Zwangsbehandlung – noch immer ein Schlüpfloch offen?
Ein Interview mit Matthias Seibt, Vorstandsmitglied des Bundesverbands Psychiatrie


von Peter Nowak

11/11

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1.) Wie hat das Bundesverfassungsgericht (BVG) n der letzten Woche über  die Zwangsbehandlung von Psychiatriepatienten  entscheiden?

M.S.: Es hat   die medizinische Zwangsbehandlung des Klägers, der wegen einer Straftat in der forensischen Psychiatrie  im Gefängnis sitzt, für unzulässig erklärt. Gleichzeitig stufte es den Passus im baden-württembergischen Gesetz über die Unterbringung psychisch Kranker,  der eine Zwangsbehandlung erlaubt, als mit dem Grundgesetz unvereinbar und deshalb nichtig ein.

2.) Handelt es sich um das erste Urteil des höchsten Gerichts zur Zwangsbehandlung?

M.S.: Nein, bereits im März 2011 hatte es den entsprechenden Passus des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes  das  rheinland-pfälzische Landesgesetz  über den Vollzug freiheitsentziehender Maßregeln  für nichtig erklärt. Auch in diesem Fall ging es um die Zwangsbehandlung.

3.) Stützt sich das Gericht dabei auch auf internationale   Verträge, wie die Menschenrechtskonvention?

M.S: Nein, es stützt sich in dem Urteil ausschließlich auf das Grundgesetz.. Die Zwangsbehandlung ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in die durch Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes geschützte körperliche Unversehrtheit, argumentieren die Richter. Dabei hat sie wohl unser Gutachten überzeugt, in dem wir nachgewiesen haben, wie schädlich die Zwangsbehandlung ist und wie viele Todesfälle daraus resultieren.

4.) Gibt es auch in anderen Bundesländern Gesetze, die die Zwangsbehandlung bisher erlauben?  .

M.S.: Die gibt es in allen Bundesländern und gelten so lange, bis ein Betroffener aus dem jeweiligen Bundesland dagegen klagt. Ein Jurist aus Niedersachsen hat schon erklärt, dass das Maßregelgesetz dort fällt,  wenn ein Betroffener es schafft,  mit seiner Klage  zum BVG zu kommen.

5.) Aber ein generelles Verbot kam aus Karlsruhe nicht?

 M.S.:  Nein,  es hat entschieden, dass die laxe  Praktizierung von Zwangsbehandlungen nicht mehr möglich.  So kann sie nicht mehr wegen einer angeblichen Gefährdung der Öffentlichkeit  angewendet werden. Lediglich, wenn jemand keinen freien Willen mehr besitzt und dadurch auf unabsehbare Zeit in der Psychiatrie bliebe, ist eine Zwangsbehandlung möglich. Wir kritisieren dieses Schlupfloch, dass das BVG noch  für die Anwendung der Zwangsbehandlung offen gelassen hat. Aber angesichts der Tatsache, dass sich über Jahrzehnte nichts in der Psychiatrie verändert hatte, war ein generelles Verbot der Zwangsbehandlung noch  nicht zu erwarten.

6.) Betrifft das BVG-Urteil nur verurteilte Straftäter?

 M.S.: Keineswegs, damit wird die Zwangsbehandlung generell stark eingeschränkt. Also nicht nur der psychisch kranke Straftäter, sondern auch der harmlose Spinner, der aus irgendwelchen Gründen in der Psychiatrie landet, kann in Rheinland Pfalz und Baden-Württemberg und hoffentlich bald auch anderen Bundesländern nicht mehr gegen seinen Willen behandelt werden.

7.) Gibt es für Ihre Organisation in dieser Frage noch Handlungsbedarf?

M.S.: Mehr denn, je . Wir müssen darauf achten, dass nicht durch die Hintertür um den angeblich nicht vorhandenen freien Willen herum, wieder Regelungen getroffen werden, die die alte Praxis der Zwangsbehandlung fortsetzen.  Daher müssen wir auf Kongressen für die Abschaffung kämpfen und Politiker der Landesparlamente von unseren Argumenten
überzeugen.  zu überzeugen versuchen.

8.) Gibt es von einigen Parteien in dieser Richtung Unterstützung?

M.S.: Momentan haben wir auf der parlamentarischen Ebene für unsere Forderung nach einem Verbot der Zwangsbehandlung keine Verbündeten.   
 

Editorische Hinweise
Wir
erhielten den Text vom Autor für diese Ausgabe.
 Matthias Seibt ist Vorstandsmitglied des Bundesverbands Psychiatrie-, die seit Jahren für ein Verbot der Zwangsbehandlung kämpfen.

Siehe dazu auch: Der Streit um den freien Willen