Fit für das Kapital oder Arbeiter_innenselbstverwaltung
Bericht über eine Konferenz und eine Publikum über selbstverwaltete Betriebe

von Peter Nowak

11/11

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Seit dem 3. November ist mit www.workerscontrol.net  eine Webseite online,  auf der Dokumente zum Thema Arbeiterkontrolle  und -selbstverwaltung in Vergangenheit und Gegenwert dokumentiert sind. Zu den internationalen Gründer_innenteam gehören mit Dario Azzellini und Immanuel Ness auch zwei Politologen, die am ersten  Novemberwochenende in Berlin  auf der  von der Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung  organisierten Konferenz „Den Betrieb übernehmen“ zu Wort kamen. 

 „Du brauchst keinen Chef, der Chef braucht Dich.“ So lautete das Motto der Belegschaft der französischen Uhrenfabrik Lip, die in den 70er Jahren ihren Betrieb besetzte und in eigener Regie weiterführte. Diese kämpferische Form ist allerdings längst nicht die Regel, wenn Arbeiter den Betrieb übernehmen, wie auf der Konferenz deutlich wurde .  Kerstin Sack und Klaus Klemisch vom Klaus-Novy-Institut haben mehrere Betriebsübernahmen wissenschaftlich untersucht. Dieser Schritt war ft das letzte Mittel, um die Arbeitsplätze zu retten und sich kein Investor gefunden hat. Mehrarbeit und Lohneinbussen sind keine Seltenheit. Nicht selten findet sich doch noch ein Investor, nach dem die Belegschaft  den Betrieb fit für den  Markt gemacht hat. Walter Vogt von der IG-Metall gab unumwunden zu, dass die DGB-Gewerkschaften durch Betriebsübernahmen den Verlust  ihrer aber auch ein Unterlaufen der Tarife befürchten.  Mittlerweile gäbe die IG-Metall Betriebsinitiativen allerdings Hilfestellung bei den Verhandlungen.

Mit oder ohne Staat?

Deutlich kämpferische Töne schlug der US-Politologe Immanuel Ness an. Er   sieht die Ursprünge der Genossenschaftsbewegung im Kampf der Lohnabhängigen gegen die brutalen Formen des Kapitalismus in den Agrarregionen. Auch in den aktuellen Betriebsübernahmen stehen die  gleiche Verteilung des Gewinns und die Einführung von Elementen in der Selbstverwaltung im Vordergrund. Ness ging auf die Bildung von Genossenschaften im Bereich der    Reinigungsunternehmen und der Kinderbetreuung ein.

Wird der Staat als wichtiger Akteur gesehen oder wird auf die Unabhängigkeit wertgelegt? Diese Frage spielt auch in den selbstverwalteten Betrieben in  Venezuela eine Rolle, über die  der Politologe Dario Azzellini berichtete. Mitverwaltung, Selbstverwaltung und Arbeiterkontrolle, diese unterschiedlichen Formen der Partizipation der Lohnabhängigen existieren in Venezuela nebeneinander. Die Konflikte mit der Politik und Verwaltung sind alltäglich. „Entweder wir machen den Sozialismus selbst oder es wird nicht geben“, ist der aus Erfahrungen gewonnene Leitspruch  der Betriebsaktivist_innen. Vielleicht können sie aus dem Scheitern des jugoslawischen Modells der Arbeiterselbstverwaltung lernen, dass Goran Music von der Universität von Bologna vorstellte. Dort seien  viele Elemente der Selbstverwaltung eingeführt worden, doch das Desinteresse großer Teile der Belegschaft führten schnell zu einer neuen Bürokratisierung.

Camila Harnecker berichtete über die aktuellen Versuche in Kuba, die Wirtschaft   zu entbürokratisieren. Befürchtungen, dass auch dort die Marktlogik Einzug hält, wurde auch vor den Hintergrund der Erfahrungen in der DDR geäußert. Der Wirtschaftshistoriker Jörg Rössler berichtete über Selbstverwaltungsmodelle in der Endphase    der DDR, die bald von den neuen  Herren bekämpft wurden. Während  sich selbst CDU-Wähler_innen in Thüringen für Selbstverwaltung einsetzen, sorgten auch die ab Sommer 1990 einsetzenden Massenentlassungen für ein schnelles Ende solcher Bewegungen von unten. Die Frage ist, warum es in dieser Frage nicht zu Kooperationen mit linken DDR-Oppostionellen wie den Vereinigten Linken (VL) gab, die in ihrem Böhlener Programm ebenfalls für genossenschaftliches Eigentum eintraten. 

 Allerdings  fanden in den letzten 20 Jahren von Bischofferode bis zum Projekt Strike Bike immer wieder mit Betriebsbesetzungen verbundene Abwehrkämpfe statt. Leider   kamen die Protagonist_innen auf der Konferenz kaum zu Wort. Drei Beschäftigte des Pharmaherstellers Jugoremedija berichteten über ihren langen Kampf um die Arbeiterselbstverwaltung. Langfristig gesichert ist der Betrieb  nicht, deshalb suchen die Kolleg_innen auf europäischer Ebene Bündnispartner.  Ein  großer Teil der Referenten hat  Beiträge in der in einer  von der RL-Stiftung heraus gegebenen Publikation    nachgelesen werden. Dort sind auch weitere Texte, die die Ambivalenz der Betriebe in Arbeiterselbstverwaltung verdeutlichen. Nicht wenige Beispiele zeigen, dass die Arbeiter_innen nur Platzhalter_innen waren, die  die Betriebe fitmachten und dann griffen die Kapitalist_innen wieder zu. Es werden auch andere Beispiele genannt, wo die Lohnabhängigen von den Banken und den Konkurent_innen einfach entmachtet und die alten Verhältnisse wiederhergestellt wurden. Interessant sind auch Kooperationen zwischen US-Gewerkschaften und Betriebskollektiven. Deutlich wird, dass ohne einen revolutionären   Bruch, der die kapitalistische Profitlogik außer Kraft setzt, auch Betriebskooperativen immer in Gefahr stehen, bestenfalls Reparaturbetriebe des Kapitalismus zu sein. Trotzdem können sie in konkreten Situationen Kolleg_innen auch eine Hilfe sein.

Die Lektüre der Publikum Luxemburg ist auch deshalb interessant, weil man dort die Argumente einer neuen Generation von   linken Wissenschaftler_innen lesen kann, die sich auf den Marsch auf durch und in die Instanzen macht und sich  dafür das nötige theoretische Rüstzeug sucht. Die viel beschworenen Risse im Staatsapparat sind dann gerade mal so groß, dass dort einige in die mehr oder weniger prekären Posten gelangen kann.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor.

Konferenzbeiträge können hier nachgelesen werden: Luxemburg, 3/211, Den Betrieb übernehmen, 10 Euro, ISBN: 978-3-89965-8583.