Die Entscheidung ist grundsätzlich gefallen:
Die Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten
(französische abgekürzt CEDEAO, englisch ECOWAS) einigte sich am
Sonntag, den 11. November 12 anlässlich einer Tagung in Nigerias
Bundeshauptstadt Abuja auf die Entsendung von Truppen in das
derzeit zerrissene Mali. Die Nordhälfte des Landes soll von den
aktuell dort herrschenden Djihadistengruppen, mit oder ohne
Anführungszeichen, befreit werden. Der Marschplan dafür steht nun
offiziell, so beschlossen es die versammelten Staats- und
Regierungschefs der CEDEAO/ECOWAS.
Dazu wollen die westafrikanischen Staaten
gemeinsam 3.300 Soldaten für die Dauer eines Jahres entsenden. Ob
dies freilich - angesichts der Ausdehnung des betreffenden
Territoriums, des rauen Wüstenklimas und der mutmaßlich mangelnden
Ortskenntnis oder -vertrautheit von Truppen aus westafrikanischen
Küstenstaaten - dafür ausreicht, ihnen realistische Siegeschancen
zu garantieren, muss vorläufig dahin gestellt bleiben.
Anfängliche Bedenken der USA
Die US-Administration zeigte sich bislang eher
reserviert gegenüber einem solchen Einsatz, wobei eine
Entscheidung dafür oder dagegen seitens einer Weltmacht ja selten
eine Prinzipienfrage oder eine Angelegenheit der Moral ist,
sondern eher eine Sache des interessengeleiteten Kalküls: Bringt
es aus unserer Sicht mehr, als es kostet - oder droht die Waage in
die umgekehrte Richtung auszuschlagen? Wenn Letzteres der Fall
ist, dann sperrt man sich gegen eine Intervention, wie es aktuell
die NATO-Mächte gegenüber einem direkten Eingreifen in Syrien tun.
Überwiegen die Nutzfaktoren oder wird das Risiko für gering
gehalten, stellt man dagegen die Weichen für eine Intervention.
Dabei kann die Politik der einen oder anderen
Staatsführung durchaus hin- und hereiern. So erklärte US-General
Carter Ham – Oberbefehlshaber von AFRICOM, also der
US-Streitkräfte für Afrika, deren Sitz momentan in Stuttgart ist -
anlässlich eines Aufenthalts in Algier am 30. September 12 seine
Vorbehalte, ja seine Ablehnung gegenüber einer militärischen
Intervention in Nordmali. („Nur eine diplomatische oder
politische Lösung“ seien dort möglich.) Doch vier Wochen
nach ihm bereiste die – noch bis im Januar 2013 amtierende -
US-Außenministerin Hillary Clinton ihrerseits die algerische
Hauptstadt. Am 29. Oktober 12 unterhielt sie sich dort mit
Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika (o. Boutefliqa, je nach
Transkription aus dem Arabischen) und forderte ihn auf, den Weg
für eine militärische Intervention im südlichen Nachbarland
freizumachen. Eine eigene Beteiligung algerischer Truppen
verlangte sie dabei nicht von ihm, wohl aber, die Tür für die
Nutzung algerischen Territoriums nicht zu versperren. Dem
Vernehmen nach lockt für Bouteflika (/ Boutefliqa) dabei die
Aussicht, dass die wesentlichen westlichen Großmächte sich nicht
gegen ein viertes Mandat sperren, wenn der algerische Präsident
2014 zu seiner Wiederwahl antritt. Er amtiert seit der Wahl vom
15. April 1999.
Es wird zwar nicht von heute auf morgen gehen.
Dennoch ist es nunmehr hochwahrscheinlich, dass es kurz- oder
mittelfristig zu einer Intervention mit militärischen Mitteln
kommen wird. Am 06. November d.J. versammelten sich die
Generalstabschefs der Armeen der Westafrikanischen
Wirtschaftsgemeinschaft –CEDEAO/COWAS – ihrerseits in der
malischen Hauptstadt Bamako, um konkrete Szenarien für ein
militärisches Eingreifen zu studieren, und einigten sich auf einen
Aktionsplan dafür. Ein solcher Eingriff würde konkret im
Wesentlichen durch die CEDEAO/ ECOWAS durchgeführt, aber durch
westliche bzw. nördliche Staaten logistisch und eventuell auch
unter Einsatz eigener militärischer Kapazitäten begleitet. Die
Federführung hätte dabei Frankreich inne, da der Staat als frühere
Kolonialmacht die Region „kennt“ und dort nach wie vor einen
wichtigen politischen sowie ökonomischen Einfluss behält. Aus
ebendiesem Grund wird Frankreich sich jedoch zurückhalten, was
eine eigene, sichtbare Beteiligung betrifft, und vom Hintergrund
aus logistische Hilfestellung leisten.
