Betrieb und Gewerkschaft

Nachtrag zu den Betriebsratswahlen 2010
Linke Kandidaturen auf offenen Gewerkschaftslisten
 
von Korrespondent Rhein-Neckar

11/10

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In der letzten Avanti haben wir über das Abschneiden linksoppositioneller Listen bei den Betriebsratswahlen informiert. Die linken Oppositionslisten widerspiegeln allerdings nur einen kleinen Ausschnitt der Betriebsratswahlen. Die allermeisten linken und klassenkämpferischen Kandidat­Innen sind nicht über alternative Listen sondern über offene oder offizielle Listen der Gewerkschaften in die Betriebsräte gewählt worden, oft auch über direkte Personenwahl.

Über diese Kandidaturen und deren Erfolg oder Misserfolg gibt es keine Statistiken. Sie werden der jeweiligen Gewerkschaft zugeordnet und tragen damit in der Regel zu deren Wahlerfolg bei. Solche Kandidaturen verlaufen aber kaum weniger konfliktfrei, als dies bei der Polarisierung durch das Aufstellen von Listen der Fall ist, wenn klar und deutlich Position zu bestimmten Konfliktfeldern bezogen wird und es im BR-Gremium hierfür keine Mehrheiten gibt. Schließlich geht es auch hier um Machtstrukturen innerhalb des Betriebsrats/der Gewerkschaft und die politische Ausrichtung der Betriebsrats- und Gewerkschaftsarbeit.

Gegnerin in diesen Auseinandersetzungen ist dann in der Regel eine Betriebsratsmehrheit, die auf Co-Management setzt und diesen Kurs, koste es, was es wolle, gegen jeden Widerstand durchsetzen will. Oft genug wird sie dabei auch noch von der zuständigen Gewerkschaft unterstützt. Wenn man in dieser Situation auf sich alleine gestellt ist, dann wird es besonders schwierig. Die nachfolgenden Beispiele aus verschiedenen Betrieben unterschiedlicher Branchen aus dem Rhein-Neckar-Raum, beschreiben diese Situation.

Beispiel 1: IKEA-Möbelhaus in Walldorf

Die ehemalige BR-Vorsitzende Cordula Becker, die noch vor ca. 1,5 Jahren einen erfolgreichen Kampf gegen ihre fristlose Kündigung geführt hat (wir hatten darüber berichtet), muss sich nun wg. ihrer kämpferischen Haltung als BR-Vorsitzende der neu gewählten arbeitgeberfreundlichen Betriebsratsmehrheit erwehren.

Trotz ihres sehr guten Wahlergebnisses (zweithöchste Stimmenzahl) wurde Cordula vom Betriebsratsgremium nicht mehr zur BR-Vorsitzenden bzw. zur Stellvertreterin gewählt und wurde sogar aus den wichtigen Ausschüssen ferngehalten.

Der Konflikt im Betriebsrat hatte sich schon während des achtzehnmonatigen ver.di-Streiks im Einzelhandel in den Jahren 2007/2008, bei dem Cordula eine herausragende Rolle gespielt hatte, entzündet. Eine Beschäftigtengruppe hatte damals, zum Nutzen der Geschäftsleitung, gegen Cordula als Streikführerin opponiert und, als das nicht erfolgreich war, versucht, den damaligen Betriebsrat absetzen zu lassen. Dies und die nachfolgende fristlose Kündigung von Cordula konnten damals verhindert werden. Bei der Betriebsratswahl haben diese Kräfte nun aber ihre Chance genutzt und die Mehrheit übernommen. Ihr bisher nicht erreichtes Ziel, Cordula auszuschalten, wollen sie nun durch Zermürbung und Isolation durchsetzen.

Obwohl sie in ihrem Kampf gegen die fristlose Kündigung die volle Unterstützung der Gewerkschaft ver.di hatte, ist diese nach dem Ausgang der BR-Wahl und dem Kippen der Mehrheitsverhältnisse nicht mehr vorhanden. Im Gegenteil! Zwischenzeitlich geht man dort auf Distanz zu Cordula. Für wichtige Gewerkschaftsfunktionen wurde sie nicht mehr berücksichtigt. Cordula Becker: „Die wollen es sich offensichtlich nicht mit der neuen Betriebsratsmehrheit verscherzen.“

