Neue Kämpfe zwischen
Jihadisten und malischen und/oder ausländischen
Truppen. Anders als im Frühjahr 2013 werden nun immer
öfter Vergleiche zum Dauerkrieg in Afghanistan
angestellt. Unterdessen werden hinter den Kulissen
einige Rechnungen zwischen den Jungputschisten vom
März 2012 und der alten Oligarchie beglichen...
„Dieser
Krieg ist noch lange nicht vorbei“, sagt der Journalist
Ousmane Ndiaye. Er arbeitet für die französische Wochenzeitung
Le Courrier international und hielt sich einen
Großteil des laufenden Jahres über in Mali auf. In einem
ausführlichen Interview vom 21. Oktober 13 kommt er zu dem
Schluss: „Wir sind unterwegs zu einem langdauernden
Konflikt. Länger jedenfalls, als die französischen Offiziellen
einräumen.“
Nicht sehr viel anders klingt, was die
Pariser Abendzeitung Le Monde vom Dienstag, den
29. Oktober d.J. aus dem Munde eines, nicht namentlich
genannten, französischen Militärs zitiert und wie sie seine
Worte präsentiert: „<<Wir werden nicht 15 Jahre hier
bleiben!>>, ruft ein französischer Offizier aus, und ist dabei
vom Gegenteil überzeugt.“ So sieht es jedenfalls die
Reporterin, die nach Gao in Nordostmali entsandt worden war, die
Hauptstadt einer der drei Regionen im Norden des Landes, die von
April 2012 bis Anfang 2013 von Djihadisten kontrolliert war.
Diese Provinz und ihre Nachbarregionen sind seit Herbstanfang
dieses Jahres wieder Schauplatz von Attacken, von Kämpfen und
Selbstmordattentate geworden.
Nach mehrmonatiger Ruhe sind nun
wieder allwöchentlich Anschläge zu verzeichnen. Am 25. September
13 explodierte ein Sprengsatz in Tombouctou. Am 07. Oktober
wurden ein halbes Dutzend Raketen auf die Stadt Gao abgefeuert,
ein malischer Soldat wurde dabei getötet, und am folgenden Tag
flogen in der Nähe – in Bentia – Teile einer Brücke in die Luft.
Zuletzt griffen am 23. Oktober ein halbes Dutzend
Selbstmordattentäter ein Camp der tschadischen Armee in Tessalit
an. Dabei starben die Jihadisten, zwei tschadische Soldaten und
mindestens ein Kind.
Afghanistan am Nigerfluss?
Der Vergleich, der der Reporterin
vielleicht implizit vorschwebt und den Ousmane Ndiaye
unterdessen explizit anstellt, ist der zum Konflikt in
Afghanistan. Dort sind die Taliban auch zwölf Jahre nach Beginn
der Intervention einer durch die USA angeführten Koalition nicht
schwächer geworden, sondern haben sich mutmaßlich in den letzten
Jahren eher verstärkt. Zumal sie sich dort nun als angebliche
Widerstandskämpfer gegen ausländische Invasoren in Szene setzen.
Wie in Afghanistan gibt es
allerdings auch in Mali eine andere Realität, nämlich die
Dimension einer spezifischen Basis der bewaffneten Islamisten in
einer besonderen ethnischen Gruppe. In Afghanistan sind die
Taliban besonders unter den Paschtunen, die zu den größten
Bevölkerungsgruppen in dem Vielvölkerstaat zählen. In Mali
dagegen nimmt eine deutliche Mehrheit, vor allem eine
überwältigende Überzahl der Menschen im dichtbevölkerten Süden
des Landes, die dortigen Jihadisten als übeltuende ausländische
Eindringlinge wahr.
Die Realität ist jedoch komplexer. Zum Einen
gibt es auch dunkelhäutige Malier, die zu den aktiven Jihadisten
gehören. Wie etwa die Gruppe Ansar ed-Din
(Anhänger der Religion), die vor einigen Monaten einen HCUA –
„Hoher Rat für die Einheit von Azawad“ – als legalen Arm
gegründet hat. Auch kontrollieren radikale Islamisten einzelne
Moscheen in der Hauptstadt Bamako, wie die Mosquée du
marécage im Süden der Stadt, die freilich durch
die Sicherheitskräfte einer engen Observation unterzogen werden.
Zum Anderen leben von den übrigen Maliern als „hellhäutig“
bezeichnete Minderheiten im Norden Malis, besonders die
berberischen Tuareg sowie im Raum Tombouctou auch eine arabische
Minderheit.
