Die
Frage der klassenmäßigen Bestimmung und Einordnung der
staatlichen Lohnarbeiter ist in der neueren marxistischen
Literatur sehr unterschiedlich beantwortet worden. Die
Bedeutung, die ihr zukommt, rechtfertigt es, diese Antworten zu
sichten, ehe wir selbst versuchen, Funktion und Form staatlicher
Lohnarbeit zu umreißen. Je nachdem, ob die staatlichen
Lohnarbeiter als Teil der Arbeiterklasse oder als selbständige
Klasse oder als Konglomerat verschiedener Schichten und
Klassenfraktionen begriffen werden, müssen auch ihr Anteil an
der Umwälzung der bürgerlichen Gesellschaft und die
einzuschlagende revolutionäre Taktik jeweils verschieden gefaßt
werden.
Die
verschiedenen Positionen hängen von der gesellschaftlichen
Stel-lung, dem politischen Charakter und dem wissenschaftlichen
Verständnis der Untersuchenden ab. So läßt sich zeigen, daß in
der klassenanalytischen und taktischen Diskusion der DKP nicht
nur von der Untersuchung der a|lgemeinen und real gegenwärtigen
Klassenverhältnisse ausgegangen wird. Diese Diskussion wird
vielmehr immer wieder durchsetzt und überlagert
von historisch entwickelten Bündniskonzeptionen, welche die
Volksfront im Gewand der antimonopolistischen Demokratie
wiedererstehen lassen mit einem spezifischen Klassenbündnis, in
dem neue Zwischenschichten oder -klassen mitsamt der
Kleinbourgeoisie und der nichtmonopolistischen Bourgeoisie die
Bündnispartner des Proletariats bilden (13). Andererseits liegen
der neuerdings vorgebrachten Theorie der Lohnarbeiterklasse, die
es zu vereinheitlichen gelte (14), nicht nur wissenschaftlich
kurzschlüssige Konsequenzen aus der Verallgemeinerung der
Lohnarbeit im Kapitalismus zugrunde, sondern auch aus der
gesellschaftlichen Stellung der Theoretiker als Studenten oder
staatliche Lohnarbeiter und der politischen Tradition der
Studentenbewegung herrührende Illusionen über den
klassenprägenden Charakter der Lohnform.
Weiter werden Positionen entwickelt, die die staatlichen
Lohnarbeiter als Fraktion der Kleinbourgeoisie (15) oder als
Schicht, die verschiedenen Klassen zugehört, begreifen (16),
was nur dadurch möglich ist, daß wesentliche theoretische
Bestimmungen fallen gelassen oder einfach mit historischer
Verallgemeinerungen vermischt werden. Auf der anderen Seite
steht der Versuch, die Formbestimmung der staatlichen Lohnarbeit
streng begrifflich aus dem Produktions-, Zirkulations- und
Konsumtionsprozeß des Werts abzuleiten, dabei aber bezüglich der
Klassenbestimmung mithilfe der „dritten Personenrubriken"
auszuweichen (17). Weiterhin ist es ein zentraler Mangel der
bisherigen Diskussion, daß sie ingesamt zu statisch verfährt und
die Akkumulation des Kapitals als zentrales Bewegungsgesetz der
bürgerlichen Gesellschaft, dem auch die staatliche Lohnarbeit
unterliegt, weitgehend vernachlässigt hat (18) - ein Mangel,
den auch wir nur teilweise aufheben konnten.
In der Theorie der Lohnarbeiterklasse, auf die
wir noch einmal kurz eingehen wollen, wird die Lohnform zum
klassenbestimmenden Merkmal erklärt, und die in der Produktion,
Zirkulation oder unproduktiven Konsumtion des Werts stehenden
Lohnarbeiter werden als Abteilungen einer Klasse bezeichnet. Die
Argumentation beruft sich auf Marx, der im letzten Kapitel des
„Kapitals" davon spricht, daß
„die Eigentümer von
bloßer Arbeitskraft, die Eigentümer von Kapital und die
Grundeigentümer, deren respektive Einkommensquellen
Arbeitslohn, Profit und Grundrente sind, also Lohnarbeiter,
Kapitalisten und Grundeigentümer ... die drei großen Klassen
der modernen, auf der kapitalistischen Produktionsweise
berührenden Gesellschaft (bilden) (19).
