Denkens überhaupt apriorischen Charakter und werden tatsächlich
der Natur und der Geschichte aufgezwungen. Aber andererseits
muß man verstehen, daß die Kategorien sogar bei Hegel aus der
Wirklichkeit gezogen sind. Hier haben wir wiederum die
Mystifikation, von der Marx und Engels sprechen. Aber wir
Materialisten müssen die Gesetze der Dialektik bewußt aus der
wirklichen Natur und der Geschichte ziehen. Für Hegel ist die
Natur und die Geschichte angewandte Logik. Für die Materialisten
ist die Sache anders: die Kategorien sind Abstraktionen, ideale
Ausdrücke realer Beziehungen. Doch soweit diese Gesetze oder
Kategorien aufgeführt, entdeckt und aufgestellt sind, werden
sie natürlich in Zukunft als Mittel der Forschung angewandt
werden. Das Gesetz der Umwandlung der Energie z. B., das in der
Natur entdeckt wurde, wird späterhin auf verschiedenen Gebieten
angewandt; es wird zur Voraussetzung der wissenschaftlichen
Forschung. Man braucht dieses Gesetz nicht jedes
Mal von neuem zu entdecken. Dieser Umstand zwingt auch viele
dazu, anzunehmen, daß die Gesetze der Dialektik eine apriorische
Konstruktion darstellen, ein Schema, das angeblich durch das
Denken der Natur aufgezwungen wird. Hier kann von keinem
Apriorismus die Rede sein. Alle Gesetze wurden aus der
Wirklichkeit eruiert. Doch wenn sie eruiert oder entdeckt sind,
dann werden sie zu einem dauerhaften Besitz des theoretischen
Denkens und verwandeln sich schon in ein Mittel der Forschung.
Also stellen wir
an die Stelle der Selbstentwicklung der Idee die
Selbstentwicklung der materiellen Welt, an die Stelle der
logischen Übergänge stellen wir die realen Ubergänge im
Entwicklungsprozeß. Bei Hegel haben wir, ungeachtet der
künstlichen Ubergänge der Kategorien in andere und des
idealistischen Charakters seiner ganzen Logik, eine abstrakte
Theorie der Dialektik, die im großen und ganzen - wenn auch in
einer mystifizierten Form - so doch den realen
Entwicklungsprozeß zum Ausdruck bringt.
Engels reduziert
die ganze Dialektik auf drei grundlegende Gesetze. Daraus folgt
in keinem Falle, daß Engels die sekundären Gesetze der
Dialektik, wie sie Hegel formuliert hat, ablehnen würde. Es
genügt, Das Kapital von Marx zu analysieren um sich zu
überzeugen, daß wir hier alle grundlegenden Gesetze der
Dialektik in der Anwendung auf die politische Ökonomie haben.
Engels faßt nur den Inhalt der Hegelschen Dialektik in drei
grundsätzlichen Gesetzen zusammen: das Gesetz des Umschlagens
der Quantität in Qualität und umgekehrt; das Gesetz der
gegenseitigen Durchdringung der Gegensätze und das Gesetz der
Negation der Negation.
»Alle drei« - sagt
Engels - »sind von Hegel in seiner idealistischen Weise als
bloße Den&gesetze entwickelt: das erste im ersten Teil der
Logik, in der Lehre vom Sein; das zweite füllt den ganzen
zweiten und weitaus bedeutendsten Teil seiner Logik
aus, die Lehre vom Wesen; das dritte endlich figuriert als
Grundgesetz für den Aufbau des ganzen Systems. Der Fehler
liegt darin, daß diese Gesetze als Denkgesetze der Natur und
Geschichte aufoktroyiert, nicht aus ihnen abgeleitet werden.
