Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Rechtskatholische fundamentalistische Aktivisten mobilisieren spektakulär gegen „Gotteslästerung“ durch Theaterstücke
Fortsetzung der Berichterstattung vom 1.11.2011
 

11/11

trend
onlinezeitung

„Ich vergebe ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ So reagierte - nicht Jesus Christus, sondern der italienische Theaterregisseur Romeo Castellucci. Er schrieb es in einem Kommuniqué, das am Abend des Sonntag, 30. Oktober 11 veröffentlicht wurde. Darin griff er zwar auch die berühmten Worte auf, die der Begründer des Christentums der Bibel zufolge in seinen letzten Minuten irdischen Lebens aussprach. In Anbetracht dessen, auf wen der Ausspruch aus der Kreuzigungsszene hier bezogen wurde, entbehrte er jedoch nicht der Ironie und des Sarkasmus.

„Sie“, das sind jene sich auf das Christentum berufenden katholischen Fundamentalisten, die seit nunmehr über zwei Wochen in Paris gegen ein Theaterstück Castelluccis mobilisieren. Dass er ihnen verzeihe, begründete der Künstler wie folgt: „Sie haben das Stück nie gesehen. Sie wissen also nicht, dass es spirituell und auf das Christusbild bezogen ist.“ 

Tatsächlich war es nie Castelluccis Absicht, eine gegen das Christentum gerichtete Kunst vorzuführen. Es geht bei dem heftigen, in der Öffentlichkeit ausgetragenen Streit um sein Stück unter dem Namen Sul Concetto di volto nel figlio di Dio („Über das Konzept des Gesichts des Gottessohnes“). Es wurde vom 20. bis  30. Oktober 11 im Pariser Stadttheater aufgeführt, und danach zwischen dem 02. und dem 06. November 11 im Kulturzentrum Cent Quatre im Nordosten der französischen Hauptstadt gespielt. Es zeigt einen alten Vater, der Windeln trägt und seine Exkremente nicht mehr halten kann – es riecht während der Aufführung zeitweilig nach, pardon, Scheibe  -, und seinen Sohn. Beide versuchen, mit dem Älterwerden und dem körperlichen Verfall fertig zu werden und ihnen ins Auge zu sehen. Zwischen beiden entspannt sich ein einfühlsamer Dialog, welcher sich vor einer Nachbildung eines groben Christusgesichts des italienischen Malers Antonnello von Messina, der im 15. Jahrhundert wirkte, unter dem Titel „Der Retter der Welt“ abspielt. Der Autor des Theaterstücks selbst betrachtete dies eher als „eine Art Gebet“ denn eine so genannte Gotteslästerung.  

Völlig anders sehen es jene ultrakatholischen Aktivisten, die das Stück tatsächlich in aller Regel nie oder jedenfalls nie in Gänze gesehen haben. In ihren Augen stellt es schlicht „Blasphemie“ dar, also Gotteslästerung, welche in Frankreich bis 1791 strafbar war und durch die bürgerliche Revolution - früher als in vielen Nachbarländern - entkriminalisiert wurde. Als Grund für diesen Vorwurf genügt die Information, dass in dem Stück Kotgeruch zu vernehmen ist und zudem in der Schlussszene Gemüsestücke geworfen werden: „Das Abbild unseres Gottes“ werde hier „beschmutzt“, tönen sie, wohl  ohne die tiefere Aussage des Regisseurs ansatzweise verstanden zu haben. Es sei nun genug mit der „Beleidigung und Besudelung unserer Religion“, monieren sie, und „andere Religionen“ würden angeblich in Frankreich „viel besser behandelt als unser angestammter Glaube“.  

Bislang war das Stück bereits in einer Reihe von Ländern ohne jegliche Zwischenfälle aufgeführt worden: in Deutschland, Belgien, Niederlande, Norwegen, Grobbritannien, in Spanien, Italien, der Schweiz, in Griechenland, im erzkatholischen Polen und in Russland. Im Juli dieses Jahres war es in Frankreich auf dem Theaterfestival von Avignon gezeigt, jedoch infolge punktueller Kritiken an einzelnen Aspekten vor seiner Aufführung in Paris nochmals abgeändert worden. 