Aus dem Zusammenhang der genannten Stelle geht
aber eindeutig hervor, daß Marx hier nur die dem Kapital
gegenübergesetzten Lohnarbeiter meinen kann.
Außerdem verfällt der Begriff der
Lohnarbeiterklasse — zumal der um die unproduktiven Lohnarbeiter
erweiterte — genau der Verschleierung wesentlicher Verhältnisse,
die Marx analysierte. Bereits im Lohn ist der die
kapitalistische Produktion kennzeichnende Unterschied von
notwendiger und Mehrarbeit ausgelöscht. Der Lohn ist die Form,
die den Inhalt —die Ausbeutung der Ware Arbeitskraft —
vermittelt und versteckt (20). Diese Form setzt sich auch beim
Zirkulationskapital durch, wo es allerdings ein gesellschaftlich
anders bestimmtes Ausbeutungsverhältnis verhüllt (21). Mit der
weiteren Verselbständigung von Teilen der gesellschaftlich
produzierten Mehrwertmasse im zinstragenden Kapital (Trennung
von „arbeitendem", fungierendem und Leihkapital) setzt sich z.
B. im Unternehmerlohn (22) die Lohnform auch für Verhältnisse
fest, die ihrem Inhalt, der Ausbeutung in Produktion und
Zirkulation — direkt widersprechen. Schließlich erscheint den
das Kapitalverhältnis in Produktion und Zirkulation
reproduzierenden Lohnarbeitern der Lohn nicht nur als Preis
ihrer Arbeit, sondern als spezifische Revenue (Einkommen), die
ihnen als Eigentümer ihrer Arbeitskraft neben den aus dem Boden
und dem Kapital stammenden Revenuen zukommt (23). Inder
Revenueform ist die gesellschaftliche Bestimmung der Lohnarbeit
als wert- und mehrwertproduzierende bzw. Zirkulationsarbeit
verrichtende Lohnarbeit ausgelöscht. Der Lohn erscheint bloß
noch als Vergütung für ein entsprechendes Arbeitsquantum.
Nun handelte es sich beim Lohn als Revenue
bisher nur um die in der Reproduktion des Kapitals beschäftigten
Lohnarbeiter. Ihre Revenuen sind Teile des produzierten Kapitals
— Originalrevenuen. Anders bei den staatlichen Lohnarbeitern.
Ihr Lohn setzt sich aus Teilen der Originalreve-nuen der
Bourgeois und der Arbeiter (Profit und Lohn) zusammen. Sie
produzieren ihren Lohn nicht selbst (was allerdings auch die
kommerziellen Lohnarbeiter nicht direkt tun), reproduzieren
damit auch nicht das Kapitalverhältnis. Sie stehen nicht dem
Kapitalisten gegenüber, der am Gebrauchswert ihrer Arbeit für
die Wertproduktion interessiert ist. Sie stehen dem Staat
gegenüber, der am Gebrauchswert ihrer Arbeit zur Erfüllung
seiner Funktionen interessiert ist. Der Lohn stellt das
Äquivalent für die Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft
dar. Im Ankauf der Lohnarbeit ist das Recht und der Zweck
eingeschlossen, die gekaufte Ware Arbeitskraft möglichst
profitabel anzuwenden. Die Mehrarbeitsabpressung als Inhalt des
Lohnarbeitsverhältnisses tritt in ihrer reinsten Form alsMehv
Wertproduktion durch den produktiven Lohnarbeiter in der
Industrie auf, verallgemeinert sich jedoch mit der Durchsetzung
der kapitalistischen Produktionsverhältnisse bis hin in
Sphären, in denen nicht kapitalistisch produziert wird, also
etwa beim Staat. Mit der Ferne zum Reproduktionsprozeß des
Kapitals als sich selbst verwertender Wert verschwindet aber
auch die der Lohnarbeit anhaftende Bestimmung, das Kapital zu
reproduzieren und zu vermehren — was bleibt, ist nur die
Reproduktion der Mittellosigkeit des Lohnarbeiters. Der Lohn
ist auch in der Sphäre des Staates das Äquivalent für die
Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft. Deren Ver-nutzung im
Arbeitsprozeß aber geschieht mit dem Zweck der Herstellung für
die bürgerliche Gesellschaft nützlicher Dienste und nicht der
Vermehrung des vorgeschossenen Kapitals. Wesentliche
Verhältnisse, die das kapitalistische Klassenverhältnis
konstituieren, treffen hier nicht mehr zu. Daß die Lohnarbeit
beim Staat auch Mehrarbeit leistet, liegt in der benannten
Tendenz des Kapitalismus, ist aber nicht Sinn und Zweck der
ganzen Veranstaltung (24). Umgekehrt beim Kapital. Den
Kapitalisten interessiert die konkret-nützliche Arbeit nur als
Träger abstrakter, mehrwertproduzierender Arbeit.