Daraus entsteht dann die ganze gezwungene und oft
haarsträubende Konstruktion: Die Welt, sie mag wollen oder
nicht, soll sich nach einem Gedankensystem einrichten, das
selbst wieder nur das Produkt einer bestimmten
Entwicklungsstufe des menschlichen Denkens ist. Kehren wir die
Sache um, so wird alles einfach und die in der idealistischen
Philosophie äußerst geheimnisvoll aussehenden dialektischen
Gesetze werden sofort einfach und sonnenklar«. »Wer übrigens«
- beeilt sich Engels hinzuzufügen-»seinen Hegel nur
einigermaßen kennt, der wird auch wissen, daß Hegel an
Hunderten von Stellen aus Natur und Geschichte die
schlagendsten Einzelbelege für die dialektischen Gesetze zu
geben versteht.«(6)
Somit kritisiert Engels die
idealistische Grundlage der Hegelschen Logik, erkennt aber
zugleich ihre allgemeine Struktur als richtig an, indem er das
Wesentliche des ersten Teiles der Logik, der das Sein
behandelt, auf das Gesetz des Umschlagens der Quantität in
Qualität und der Qualität in Quantität mit allen dazu gehörigen
»sekundären« Kategorien zurückführt. Der Inhalt der Lehre vom
Wesen wird von Engels vollkommen richtig auf das Grundgesetz des
gegenseitigen Durchdringens der Gegensätze zurückgeführt, wobei
er den Kern der Dialektik eben in der Lehre vom Wesen sieht. Das
Gesetz der Negation der Negation zieht sich eigentlich durch die
gesamte Logik als eines der allumfassendsten und weit
wirkenden Gesetze. [...] Wir haben keine Möglichkeit, einen mehr
oder weniger vollkommenen Uberblick über die Hegelsche Logik zu
geben; wir haben auch keine Absicht, uns hier mit einer
materialistischen Kritik und Interpretation dieser Logik zu
beschäftigen. Das einzige, was wir für notwendig halten, ist
eine Reihe von kritischen Bemerkungen hinsichtlich der
Hegelschen Konstruktion im ganzen. Es ist uns vollkommen
unmöglich, uns in Einzelheiten zu vertiefen, weil das viel
zuviel Platz beanspruchen würde.
Wir haben oben schon
unterstrichen, daß Hegels Logik ihrem Wesen nach einen
apriorischen und idealistischen Charakter hat. Die Entfaltung
der Kategorien vollzieht sich auf einem rein logischen Wege.
Diese Entfaltung ist nichts anderes als der
Selbstentwicklungsprozeß der Idee, die ihre Bestimmungen in
einer bestimmten logischen Folgerichtigkeit zum Vorschein
bringt. Ein Begriff der Idee geht selbst wegen seiner
Einseitigkeit und Begrenztheit in einen anderen Begriff über,
der seinerseits sich als widerspruchsvoll erweist und deswegen
genötigt ist, in einen anderen Begriff überzugehen usw. Somit
betrachtet man den Begriff als reales Wesen, das sich angeblich
bewegt und sich entwickelt. In der Tat spottet eine derartige
Fragestellung jeder Kritik. Begriffe an sich gehen nicht über
und können nicht von sich aus in andere Begriffe übergehen. Nur
ein denkendes Subjekt hat mit Begriffen zu tun, darum ist auch
ihr Übergang ineinander, ihre Vorwärtsbewegung eine Arbeit
unseres Gedankens; wir zwingen sie ja ineinander überzugehen und
sich überhaupt zu bewegen, zu entwickeln und zu entfalten; wir
haben es tatsächlich mit einem Prozeß unserer Gedanken, mit der
