Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Debatte um Strafandrohung für Freier
Prostitutionsdebatte tobt auch in Frankreich

11-2013

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Nicht nur in Deutschland tobt eine Debatte um den rechtlichen und gesellschaftlichen Status der Prostitution (und um das Gesetz von 2002), welche auch westlich des Rheins wahrgenommen wird. Auch in Frankreich selbst schlägt eine „hauseigene“ Debatte rund um den Themenkomplex hohe Wellen.

Am 27. November d.J. wird die französische Nationalversammlung über einen Allparteienantrag beraten, den Gesetzesvorschlag Nr. 1437, dem das Anliegen zugrunde liegt, die Kunden von Prostituierten mit einer Strafdrohung zu belegen. Ihnen soll der Griff an den Geldbeutel, in Gestalt einer Geldstrafe in Höhe von 1.500 Euro, blühen.

Als Antwort darauf publizierte das neokonservative – neoreaktionäre Monatsmagazin Causeur (der Name bedeutet ungefähr: „Schwätzer“) auf ihrem Titel im November eine Petition: „Das Manifest der 343 Schweinehunde.“ Dieses von 343 männlichen Unterzeichnern unterschriebene, aber durch Chefredakteurin Elisabeth Lévy formulierte, Textwerk postuliert: „Wir verteidigen nicht die Prostitution, aber wir verteidigen die Freiheit“, welch letztere angeblich bedroht sei. (Vgl. http://www.causeur.fr/touche-pas-a-ma-pute,24765 ) Unterzeichnet wurde es u.a. durch den Schicki-Micki-Schriftsteller Frédéric Beigbeder (bekannt geworden durch „99 francs“1 und seit September 2013 neuer Herausgeber des Herrenmagazins LUI), die bekannten reaktionären Journalisten Eric Zemmour2 und Ivan Rioufol vom rechten Rand des Bürgerblocks, Basile Koch – früher Berater und Innenministerium und Ehemann von Virginie Tellemme alias „Frigide Barjot“, Frontfrau der Demonstrationen gegen die Homosexuellenehe im Winter und Frühjahr 2013 – sowie Richard Malka, ehemals Anwalt von Dominique Strauss-Kahn (ausgerechnet...).

Das geplante Parlamentsvotum über den parteiübergreifenden Gesetzesvorschlag, der durch die sozialdemokratische Abgeordnete Maud Olivier eingebracht wird, steht in einer Linie mit einer einstimmig verabschiedeten Resolution der französischen Nationalversammlung vom 06. Dezember 2011. Darin wird bekräftigt, Frankreich vertrete prinzipiell eine „abolitionnistische“, also auf „Abschaffung“ (der Prostitution) zielende Position.

Beide Texte, der des Gesetzesvorschlags und jener durch das Wochenmagazin Causeur publizierte, haben zu einer erregten Debatte geführt. Auf relativ hohem Niveau geführt wird sie besonders auf den Debattenseiten der Tageszeitungen Libération und – vor allem – Le Monde, während ansonsten vielerorts auch jede Menge Effekthascherei mit einfach klingenden Stellungnahmen betrieben wird.

Der im Wochenmagazin Causeur erschienene Text hat eine breite Koalition gegen seinen Inhalt und das Anliegen seiner Unterzeichner aufgebracht. Letztere behaupten, sie verurteilten „Gewalt, Ausbeutung und Menschenhandel“ - also etwa die Aktivitäten Zuhältern oder kriminellen Netzwerken, die Migrantinnen beispielsweise aus Osteuropa oder Nigeria zu Prostitutionszwecken (und meist unter falschen Vorwänden) nach Frankreich locken und schleusen. Damit, behaupten die Unterzeichner, hätten sie nichts zu tun. Unsere Prostituierten, behaupten sie – sofern sie zugeben, solche zu frequentieren, da die Unterzeichner sich hinter der Formulierung „In Sachen Prostitution sind wir Gläubige, Praktizierende oder Agnostiker“ verschanzen – handeln aus freien Stücken. Und sie forderten das Recht ein, „es zu mögen“. Aber auch die Männer werden durch das Manifest in Schutz genommen: Diese hätten es nicht nötig, als „Frustrierte, Perverse oder Psychopathen“ durchzugehen, sofern sie sich zu ihrem Freiertum bekennen. Der Staat aber habe sich nicht einzumischen, ihn gehe das Ganz gar nichts an: „Heute die Prostitution, morgen die Pornographie – was wird man als nächsten verbieten?“

Das Manifest schließt auf die Formel: „Rühr meine Nutte nicht an!“ (Ne touche pas à ma pute!) Durch seinen Titel und durch diese Abschlussformulierung spielt der Text auf doppelte Weise mit Symbolen. Auf der einen Seite biegt er die Parole von 1984/85, mit welcher SOS Racisme gegründet wurde – „Rühr meinen Kumpel nicht an!“ (Ne touche pas à mon pote) für seine Zwecke um. Zum Anderen greift er auch das so genannte „Manifest der 343 Schlampen“ (Manifeste des 343 salopes) auf, das im Jahr 1971 das Recht auf Schwangerschaftsabbruch für Frauen unter dem Titel „Wir haben abgetrieben“ reklamierte. Die ironische Zuschreibung oder Selbstzuschreibung des Begriffs „Schlampen“ stammte damals übrigens nicht von den 343 Frauen selbst, sondern wurde durch die seinerzeit linksradikale und antiklerikale Wochenzeitung Charlie Hebdo (heute ein vergleichsweise fades linksliberales Blatt) kurz darauf aufgebracht.