Aus all den genannten Gründen kann der Begriff
der Lohnarbeiterklasse nur eine bloß formelle Zusammenfassung
unterschiedlicher ökonomischer Bestimmtheiten der Verausgabung
von Lohnarbeit sein. Er ist daher als klassenanalytischer
Begriff kaum, als politischer Kampfbegriff (Vereinheitlichung
der Lohnarbeiterklasse) überhaupt nicht brauchbar. Was sich
selbst als eine die innere Differenzierung der Lohnarbeiter
auslöschende Einheit verschiedener ökonomischer Bestimmungen
von Lohnarbeit darstellt, kann daher nicht Ausgangspunkt der
Klassenanalyse sein. Als solcher muß vielmehr die spezifisch
kapitalistische Form der Produktion und Verteilung des
gesellschaftlichen Reichtums angesehen werden, die
verschiedenenartige Lohnarbeitsformen hervorbringt. In der
kapitalistischen Produktionsweise stehen sich die Klasse der
Arbeiter, die nur leben können, wenn sie das Kapital vermehren
und die Klasse der Kapitalisten, die die aneignende
Nicht-Arbeit, das Kapital, repräsentieren, gegenüber. Die vom
Kapital ausgebeuteten Lohnarbeiter, die mit ihrer Arbeit das
Kapitalverhältnis reproduzieren, stellen objektiv die
Arbeiterklasse dar. Sie, als Gegenpol des Kapitals, sind auch
Träger der historischen Aufgabe der Aufhebung des
Kapitalverhältnisses. Die aus abgeleiteter Revenue bezahlten
und nicht in den Kapitalreproduktionsprozeß eingeschlossenen
(anders als die kommerziellen Lohnarbeiter) staatlichen
Lohnarbeiter können dann keine Abteilung der Arbeiterklasse
sein.
Die Stellung beim Staat, d. h. neben und
außerhalb des Kapitalverhältnisses, und die spezifische Quelle
des Lohns umreißen die objektive Stellung der staatlichen
Lohnarbeiter zwischen Arbeiterklasse und Kapitalistenklasse.
Sie sind deshalb (zusammen mit anderen unproduktiven, aus
abgeleiteter Revenue bezahlten Lohnarbeitern, z. B. in
Gewerkschaften, Parteien, Kapitalverbänden) als lohnarbeitende
Mittelklasse anzusprechen. Sie unterscheiden sich so auch klar
von der kleinbürgerlichen Mittelklasse (Handwerker, Bauern,
Kleinhändler, „freie Berufe" usw.), die ihre Arbeit als
Produktionsmittelbesitzer verrichtet, wenngleich auch die Quelle
ihres Einkommens zum großen Teil Profit- und Lohnteile sind, die
sie mit den Produkten ihrer selbständigen Arbeit an sich ziehen.