Entwicklung unserer logischen Begriffe mit Hilfe unserer
Denkfähigkeit zu tun; doch schreiben wir diesen
Entwicklungsprozeß des Gedankens der objektiven Wirklichkeit
zu, womit wir ihn hypostasieren und ihn in einen realen Prozeß
verwandeln. Das ist auch die Mystifizierung, von der K. Marx
spricht. Darum ist Hegels Logik ihrem Wesen nach falsch
aufgebaut; sie steht wirklich auf dem Kopf, indem sie die
Entwicklung der wirklichen Welt als Entwicklung logischer
Begriffe ansieht, während unsere Begriffe und deren
Entwicklungsprozeß in der Tat nur Widerspiegelungen des
Entwicklungsprozesses der wirklichen Welt sind. Die Übergänge
einer Kategorie in eine andere oder eines Widerspruchs zu einem
folgenden sind, wie Engels schrieb, fast immer willkürlich. Oft
geschieht das abrupt. Engels hat vollkommen recht mit seiner
Kritik. Es versteht sich von selbst, daß bei dem prinzipiellen
Ansatz Hegels die Übergänge einen künstlichen, willkürlichen und
gezwungenen Charakter haben müssen, weil noch niemand beobachtet
hat, wie eine logische Kategorie in eine andere übergeht. Aber
andererseits ist Hegel kraft seiner prinzipiellen Position
verpflichtet, uns eine rein logische Begründung des Übergangs
einer Kategorie in eine andere zu geben, und diese logische
Begründung der Übergänge wird von Hegel nicht immer schlecht
ausgeführt. Man muß sich nur daran erinnern, daß ein logischer
Übergang nicht mit einem realen Übergang identisch ist. Darum
ist es natürlich, daß die Angelegenheit in der materialistischen
Logik eine vollkommen andere Gestalt annehmen muß. Weil die
Kategorien kein selbständiges Dasein haben, weil die Kategorien
bloß idealer Ausdruck der realen Verhältnisse sind, verändert
sich mit den letzteren auch die Korrelation der Kategorien.
Wenn wir z. B. den Umschlag der Qualität in Quantität wirklich
feststellen, dann können wir in abstrakter Form von dem Umschlag
der Kategorie der Qualität in Quantität sprechen; aber dabei
soll man beachten, daß sich der Übergang des Begriffes der
Qualität in den Begriff der Quantität nur in unserem Gedanken
und nur darum vollzogen hat, weil eine gewisse reale Qualität in
eine Quantität in der materiellen Welt umgeschlagen ist. Es gibt
keine Qualität als solche, wie es keine Quantität als solche
geben kann. Qualität und Quantität sind gleichermaßen
»Prädikate« materieller Dinge. Dasselbe bezieht sich überhaupt
auf alle Kategorien. Also können die Kategorien ihrem Wesen nach
nicht in andere übergehen, weil sie als selbständige Wesen nicht
existieren.
Zugleich muß man doch
unterstreichen, daß, wenngleich Hegel von der Bewegung der
Begriffe ausgeht, seine Konstruktion nichts anderes als eine
apriorische Deduktion der Kategorien ist, und er die
Wirklichkeit aus reinen Begriffen konstruiert, dessenungeachtet
seine Logik in gewissem Sinne eine unbewußte Wiedergabe der
Wirklichkeit in abstrakten Begriffen darstellt. Darum ist auch
die Logik Hegels eine eigenartige Schöpfung, in der sich »unter
einer falschen Form und in einer künstlichen Verbindung« das
Große und Geniale verbirgt.
