Das Mittelmeer wurde der
Friedhof für Flüchtlinge vor der Festung Europa seit den
90-er Jahren. Immer mehr Geflüchtete, die auf dem Seeweg
nach Europa gelangen wollten, starben hier. Bei dem
erneuten dramatischen Massensterben vor Lampedusa kamen
360 Menschen ums Leben, als ihr Boot in Flammen aufging.
Es soll von der libyschen Küstenwache beschossen worden
sein- kriegerisches Szenario gegen hilflose
Asylsuchende. Und eine Woche später kamen Meldungen von
der maltesischen Küstenwache, dass erneut ein Boot vor
Malta kenterte. Zuerst ging die Zahl von 40 Toten durch
die Presse, später hieß es, es seien vermutlich viel
mehr, wer weiß: Vielleicht bis zu 200 Menschen. Niemand
wüßte, wieviele sich zu Anfang auf dem Boot befunden
hätten. Sprunghaft steigende Totennachrichten, Meldungen
wie von der Kriegsfront: Nachrichten in einem hochmodern
ausgerichteten Europa.
Dass
die Regierungsschefs neulich bei den Europaratssitzungen am 24.
und 25. Oktober über die Flüchtlingspolitik nur mit dem Ergebnis
aufwarteten, Frontex auszuweiten und sich an das
technischologische Überwachungsprogramm Eurosur und die
Mobilitätspartnerschaften, zu halten, die schon seit längerem
unter Dach und Fach sind – das hat wohl kaum jemanden gewundert.
Schließlich gehören alle diese Instrumente, zum
Abschottungsvorhaben, und dieses Vorhaben knüpfte sich an
Schengen seit vielen Jahren. Schengen wurde zementiert, und
Ignoranz und Flüchtlingsabwehr für die Grenzsituation wurden
vorangebracht.
Schäbig-dumm erscheinen einem die Schlüsse, die führende
EU-PolitikerInnen dabei vor der augenscheinlichen Schande für
Europa zogen: Sowohl EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström wie
auch der bundesdeutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich
wollen Menschenschleppern mit mehr Überwachung das Handwerk
legen. Wie dreist wischen sie eine Verantwortung des
europäischen gigantischen Projekts der Grenzabschottung weg! Es
scheint, dass die Konservativen der EU schon reflexartig nach
kriminellen Elementen ausspähen, und schließlich: die
Überwachungstechniken der Festung, Großaufträge für die
europäische Rüstung und Konjunkturantrieb, sollen ja auch
angewendet werden. Hören wir bloß diese Neuigkeit vom 13.
Oktober (Stuttgarter Zeitung): „Die EU-Innenminister sagten bei
ihrem Treffen in der vorigen Woche zu, Italien mit europäischen
Grenzschützern zur Rettung von Flüchtlingen aus Seenot zu
unterstützen.“ So wird jetzt, in 2013 eingestanden, dass solche
Rettungsaktionen vor Italien für Frontex noch gar nicht
ausreichend vorhanden waren. Jahrelang streuten die Minister die
halbherzige Behauptung, mit Frontex würden doch auch maßgeblich
Leben gerettet. Und nie zwang sich die EU-Politik selbst zum
Umdenken, als zahlreiche Frontex-Manöver, gefährlich für Leib
und Leben der Flüchtlinge auf hoher See, bekannt wurden: Etwa in
2008, als Pro Asyl unter dem Titel „Abdrängen und Zurückweisen“
Frontex-Tätigkeiten dokumentierte: Seemanöver, bei denen die
kleinen Cayucos der Geflüchteten weit zurück gedrängt wurden in
die Gewässer, aus denen sie kamen. Alleine schon die hohen
Bugwellen bei solchen Zurückdrängungen sind lebensgefährlich.
Oder aber die Menschenrechtsverletzungen durch die griechischen
Küstenwachen in 2008. Damals schien es für diese Küstenwachen
üblich geworden zu sein, die Hilflosen auf offenen Steininseln
auszusetzen, ihre Wasser- und Lebensmittelvorräte zu vernichten
und ihre Boote zu zerstören.
Und
als, wie im Krieg, immer mehr Zugangswege strategisch für die
Asylsuchenden abgeriegelt wurden, wurden die genötigt, immer
weitere Wege zurückzulegen. Vermehrt starteten sie in den
letzten Jahren auch schon von Guinea-Bissau aus.
Zu
diesen Aufrüstungen an den Seegrenzen und an den Außengrenzen in
Nordafrika, Nahost und Osteuropa drängte man immer in Verbindung
mit Schengen.