Von dieser Klassenbestimmung der staatlichen Lohnarbeit
ausgehend, gewinnt dann auch der Begriff der Lohnarbeiterklasse
wieder eine begrenzte Bedeutung. Wenn auch die Lohnform nicht
klassenkonstituierend ist, wie wir gesehen haben, so stellt sie
doch den Hebel der spezifischen Bündnismöglichkeit zwischen
Arbeiterklasse und lohnarbeitender Mittelklasse dar — und zwar
als die Bedingungen des Arbeitsprozesses und der Abpressung von
Mehrarbeit vermittelnde und verhüllende Form der Verausgabung
von Arbeit. Dieser Inhalt der Lohnform schließt die Tendenz zur
inhaltlichen Entleerung der Arbeit und zur Gleichgültigkeit des
Arbeiters (25), zur Verstümmelung der Arbeiter im zergliederten
Arbeits-Prozeß, die Existenz des Arbeiters als Existenz nur für
die Kapitalverwertung ein. Wenn diese Bestimmungen auch im
Produktions- und Reproduktionsprozeß des Kapitals ausgeprägt
werden, so treten sie doch auch mit ähnlichen Charakteristika in
der nichtproduktiven Sphäre des Staates auf und stellen das
Scharnier eines Bündnisses zwischen Arbeiterklasse und
staatlichen Lohnarbeitern dar (26). Die Arbeiterklasse als
objektiv revolutionäres Subjekt ist zentrale richtunqsgebende
Kraft dieses Bündnisses, die staatlichen Lohnarbeiter sind wegen
ihrer wachsenden Zahl, ihrer strategischen Bedeutung und ihren
teilweise fortgeschrittenen Kämpfen unentbehrlicher Partner der
Arbeiterklasse im Kampf für die Befreiung der Lohnarbeit. Um
Grad und Form der Bündnisfähigkeit der staatlichen Lohnarbeiter
genau zu bestimmen, muß allgemein und konkret-historisch
untersucht werden, welcher Inhalt (gesellschaftliche Stellung,
Funktion, Arbeitsinhalt, Bewußtsein) unter der Lohnform der
Arbeit staatlicher Lohnarbeiter steckt. Das wird zur Klärung der
Möglichkeiten und Schranken des Bündnisses beitragen.
Der Staat zieht zur Erfüllung seiner Aufgaben
Teile der gesellschaftlichen Waren- und Arbeitsmasse an sich.
Die Größe dieser Teile hängt vom Umfang der Aufgaben und den
ökonomischen Bedingungen (Akkumulationszyklus, Konkurrenz,
Produktivität der Arbeit usw.) ihrer Erfüllung ab, konkret setzt
sie sich erst über die Kämpfe der Klassen durch.
Der Staat verwendet eine bestimmte Geldsumme, um
Produktionsmittel und Lohnarbeiter zu kaufen, die die für die
kapitalistische Gesellschaft notwendigen Dienste möglichst
ökonomisch produzieren. Die ökonomische Formbestimmung der
Staatstätigkeit als im wesentlichen nicht-kapitalistisch
schließt ein, daß die Vernutzung des Gebrauchswerts der
angekauften Lohnarbeit nicht dazu dient, Mehrwert und also
Kapital zu produzieren, sondern öffentliche Dienste zu
erbrinaen. Wenn sich auch die Lohnarbeit als die die
Verausgabung und Reproduktion der Arbeitskraft regelnde Form
für die Arbeit beim Staat durchgesetzt hat, so gilt sie in
dieser Sphäre doch nur modifiziert. Sofern es sich um staatliche
Lohnarbeiter in unkündbarer Stellung handelt, ist die „Freiheit
der Lohnarbeit" zweifellos eingeschränkt. Der Lohn der
staatlichen Lohnarbeiter ist wohl in bestimmten Perioden
unterdurchschnittlich, das wird aber ausgeglichen durch die
Sicherheit des Arbeitsplatzes und langfristig bzw. indirekt zu
Buche schlagende Lohnteile (u. a. günstige Altersversorgung,
verbilligter Bezug öffentlicher Dienste). Andererseits ist diese
staatliche Lohnarbeit eben nicht wie die der Produktion und
Zirkulation kapitalproduzierend und auch überhaupt nicht
oder nur sehr vermittelt dem Auf und Ab des kapitalistischen
Akkumulationszyklus ausgesetzt, was allerdings für die
verschiedenen Bereiche staatlicher Lohnarbeit sehr
unterschiedlich aussieht. Für die staatlichen Lohnarbeiter heißt
das allgemein: es wird zwar Arbeitskraft gegen Lohn verkauft
wie in der Industrie auch, aber beim Gebrauch dieser
Arbeitskraft handelt es sich nicht um die direkte Erfahrung der
Profitproduktion. Arbeitsbelastung und Arbeitsanspannung sind
nicht so leicht auf einen „Output" zu beziehen, da — mit
Ausnahme der Staatsbetriebe, auf die ohnehin viele der hier
angeführten Bestimmungen nicht oder nur teilweise zutreffen —
keine zirkulationsfähigen Waren produziert werden. Die
Effektivität der staatlichen Dienste mißt sich nicht am Markt.