Rolle der BRD?
Teilnehmen könnte auch die Bundesrepublik
Deutschland, im Zuge der fortschreitenden Europäisierung solcher
Einsätze – die auch Frankreich seit mehreren Jahren aktiv
vorantreibt, um die politische Verantwortung auf mehrere Schultern
zu verteilen, auch wenn Paris gern die operative Kontrolle über
die Afrikapolitik und ihre eventuelle militärische Begleitung
behält. Am 22. Oktober 2012 erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel
bei einer Tagung der Bundeswehr in Strausberg bei Berlin:
„Freiheitliche demokratische Staaten können nicht akzeptieren,
dass der internationale Terrorismus im Norden (Malis) ein sicheres
Rückzugsgebiet erhält.“ Allerdings erhob der
stellvertretende Vorsitzende des Bundeswehrverbands, Major André
Wüstner, wenige Tage später Einspruch dagegen: „Uns treibt
die Sorge um, dass die Bundeswehr wieder einmal unüberlegt und
verantwortungslos in einen Einsatz entsandt wird, der Teil einer
lückenhaften politischen Konzeption ist.“ Da wäre es
wieder, das gute alte Kosten-Nutzen-Kalkül.
Gerechtfertigt wird das beabsichtigte
militärische Eingreifen in Nordmali mit der Präsenz der drei
Djihadistengruppen, die jeweils einen spezifischen Teil des
weitläufigen Territoriums kontrollieren. Ihre Präsenz führt bei
vielen Beobachtern und auswärtigen Mächten ebenso wie bei
Politikern der malischen Zentralregierung zu der Warnung, dass der
Norden Malis „zu einem zweiten Afghanistan zu werden droht“. Unter
Anspielung nicht so sehr auf das gegenwärtige Geschehen in dem
Land am Hindukusch, sondern auf die Situation Afghanistan vor
September 2001, als Afghanistan – nach dem 1988/89 vollzogenen
Rückzug der Sowjetunion - durch die Großmächte zunächst ignoriert
worden war und sich daraufhin zum Rückzugsraum für internationale
operierende Djihadisten (etwa des Netzwerks Al-Qaida) entwickeln
konnte. Man dürfe nie wieder einen unkontrollierten „Dschungel“ in
einer vermeintlich entlegenen Weltregion sich ausbreiten lassen,
lautet sinngemäß die Warnung vor diesem Hintergrund. In diesem
Sinne plädierten italienische Politiker, deutsche Publizisten oder
der französische Präsident François Hollande; Letztgenannter
sprach am 26. September 2012 vor der UN-Vollversammlung in New
York zum Thema.
Drei Djihadistenfraktionen
Untereinander sind die betreffenden Gruppen
sich auch nicht völlig grün. Da wäre, erstens, die überwiegend aus
„einheimischen“ Maliern bestehende Bewegung Ansar ed-Dine
(von der arabischen Bedeutung her „Partisanen der Religion“). Zum
Zweiten die mehrheitlich aus Algerien bestehende und aus
verschiedenen Nationalitäten zusammengesetzte, internationale
Djihadistengruppe „Al-Qaida im Land des islamischen Maghreb“,
abgekürzt AQMI. Neben Nordafrikanern sollen in ihren Reihen auch
Pakistaner kämpfen. Drittens trifft man auf die „Bewegung für die
Einheit und den Djihad in Westafrika“ – abgekürzt MUJAO -, die
eine Abspaltung von AQMI darstellt und aus West- sowie
Nordafrikanern zu bestehen scheint. Auch eine Präsenz der im
Norden des von konfessionellen Konflikten zerrissenen Nigeria
terroristisch agierenden Gruppe Boko Haram
(ungefähr: „Westliche Literatur und Schulbildung sind Sünde“) in
Nordmali wurde vermeldet.
