Antikrieg statt "Frieden"
Wie hältst Du’s mit dem Bellizismus und der Friedensbewegung?

Diskussionsbeitrag von Bernard Schmid

11-2013

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[ Dieser Beitrag  erschienen am 07. November 13 in der Wochenzeitung Jungle World Nr. 45 , in Erwiderung auf einen Diskussionsbeitrag von Jörn Schulz  Vgl. dazu ansonsten auch die Beiträge vom Verfasser zur Syriendebatte,

Vor sechzehn Jahren gewann Tony Blair eine Parlamentswahl in Großbritannien (im Mai 1997) mit, unter anderem, dem Slogan: Law and order is a Labour issue. Frei nach diesem Motto ließe sich zugespitzt formulieren, Jörn Schulz habe in der vergangenen Ausgabe die These vertreten: Peace policy is not a left wing issue. Diesen Eindruck erweckt jedenfalls die Generalüberschrift, unter der das Thema an dieser Stelle abgehandelt wird. Sie lautet: „Wie links ist der Frieden?“

Was Jörn Schulz im Einzelnen dazu ausführt, ist in der Sache durchaus richtig; der Verfasser dieser Zeilen möchte seinen Bewertungen jedenfalls überhaupt nicht widersprechen. Nur ist das Thema damit beileibe nicht erschöpfend behandelt. Denn wenn die Frage lautet: „Wie links ist der Frieden?“, dann enthält sie auch eine indirekt mit aufgeworfene Fragestellung: Dürfen, müssen oder sollen sich Linke – solche im emanzipatorischen Sinne, Stalinisten oder Querfrontler seien einmal beiseite gelassen – überhaupt für Friedenspolitik interessieren?

Gehen wir schnell über die Frage der Terminologie hinweg: Wir können gerne Begriffe wie Antimilitarismus dem Allerweltsbegriff des „Friedens“ vorziehen. „Frieden“ ist eher ein moralischer Wert als eine halbwegs präzise politische Vision. Friedfertigkeit enthält auch Aspekte, die man als emanzipatorisch-e Linke-r nicht aufgreifen sollte, wie etwa die einseitige Absage an revolutionäre Gewalt, während das bestehende System selbst auf extremer struktureller – und oft manifest werdender – Gewalt basiert. In unangenehmer Erinnerung bleibt der Pastorenton und die moralische Arroganz, mit denen dereinst, 1982, eine Grünen-Politikerin wie Petra Kelly militante Linke abkanzelte, während sie unerträgliche Texte wie diesen verbreitete: „Bruder Polizist, Bruder Soldat, trag mich auf deinen starken Händen. Ich leiste keinen Widerstand…“ Das Brechreiz erregende Gesäusel richtete sich an Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Sitzblockaden und appellierte an die Vorstellung, durch die aufdringlich zur Schau gestellte eigene Gutartigkeit gewinne man einen moralischen Bonus, dank dessen man die eigenen politischen Anliegen schon werde durchsetzen können. Würde dies wirklich funktionieren – man wüsste es vermutlich.

Bleiben wir also bei Termini wie „Antikriegs-“ oder „antimilitaristisch“, um nicht auf dem zähen Kleister der rein gutmenschlich-moralischen Herangehensweise festzukleben. Auch auf dem linken Flügel, oder am linken Rande, der damals starken Protestbewegung gegen die Atomraketen-Stationierung zwischen 1979 und 1984 gab es Kräfte, die sich explizit auf diese Aspekte bezogen. Die Autonomen, die 1983 die Ankunft von Cruise Missiles in Bremerhaven durch eine Hafenblockade aufhielten oder in Bremen eine schicke Kampagne gegen den Transport von Militärmaterial unter dem provokatorischen Namen KGB – „Komitee gegen die Bombenzüge“ – betrieben, bezeichneten sich selbst stets als „Antikriegsbewegung“, und nicht als Friedensfreunde.