Die Anforderungen an Staatsdienste ergeben sich zum guten Teil
außerhalb der Staatssphäre. Der Staat kann hier zwar
modifizieren, im wesentlichen aber kann er nur reagieren, und
eine seiner Reaktionen ist die Ökonomisierung und
Rationalisierung der staatlichen Lohnarbeit — um dem
Anforderungsdruck nachzukommen bzw. die faux frais zu senken,
nicht um Kapital zu produzieren. Der konkret-nützliche
Gebrauchswertcharakter der Arbeit steht objektiv im Vordergrund.
Die Analyse der Form und
Funktionen des bürgerlichen Staates liefert implizit Beiträge
zur Bestimmung der staatlichen Lohnarbeit. Denn die Untersuchung
der Rolle der unterschiedlichen Staatsfunktionen im
Reproduktionsprozeß des Kapitals muß für die staatliche
Lohnarbeit, die diesen Funktionen jeweils zugeordnet ist,
Konsequenzen haben. Der innere Widerspruch des Staates in der
bürgerlichen Gesellschaft, formal die Gleichheit aller
Individuen anzuerkennen, tatsächlich aber Ungleichheit und
Klassenherrschaft zu garantieren, muß auch die staatliche
Lohnarbeit prägen. Ihre Tätigkeit trägt nicht nur einfach zur
Reproduktion der Gesellschaft bei, sie trägt zur Reproduktion
der kapitalistischen Klassengesellschaft bei. Sie vermittelt
nicht nur Qualifikation und Gesundheit des Arbeitsvermögens,
sie vermittelt auch direkt die Ideologie und die Repression der
herrschenden Klasse. Das hängt u. a. von ihrer Stellung
innerhalt der staatlichen Funktionen ab, also von ihrer
konkreten Tätigkeit und ihrer Stellung in der Hierarchie. Die
staatlichen Lohnarbeiter realisieren mit dem Inhalt ihrer
Tätigkeit die Funktionen des Staates.
Weiterhin ist dem staatlichen
Lohnarbeiter die Quelle seiner Bezahlung, der industriell
produzierte Neuwert (über Steuern), verschleiert. Ihm erscheint
der Staat als „Arbeitgeber", der Staat als der Gesellschaft
neben-oder übergeordnete Institution. Der staatliche
Lohnarbeiter teilt daher auch die Illusion des Staates über sich
selbst, Hüter und Diener des Gemeinwohls zu sein. Noch anders
ausgedrückt: im Bewußtsein des staatlichen Lohnarbeiters
erscheint der Staat nicht als Ausdruck der bürgerlichen
Gesellschaft und eingebannt in ihre Grenzen, sondern als aktive
und ordnungsstiftende Kraft gegenüber der Gesellschaft. Die mit
der Funktion des Staates gegebene objektive
Gemeinwohlorientierung Staatlicher Lohnarbeit, die den
Klassencharakter ihrer Tätigkeit verhüllt, kann allerdings mit
ihrer Bestimmung als normales Lohnarbeitsverhältnis mit dem
„Arbeitgeber" Staat in Widerspruch geraten und zu Konflikten
führen.
In der Lohnform der Arbeit beim Staat ist die Möglichkeit
zunehmenden vermittelten Drucks durch Interessen und
Auseinandersetzungen in der Produktionssphäre eingeschlossen.
Für diejenigen, aus deren Revenue der Staat unterhalten wird
(Kapital und Lohnarbeiter des Kapitals), stellen sich eben die
Tätigkeiten staatlicher Lohnarbeiter nicht nur als
konkret-nützliche dar, sondern auch als Abzüge von ihrem Profit
bzw. Lohn. Insofern erscheint ihnen alle Arbeit beim Staat als
gleichgeltend, als bloße Verausgabung eines Teils
unterschiedsloser gesellschaftlicher Arbeitszeit und ihres
entsprechenden Geldausdrucks. Aus dem Interesse an möglichst
geringen Steuern resultiert der Druck vor allem der
Kapitaleigner auf den Staat, milder oder schärfer je nach dem
Gang der Akkumulation, die Kosten seiner Funktionen zu
ökonomisieren. Auf die staatlichen Lohnarbeiter schlägt sich
das in der Form nieder, daß sie vom Staat gezwungen werden, die
über ihre Reproduktion hinausgehende Mehrarbeit zu erhöhen, um
damit die Personalkosten zu drücken.