Ursprünglich hatten diese mit der
Tuareg-Rebellenbewegung MLNA („Nationale Befreiungsbewegung von
Azawad“) taktisch kooperiert, welche seit Januar des Jahres in
eine militärische Offensiv gegen die Zentralregierung in Bamako
eintrat. Mutmaßlich mit Unterstützung einiger auswärtiger Mächte,
zumindest mit Rückendeckung des Nachbarlands Burkina-Faso. Doch
ihre Bestrebungen zur Errichtung eines unabhängigen Staats unter
dem Namen „Azawad“ brachen alsbald in sich zusammen, und die
Tuareg-Rebellen wurden von ihren früheren Bündnispartnern – den
bewaffneten Djihadisten – fallen gelassen, ja militärisch
bekämpft. Am 27. Juni 2012 floh die MLNA-Führung, nach Kämpfen mit
den Djihadisten, Hals über Kopf aus dem Land und ließ sich in
Burkina-Fasos Hauptstadt Ouagadougou nieder. Dort wartet sie nun
darauf, in eine eventuelle Verhandlungslösung unter Einschluss
unterschiedlicher Kräfte in Mali, auf die u.a. die Staatsführung
Burkina-Fasos hin drängt, einbezogen zu werden.
Unter dem Druck der Drohung mit einer, sich
anbahnenden, Militärintervention beginnen nun auch die
Djihadistengruppen sich auseinanderzudividieren. Besonders die
überwiegend aus Maliern bestehende Gruppe Ansar ed-Dine,
die eine wenige starke transnationale djihadistische Dimension
aufweist wie die beiden Gruppen – sondern sich mit eher
begrenzten, lokalen Zielen begnügt – sendet Signale aus, wonach
sie ihrerseits Teil einer Verhandlungslösung werden möchte. Anfang
November d.J. entsandte sie Delegationen in die Hauptstädte
Algeriens und Burkina-Fasos, um dort mit den beiden
Regionalmächten zu diskutieren. Am 06. November 12 erklärte etwa
ihre Abordnung in Burkina-Fasos Hauptstadt Ouagadougou, dass
Ansar ed-Dine „den Terrorismus verurteilt“ und
gerne eine ausgehandelte Lösung anstreben würde. Es bleibt nur
unter anderem das Problem, dass sie in den letzten Monaten in den
von ihr kontrollierten Landstrichen in Nordmali die Scharia
strengster Auslegung – einschließlich der Amputation von
Gliedmaßen – praktizierte, und der überwiegende Teil der
Bevölkerung Malis davon absolut nichts wissen will.
Aussichten & Bewertung
Gegen die Umtriebe der radikalen
Islamisten regen sich auch örtlich Widerstände. In der Großstadt
Gao schlossen sich 24 Vereinigungen aus der „Zivilgesellschaft“
zur Bekämpfung der die Stadt beherrschenden Djihadistengruppe
zusammen. Im Juni 2012 kam es zu einer Demonstration, bei der die
Djihadisten einen Teilnehmer töteten und um die zehn weitere durch
Schüsse verletzten. Und eine öffentliche Verstümmelung wurde im
August dieses Jahres verhindert, indem Hundert von Jugendliche
sich auf dem Platz versammelten, wo sie geplant war, und die
Islamistenmilizen einfach nicht durchließen. Allerdings ist
inzwischen auch zu verzeichnen, dass sie beginnen, sich eine
soziale Basis zu schmieden: Da diese Gruppen durchaus reich sind
(dank ihrer Finanzierung durch reaktionäre Golfstaaten), verteilen
sie Geld unter die örtliche Bevölkerung. Dadurch belohnen sie
Leute, die ihnen Waffen abtreten, für sie patrouillieren,
Uniformen oder Fahnen nähen... Nachdem die örtliche Bevölkerung
den Djihadisten anfänglich, bei der Eroberung des Gebiets im
Norden von Mali, in Erwartung einer baldigen Rückeroberung der
Region durch Einheiten Südmalis fast geschlossen feindlich
gegenüber stand, beginnt diese Einheit sich aufzulösen. Da die
Offensive zur Verreibung der Radikalislamisten erst einmal
ausblieb, schlug sich ein Teil vor allem der männlichen
Bevölkerung – die Frauen leiden extrem unter ihrem Regime – auf
ihre Seite, im Austausch gegen materielle Unterstützung, im
Kontext weitverbreiteter Armut. Doch muss hinzugefügt werden, dass
die Djihadisten zugleich öffentliche Einrichtungen wie Schulen und
Krankenhäuser verrotten lassen, und der Flüchtlingsstrom aus den
von ihnen kontrollierten Zonen in das übrige Staatsgebiet Malis
anschwoll.