Seit Ausbruch der akuten Krise im
Januar 2012, die mit der Separationsbewegung der Tuareggruppe
MNLA („Nationale Befreiungsbewegung von Azawad“) begonnen hat,
bevor auch jihadistische Gruppen sich hinzugesellten, ist das
Verhältnis der verschiedenen Bevölkerungsgruppen untereinander
oft angespannt. Die „Hellhäutigen“ – damit sind die Leute aus
dem Norden des eigenen Landes gemeint, in aller Regel nicht
Europäer – werden oft mehr oder minder pauschal Nachfahren von
Sklavenhaltern zu sein oder noch heute sklavereiähnliche
Beziehungen zu pflegen. Solche gibt es in einigen
Patrizierfamilien unter den Tuareg auch, ähnlich wie im
Nachbarstaat Mauretanien. Aus diesen Gründen können einige
Bevölkerungsteile im Norden Malis sich aus einer Solidarität mit
dem Rest des Landes entlassen fühlen. Allerdings stellen die
Tuareg, und erst die relativ kleine Minderheit der Mauren oder
Araber, auch im Norden des Landes nirgendwo die
Bevölkerungsmehrheit. Anders als oft in Europa dargestellt, gibt
es keine geschlossenen Siedlungsgebiete der Tuareg. Zwischen 59
und 60 Prozent der Einwohner der Nordprovinzen zählen zu den
Songhai, die den Somaliern ähnlich sehen.
Eine gewisse soziale Basis für die
Jihadisten gibt es also, auch wenn sie sich in Mali nur auf
einen ziemlich kleinen Bevölkerungsteil stützen dürften. Erst
recht existiert eine Basis für den MNLA als eine Bewegung, die
eher auf ethnischen Grundlagen rekrutiert und nicht auf der
Basis eines ideologischen Programms. Auch wenn die MNLA-Führer,
als sie am 6. April 2012 einen „unabhängigen Staat Azawad“
proklamiert hatten, den international allerdings niemand
anerkannte, hatten sie die Anwendung der Schari’a als
Grundgesetz des neuen Staates akzeptiert. Zweieinhalb Monate
später waren die MNLA-Rebellen allerdings von ihren zeitweiligen
Verbündeten, den Jihadisten, abgeschüttelten und in die Flucht
getrieben worden. Damals zogen ihre Anführer sich in die
Hauptstadt des Nachbarlands Burkina Faso, Ouagadougou, zurück.
Streitkräfte des MNLA kontrollierten gleichzeitig nach wie vor
Teile der Provinz Kidal. Am 18. Juni 2013, knapp ein Jahr
danach, unterzeichnete die Gruppierung allerdings (zusammen mit
dem oben zitierten HCUA) in Ouagadougou ein Abkommen mit der
malischen Zentralregierung, das es vor allem erlaubte sollte,
die Präsidentschaftswahl vom Juli und August auch in Kidal und
also im gesamten Staatsgebiet abzuhalten.
Seitdem herrscht ein brüchiger
Status quo im Norden. Die französische Armee steht als Puffer
zwischen den Streitkräften der Zentralregierung, deren Vertreter
seit Juli 13 wieder in Kidal präsent sind, und den Bewaffneten
des MNLA. Nach dem Amtsantritt des neuen Präsidenten Ibrahim
Boubacar Keïta („IBK“) Anfang September 2013 stellte der neue
Staatschef klar, er werde eine allgemeine Dezentralisierung für
alle Regionen Malis einleiten, lehne aber jeglichen Sonderstatus
für den Norden ab – wie der MNLA ihn fordert, der inzwischen von
der Forderung nach Unabhängigkeit zu jener nach einem
Autonomiestatus übergewechselt ist. Ende September d.H. verließ
der MNLA daraufhin den Verhandlungstisch, kehrte jedoch am 15.
Oktober 13 wieder dorthin zurück.
Vom 21. bis zum 23. Oktober 13
wurden nun die „Generalstände für die Dezentralisierung“
abgehalten. Die beiden bewaffneten Gruppen MNLA und HCUA
boykottierten die Veranstaltung. Hingegen nehmen sie an den
„Generalständen für den Norden“, die – im Rahmen der o.g.
Dezentralisierungspläne – am 01. und 02. November in Bamako
stattfinden, wiederum teil...
