Was haben der
im März dieses Jahres in Toulouse getötete Terrorist
Mohammed Merah und französische Crêpes miteinander
gemeinsam? Einer der beiden Karikaturisten der Pariser
Abendzeitung Le Monde glaubt es zu wissen. In der
Wochenendausgabe vom 20./21. Oktober d.J. zeichnet
Xavier Gorce sein übliches Pinguinpaar, dieses Mal am
Herd, und legt einer der beiden Figuren folgenden
Monolog in den Mund: „Weißt Du, wir bei der
Spionageabwehr, wir drehen die Terroraspiranten um, wie
Pfannkuchen. Hopp! Und merde. Wo ist er geblieben, der
Pfannkuchen?“ Beim Anheben der Pfanne ging die Crêpe, in
gewissem Sinne, in die Luft – und kam nicht wieder
zurück.
Der Beitrag des
Karikaturisten soll indirekt illustrieren, was dem
französischen Inlandsgeheimdienst – der DCRI, also der
2008 eingerichteten „Nationalen Direktion für Innere
Sicherheit“ – mit Mohammed Merah passiert sei. Wie er
aus dem Ruder lief, bevor er im März in
Südwestfrankreich erst drei Soldaten und dann drei
Kinder sowie einen Lehrer an einer jüdischen Schule
ermordete. Die liberale Pariser Zeitung konnte sich
nämlich das Protokoll einer Vernehmung des früheren
DCRI-Chefs Bernard Squarcini, der nach dem
Regierungswechsel im Frühsommer dieses Jahres seines
Postens enthoben wurde, beschaffen. Er war am 25.
September durch den Untersuchungsrichter Christophe
Teissier als Zeuge vernommen worden. Aber auch interne
Vermerke des Inlandsgeheimdiensts aus den Jahren 2006
bis 2011, deren Geheimhaltung gelockert oder aufgehoben
worden war, konnte die Redaktion sich zugänglich machen.
Aus dem
Anhörungsprotokoll einerseits und den Aktenvermerken
andererseits scheint ein flagranter Widerspruch zu
erwachsen. Denn zwar versichert Squarcini gegenüber dem
Untersuchungsrichter, es sei seinen Diensten nicht
möglich gewesen, das Abdriften Mohammed Merahs in immer
gefährlichere Tendenzen zu erkennen. So erklärte
Squarcini am 25. September, es habe an der „Abwesenheit
eines aktivistischen Lebensstils“ gelegen; gemeint ist,
einer erkennbar islamistisch geprägten Lebensführung im
Alltag. Merah habe laut Squarcini „zu jenen Takfiristen
gehört“ – der Name bezeichnet eine Unterströmung der
radikalen Islamisten, von takfir für „zu Ungläubigen
(kafir) erklären“, da ihre Anhänger alle
nicht-fundamentalistischen Moslems pauschal aus dem
Glauben ausschließt - , „die einen westlichen
Lebenswandel an den Tag legen und ihre extremistischen
Gedanken verbergen.“
Genau dies
bestreitet die Zeitung jedoch nach Lektüre der internen
Vermerke des Inlandsgeheimdiensts aus mehreren Jahren
Beobachtung Merahs. Er wurde etwa im Jahr 2010 als
gewalttätig gegenüber zwei Frauen, denen er „mangelnden
Respekt vor ihm als Muslim“ vorgeworfen habe,
beschrieben. Es wird verzeichnet, er betrachte
Videofilme, auf denen man die Tötung von US-Soldaten
durch Djihadisten betrachten könne, und habe sich auf
einem Foto mit einem Messer in der einen und dem Koran
in der anderen Hand ablichten lassen. Im März 2011 wurde
wiederum vermerkt, Merah lebe seit einiger Zeit
„abgeschlossen in seiner Wohnung, er legt großes
Misstrauen an den Tag“. Fensterläden blieben
geschlossen, und er benutze kein Mobiltelefon und keinen
Internetanschluss mehr, die auf seinen eigenen Namen
eingetragen seien. Dies hätte normalerweise die
Alarmglocken schrillen lassen müssen, zumal die Dienste
zu dem Zeitpunkt wussten, dass Merah sich im Herbst 2010
in Afghanistan aufhielt, wo er in der Taliban-Hochburg
Kandahar durch US-Soldaten festgenommen wurde. Kurz
darauf wurde er dringlich zur Ausreise aufgefordert.