Darüber hinaus gab es immer einen linken, internationalistischen Ansatz bis tief in die übrige Friedensbewegung hinein. Jenseits des Ausdrucks von teilweise – damals - begründeter und teilweise irrationaler Angst, die BRD oder „Mitteleuropa“ könne unmittelbar zum Kriegsschauplatz werden, beschäftigten sich Menschen in diesen Zusammenhängen mit den internationalen Aspekten von Militärpolitik, mit Rüstungsindustrie und Rüstungsexporten. Zu Zeiten, als der Mainstream in Politik und Medien kaum ein böses Wort über das mörderische Regime Saddam Husseins im Iraq (oder Irak) fand, bildete er doch einen vermeintlichen Damm gegen die fundamentalistische Bedrohung aus dem Nachbarland, war etwa in Hamburg das „Komitee gegen den Iran-Irak-Krieg“ aktiv. Es arbeitete heraus, welche Rolle der Hamburger Hafen bei Kriegsexporten sowohl in den Iran Khomeinis als auch in den Iraq (oder eingedeutscht „Irak“) unter Saddam Hussein spielte, und wie intensiv Westdeutschland, aber auch die USA und andere Staaten den Krieg zwischen beiden Staaten von 1980 bis 88 am Leben hielten. Kaum jemand sonst interessierte sich damals etwa für das Schicksal der irakischen Kurden, die 1987-88 im Zuge der „Anfal“-Kampagne vergast wurden. Viele bürgerliche Medien interessierten sich erst für Halabja und andere Orte solcher Massaker, als sie erstens seit einiger Zeit vorbei waren und es zweitens nunmehr darum ging, 1991 den Iraq als neuen Gegner aufzubauen. Es waren internationalistische „Friedensbewegte“, die schon Jahre davor an der Kritik jener Firmen arbeiteten, die den Massenmord möglich gemacht hatten.

An diese besten Traditionen gilt es anzuknüpfen, und nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten, weil auch aus rechten Motiven gegen Kriegseinsätze oder jedenfalls gegen bestimmte Interventionen opponiert wird. Dies hat es im Übrigen schon immer gegeben. Agrarisch-feudal orientierte Konservative in Deutschland oder Frankreich etwa widersetzten sich im späten 19. Jahrhundert energisch dem Kolonialismus, weil sie (anders als etwa die industrielle Bourgeoisie, die nach dem Zugriff auf Rohstoffe aus den eroberten Territorien strebte) glaubten, in Asien oder Afrika nichts zu gewinnen zu haben. Ihre Opposition wurde mit rechten Argumenten untermauert. Begründete die aufstrebende Bourgeoisie ihre Unterstützung für die Kolonisierung damit, diese trage angeblich Fortschritt, Aufklärung und Zivilisation in unterentwickelte Weltgegenden – das Ergebnis fiel bekanntlich konträr dazu aus -, so setzte die Rechtsopposition dagegen, dieses Ziel sei doch utopisch: Wilde bleiben Wilde.

Zu den wenigen Passagen, in denen Jörn Schulz’ Text auch im Wortlaut zu kritisieren ist, zählt eine Stelle in der Einleitung: „In den USA arbeiten Rechte und Linke in der Friedensbewegung bereits zusammen. In Deutschland ziert man sich noch…“ Diese Formulierung suggeriert, es handele sich um ein neues Phänomen, sozusagen um eine ansteigende Bedrohung, auf die man nun dringend antworten müsse. Das stimmt nicht: Es ist bereits uralt, das Phänomen. Schon immer war das Terrain der Gegnerschaft zu Aufrüstungsmaßnahmen oder Kriegseinsätzen ein politisch umkämpftes, und überließ man es den Rechten, dann entwickelte sie auf diesem Feld – wie auf anderen, überlässt man ihnen etwa die Kritik an konkreten sozialen Verhältnisse – ihre Politik und ihre Ideologie.

Besonders in Deutschland ist das Problem altbekannt, denn im Nachkriegsdeutschland gedieh ein Nationalpazifismus besonders übler Art, der seine Legitimität daraus zog, dass man in breiten Kreisen den Zweiten Weltkrieg als Katastrophe erinnerte – nur in manchen Fällen eben vor allem deswegen, weil deutsche Städte brannten und weil Deutschland ihn verlor. In der relativ breiten Friedensbewegung der frühen 1980er Jahre und in der Anfangsphase der grünen Partei gab es starke nationalneutralistische Kräfte, verkörpert etwa durch Alfred Mechtersheimer, der damals als USA-Kritiker von der CSU zu den Grünen stieß – und zehn Jahre später eine rechtsextreme Bewegung aufzubauen versuchte. Bei der Ökopartei wurden die rechtesten Vertreter solcher Ideen allerdings, nach einer Anfangsphase mit einem grün-braunen Flügel, durch die übrigen Strömungen nach zwei bis drei Jahren marginalisiert.

