Betrieb und Gewerkschaft

Ausgepresst wie die Zitronen
Beate Klein* arbeitete 14 Monate als Ein-Euro-Jobberin, in einer Kirche in Berlin-Neukölln, jetzt wurde sie vom Pfarrer gefeuert

 
ein RandNotizen-Interview

11/10

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Wie kamst Du zu dem Job, wurde der zugewiesen?

Vom ALG II- Regelsatz kann kein Mensch ein würdiges teilhabendes Leben führen. Nach ergebnisloser Suche nach einer Stelle mit einem auskömmlichen Einkommen blieb mir nur der Niedriglohnsektor- entweder ein Minijob plus aufstockendes ALG II, Leiharbeit oder eben ein sogenannter Ein-Euro-Job. Ich entschied mich gezwungenermaßen für einen Ein-Euro-Job. Zugewiesen wurde mir eine solche Stelle in einer evangelischen Kirche.

Wie viele Beschäftigte gab es denn dort?

Den Pfarrer natürlich und eine halbe Stelle für die Küsterin. Alles andere waren Ein-Euro-Jobber, ca. 18-20 Personen.

Waren das denn zusätzliche Arbeiten, die die Ein-Euro-Jobber verrichteten?

Von Zusätzlichkeit keine Spur. Alles war dabei: Hausmeister-, Handwerker- und Putzarbeiten, Gemeindemitgliederpflege, Gartengestaltungsarbeiten plus Pflege, Seniorenbetreuung, Ausrichten von Büffets, Durchführung von Veranstaltungen aller Art. Und es musste gewährleistet werden, dass Kirche und Cafe von morgens bis abends geöffnet waren. Der ganze „Kirchenbetrieb" wird durch Ein-Euro-Jobber aufrechterhalten und gestemmt. Interessant ist auch, dass die Ein-Euro-Jobber, die größtenteils wohl nicht Mitglieder der Kirche sind, den Gemeindebetrieb erst möglich machen. Eine paradoxe Welt: Als ausgewachsene Atheistin werde ich genötigt, eine Kirchenbetrieb auf den Beinen zu halten!

Gibt es denn dort für die Ein-Euro-Jobber eine Perspektive auf feste Stellen?

Natürlich nicht. Manche sind dort in Folge schon bis zu vier Jahre eingestellt, eigentlich müssten sie eine feste Stelle einklagen. Aber die Kirchen haben ja angeblich kein Geld.

Wie war denn das Arbeitsklima?

Zu Besprechungen waren alle Mitarbeiter dienstverpflichtet. Hinter vorgehaltener Hand äußerten die MAE'ler im Vorfeld die Angst, wieder einen Anschiss zu bekommen. Meistens erfolgte dann auch ein Anschiss des Pfarrers gegenüber
jenen, die Anweisungen nicht befolgt hätten. Manchmal hatte ich den Eindruck, ich bin nicht beim Arbeitseinsatz, sondern in einem Straf- und Erziehungslager.

Wie kam es zu dem Rausschmiss?

In den Besprechungen wurde Gehorsam verlangt und kein Widerspruch zugelassen. Der Auftritt des Pfarrers glich oft dem eines Feudalherren. Als ich in einer Besprechung höflich darauf hinwies, dass bestimmte Anweisungen keine Berechtigung hätten, eröffnete mir der Pfarrer in seiner autoritär dominanten Art, dass er nicht mehr mit mir zusammenarbeiten könne. Das teilte er dem Beschäftigungsträger mit. Der Träger sucht jetzt nach einer Alternative, ich möchte aber nicht mehr in einer Kirche arbeiten.

Wie haben sich die anderen Ein-Euro-Jobber verhalten?

Sie hatten Angst, aufzumucken. Sie werden klein gehalten und lassen sich das leider auch oft gefallen. Aus Angst, den Zuverdienst von 1,50 Euro die Stunde zu verlieren. Wir werden ausgepresst wie die Zitronen. Auch von den Kirchen, die sich als Schützer der Armen aufspielen, aber von der Ausbeutung der Armen profitieren.
 

Editorische Anmerkungen

*) Name von der Redaktion geändert.
Der Artikel erschien in der dritte Ausgabe/11.2010 der RandNotizen
Stadtteilzeitung aus dem Schillerkiez, S. 15f - OCR-Scan red. trend
 

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