Das kann nicht nur zu Brüchen im
Bewußtsein der staatlichen Lohnarbeiter führen, die sich mit
dem Inhalt ihrer Arbeit identifizieren, durch zunehmende
Verknappung der finanziellen Mittel aber die Ziele ihrer Arbeit
nicht erreichen können (z. B. soziale Rehabilitation, gute
Erziehung) und selbst materiell schlechter gestellt werden. Das
kann zum Widerspruch zwischen Inhalt und Form der Arbeit auch
dergestalt führen, daß etwa dem Polizisten der „Schutz der
öffentlichen Ordnung" nicht mehr ausreichend vergütet
erscheint, was ein Ansatz der Erschütterung seiner
Staatsloyalität ist. Auch die mittelbare oder unmittelbare
Erfahrung sozialer Konflikte (etwa unzureichende medizinische
Versorgung und die Kämpfe, Demonstrationen usw. zu ihrer
Verbesserung) kann zu einem ähnlichen Ergebnis und zur
Aktionsbereitschaft führen. Für die Masse der staatlichen
Lohnarbeiter in den verschiedenen Bereichen staatlicher
Tätigkeit wird sich eine Verengung des finanziellen Spielraums
des Staates in Lohndruck, geringerer Arbeitsplatzsicherheit,
Steigerung der Arbeitshetze, Abbau ihrer noch verbliebenen
Privilegien und zunehmender politischer Disziplinierung äußern.
Es tritt also eine Annäherung ihrer Lebenslage an die der
übrigen Lohnarbeiter ein. Die Verwendung des Begriffs
„staatlicher Lohnarbeit" — trotz aller gemachten
Einschränkungen — bedeutet insofern ein wissenschaftliches und
politisches Programm, als hinter der erscheinenden Bewegung die
Relevanz der Lohnform für die reale Situation der beim Staat
Beschäftigten aufzuspüren ist und über sie die Verbindung der
staatlichen Lohnarbeiter zu der Arbeiterklasse geklärt werden
soll.
Es darf aber nicht übersehen
werden, daß der oben skizzierten Möglichkeit der Annäherung der
staatlichen Lohnarbeiter an die übrigen Lohnarbeiter einige
Tendenzen entgegenstehen. Da ist zunächst die schon erwähnte
Bindung an die Inhalte der Arbeit, die zusammen mit deren
objektiver Funktion teilweise den Interessen der Arbeiterklasse
entgegenstehen muß, solange die bürgerliche Gesellschaft
existiert. Weiterhin wird der Staat versuchen, durch Privilegien
und ökonomisch-politischen Druck sein Personal bei der Stange zu
halten. Bei einer Reihe von staatlichen Lohnarbeitern, vor
allem im höheren Verwaltungsapparat, versteckt sich unter dem
Begriff staatliche Lohnarbeit nur das leitende politische
Personal der Bourgeoisie. Sie werden auch nicht mehr durch
Gesetze der Lohnarbeit, sondern höchstens durch die der
politischen Konjunktur bestimmt und erhalten beträchtliche
politische Zusatzgratifikationen. Auf die allgemeinen realen
und bewußtseinsmäßigen Unterschiede der staatlichen
Lohnarbeiter im Verhältnis zu den übrigen Lohnarbeitern ist
oben schon eingegangen worden.
Die verschiedenen Staatsfunktionen
haben eine unterschiedliche Bedeutung für den
gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß, eine Differenzierung,
die sich in der Bewegung der historischen Kapitalakkumulation
und der aus ihr hervorgetriebenen sozialen Konflikte noch
verschärft. Die konkret-historische Analyse wird klären, welche
Staatsfunktionen wann, in welchem Ausmaß und mit welchen
finanziellen Modalitäten und Schranken notwendig werden. In ihr
wird auch zu zeigen sein, daß die verschiedenen Abteilungen der
staatlichen Lohnarbeiter in unterschiedlicher Weise von der
ökonomischen und politischen Bewegung der bürgerlichen
Gesellschaft betroffen sind. Hier wäre sowohl die Bedeutung
tradierter Ideologie und Beschäftigungsformen in den nationalen
Gesellschaften (z. B. Beamtentum) zu berücksichtigen, wie auch
stärker nach Arbeitsbereichen und Stellung in der Hierarchie zu
differenzieren ist.