Einen weiteren Aspekt spricht Jörn Schulz dort nicht an, wo er völlig richtig schreibt: „Die historische Epoche, in der »sozialistische«, faktisch eher jakobinische Bewegungen gegen den Willen westlicher Großmächte die alten Oligarchien entmachteten und eine nachholende kapitalistische Entwicklung durchsetzten, ist jedoch um 1990 zu Ende gegangen.“ Es trifft zu, dass der Wegfall der bipolaren Blockordung ab 1989/90 einige wichtige Änderungen mit sich brachte. Unter anderem die, dass es seitdem keine Anlehnung für einstmals entkolonisierte Staaten außerhalb des einen kapitalistischen Weltmarkts mehr gibt – während ihre Regierungen sich bis dahin strategisch auf die UdSSR stützen konnten, um ein in Teilbereichen anderes Entwicklungsmodell zu verfolgen. Seitdem kann für progressive Bewegungen in Afrika oder Asien nicht mehr die Staatsbildung im Mittelpunkt stehen, sondern eher der soziale Kampf in diesen Staaten.

Aber der Epochenbruch um 1990 brachte noch eine weitere Änderung mit sich. Am 21. Juni 1990 hielt der damalige NATO-Generalsekretär und frühere westdeutsche Verteidigungsminister Manfred Wörner einen Vortrag beim Institut für internationale Beziehungen (IFRI) in Paris. Darin erklärte der deutsche CDU-Politiker unter anderem, die NATO müsse sich nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Wegfall des sowjetischen Blocks für „neue militärische Fragen, die durch die Entwicklung der Dritten Welt entstanden“ seien, offen sein. Besonders im Nahen und Mittleren Osten und im Mittelmeerraum bestünden „gestiegene Risiken außerhalb Europas (...), deren Entwicklung Europa direkt angeht.“ Er nannte nach Massenvernichtungswaffen strebende Regimes, „Terrorismus“, Flüchtlingsströme...


Dass der Konflikt um die Regionalmacht Iraq sechs Wochen später begann, und im Januar 1991 zu einem massiven Luftkrieg führte, war nicht nur Zufall. Die Sache begann mit der Besetzung des Ölbohrlochs mit Flagge namens Kuwait sechs Wochen später, am 02. August 1990 – nachdem die US-Botschafterin April Glaspie Ende Juli 1990 dem iraqischen Diktator signalisiert hatte, sein Versuch, auf diese Weise sein rüstungsbedingtes Schuldenproblem auf einen Schlag zu lösen, „tangiere nicht die Interessen der USA“. Daraufhin kam es zum Aufmarsch einer imperialistischen Armada am Arabisch-persischen Golf, und im Januar /Februar 1991 zu einem mörderischen Bombenteppichkrieg, der die Diktatur im Iraq unangetastet lie
ß, aber infolge dessen die Emire in Kuwait wieder aus goldenen Wasserhähnen saufen, pardon: trinken konnten.

Aber nicht nur Kriege mit einer vergleichsweise starken Regionalmacht wie dem Schlächterregime Saddam Husseins wurden möglich, nachdem die Furcht vor einer Eskalation mit der Supermacht UdSSR weggefallen war (im Falle des Vorgehens gegen den Iraq 1990/91 hatte die zerbröckelnde UdSSR unter Michail Gorbatschow sogar einem UN-Mandat zugestimmt). Auch andere Typen von Intervention, etwa zur Errichtung von internationalen Protektoraten wie Afghanistan, Kosovo oder zeitweilig Somalia, wurden neu ermöglicht. Manche Vertreter der westlichen politischen Eliten glauben, auf diese Weise einen Beitrag zur Stabilisierung gesellschaftlicher Verhältnisse in krisenhaften – teilweise, weil vom Weltmarkt abgekoppelten - Regionen leisten zu können. Würde dies auf humane und sinnvolle Ergebnisse hervorbringende Weise funktionieren: Man wüsste es vermutlich. In Afghanistan dauert die Sache nun über zwölf Jahre, und es ist keinerlei irgendwie positiv zu bewertendes Ende in Sicht.

Es gibt also noch genügend Gründe, sich gegen Militäroperationen der internationalen Führungsmächte zu stemmen, auch wenn man rechte Kritik und national-neutralistische Ideologien nicht teilt.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.