Beispiel 2: NORA-SYSTEMS GmbH in Weinheim

Ähnliches widerfährt derzeit auch dem ehemaligen stellv. BR-Vorsitzenden von NORA-SYSTEMS Helmut Schmitt. Auch er wurde, trotz hervorragendem Wahlergebnis bei der Persönlichkeitswahl (höchste Stimmenanzahl), vom neuen BR-Gremium (13 Mitglieder) nicht zum Vorsitzenden und auch nicht mehr zum Stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Auch Helmut ist für seine kämpferische Positionen sowohl im Betrieb, als auch in der Gewerkschaft IG BCE bekannt. Insbesondere die letzten 4 Jahre waren sehr konfliktreich bis hin zur erfolgreichen Verhinderung des Verkaufs des Betriebes an einen Konkurrenten durch den damaligen Mutterkonzern Freudenberg. Die Blockade des Industrieparks Freudenberg durch die NORA-Belegschaft hatte damals zum Erfolg geführt.

Bei dieser Auseinandersetzung und auch bei früheren und nachfolgenden betrieblichen Konfliktsituationen hat Helmut immer eine herausragende Rolle gespielt, nicht nur in seiner Funktion als stellv. BR-Vorsitzender sondern auch in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Ortsgruppe Weinheim der IG BCE. Dies hat zu einer Polarisierung im BR-Gremium geführt, die sich weniger unmittelbar gegen die Person von Helmut, der aufgrund seines Rückhalts in der Belegschaft weniger angreifbar ist, als vielmehr auf andere ihm nahestehende BR-KollegInnen gerichtet hat. In der Folge bildete sich ein fraktionelles Verhalten heraus, bei dem die fortschrittlichen Positionen aber leider in der Minderheit waren. In der Gesamtbelegschaft wurde dies aber eher als persönliche Differenzen und nicht als politische Differenzen wahrgenommen.

Als Folge hiervon ist das Ergebnis der Betriebsratswahl zu betrachten. Diejenigen Wahlkandidaten, die für eine kämpferische BR-Politik stehen, sind trotz guter persönlicher Ergebnisse in der Minderzahl geblieben, trotz einer ganzen Reihe insbesondere junger kämpferischer Kandidaten.

Dies hat die alte und neue Mehrheit sofort genutzt, um nun Helmut zu demontieren. Noch vor der konstituierenden Sitzung des neuen Betriebsrats, in welcher der Vorsitzende und stellvertretende Vorsitzende gewählt werden, hatte der ehemalige Vorsitzende, der bei der Wahl nur noch auf Platz 3 gelandet war, an alle BR-Mitglieder appelliert, Helmut Schmitt nur ja nicht zu wählen, weil dies zum Schaden des Betriebes wäre. Bei der nachfolgenden Wahl zum Vorsitzenden wurde diesem Appell mit einer Mehrheit von einer Stimme Folge geleistet und der Wählerwille der Belegschaft auf den Kopf gestellt. Zum neuen Vorsitzenden und Stellvertreter wurden der Sechstplatzierte und der Viertplatzierte gewählt, beides ausgewiesene Co-Manager. Helmut hat diese Vorgehensweise scharf kritisiert und eine persönliche Erklärung hierzu schriftlich veröffentlicht. Trotz der nachfolgenden massiven Proteste aus der Belegschaft ist diese BR-Führung nach wie vor im Amt und lässt nichts unversucht, die Opposition weiter mundtot zu machen.
Aufgrund der Stimmung in der Belegschaft und aufgrund der gewerkschaftlichen Funktion von Helmut hat sich die Gewerkschaft bislang noch nicht klar positioniert. Aber auch hier ist das Bestreben erkennbar, mit der neuen BR-Führung auszukommen.

Beispiel 3: Rhenus Contract Logistics in Mannheim

Aufgrund zersplitterter Betriebsstrukturen, der großen Verbreitung von Leiharbeit, Tarifflucht, fehlender gewerkschaftlicher Organisierung usw. haben es kämpferische Kräfte in dieser Branche besonders schwer, Einfluss zu gewinnen. Das ist auch die Situation bei Rhenus in Mannheim.

Trotzdem gibt es auch dort Gegenwehr gegen die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, Vorgesetztenwillkür und eine Betriebsratsmehrheit, die ihre Hauptaufgabe darin sieht, die Wünsche der Geschäftsführung möglichst weitgehend umzusetzen und das unter weitgehender Nichtbeachtung der gesetzlichen Bestimmungen.