Man hätte
mutmaßen können – so schlussfolgert die Zeitung -, dass
Merah sich in einem unkontrollierten
„Radikalisierungs“prozess befand. Zumal er nicht
wirklich so allein agierte, wie im Frühjahr zunächst
angenommen worden war. So hielt er 2011 etwa aktive
Kontakte im britischen Milieu ultraradikaler Islamisten.
Und Ende August dieses Jahres publizierte Le Monde einen
Beitrag unter dem Titel „Ein nicht gar so einsamer
Wolf“, aus dem zu entnehmen war, dass Merah umfangreiche
Telefonkontakte in alle Welt unterhielt. Etwa in
Ägypten, Saudi-Arabien und den Emiraten, aber er rief
auch Nummer in Israel, Kenya oder in Kroatien an. Aus
bislang völlig ungeklärten Gründen auch neun
Telefonnummern im Himalaya-Königreich Buthan.
Warum aber stellte die DRCI sich dann mehr oder minder
blind? Dafür kann es zwei Erklärungen geben, die sich
nicht notwendig ausschließen, auch wenn man
verschwörungstheoretische Erklärungen – der
antisemitische Schriftsteller Alain Soral behauptet etwa
in einem Video auf Dailymotion, Merah sei unschuldig und
alles sei eine Inszenierung der Dienste gewesen –
ausschließt. Zum Ersten waren untergebene Bedienstete
offenkundig der Auffassung, Mohammed Merah „umdrehen“ zu
können, weil dieser sich im persönlichen Umgang so
freundlich und aufgeschlossen geben konnte. Im
Unterschied zu anderen radikalen Islamisten. Hinzu
kommen könnte zum Zweiten, dass auch an der Spitze der
Apparat keinerlei anderen Impulse zum Umgang mit dem
Fall Merah gegeben wurden. War die oberste Leitung der
DCRI doch, vor allem in den letzten beiden Amtsjahren
des damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy, vorrangig mit
anderen Dingen beschäftigt. Man wusste Prioritäten zu
setzen. Squarcini kam besonders dann ins Gerede, als er
im Hochsommer 2010 durch die von ihm persönlich
angeordnete Auswertung von Telefondaten blitzschnell
herausfand, welche Person im Justizministerium zwei
Journalisten von Le Monde über brisante Details im
Umgang mit einer sensiblen Korruptionsakte – dem Fall
Liliane Bettencourt, bei dem auch Sarkozy zu den
mutmaßlichen Nutznießern illegaler Geldflüsse zählte –
unterrichtet hatte. Der Betroffene, David Sénat, wurde
daraufhin in Windeseile von Paris nach Cayenne in
Französisch-Guyana strafversetzt.
Es reicht also
nicht, wenn ein bürgerlicher Staat über gut
ausgestattete Polizei- und Geheimdienstapparate verfügt,
damit diese auch für die offiziell vorgesehenen Zwecke
wie die Verhinderung von djihadistisch motivierten
Attentaten eingesetzt werden. Um ihren ramponierten Ruf
aufzupolieren, haben dieselben Dienste nun allerdings
Anfang Oktober eine präventive Aktion gestartet und in
einem früheren Stadium, als es bei Mohammed Merah war,
gegen mutmaßliche Djihadisten zugegriffen. Am 6. Oktober
fanden vor diesem Hintergrund Durchsuchungen in Cannes,
im ostfranzösischen Strasbourg sowie in Torcy in der
Nähe von Paris statt. Einer der Hauptverdächtigen, der
vor zwei Jahren zum Islam – und dabei ohne Umweg direkt
zum salafistischen Fundamentalismus – konvertierte
frühere Drogenhändler und Kleinkriminelle Jérémy-Louis
Sidney, eröffnete dabei unverzüglich das Feuer auf die
Polizisten und wurde von ihnen daraufhin erschossen. Der
Karibikfranzose, Anfang 30, war im Gefängnis konvertiert
und hatte eine Gruppe Gleichgesinnter um sich geschart.
In einer von ihnen angemieteten Garagenbox in Torcy
wurden daraufhin unter anderem Chemikalien zur
Herstellung von Sprengstoff sowie eine handschriftliche
Liste mit den Adressen jüdischer Vereinigungen
aufgefunden. Eine Woche später weitere Mitglieder der
etwa zehnköpfigen Gruppe festgenommen. Ein Teil des rund
zur Hälfte aus Konvertiten bestehenden Netzwerks ist
jedoch mutmaßlich noch flüchtig, weil mit den
Verhafteten sympathisierende Djihadisten wahrscheinlich
derzeit auf dem Weg nach Syrien oder dort bereits an der
Seite örtlicher Islamisten kämpfen. In ihren Augen ist
die dortige Diktatur nicht nur ein Unrechtsregime – was
zweifellos zutrifft -, sondern besteht zudem aus
Alawiten, also „Häretikern“, die vom wahren Glauben
abweichen.