Rebellen/Warlords wieder ins Spiel
einbezogen
Unterdessen versucht die Exekutive unter
Präsident Keïta allerdings immer noch, den MNLA in seine Politik
einzubeziehen. Zumal zumindest einige Fraktionen in der
französischen Politik ihrerseits die Tuaregbewegung
unterstützten – am 14. August dieses Jahres schrieb Le Monde
von Waffenlieferungen und der Überstellung eines Kampfflugzeugs
durch den französischen Auslandsgeheimdienst an den MNLA. Am 29.
Oktober 13 wurden die vom malischen Staat ausgestellten,
internationalen Haftbefehle gegen vier Anführer von MNLA und
HCUA annulliert. Ihre Aufhebung stieß auf Protest aus der
Oppositionsbewegung „Front zur Verteidigung der Republik“ FDR,
der allerdings offenkundig parteipolitisch motiviert war.
Ende November und Mitte Dezember 13
stehen Parlamentswahlen an, bei denen die mehrheitlich aus der –
2012 infolge der schweren Staatskrise entmachtete – alte
Oligarchie hervorgegangene Allianz FDR Schnitte zu machen
versucht. Die jetzige Exekutive versucht ihrerseits, durch
Gesten des guten Willens an die bewaffneten Rebellen im Norden
die Abhaltung der Parlamentswahlen dort zu garantieren. Dieses
Ansinnen beinhaltet auch die Aussicht darauf, dass der MNLA
durch eigene Abgeordnete im künftigen Parlament vertreten sein
soll.
Sanogo abserviert?
Ein anderer Konflikt, der vor sich
hinschwelt, ist der zwischen der aktuellen Staatsführung und den
jungen Offizieren und Soldaten, die durch den Putsch vom 22.
März 2012 – vor dem Hintergrund der Implosion des alten
malischen Staates - die alte Oligarchie aus der Regierung
fegten. Bislang, also bevor die seit 2012 amtierende
Übergangsregierung nach den Parlamentswahlen vom
November/Dezember 2013 abgelöst werden wird, sitzen Vertreter
der Jungputschisten noch immer mit im Übergangskabinett. Dort
verfügen sie über insgesamt etwa zehn Kabinettsposten, vermögen
jedoch nicht den Ton anzugeben: Ihre Beteiligung an der
Übergangsregierung diente vor allem ihrer Ruhigstellung.
Der jetzige Präsident Keita hatte am 25. Juli
13, also drei Tage vor dem ersten Durchgang der
Präsidentschaftswahl, einen vielbeachteten Auftritt in ihrer
Hochburg absolviert: dem Camp Kati, fünfzehn
Kilometer außerhalb. Die linksnationalistischen Jungmilitärs
hatten ihn nahezu begeistert unterstützt. Aber inzwischen ist
die Idylle vorüber. Am 30. September 13 kam es zu heftigen
Kämpfen im Camp Kati. An den Tagen darauf wurden
an verschiedenen Stellen in Kati, einem Vorort der Hauptstadt,
mindestens drei Leichen von Soldaten aufgesammelt. Opfer von
Kämpfen, oder von außergerichtlichen Hinrichtungen?, so fragte
sich die malische Presse.
Wenige Tage darauf wurde die
„Kommission zur Reform der Armee“ sang- und klanglos
aufgelöst, an deren Spitze die damalige Übergangsregierung vor
drei Vierteljahren den ehemaligen Anführer der Putschisten – den
Hauptmann Amadou Sanogo – eingesetzt hatte. Nach der Wahl von
Präsident Keïta hatte sein Amtsvorgänger (Interimspräsident
Dioncounda Traoré), als letzte Amtshandlung, Sanogo in den
Generalsrang versetzt – was alsbald Rivalitäten unter den
Ex-Jungputschisten hervorrief.
Doch die neue Exekutive zwang ihn
nun Anfang Oktober d.J., Kati zu verlassen und allein, d.h.
unter Aufgabe seiner bisherigen Umgebung, nach Bamako
umzuziehen. In den letzten Oktobertagen verbreitete die Presse
sogar Gerüchte von seiner Verhaftung, die dann jedoch dementiert
wurden. Am 31. Oktober wurde jedoch klar, dass General Sanogo
durch die malische Justiz vorgeladen wurde: Er wird sich vor ihr
für seine mögliche Rolle (im Hintergrund) bei der Tötung von
Soldaten einer Elitetruppe, die im Mai 2012 einen Gegenputsch
versucht hatten, verantworten müssen. Obwohl er nun neue
Generalssterne auf der Schulter hat, scheint sein Stern
ernsthaft im Sinken begriffen...
Editorische Hinweise
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diese Ausgabe.
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