Diese Zweckentfremdung beider Symbole riefen heftige Widersprüche hervor. In Le Monde protestiert etwa Anne Zelensky, die 1971 zu den Unterzeichnerinnen des Manifests gehörte und noch immer zu Frauenrechten aktiv ist. (Aus anderen Gründen und zu einem anderen Thema hat sie sich inzwischen diskreditiert: Am 18. Dezember 2010 nahm sie in Paris als Rednerin am „Kongress gegen die Islamisierung unserer Länder“ teil, der unter pseudo-säkularem Deckmantel von Rechtsextremen und Rassisten organisiert worden war. Dies diskreditiert sie in sonstiger Hinsicht, tut aber ihren Argumenten in DIESER Sache – zur Prostitutionsdebatte – inhaltlich keinen Abbruch.)

Zelensky weist darauf hin, dass es 1971 um das „Recht, über den eigenen Körper selbst zu bestimmen“, gegangen sei – bei den männlichen Unterzeichnern von 2013 gehe es jedoch um das vorgebliche Recht, „gegen Bezahlung und ohne Strafandrohung über den Körper von anderen Menschen zu verfügen.“ (Vgl. http://www.lemonde.fr/ )

Seinerseits protestierte der STRASS (Syndicat du travail sexuel), eine Gewerkschaftsorganisation der Sexarbeiter/innen – ungefähr vergleichbar mit der seit den 1980er in Hamburg existierenden „Hurengewerkschaft Hydra“ -, gegen den Text der 343 sich bedroht fühlenden Männer. Zwar tritt der STRASS energisch gegen eine Kriminalisierung von Prostitution ebenso wie gegen jene von Kunden ein. Aber er weist heftig den Ton des Manifests zurück, der nicht von der Situation der aus welchen Gründen auch immer sich prostituierenden Menschen ausgehe, sondern vom Standpunkt des Dominierenden betreffend „mein Recht auf meine Hure“.

Der Gesetzentwurf, der im Oktober 2013 eingebracht wurde und über den Ende November d.J. diskutiert werden wird, ruft seinerseits kontroverse Debatten hervor3. In Le Monde nimmt etwa die Soziologin Nathalie Heinich ihn auseinander. Ihr zufolge handelt es sich um einen Triumph „der am stärksten puritanischen Tendenz des Feminismus“, dem eher moralisierende als die betroffenen Menschen schützende Anliegen zugrunde lägen. Die Argumente, wonach Prostitution immer eine Entfremdung zugrunde liege – entweder ökonomischer Zwang, oder psychische Ursachen für eine Entfremdung gegenüber der eigenen Sexualität – weist sie zurück. Auf das erste Argument erwidert sie, dann müsse man jegliche entlohnte Tätigkeit verbieten. Ansonsten beruft sie sich auf die Selbstbestimmung, und weist die als Parallelen herangezogene Rechtsprechung zum Verbot des „Zwergenwerfes“ (eine Show bspw. auf Jahrmärkten, bei denen eine kleinwüchsige Person als Wurfgeschoss eingesetzt wird – die Betroffenen stimmten zwar ihrer Teilnahme zu, aber die Gerichte werteten das Spektakel als Verstoß gegen die Menschenwürde) zurück. Bei dem Spektakel störe eben genau der öffentliche Charakter, die Zur-Schau-Stellung, während die Menschen in ihrem privaten Bereich, wo sich die Prostitution abspiele, hingegen in ihren Handlungen frei seien.

Demgegenüber verteidigt ein daneben abgedruckter Text mit zwölf Unterzeichner/inn/en aus verschiedenen Teilen des politischen Spektrums (von der Linksparteipolitikerin Martine Billard und dem KP-Vorsitzenden Pierre Laurent über mehrere Grüne bis zur konservativ-liberalen früheren Gesundheitsministerin Roselyne Bachelot) den Gesetzesvorschlag. Sie sprechen davon, die Prostitution bilde ein System, das gegen fundamentale Werte der französischen Demokratie verstoße. Eine EU-Richtlinie, zu deren Umsetzung Frankreich verpflichtet sei, verbiete grundsätzlich die Strafverfolgung gegen sich prostituierende Menschen selbst. (Dazu sei angemerkt: In Frankreich steht freilich deren „sichtbare Kundenwerbung“ – raccolage - seit einem Gesetz von Innenminister Nicolas Sarkozy von 2002/03 unter Strafe, dieses diente allerdings de facto her repressiven Aspekten in der Ausländergesetzgebung gegen migrantische Prostitution denn dem Schutz der Prostutierten selbst.) Aus diesem Grund sei es richtig, dort anzusetzen, wo dies sinnvoll sei: „Bei der Verantwortung des Kunden/Freiers, ohne den kein Netzwerk der Prostitution gedeihen würde.“ Dies werde von vier Fünfteln der Französinnen und Franzosen unterstützt.

Eine jüngste Umfrage belegte allerdings, dass nur 22 % an die Wirksamkeit dieser Sanktionsdrohung glaubten; 31 % halten demgegenüber die Veröffentlichung von Informationen über Prostitution und ihre Kunden durch die Presse für abschreckender, und 38 % glauben an die Wirksamkeit der Verurteilung von Kunden zu einem Lehrgang (statt zu einer Geldstrafe).

Die Debatte darüber geht weiter – unsere Berichterstattung auch!


Anmerkungen

3 Vgl. dazu u.a. folgenden kurzen Überblick über aktuelle Stellungnahmen: http://www.lemonde.fr

 

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.