Wenn ein Apparat zumindest in jüngerer Vergangenheit
eher negative Ergebnisse bei seinen offiziellen Aufgaben
– etwa der Terrorbekämpfung – verzeichnete, was tut eine
Regierung dann? Richtig: Sie stockt seine Mittel auf und
erweitert seine gesetzlichen Befugnisse. Mitte Oktober
verabschiedete der französische Senat ein zusätzliches
neues Antiterrorgesetz, das wohl ab dem 20. November
auch in die Nationalversammlung, also das
parlamentarische „Unterhaus“ kommen wird. Da die
Regierung das parlamentarische Eilverfahren für Notfälle
wählte, ist nur eine Lesung erforderlich.
Der Entwurf
übernimmt nicht die umstrittensten Vorschläge, die die
damalige Rechtsregierung im April, kurz nach den
Mordanschlägen Mohammed Merahs und kurz vor der
Präsidentschaftswahl, noch auf den Tisch gepackt hatte.
So war ieren Vorschlägen für ein neues Gesetzespaket
vorgesehen, auch die BesucherInnen von djihadistischen
Webseiten im Internet zu bestrafen, wie es für die
Nutzer von Kinderpornographieseiten bereits möglich ist.
Dieser Vorschlag hatte allerdings den gravierenden
Nachteil, dass sehr unterschiedlich motivierte Menschen
– von der Hochschullehrerin mit Spezialisierung auf den
arabischen Raum bis zum Journalisten der Jungle World –
solche Seiten auch ohne eigenen djihadistischen Antrieb
besichtigen können. Es drohte also eine
Gesinnungsjustiz, bei der Mutmaßungen über eventuelle
Motive zum Hauptgegenstand und diverse polizeiliche
Erpressungen möglich geworden wären.
Stattdessen
sollen nun aber jene, die solche Seiten betreiben oder
bestücken, einer verschärften Überwachung unterliegen
und für Propagandadelikte bestraft werden können.
Daneben ermöglicht es der Entwurf, die seit dem bisher
letzten Gesetz von Anfang 2006 erlaubte
Vorratsdatenspeicherung von Telefon- und Internetdaten –
die bis dato zuerst auf das Jahresende 2009, dann bis
Ende 2012 befristet gewesen war – um weitere drei Jahre
zu verlängern. Diese Vorratsdatenspeicherung war es eben
auch, die dem Inlandsgeheimdienst das Aufspüren David
Sénats als Zuträger von Journalisten erlaubte. Ferner
soll das Organisationsdelikt der Mitgliedschaft in einer
terroristischen Vereinigung, das keine weiteren
persönlich nachweisbaren Straftaten für eine
Verurteilung erforderlich macht, auch auf rein im
Ausland aktive französische Staatsbürger ausgeweitet
werden. Einer der beiden Hintergründe dabei ist, dass
zwei Franzosen bei den in Nordmali operierenden
Djihadisten verortet wurden, wo sie unter anderem als
Übersetzer zwischen den bewaffneten Gruppen und ihren
französischen Geiseln tätig sind.
Der Gesetzestext sieht ferner vor, die Erlaubnis zur
Durchsuchung von Zügen mit „grenzüberschreitendem
Verkehr“ ebenfalls bis zum Jahresende 2015 zu verlängern
– diese Bestimmung richtet sich nicht gegen
„Terroristen“ (mit oder ohne Anführungszeichen), sondern
gegen Migrant/inn/en. Und Abschiebungen sollen bei
„Terrorverdächtigen“ erheblich beschleunigt werden
können: Die auf Départements- (also bezirklicher) Ebene
angesiedelten „Abschiebekommissionen“, die über
Einzelfälle – unter Berücksichtigung der individuellen
Rechte – zu beratschlagen haben, bekommen künftig nur
noch einen Monat Zeit, um über (auch schwer zu
begutachtende) Fälle zu entscheiden. Treffen sie keinen
Beschluss, gilt die Zustimmung zu einer Abschiebung nach
Ablauf der Monatsfrist automatisch als erteilt.
Editorische Hinweise
Der Text erhielten wir vom
Autor für diese Ausgabe.
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