Zunächst hatte die rechtsextrem-katholische Gruppierung AGRIF gerichtlich gegen das Stück vorzugehen und ein juristisches Verbot zu erwirken versucht. Ihre Klage wurde jedoch am 18. Oktober durch ein Pariser Gericht abgewiesen. Ihr Name steht für „Allgemeine Allianz gegen den Rassismus und für den Respekt der französischen und christlichen Identität“; der erste Teil ihres Namens steht dabei ausschlieblich für ihren Kampf gegen einen angeblichen „antifranzösischen, antiweiben und antichristlichen Rassismus“. Einer ihrer wichtigsten Anführer ist der frühere Europaparlaments-Abgeordnete Bernard Antony, ehemals Kopf des katholisch-fundamentalistischen Parteiflügels beim Front National, welcher der Partei jedoch 2006 aus Protest gegen ihre „ideologische Aufweichung“ unter der „Modernisiererin“ Marine Le Pen den Rücken kehrte. Dass die später gewählte Parteichefin zudem eine doppelt geschiedene Mutter dreier Kinder ist, trug zu seinem Abscheu sicherlich noch bei.  

Nunmehr versucht diese Szene also, sich neu zu sammeln und umzugruppieren. Unterstützungen erhielten ihre jüngsten Mobilisierungen aber auch von Bruno Gollnisch selbst, dem im Januar 2011 gescheiterten Anwärter auf den Parteivorsitz des FN, auf dessen Webseite. 

Die Aktivitäten gegen das Stück in den folgenden Wochen wurden vor allem von Aktivisten aus diesem rechtsextrem-katholischen Spektrum getragen. Bemerkenswert ist jedoch, dass es jedoch aus zwei davon sehr unterschiedlichen Spektren politische Unterstützung dafür erhielt.  

Politisch verquere Querfronten  

Zum Einen von den fanatischen Moslemhassern der Webpublikation Riposte Laïque (ungefähr „Gegenschlag des Laizismus“), die sich zumindest verbal auf den Säkularismus berufen, allerdings zum Gutteil in Wirklichkeit unter einem laizistischen Deckmantel einen Kampf für die Verteidigung des - auch christlichen - Abendlands gegen den Islam als eine fremdstämmige Religion führen. Auf ihrer Seite unterstützte etwa Gérard Brazon, ein rechter „Dissident“ der Regierungspartei UMP und aktiver Unterstützer von Riposte Laïque, die Ultrakatholiken ganz massiv publizistisch. Er ereiferte sich auch über die Berichterstattung der bürgerlich-konservativen Tageszeitung Le Figaro, welche sie zu Unrecht als gewalttätig diffamiert habe. Auf der anderen Seite mobilisierten aber auch einige sich auf den Islam berufende Fanatiker für die Unterstützung der militanten Rechtskatholiken. Die kleine Aktivistentruppe Forzane Alizza (ungefähr „Reiter der Würde“), ein Haufen von Operetten-Djihadisten, tauchte jedenfalls an einem Abend vor dem Pariser Stadttheater auf. Und erklärte ihre Unterstützung für die militanten Katholiken mit dem Argument, mit Jesus alias „Issa“ sei auch „ein Prophet des Islam beleidigt“ worden. Und man sei „sehr durch die Liebe zu ihrer Religion, die diese Katholiken bewiesen, berührt worden“. Auf rechtsextremen Webseiten riefen diese scheinbar verwirrenden Konstellationen dann doch einige Konfusion hervor. 

Erstmals wurde die Aufführung am 20. Oktober, dem Uraufführungstag in Paris, durch die Ultrakatholiken gestört. Bereits am Eingang machten rechtskatholische Aktivisten mit Stinkbomben und dem Einsatz von Tränengas auf sich aufmerksam. Gegen 21.30 Uhr drangen neun von ihnen aus den Reihen des Publikums auf die Bühne vor, besetzten diese, rollten ein Transparent mit der Aufschrift „Christianophobie: Es reicht!“ aus und stimmten eine Messe in Latein an. Nachdem sie trotz Aufforderung nicht freiwillig von der Bühne gegangen waren, um bis zum Ende des Stücks zu bleiben und im Anschluss zu diskutieren, rief die Theaterleitung die Polizei herbei, die zwanzig Minuten später eintraf. Nach deren Eingreifen konnte das Stück mit 45 Minuten Verspätung weitergehend. 