»Die Verkehrung der
Dialektik ist bei Hegel« - sagt richtig Engels -»darauf
zurückzuführen, daß sie bei ihm >Selbstentwicklung des
Den-kens< sein muß und die Dialektik der Dinge darum nur ihren
Abglanz darstellt. In der Tat ist aber doch die Dialektik in
unserem Kopf eine Widerspiegelung der Entwicklung, die sich in
der Welt der Natur und in der menschlichen Gesellschaft
vollzieht und die sich den dialektischen Formen unterordnet.«(7)
Vom Standpunkt Hegels aus herrscht
in der Welt der Logos, die Vernunft; diese Vernunft denkt; die
Welt ist denkende Vernunft. Die Begriffe sind für Hegel keine
subjektiven Formen des denkenden Subjekts, die die objektive
Welt widerspiegeln. Die Begriffe bilden das objektive Wesen der
Dinge. Das Objekt ist nach der Meinung Hegels die Wirklichkeit
des Begriffs. Darum haben wir die Möglichkeit, ganz unabhängig
von der Erfahrung, ausschließlich durch die Tätigkeit der
reinen Vernunft, die Gesamtheit der Begriffe zu entwickeln, die
ein integriertes geschlossenes System bilden. Die Vernunft
entwickelt aus sich selbst den ganzen Reichtum des Inhalts der
Begriffe und stellt auch die Einheit aller dieser Begriffe dar,
die ihren Inhalt bilden. Die Vernunft ist eine unendliche Form,
die sich ihren Inhalt gibt und diesen in einer bestimmten
logischen Folge entwickelt, wo jeder Begriff einen bestimmten
Platz in der Eigenschaft eines notwendigen Gliedes oder eines
Moments des Ganzen - der Idee - einnimmt. Dieser
Entfaltungsprozeß der ganzheitlichen einen Idee zu einer Reihe
oder, richtiger gesagt, zu einem Kreise von Begriffen, die
innerlich miteinander verbunden sind und die notwendig
ineinander übergehen, stellt, wie schon gesagt wurde, einen rein
logischen, zeitlosen Prozeß der Selbstentwicklung der Begriffe
dar. Der jedem einzelnen Begriff eigene Widerspruch, die in ihm
beschlossene »Negativität«, bildet die treibende Kraft der
Selbstbewegung des Begriffes. Das Moment der Negativität schafft
auch eigentlich die Dialektik der Begriffe. Es ist gleichzeitig
notwendig zu unterstreichen, daß die Dialektik Hegels außer den
angeführten, noch an zwei Mängeln leidet, die sich aus ihrem
idealistischen Charakter ergeben: das ist erstens, daß sie
angeblich ein absolutes Wissen vermittelt. Die Gesamtheit der
Begriffe, die die Einheit der Idee bilden, gibt uns ein
absolutes Wissen in der Art einer vollständigen Ausschöpfung
aller Welterscheinungen in Zeit und Raum. Laut Hegels Idee sind
in seiner Logik sozusagen alle Möglichkeiten der Welt erschöpft.
In der Totalität der »Idee« kann man Begriffe weder hinzufügen
noch streichen, denn sie erfassen die ganze Wirklichkeit
vollkommen. In diesem Sinne stellt Hegels Logik ein
geschlossenes System, einen geschlossenen Kreis dar, der keine
Weiterentwicklung zuläßt. Der absolut geschlossene Kreis der
Begriffe bildet sozusagen einen eisernen Reifen, der die ganze
Welt umgürtet und ihr keine Möglichkeit gibt, ihre Grenzen zu
überschreiten, sie zu durchbrechen. Die ganze Welt ist
gezwungen, sich nur in einem bestimmten Kreislauf der Begriffe
zu drehen. Wenn also die Entwicklung für die Welt
charakteristisch ist, so nur in bestimmten, schon früher von der
absoluten Idee festgesetzten Grenzen. Und das ist der zweite
große Mangel der Hegelschen Lehre. Seiner absoluten Idee ist
schon sozusagen im voraus eine bestimmte Marschroute
vorgeschrieben. Sie beginnt ihren Gang vom reinen Sein und
vollzieht ihren unabänderlichen Kreis über »Haltestellen«, die
ein für allemal auf dem Wege vorgemerkt sind. Nachdem dieser
Kreis begangen ist, bleibt der Idee (oder, in der Ubersetzung in
die empirische Sprache, der Welt) nichts anderes übrig, als ihre
Bewegung wieder von Anfang an zu beginnen und wieder denselben
Kreis zu wiederholen usw.
Wenn man in die Logik Hegels
tiefer eindringt, ist es notwendig zu sagen, daß der Einfluß des
Systems sich verderblich auf die dialektische Methode ausgewirkt
hat, daß das System die Methode Hegels in ihrer Grundlage
untergräbt. Wir haben in der Logik Hegels in der Hauptsache ein
System des Kreislaufs, in dessen Bereich sich nur kleine Kreise
spiralförmig entwickeln können. Wohl gibt die Logik Hegels
genügend Material für den Aufbau einer echten Theorie der
dialektischen Entwicklung auf den Grundlagen des Materialismus.