Kontinuierlich hatte Schengen mit der Abriegelung zu tun. Das
wurde zum Beispiel vermerkt, als die NGO-Arbeitenden der
Malischen Vereinigung für die Zurückgeschobenen (AME) zu einem
Vortrag im Dezember 2012 nach Berlin kamen. Alassane Dicko
referierte hierbei: „Die Folgen von Schengen konnten die
EinwohnerInnen Afrikas direkt mitverfolgen: Europa öffnete seine
Binnengrenzen und drängte gleichzeitig darauf, dass Nordafrika
die eigenen Binnengrenzen überwacht. Die europäische
Reisefreiheit nahm zu, und unsere Reisefreiheit wurde uns
genommen.“
Letztlich zeigt sich Schengen inhaltlich auch als Konstruktion
eines selbstbespiegelnden Europa, das sich über Wirstolz und
Profitkurven definiert, so wie es die Konservativen der Festung
voranbrachten.
2007:
Im Oktober wurde gemeldet, dass 17 Flüchtlinge vor der
griechischen Insel Samos mit ihrem Boot kenterten und vermutlich
starben. Zugleich traf der EU-Justizkommissar Franco Frattini in
der Slowakei Regierungsmitglieder: Beim Zutritt des Landes zur
EU galt es als wichtig, dass das Land seine Hausaufgaben machte
und die optimale technische Ausrüstung an der Grenze zur Ukraine
vorwies. In jener Zeit trafen auch die Innenminister der Staaten
in Brüssel zusammen und berieten sich über das, was nun EUROSUR
wurde: Die elektronische Überwachung aller Bewegungsabläufe an
den Außengrenzen war geplant, „um illegale Einwanderer und
Terroristen abzuwehren“. Innenminister Schäuble war es
beispielsweise, der oft diese sprachliche Verbindung von
Flüchtlingen und Terroristen fertigbrachte. So muss man wohl
sagen: Ein Feindbild reiste immer mit, wenn sich die Politik an
einem Konferenzort für eine der Schengen-Reformen traf. Erinnern
wir uns an eine weitere Meldung von 2007: 44 Flüchtlinge wurden
vor Lampedusa von sieben tunesischen Fischern aus Seenot
gerettet. Nun standen die Fischer wegen Beihilfe zur Einreise
vor dem Gericht in Agrigent. Jahre später sollten sie
freigesprochen werden- nach einem zermürbenden Prozeß. Solche
Prozesse der Schande gegen solidarische Lebensretter sind
möglich gewesen in einer EU der Flüchtlingsabwehr, wo sonst?
Man
denkt auch an den Mai 2011, als vermehrt Flüchtlinge infolge der
Revolten aus den nordafrikanischen Ländern über das Mittelmeer
reisten. Indessen waren EU-Parlament und EU-Kommission bestrebt,
im Juni 2011 die Frontex-Mandate und Ausstattung zu erweitern.
Eine europäische Antwort auf den arabischen Frühling.
Während Brüssel nur halbherzig die Seenot-Gefahr in dieser Zeit
thematisierte, löste die italienische Regierung hitzige
EU-Debatten aus, als sie Reisevisa für einige hundert Personen
in Lampedusa ausstellte. In jener Zeit befand eine Cecilia
Malmström vor den Presse-Kameras: Eine verbesserte Asylpolitik
müsse her, und die beinhalte „mehr Frontex und mehr Schutz der
Schengen-Grenzen gegen illegale Einwanderung.“ Sie gebrauchte
auch das Wort „Solidarität“ im Zusammenhang mit
Schengen-Kontrollen. In jenen Tagen verstand es sich für die
EU-Minister, dass unter Solidarität eine gemeinsame Kontrolle
gegen die Einwanderer zu verstehen sei, nicht etwa das
Tätigwerden für die Einwanderer auf hoher See.
Erinnern wir uns an das Frühjahr 2012, als Hans-Peter Friedrich
sieben weitere EU-VertreterInnen in Luxemburg traf, um über mehr
Kontrollen gegen „illegale Einwanderer“ zu beraten. Friedrich
brachte einen weiteren Vorstoß zur hermetischen Abriegelung der
griechisch-türkischen Grenze.
Wiederkehrend verwendet die rechtspopulistische Politik für ganz
normal den Begriff „Illegale“, während doch das Ersuchen von
Asyl ein Menschenrecht sein sollte - im Gegenzug müßte doch
gerade das Zurückdrängen von Asylsuchenden als illegal und
völkerrechtswidrig gelten.
In der
europäischen Konstruktion Schengen wird auf den Kopf gestellt,
was auf den Füßen stehen sollte: Dies Europa „benötige
Solidarität“ - nicht die von Krieg und Hungersnöten
heimgesuchten afrikanischen Länder. Dieses Schengen müsse „sich
schützen“, nicht Flüchtlinge müßten geschützt werden. Und dito
die seit einiger Zeit von Friedrich geschürte wehleidige „Angst“
vor einem „Ansturm“ der MigrantInnen, die er als
„Wirtschaftsflüchtlinge“ abwertet: Geflüchtete, die aus Kriegen
und Hungersnöten gekommen sind. Werte auf den Kopf stellen, das
kann man in der EU gut, nur um dem Gedanken der
Mitmenschlichkeit und der ermöglichten legalen Einreisewege
auszuweichen.
Editorische Hinweise
Wir erhielten den Artikel von der Autorin für
diese Ausgabe.
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