Von französischen
Experten, die durch Le Figaro
zitiert
werden, wird der „harte Kern“ der Djihadisten (also sozusagen die
Kommandoebene) auf 40 Mann, die Zahl der zuverlässigen Kämpfer auf
„200 bis 400“, und jene der „Fußtruppen“ – von denen viele
lediglich aus materiellen Gründen dabei sind – auf „3.000 bis
4.000“ geschätzt. Um gegen diese Kräfte eingesetzt zu werden,
bedarf es mutmaßlich keiner riesigen, überdimensionierten
Streitmacht. Allerdings müssen eventuelle Interventionstruppen
sich auf einen Wüstenkrieg auf einem sehr speziellen Terrain, mit
höchst feindlichen klimatischen Bedingungen, gefasst machen.
Eine mögliche
Niederlage der Djihadisten im Norden Malis ist gewiss keine Sache,
über die mensch traurig sein müsste. Durch eine deutliche Mehrheit
der malischen Bevölkerung wird diese sicherlich erwünscht. Daran,
dass die Radikalislamisten kürzer- oder längerfristig zu den
Verlieren einer militärischen Auseinandersetzung gehören dürften,
können wenig Zweifel bestehen – und es ist keinesfalls
unerfreulich. Erheblich stärkere Fragen wirft die Situation aber
auf, was die möglichen Gewinner einer militärischen Intervention
betrifft. Denn auch im Süden Malis, wo die Djihadisten nicht
herrschen, gibt es heftige soziale und politische
Auseinandersetzungen. Am 22. März 2012 lösten die Demonstrationen
von Soldatenehefrauen, die dagegen protestierten, dass ihre Männer
durch eine unfähige Regierung und schlecht bis kaum bewaffnet im
Norden „verheizt“ würden, einen Putsch junger Offiziere aus. Diese
zählten zu den jüngeren, bislang nicht in die grassierende
Korruption bei Armee und Politik eingebundenen Generationen.
Linksnationalistische Sympathien in Teilen der Bevölkerung
begleiteten die vorübergehend amtierende Militärregierung. Doch im
August d.J. wurde diese durch eine „nationale Einheitsregierung“
abgelöst, die unter starkem Druck der Nachbarländer sowie
Frankreichs gebildet wurde, mit dem Argument, es gelte, die
Staatsautorität auf eine breitere Basis zu stellen. In ihr übt
nunmehr der sozial konservative islamische Klerus in Gestalt des
„Hohen islamischen Rats“ (HCI) eine starke Position aus, da ihm
zugetraut wird, sich an die Basis der Islamisten adressieren zu
können.
Den
CEDEA/ECOWAS-Staaten geht es u.a. darum, die alte Oligarchie, die
vor März 2012 unangefochten regierte, wieder in ihre Positionen
einzusetzen. Im Zuge einer Intervention wollen sie auch den Süden
Malis besetzen, um dort das Hauptquartier für ihre Intervention zu
installieren. Gegen dessen Einrichtung in der Hauptstadt Bamako
sperrt sich bislang noch die malische Übergangsregierung. Am 24.
September, also zwei Tage vor der UN-Vollversammlung, wo François
Hollande für eine - auch durch die malische Regierung im Prinzip
gewünschte – Intervention gegen die Djihadisten in Nordmali
plädierte, kam es dazu zu einem Formelkompromiss. Mali und die
CEDEAO/ECOWAS einigten sich auf eine Truppenstationierung „in
Bamako oder in der Umgebung“ (die Übergangsregierung denkt
allerdings dabei an eine Entfernung von 60 Kilometern), jedoch
„ohne dass sie durch die örtliche Bevölkerung als Provokation
aufgefasst“ würde. Noch besteht auch auf dieser Ebene ein
erhebliches Konfliktpotenzial.
Editorische Hinweise
Der Text erhielten wir vom
Autor für diese Ausgabe.
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