Südafrika: Streiks der Bergarbeiter erschüttern den ANC

von Keith Spencer

11-2012

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In den letzten zwei Monaten brachten die Bergarbeiter durch eine Reihe von militanten, wilden Streiks den Abbau von Gold und Platin in Süd-Afrika zum Stillstand - und die Bewegung verbreitet sich weiter. Doch es ist auch ein Kampf, der viele Opfer kostet. Bis Anfang Oktober haben 48 streikende Arbeiter ihr Leben lassen müssen.

Der Bergbau-Sektor hat für die südafrikanische Wirtschaft und die globale Ökonomie eine riesige Bedeutung. Aufgrund des Streiks hat z.B. die Ratingagentur Moody erst vor kurzem die Kreditwürdigkeit des Landes herabgestuft. So könnten sich die Kämpfe bis hin zu revolutionären Konfrontationen zuspitzen.

Die Streiks der Minenarbeiter haben auch das Potential, die Regierung zu erschüttern. Angesichts der Bedeutung von südafrikanischem Gold und Platin für die Weltwirtschaft, könnte es zu globalen Verwerfungen kommen. Wenn sich die Streiks auch in anderen Bereichen ausweiten, könnte sich die Lage sogar schnell zu einer revolutionären Situation entwickeln.

Eine Welle des Kampfes

Die Arbeiter fordern eine Lohnerhöhung von bis zu 16.000 Rand (ca. 900 Euro) im Monat, angelehnt an den Erfolg des Streiks in Marikana im letzten Monat. Unruhen verbreiten sich auch in anderen Minenbereichen und darüber hinaus.
Anglogold Ashanti, der größte Gold-Produzent im Land, musste zusehen, wie seine Minen zum Stillstand kamen, nachdem 35.000 Minenarbeiter die Bergwerke verließen. Die Gold Fields-Gesellschaft stand vor der Schließung, als 24.000 Arbeiter in Streik traten. Bei Kumba´s Eisenerz blockierten Streikende das große Eisenerzwerk. All diese Streiks waren gemäß der nach wie vor extrem repressiven südafrikanischen Arbeitsgesetzgebung illegal.
Dennoch scheint sich der Unmut auszuweiten. So traten 20.000 FahrerInnen im Transportsektor in einen zweitägigen Ausstand. Der Ölkonzern Shell hat bereits angekündigt, dass er seine Lieferverträge nicht mehr erfüllen kann. Bei den Eisenbahnen und in den Häfen drohen weitere Streiks.

Am 5. Oktober hat der weltgrößte Platin-Hersteller, Anglo American Platinum (Amplats), 12.000 streikende Minenarbeiter nach drei Wochen wilder Streiks entlassen. Der Ausstand der insgesamt 28.000 ArbeiterInnen hatte den Konzern bis dahin 51 Millionen Pfund gekostet.

Die Streiks bei Amplats haben die Produktion verringert, was dazu führte, dass der Weltmarktpreis für Platin auf den höchsten Stand seit fünf Monaten stieg, auf ca. 1.000 Pfund/Unze - mehr als ein Monatsgehalt eines Arbeiters.
Der Streik führte zu Zusammenstößen zwischen den Streikposten und der Polizei, wobei ein Arbeiter getötet wurde. Schwer bewaffnete Polizei griff immer wieder Streikende mit Gummigeschossen und Wasserwerfern an, Demonstrationen wurden gewaltsam auseinandergetrieben.

Aber die Arbeiter wehrten sich. Mit mobilen Streikposten und UnterstützerInnen brachten sie verschiedene Minen in den Streik und erreichten, dass bis zu 20 Prozent aller Bergwerke gleichzeitig stillstanden.

Amplat´s Aktion, einen großen Teil der Belegschaften zu kündigen, verfolgt das Ziel, die anderen Minenbesitzer bei der Stange zu halten, damit sie nicht nachgeben bei den sich ausweitenden Forderungen für Lohnsteigerung und bessere Arbeitsbedingungen, wie bei den Arbeitern von Marikana. Aber diese Strategie ist riskant.

Marikana’s Sieg

Die Minenarbeiter des Platinbergwerks Marikana haben eine Lohnerhöhung von 22 Prozent erreicht. Einer der führenden Streikenden der Minen erklärte gegenüber Reuters: „Es ist eine große Leistung. Keine Gewerkschaft hat zuvor eine 22prozentige Erhöhung erreicht.“

Die Bergarbeiter von Marikana mussten sich der Unnachgiebigkeit der Unternehmer und der bewaffneten Macht des Staates stellen. 34 Minenarbeiter wurden am 16. August von der Polizei erschossen. Danach wurden 200 weitere mit der Begründung verhaftet, dass sie Schuld am Tod ihrer Kollegen seien - basierend auf Gesetzen, die noch aus der Zeit der Apartheid stammten. Nur der nationale wie auch der internationale Protest zwang die Regierung, die unschuldig Angeklagten zu entlassen. Aber nach wie vor ist kein einziger Polizist des Mordes angeklagt.