Aber dazu ist es notwendig, das Hegelsche
System der Logik in seiner Grundlage zu überwinden. Ohne die
Möglichkeit zu haben, uns hier mit dieser Frage konkret zu
beschäftigen, halten wir es nur für notwendig, zu
unterstreichen, daß Hegels Logik selbst, oder genauer gesagt,
seine dialektische Methode die Form eines geschlossenen,
absoluten Systems angenommen hat. Die Hegelsche Dialektik ist
zugleich eine Theorie der wissenschaftlichen Erkenntnis. Aber
das ist eine Theorie des absoluten Wissens. Wohl wird dieses
absolute Wissen als Ergebnis der Vollendung des ganzen Kreises
erreicht. Auf jeder einzelnen Etappe haben wir
nur ein relatives Wissen, weil jede einzelne Kategorie
die Wahrheit nur einseitig ausdrückt und in sich Widersprüche
enthält, die die Entwicklung des Wissens voranbringen. Aber die
Idee liefert uns in ihrer konkreten Ganzheit das absolute
Wissen, indem sie alle durchschrittenen Stufen des Begriffs in
sich vereinigt. In dieser Beziehung ist die materialistische
Dialektik von Marx und Engels sozusagen bis zum Ende
dialektisch, was man nicht von der Konstruktion Hegels sagen
kann, denn die materialistische Dialektik lehnt das absolute
Wissen im Sinne Hegels ab. Für die materialistische Dialektik
gibt es kein absolutes Wissen ohne relatives Wissen, es gibt
überhaupt kein vollendetes Wissen, das keine Weiterentwicklung
zuläßt. Anderseits stellt es sich heraus, daß eben deshalb,
weil Hegel annahm, daß seine Logik ein erschöpfendes, d. h. ein
absolutes System der Kategorien darstellt, die Logik ihrem Wesen
nach durch das zu jener Zeit vorhandene Niveau der Kenntnisse
gleichzeitig begrenzt wurde und daher nur ein relativ wahres
System ist. Niemand wird behaupten, daß die Hegeische Logik die
Gesamtheit der Kategorien für alle Zeiten erschöpft hat, daß es
nicht noch mehr geben kann, weil unser Wissen unbegrenzt ist,
sich entwickelt und darum auch neue Gesetze, neue Formen der
Wechselbeziehungen der Erscheinungen entdeckt werden können u.
a. Also, wie richtig es auch ist, daß die allgemeinsten und
grundlegenden Gesetze der Bewegung aller Erscheinungen von
Hegel formuliert worden sind, so darf man dies doch nicht im
absoluten, sondern im relativen Sinne verstehen. Die
grundlegende Kategorie, die die ganze Logik von Hegel
beherrscht, ist die Kategorie der Entwicklung. Doch wird kaum
jemand darüber streiten, daß diese Kategorie verhältnismäßig
jung ist, und daß sie nur in der neuesten Zeit in der
Eigenschaft einer beherrschenden Idee in die Wissenschaft
eingedrungen ist. Die Wissenschaften der neuesten Zeit haben
eine vollständige Revolution auch nur in dem Maße durchgemacht,
in dem sie von der Idee der Evolution, der Idee der Entwicklung
durchdrungen wurden.
Kraft der angestellten
Überlegungen ist es augenscheinlich, daß die Tendenz, ein
vollendetes System der Kategorien zu geben, ein vergeblicher
Versuch wäre. Ein jedes derartiges System ist durch die Zeit und
durch das gegebene Niveau der Entwicklung der Wissenschaft
begrenzt. Doch für die gegebene Zeit muß es natürlich nach
Möglichkeit vollkommen sein, d. h. allseitig und erschöpfend den
Stand unserer Kenntnisse von der Welt widerspiegeln.