Am folgenden Abend ging es bereits beim Eintritt des Publikums los: Dieses wurde durch die Aktivisten nicht nur ausgepfiffen, sondern von einer Empore oberhalb des Eingangsbereichs aus mit Schmieröl und Eiern beworfen. Ferner wurden Flugblätter verteilt oder herabgeworfen. Das Stück konnte mit einstündiger Verspätung gespielt werden. Am 22. Oktober wiederum kam es abermals zu dreibig Minuten Verspätung infolge einer erneuten Bühnenbesetzung durch zwölf Aktivisten. Und an den späteren Tagen eskalierten die Dinge noch: Am Dienstag letzter Woche demonstrierten rund 250 rechtskatholische Fanatiker in unmittelbarer Nähe des Theaters. Aufgrund von Behinderungen des Zugangs griff die Polizei und nahm 140 von ihnen vorübergehend fest, um sie einer Personalienfeststellung zuzuführen. Am darauf folgenden Abend erfuhr das Stück eine zwanzigminütige Unterbrechung, Stinkbomben wurden eingesetzt.  

Strukturen hinter den rechtskatholischen Aktivitäten  

Zu den Störaktionen aufgerufen worden war durch die rechtskatholische Gruppierung Institut Civitas, die rund 1.000 Mitglieder haben soll und der im Jahr 1970 vom fundamentalistischen Rechtsabweichler-Bischof und Kritiker der „innerkirchlichen marxistischen Subversion“ Marcel Lefebvre gegründeten Piusbruderschaft Fraternité Sacerdotale Saint Pie-X (FSSPX) nahe steht. Dieselbe Vereinigung stand bereits hinter Attacken gegen eine Fotoausstellung in Avignon im April dieses Jahres. Regelmäbig mit dabei waren die rechtsextremen Priester Xavier Beauvais und Paul Aulagnier sowie der durch seinen langjährigen Kampf als militanter Abtreibungsgegner bekannt gewordene Xavier Dor. 

Als „schlagender Arm“ dient der rechtskatholischen Brüdersippe dabei die seit Ende 2005 bestehende rechtsextreme Aktivistentruppe Renouveau français (RF). Diese Gruppierung, die aus jüngeren Leuten aus den wohlhabenderen westlichen Vororten von Paris besteht und einige Hundert aktive Anhänger zählen dürfte, bezieht sich positiv auf die Regime von Philippe Pétain in Vichy, Franco in Spanien und Salazar in Portugal.  

Am Samstag, den 29. Oktober 11 kamen – je nach Angaben – zwischen 1.500 (laut Polizei) und „über 5.000“ (laut Veranstaltern) Anhänger zu einer Demonstration „gegen die Christianophobie“ im Pariser Zentrum zusammen. Diese endete mit einem öffentlichen Gebet im strömenden Regen unterhalb der Statue von Jeanne d’Arc am Pyramidenplatz. Die wirkliche Zahl von Teilnehmer/inne/n dürfte zwischen 1.000 und 2.000, und jedenfalls näher bei den Polizei- als bei den Veranstalter-Angaben, liegen. Auch dieses Mal waren wiederum seltsame Phänomene, was die Herausbildung von kleinen Querfronten (am Rande des Aufmarschs) betrifft, zu erblicken: Eine kleine Abgeordnete des antisemitischen doch sektenförmigen, aus Dieudonné-Anhängern und vom Sunnitentum zum Schiismus konvertierten Muslimen bestehenden Parti Anti Sioniste (PAS) nahm an der rechtskatholischen Demonstration teil. Gesamtgesellschaft ist diese üble, stark verschwörungstheoretisch geprägte Sekte allerdings völlig bedeutungslos. Ihre Präsenz trägt jedoch zum allgemeinen politischen Verwirrungs-Salat aus verqueren Ideologien mit bei.  

200 von ihnen (den Rechtskatholiken) zogen im Anschluss zum Protest vor das Stadttheater, wo eine neuerliche Aufführung stattfand. Am letzten Aufführungstag dort, dem 30. Oktober, waren es erneut 200 Protestierer.  

