Texte
zur antikapitalistischen
Organisations- und Programmdebatte

11/11

trend
onlinezeitung

Es gibt einen Überblick über alle bei TREND 2011 veröffentlichten Texte zur Debatte über Organisation und Programm, angeregt durch die "Sozialistische Initiative Berlin" (vormals Berlin-Schöneberg)

Euroland ist angebrannt

von
Wal Buchenberg

Wirtschaftslage und Wirtschaftsaussichten im Euroland sind so nebulös, dass kein Mensch mehr durchblickt. Wo es möglich ist, dass eine Staatsbank 25 Milliarden in ihren geprüften Büchern verschwinden und wieder auftauchen lässt, was können wir da von der Gründung einer Eurostaatsbank erwarten? Bisher kamen als Reaktion nur Grußworte des US-Präsidenten und ein kurzer Hüpfer des Dax. Und seit der "Drohung" einer griechischen Volksabstimmung ist die Panik bei Politikern und Börsianern wieder da.

Dass der um 200 Milliarden vergrößerte europäische EFSF-Fonds „Finanzhebel“ anwendet, um auf 1000 Milliarden Euro aufgeblasen zu werden, heißt ja nichts anderes, als dass er wie eine Bank funktioniert und wie eine Bank spekuliert. Viel mehr ist nicht bekannt. Selbst die Bankgründer wissen noch nicht, mit wessen Geld sie auf welchen Märkten spielen können. Und da wenig bekannt und noch nichts festgezurrt ist, kann der Deal auch noch platzen.

Europa sei gerettet, hieß es noch gestern. Aber wovor ist Europa gerettet? Da gehen die Meinungen auseinander.
Vor allem sei der Euro gerettet, heißt es. Aber war der Euro überhaupt in Gefahr? Üblicherweise sagt man, eine Währung sei in Gefahr, wenn ihr Kurs gegenüber Konkurrenzwährungen abstürzt. Sofern wir den US-Dollar als Maßstab nehmen, bewegte sich der Euro-Kurs im gesamten Jahr 2011 oberhalb der 1,30 Dollar-Marke. Wer darin eine Gefahr sieht, der sieht das Gras wachsen.

Überhaupt sind Währungsfragen und Umrechnungskurse nur ein Problem für Kapitalisten, die weltweit agieren und Geschäfte machen. Für alle Lohn-, Renten- und Transferempfänger ist es piepegal, ob sie in Pfund, Taler, Mark oder Dollar bezahlt werden. Sie interessiert nur, was und wie viel sie am Ende des Tages für ihr Geld kaufen können.

Wer also wurde gerettet?

Dass der griechische Schuldenstaat gerettet sei, hat niemand zu behaupten gewagt. Ganz im Gegenteil, dass jetzt die Gläubiger Griechenlands auf 50 Prozent ihrer Forderungen „freiwillig“ verzichten müssen, ist das Eingeständnis, dass alle „Rettungsmaßnahmen“ für Griechenland versagt haben.
Ein kurzer Blick auf die folgende Grafik zeigt: Die Staatsschulden Griechenlands sind nicht das Problem, das europäischen Politikern im Magen liegt.

Die Schulden Griechenlands machen mit rund 330 Milliarden Euro gerade mal gut 4 Prozent aller Staatsschulden in Euroland aus. Die griechischen Schulden hätten die in Brüssel versammelten Regierungen aus ihrem „Rettungsfonds“ begleichen oder umschulden können. Nein, Griechenland ist nicht der Problemfall, Griechenland ist der Probefall. Überschuldet ist nicht nur Griechenland sondern alle Eurostaaten. Das Problem für Euroland heißt: Hohe Kreditkosten sind ansteckend.

Bisher sind nur die Kreditkosten für europäische Kleinschuldner gestiegen. Wenn erst die Zinsen und Kreditkosten für die großen Schuldner steigen, dann hilft kein „Rettungsfonds“ mehr. Die großen Schuldner sind Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien. Unter diesen vier steht Deutschland nur deshalb noch gut „in der Kreide“, weil seine Wirtschaft noch positive Wachstumszahlen aufweist, und weil in Deutschland der soziale Protest die Politiker noch nicht unter Feuer genommen hat.

Die wirklichen Probleme kommen erst noch auf den Tisch. In den kommenden drei Jahren werden 1.360 Milliarden Euro Staatsschulden in Euroland fällig und müssen „rolliert“, das heißt durch frische Kredite ersetzt werden. Kein Mensch kann annehmen, dass die neuen Schulden so billig sein werden wie die alten.

Bei den Verhandlungen in Brüssel haben Frankreich, Italien und Spanien die deutsche Regierung mit ins sinkende Boot geholt. Ihre Botschaft an die jetzigen und künftigen Staatsgläubiger hieß: Wir Schuldner stehen alle füreinander ein. Eine beeindruckende Botschaft war das nicht.
Beindruckend war das noch weniger, weil gleichzeitig ein weiterer Schuldenschnitt für die Griechenlandgläubiger beschlossen wurde. Das heißt für alle künftigen Staatsgläubiger: Ein sicherer Schuldner ist Euroland nicht.
Wer kein sicherer Schuldner ist, der muss höhere Zinsen zahlen. Wer höhere Zinsen nicht aufbringen kann, der bekommt keinen Kredit. Das ist die einfache kapitalistische Regel, die von keiner Regierung außer Kraft gesetzt werden kann.
Die wirklich großen Probleme in Euroland kommen ganz schnell auf den Tisch, wenn zu den vielen Schulden auch noch niedrige oder gar negative Wachstumszahlen in Europa hinzukommen.

Ich denke, Euroland ist angebrannt. Der Brand schwelt an vielen Stellen, aber jede neue Krise wird einen Wind entfachen, der die Flammen aus allen Bankfächern und Bankdächern schlagen lässt.
Meint Wal

P.S. Ich denke, das Programm der radikalen Linken sollte um die Forderung ergänzt werden:
- Streichung aller Staatsschulden

Für die Bedienung der Staatsschulden werden in Deutschland heute schon bis zu 20 Prozent der Steuereinnahmen verwendet. Da werden Banken und reiche Staatsgläubiger mit Steuergeldern gemästet.
Die Bedienung dieser Staatsschulden ist unsozial. Das gilt für heute.
Für die Zukunft gilt: Keine revolutionäre Regierung - weder in einer Kommune noch in einem Land, kann und wird die Schulden der vorhergehenden bürgerlichen Machthaber übernehmen.
Wer es ernst meint mit der Losung, "Brecht die Macht der Banken", der kann und muss die Forderung nach Streichung der Staatsschulden befürworten, denn damit wird automatisch ein Großteil des Kernkapitals der Banken vernichtet.

Editorische Hinweise

Den Artikel spiegelten wir von dem Autor betriebenen MARX-FORUM, wo er am 30.10. 2011 veröffentlicht wurde