In der Zwischenzeit reagiert die ANC-Regierung, in dem sie mehr Truppen in die bestreikten Gebiete schickt. Letzten Monat hat Präsident Jacob Zuma dem Parlament erklärt, dass er gegen alle „Unruhestifter“ hart durchgreifen wird. „Es sind nicht nur die Minenarbeiter, die streiken. Es sind auch einige Personen, die die Arbeiter anstiften. Wir werden bald reagieren.“

Zuma rief das Kriegsrecht aus und autorisierte die Stationierung von Soldaten neben der afrikanischen Polizei in den Minengebieten. Der Präsident will die Bergarbeiter im Interesse der Kapitalisten vernichtend schlagen. Er will aber auch das schmutzige Geschäft der Bürokraten des Gewerkschaftsverbandes Cosatu und der Bergarbeitergewerkschaft NUM erledigen, die in den letzten Monaten die Kämpfe mit allen Mittel sabotiert haben und alles unternommen haben, um die Kumpel zu isolieren und zu schlagen.

Und trotz offizieller Trauerbekundungen angesichts des Massakers in Marikana geht das Töten der Arbeiter weiter. Polizisten töteten einen Minenarbeiter bei einer Demonstration mit Gummigeschossen, ein weiterer wurde von einem gepanzerten Wagen überfahren.

ANC-Verrat

Trotz aller möglichen Verbesserungen, die von drei Präsidenten seit dem Fall der Apartheid versprochen worden waren, hat sich wenig getan, um das Leben von Millionen von schwarzen Arbeitern und Arbeiterinnen zu verbessern.
Nach Angaben der Weltbank vom Juli 2012 ergibt sich folgendes Bild:

  • die Arbeitslosigkeit liegt bei 33 Prozent;
  • die oberen 10 Prozent der Bevölkerung erhalten 58% des Einkommens;
  • der Gini-Index (eine globale Messung für Ungleichheit), liegt bei 0,7 - einer der höchsten in der Welt und sogar noch höher als unter der Apartheid (0,66).

Es wurde viel von vom „Black Empowerment“ (Schwarze Ermächtigung) geredet. Doch in der Realität bedeutet das Bereicherung der ANC-Elite und ihre Geschäftsfreunde. Die alte weiße Elite hat ihre Einkommen, ihre Farmen und Investments behalten. Stattdessen wurde der ANC das Lieblingskind der Neo-Liberalen bei der Weltbank, beim Internationalen Währungsfonds (IWF) und bei der OECD, als es Südafrikas Wirtschaft noch weiter für die Multis öffnete.
Die Vorstandsvorsitzende von Anglo American Mining, Cynthia Caroll, verdiente im letzten Jahr 2,2 Millionen Pfund. Ian Farmer, Vorsitzender des Konzerns Lonmin, des Eigentümers der Bergwerks in Marikana, brachte 1,2 Millionen Pfund nach Hause. Zur gleichen Zeit arbeiten ihre Arbeiter unter extrem gefährlichen Bedingungen und werden von der Polizei getötet, weil sie 1.000 Pfund im Monat fordern.

Korruption in der Gewerkschaft

Die Bürokraten des ANC und des Gewerkschaftsverbandes Cosatu dienen den Milliardären in London und New York. Cyril Ramophosa z.B. war Vorsitzender der National Union of Mineworkers (NUM). In den späten 1980er Jahren rief er 300.000 Arbeiter zum Streik gegen die Apartheid auf. Jetzt ist er Multi-Millionär, sitzt in der Führung des ANC und im Verwaltungsrat von Lonmin, der ihm im letzten Jahr 61.000 Pfund als Aufsichtsratsmitglied bezahlte.
Einer der führenden Minenarbeiter aus den Marikana-Minen sagte zur New York Times:
„Wir haben den ANC zu dem gemacht, was er heute ist, aber sie haben keine Zeit für uns. Nichts hat sich geändert, nur die Menschen, die oben sind, bekommen immer mehr Geld.“

Die Geschäftsbeziehungen des ANC mit den Bossen haben Auswirkungen auf die Gewerkschaften.
Funktionäre der einst militanten NUM kontrollieren die Gewerkschaft mit Polizeimethoden, greifen jetzt die GewerkschafterInnen wegen ihres Kampfes für bessere Löhne an. Das hat schließlich zur Spaltung der Gewerkschaft geführt. Die neue „Association of Mineworkers and Construction Union“ (AMCU) übernahm die führende Rolle im Streik bei Marikana.