Gegenaktivitäten 

Hingegen scheiterte der Versuch, die Mobilisierung gegen das Stück auch in die Nähe des neuen Aufführungsorts, im 19. Pariser Bezirk, zu exportieren. Fernab vom Stadtzentrum kamen dort am Mittwoch, dem 02. November - dem ersten Aufführungstag - zunächst zwischen 50 und 100 Ultrakatholiken zusammen. Diese beteten vor dem Hinterausgang des Kulturzentrums Cent Quatre, von wo aus die Bewegungen der Schauspieler deutlich sichtbar waren, sangen religiöse Lieder und riefen Parolen wie „Frankreich, Jugend, Christentum!“ In einiger Entfernung versammelten sich unterdessen rund 200 Gegendemonstranten aus allen Spektren der Linken, aber auch einzelnen Gewerkschaften. (Kein ganz schlechter Erfolg angesichts der sehr kurzen Vorbereitungszeit für den Protest.)  

Erstmals war dem Aufmarsch der Rechtskatholiken, die sich in dem eher von Ärmeren und Migranten bewohnten Stadtteil nicht wohl zu fühlen schienen, eine mehrfach stärkere Gegenmobilisierung entgegen gesetzt worden. Am Sonntag, den 06. November 11 wiederholte sich dieses Szenario ungefähr: Rund 100 Rechtskatholiken beteten auf der Rückseite des Kulturzentrums, während rund 150 bis 250 Gegendemonstranten (Anarchisten, Libertäre, NPA) durch den Stadtteil zogen. Angesichts der Tatsache, dass dieses Mal eine erheblich längere Vorbereitungszeit bestanden hatte, kann die Teilnehmer/innen/zahl an der Demonstration jedoch nicht als echter Erfolg bewertet werden.

Am Donnerstag, den 03. November 11 erschien in mehreren gröberen überregionalen Tageszeitungen (,Le Monde', ,Libération' ..) ein Aufruf unter dem Titel „Das Theater gegen den Fanatismus“. Der Inhalt ist nicht allzu bemerkenswert; er ist durchaus korrekt, besteht aber weitgehend darin, die Fakten in Erinnerung zu rufen. Als Solidaritätserklärung ist der Aufruf  selbstverständlich positiv zu würdigen. Unterzeichnet worden war die Petition u.a. durch bekannte Schauspielerinnen wie Juliette Binoche und Sylvie Testud (eigentlich Filmschauspielerinnen), durch den inzwischen berühmten 93jährigen Buchautor Stéphane Hessel („Empört Euch!“), durch den Berliner Theaterintendanten Claus Peymann, durch den Intendanten der Mailänder ,Scala' und den Direktor des Theaterfestivals von Avignon, ...


Vgl. für die Liste der Erstunterzeichner/innen:

http://www.liberation.fr/theatre/01012368207-appel-contre-le-fanatisme
http://www.lemonde.fr/idees/article/2011/10/26/le-theatre-contre-le-fanatisme_1594134_3232.html
 

Sonstige Reaktionen  

Seitens der katholischen Amtskirche verurteilten der Sprecher der Bischofskonferenz, Bernard Podvin, und ihr Vorsitzender – Kardinal André Vingt-Trois – die „gewalttätigen“ Aktionen der rechtskatholischen Fundamentalisten. Hingegen stimmte ihnen der Bischof im bretonischen Vannes, Monseigneur Centène, in einem die Aktivisten ermutigenden Brief an das Institut Civitas ausdrücklich zu. 

Unterdessen zeichnet sich für Dezember 2011 eine weitere Eskalation der Polemiken an. Denn dann läuft im Stadttheater, vom 08. bis zum 17. Dezember 11, das Stück Golgatha Picnic des argentinischen anarchistischen Regisseurs Rodrigo Garcia an. Anders als das Szenario von Castellucci gilt es als tatsächlich antiklerikal; in seiner Ankündigung bei dem Theater heibt es: „Achtung, dieses Stück könnte manche Sensibilitäten verletzen“... Die rechtskatholische Szene läuft sich bereits für eine neue Kraftprobe warm. 

Zuvor wird die Mobilisierung nun auch in die französische „Provinz“ exportiert werden. Am kommenden Wochenende stehen etwa in Rennes in Westfrankreich, wo das Theaterstück von Castelucci nun aufgeführt wird, neue Mobilisierungen der Rechtskatholiken bevor.

Editorische Hinweise
Wir erhielten den Text vom  Autor für diese Ausgabe.