Anmerkungen
13) Zur Bündniskonzeption von KPD und DKP, in: Probleme des
Klassenkampfes, 4/1972.
14) Vgl. Gerhard Armanski, Zur Kritik der Theorie der neuen
Mittelklasse, in: a. a. O.; Autorenkollektiv, Zur Klassenanalyse
der Studenten, Erlangen 1972 Die hier vertretene Position wurde
auch von Mitautoren der vorliegenden Arbeit geteilt. Sie hatte
in der Abgrenzung von Analysen, die das Begriffspaar produktive
und unproduktive Arbeit unbesehen als Instrumente der realen
Klassenanalyse verwendeten (vgl. die Arbeiten Schmierers), einen
bestimmten wissenschaftlichen und politischen Stellenwert. Sie
wird aber heute von uns in wesentlichen Punkten als unrichtig
angesehen. Darauf wird weiter unten eingegangen.
15) So Nicos Poulantzas, Zum marxistischen Klassenbegriff,
Berlin (W) 1973, S. 14 ff. und 22 ff.
16) So Heinz Jung, Zu den klassentheoretischen Grundlagen einer
sozialstatistischen Analyse der Klassen- und Sozialstruktur der
BRD, in: IMSF (Hrsg.), Klassen- und Sozialstruktur der BRD
1950-1970, Teil I: Klassenstruktur und Klassentheorie, Frankfurt
a. M. 1972, S. 1-192
17) Vgl. Projekt Klassenanalyse, Materialien zur Klassenstruktur
der BRD, Erster Teil, a. a. O., S. 269 ff.
18) Eine Ausnahme macht Norbert Kostede, Akkumulation und
Mittelklassen, in: Probleme des Klassenkampfs 13/74.
19) MEW 25, S. 892
20) vgl. MEW 23, S. 555
21) vgl. MEW 25, S. 278ff
22) vgl. MEW 25, S. 393ff
23) vgl. MEW 25, S.822
24) In diesem Punkt ist die Kritik des Projekts Klassenanalyse
an der Lohnarbeiterklassentheorie verkürzt (Materialien zur
Klassenstruktur der BRD, S. 493 f.). Wenn es richtig ist, daß
staatliche Lohnarbeit keinen Mehrwert produziert, sondern
Mehrarbeit leistet, folgt daraus noch lange nicht, daß nicht
über die Bestimmung ihres Ankaufs und ihrer Vernutzung als
Lohnarbeit der abstraktgesellschaftliche Charakter der Arbeit
erzwungen würde. Dies hat für die Frage nach der
Gleichgültigkeit der staatlichen Lohnarbeiter gegenüber
„Arbeitgeber" und Arbeitsinhalt beträchtliche Bedeutung. Das
Projekt Klassenanalyse verschüttet aber das Problem lediglich.
25) Zur Kategorie der Gleichgültigkeit vgl. Autorenkollektiv am
Institut für Soziologie der FU Berlin, Klassenlage und
Bewußtseinsformen technisch-wissenschaftlicher Lohnarbeiter,
Frankfurt a. M. 1973, S. 115 ff. und 134 ff.
26) Ähnlich führt Kostede aus, „daß die notwendige
Verallgemeinerung der Form der Lohnarbeit über den
kapitalistischen Produktionsprozeß hinaus für die Analyse der
Widersprüche der realen Klassenkämpfe von eminenter Bedeutung
ist und dieser Aspekt im Begriff der Lohnarbeit uns einen
kategorialen Schlüssel für das Aufdecken und die Darstellung der
realen Zwänge und Herrschaftsformen gibt, denen zunehmend auch
diese Bevölkerungsteile der bürgerlichen Gesellschaft im
zyklischen Gang der Akkumulation und in der arbeitsteiligen
Verödung und Entleerung der wirklichen kommerziellen und
unproduktiven Arbeitsprozesse ausgeliefert sind". A. a. 0., S.
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Editorische Hinweise
Der Text
wurde entnommen aus: Gerhard Armanski, Boris Penth, Jörg
Pohlmann, Staatsdiener im Klassenkampf, Gaiganz 1975, S. 19-27
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