Der Streit in den Minen zwischen den Gewerkschaften war so bitter, dass die NUM versuchte, die AMCU für das Massaker an den Arbeitern verantwortlich zu machen. Dabei war es die militante Opposition der AMCU gegen die Bosse, die Lonmin zwang, einen Deal zu machen, der beide Gewerkschaften zufrieden stellte.

Der ehemalige Vorsitzende der ANC-Jugend, Julius Malema, hat die Streikenden besucht und unterstützt. Er hat sie gegen Verleumdungen verteidigt und griff die Rolle des ANC und den Ausverkauf aller Forderungen an, die im Kampf gegen die Apartheid gemacht worden waren.

Aber seine Motive sind da eigennützig. Er will Zuma und seine Kumpane innerhalb des ANC verdrängen. Hätte er Erfolg, besteht kein Zweifel daran, dass auch er die kapitalistische Ausbeutung und Korruption genauso wie jetzt Zuma verteidigen würde.

Verrat und Korruption sind das unvermeidliche Ergebnis der gesamten Strategie des ANC und von dessen Inspirator, der Südafrikanischen Kommunistischen Partei (SACP). Ihrer stalinistischen Etappentheorie zufolge müsse auf das Ende der Apartheid eine weitere, „demokratische“ Entwicklungsstufe des Kapitalismus folgen. Erst dann wäre eine andere, sozialistische Gesellschaftsordnung möglich. In der Zwischenzeit müssten die ArbeiterInnen geduldig sein. Die ANC-Regierungen unter Nelson Mandela, Thabo Mbeki und Jakob Zuma haben dieses Programm schon bis zum Abwinken durchgeführt.

Praktisch bedeutet das, dass die ArbeiterInnen weiter für die gleichen Bosse und zu den gleichen erbärmlichen Löhne schuften müssen, während die natürlichen Reichtümer des Landes ins Ausland fließen oder in die Taschen von südafrikanischen Zwischenhändlern. Ob diese schwarz oder weiß sind, macht für die Masse der schwarzen Lohnabhängigen letztlich keinen Unterschied. Das Land bleibt in den Händen derer, die es einst gestohlen haben.
Die Verbesserungen der Wohnbedingungen, der Bildung und der medizinischen Versorgung in den Elendsvierteln gehen, wenn überhaupt, nur im Schneckentempo voran. Die Minenarbeiter leiden immer noch unter einem brutalen Regime und erbärmlich niedrigen Löhnen. Dennoch waren es die ArbeiterInnen aus den Townships und den Minen in Südafrika, die es wagten, den revolutionären Kampf aufzunehmen, der letztendlich die Apartheid beendete. Sie wurden der Früchte ihres Sieges beraubt.

Zwanzig Jahre später nun hat der Aufstand der Minenarbeiter das Potenzial, das Unrechtssystem zu brechen und die Revolution in Südafrika fortzuführen.

Dieses Mal muss man sich aber auf Trotzkis Strategie der permanenten Revolution beziehen.

Das fängt an mit dem Kampf um wichtige aktuelle Fragen (Löhne, Wohnraum, Bildung, Gesundheit, Arbeitslosigkeit), verbindet diese Kämpfe aber mit dem Kampf gegen die weiter bestehenden Formen der Apartheid in Bezug auf Ungleichheit und reaktionäres Arbeitsrecht sowie mit dem Kampf um Arbeiterkontrolle über die Produktion, die Enteignung der Kapitalisten und für eine demokratische Planwirtschaft - also damit, die Grundlagen für eine sozialistische Entwicklung zu legen.

Das ist der Grund, warum der Aufbau einer revolutionären Partei in Südafrika dringend nötig ist. Die ArbeiterInnen und die Armen in Südafrika brauchen eine Partei, die aus GewerkschafterInnen besteht, welche die Streiks in den Minen führen, eine Partei, welche die AktivistInnen aus den Gemeinden, den Anti-Privatisierungsforen, arbeitslose Jugendliche aus den Townships, militante SchülerInnen und StudentInnen organisiert.

Wenn es gelingt, diese Kräfte zu bündeln und mit den Bergarbeitern zu verbinden, kann daraus in den nächsten Monaten und Jahren eine solche Partei, eine revolutionäre Arbeiterpartei erwachsen.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel von:

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 650
23. Oktober 2012

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