Weil Hegel bestrebt war, ein
absolutes System des Wissens zu geben, d. h. ein solches System,
das einen außer der Zeit stehenden, ewigen, rein logischen
Charakter hat, so gab es in seiner Logik auch keinen Platz für
die Zeit und für den Raum. Wir meinen, daß es diesen letzten
Kategorien angemessen wäre, einen bestimmten Platz in der
materialistischen Dialektik einzunehmen, denn »die Grundformen
alles Seins sind Raum und Zeit, und ein Sein außer der Zeit ist
ein ebenso großer Unsinn, wie ein Sein außerhalb des Raums«
(Engels)s. Denn Veränderung gibt es nur in der Zeit und im Raum
und mit ihrer Hilfe. Wenn wir die Bewegung (der Materie) als
Hauptkategorie der materialistischen Dialektik zugrunde legen,
so ist es offensichtlich, daß wir ohne Zeit und Raum keine
Bewegung denken können. Vom Standpunkt Hegels aus existiert die
logische »Idee« an sich als Totalität und Einheit der Begriffe.
Die Natur stellt an sich die Verwirklichung der absoluten
logischen Idee in dem Sinne dar, daß die logische Idee aus der
rein logischen Sphäre heraustritt und in Zeit und Raum in ein
reales Dasein übergeht. Eine derartige Konstruktion ist nur dann
verständlich, wenn wir auf dem Hegelschen idealistischen
Standpunkt stehen, nach dem der Logos jedem realen Sein
vorangeht. In der Tat geht Hegel von der Idee aus, daß das Reich
der reinen Gedanken der existierenden Welt vorhergeht. Begriffe
inkarnieren sich in konkreten Gestalten, wenn sie in die reale
Welt übergehen. Aber vom Standpunkt der materialistischen
Dialektik aus gibt es keinen Dualismus. Im Gegenteil, nur die
wirkliche Welt, aus der unsere Begriffe abstrahiert sind, ist
eine Realität. Die reale Welt jedoch, wie sie auch Hegel
versteht, existiert in Zeit und Raum.
Ist es nicht offensichtlich, daß die Logik, die reine Bewegung
ist und nichts anderes als Bewegung, ohne Zeit und Raum, die
Momente der Bewegung sind, nicht auskommen kann'? Es ist nicht
unsere Aufgabe, die Entwicklung der Dialektik der Zeit und des
Raumes in Verbindung mit der Bewegung zu behandeln. Mit der
Ausarbeitung der hier um-rissenen Fragen muß man sich besonders
beschäftigen. Hier halten wir es nur für notwendig, die
Wichtigkeit dieser Kategorien im System der materialistischen
Logik zu unterstreichen. [. . .]
Anmerkungen:
1)
W. I, Lenin, Werke, Band 33, S. 206, 207 (russ.) Über die
Bedeutung des streitbaren Materialismus, in: Werke, Band 33, S.
219; dieser Aufsatz erschien zunächst (März 1922) als Artikel
in Unter dem Banner des Marxismus.
2) F.
Engels, Dialektik der Natur, S. 22 (russ.) [MEW, Bd. 20, S.
330].
3) F.
Engels, ibidem, S. 24 (russ.) [MEW, Bd. 20, S. 333].
4) [Ibidem, S. 330 f.].
5) W. I. Lenin, Werke, Band 33, S. 208
(russ.) Über die Bedeutung des streitbaren Materialismus, in:
Werke, Band 33, S. 220.
6) F. Engels, Dialektik der Natur, S. 38
(russ.) [MEW, Bd. 20, S. 348 f.].
7) [vgl. Dialektik der Natur, 1.
c, S. 475].
8) [MEW, Bd. 20, S. 48 (Anti-Dühring)].
9) Vgl. Betty Heimann, System und
Methode in Hegels Philosophie, 1927, S. 314.
Editorische Hinweise
Der Text
wurde entnommen aus: Goerdt, Wilhelm. Hrsg., Die
Sowjetphilosophie. Wendigkeit und Bestimmtheit. Dokumente,
Darmstadt 1967, S.84ff
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