So fanden und finden höchst selten Betriebsratssitzungen statt, Mitbestimmungsrechte werden nicht wahrgenommen oder bewusst über Betriebsvereinbarungen aus der Hand gegeben, gegen ein oppositionelles BR-Mitglied wurde unter Behauptung falscher Tatsachen ein Ausschlussverfahren aus dem Betriebsrat eingeleitet, das aber keinen Erfolg hatte. Vom Betrieb beabsichtig­te Verschlechterungen bei Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen und Einkommen wurden in der Vergangenheit widerspruchslos hingenommen oder sogar vereinbart.

Der ehemalige BR-Vorsitzende, der gleichzeitig auch Wahlvorstandsvorsitzender war, hatte es sogar geschafft, dass aufgrund eklatanter Wahlfehler, die erste Wahl zum Betriebsrat für ungültig erklärt werden musste und dadurch eine zweite Wahl notwendig wurde.

Beim ersten Wahlvorgang der auf einer offenen Liste als Persönlichkeitswahl durchgeführt wurde, hatten insgesamt 11 Kandidaten, davon 3 oppositionelle Kandidaten für den fünfköpfigen Betriebsrat kandidiert. Zwei Oppositionelle konnten die Plätze 1und 2 erobern, der Dritte wurde Nachrücker. Der bei der Belegschaft verhasste alte BR-Vorsitzende kam bei diesem Wahlvorgang zunächst auf den 5. Platz, was sich im Nachhinein aber nicht mehr nachvollziehen ließ und u. a. dann mit die Anfechtung der Wahl ausgelöst hat.

Beim zweiten Wahlvorgang der einige Wochen später ebenfalls als Persönlichkeitswahl stattgefunden hat, kandidierten insgesamt 13 Kandidaten, davon 4 Oppositionelle mit einem eigenen Wahlprogramm. Bei dieser Wahl erhielten ein neuer Kandidat und die ehemalige stellv. BR-Vorsitzende die meisten Stimmen, die Opposition landete auf den Plätzen 3 und 4 sowie in der Nachrückerposition. Der ehemalige BR-Vorsitzende hatte durch die Manipulationen bei der ersten Wahl jegliches Vertrauen verloren und landete abgeschlagen auf dem 9. Platz. Aber wie konnte sich das ursprünglich so gute Ergebnis der oppositionellen Kräfte innerhalb weniger Wochen so verschlechtern? Bei diesem Wahlvorgang waren zumindest keine formellen Fehler gemacht worden und eine Manipulation ließ sich auch nicht nachweisen.

Der Grund ist ganz offensichtlich, dass es Geschäfts- und Personalleitung gelungen ist, vor allem das Klientel der Angestellten zu mobilisieren, um die alten Mehrheitsverhältnisse zu sichern. Ganz gezielt waren auch die ca. 15 Azubis von der Personalleitung angehalten worden zur Wahl zu gehen und dabei nicht die Interessen des Betriebs zu vergessen. Diese Einflussnahme wird jedenfalls auch an der ungewöhnlich hohen Wahlbeteiligung von ca. 95 % deutlich.

Dass mit dem Ausgang der Wahl die Mehrheitsverhältnisse unverändert bleiben, ist bedauerlich. Positiv ist aber, dass im Gegensatz zu vorher, als es nur einen einzigen Oppositionellen im BR-Gremium gab, nun wenigstens zwei Kollegen vertreten sind.

Dass sich die Geschäftsleitung mit dieser Situation aber nicht zufrieden gibt und alles daran setzt, die gestärkte BR-Opposition auszuschalten zeigen die drei Abmahnungen, die einer der beiden Kollegen innerhalb kürzester Zeit erhalten hat. Ihm wird Missachtung von Arbeitsanweisungen und Missachtung der Anweisung eines Vorgesetzten sowie Beleidigung eines Vorgesetzten vorgeworfen. Pikant dabei ist: Bei dem Vorgesetzten, der sich missachtet und beleidigt fühlt, handelt es sich um den Ehemann der neuen Betriebsratsvorsitzenden, die schon im alten BR-Gremium stellv. Vorsitzende war. Dies zeigt, dass die Auseinandersetzungen jetzt erst richtig losgehen werden. Die oppositionellen Kollegen versuchen nun, ihre Position dadurch zu stärken, dass sie die Beschäftigten, soweit möglich, in die Betriebsratsarbeit einbinden. Über den Aufbau einer gewerkschaftlichen Vertrauensleutestruktur soll zudem die Basis geschaffen werden, um zukünftig den Interessen der Belegschaft mehr Gewicht zu verleihen.

Editorische Anmerkungen

Wir fanden dieser Übersicht auf der Website des RSB und spiegelten von dort.