Eine deutsche Misere?

von
Harry Waibel

11/09

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onlinezeitung

Mit meinen wissenschaftlichen Forschungsarbeiten über das Scheitern der deutschen Kom­munisten in der DDR gegenüber Neo-Faschismus, Rassismus und Anti-Semitismus in ihrem eigenen Land, habe ich für mich die Position eines marxistischen Historikers gewonnen. Diese Positionierung war auch geschuldet meiner per­sönlichen ultima ratio, und letztlich gewon­nen aus meinen persönlichen und wissenschaftlichen Lernprozessen über den deutschen Faschismus, seinen Massen­morden und seinen poli­tischen Folgen nach 1945.

Bei allen meinen Studiengän­gen, wie auch bei meiner zeit­historischen For­schungsarbeit am Zentrum für Antisemi­tismus­for­schung (ZfA) der TU Berlin, war ich Stipendiat der gewerkschaftseigenen Hans-Böckler-Stiftung, vor der ich, die Gründe da­für sind vielfältig, aber auch aus Angst vor offener oder verdeckter Repression, meine linksradikalen und revolutionären Ansichten verdeckte. Jedoch hat mir das Versteck­spiel am ZfA nichts genützt – im Ge­genteil, ich hatte mich dadurch ar­gumentativ selbst gefes­selt und ele­mentar beschränkt. Die wis­senschaftstheo­retischen Schwierigkeiten der Grundle­gung meiner Arbeit waren darin begründet, dass es bis zum heu­tigen Tag keine historisch-materialisti­sche Analyse der staatssozialistischen DDR gibt, auf der ich meine Forschungsar­beit hätte aufbauen können. Neben dem, wie es wohl auch in an­deren For­schungsstätten üb­lich ist, harten Konkurrenzkampf im Mittelbau um Einfluss, Gel­der und Posten, war ich dort einem Mobbing ausgesetzt, dass darauf abzielte, die von mir ver­wende­ten Begriffe wie Fa­schismus oder Neo-Faschismus zu eliminieren.

Die im ZfA gel­tende, vor­dergründig auf der „Vorurteilsforschung“ basierende Forschungskonzep­tion, ist in Wahrheit eine dem Positivis­mus verpflichtete Ideologie und die wissenschaftstheoreti­sche Ausrichtung dieses In­stituts bei der Erfor­schung des Anti-Semitismus ist auf den Begriff „Rechtsextre­mismus“ fixiert, der als undiskutierbar gilt und der damit zur ideologischen Richtschnur für alle Angehörigen des ZfA gilt. Mit meinem Festhalten am Begriff „Faschis­mus“ bzw. „Neo-Faschismus“ geriet ich au­ßerhalb des vorgegebenen Rahmens und mir wurde fehlerhaftes Verhalten vorgehalten, denn mit meiner Entscheidung zu die­sen Begriffen, wäre ich in die Nähe mei­nes Untersuchungsge­genstandes gekommen, also in die Nähe der marxistisch-leni­nistischen Geschichtsschreibung der Historiogra­phie der DDR.

Gegen diesen Blödsinn kam ich nicht an und ließ mich letztlich wider­standslos aus dem Zentrum für Antisemi­tismus­forschung wegmobben und war doch froh diese unfruchtbare, gar stachelige Atmo­sphäre verlassen zu kön­nen. Bereits wäh­rend meiner Forschungsarbeit zum Neo-Fa­schismus in der DDR konnte ich zwei kleine Auf­sätze veröf­fentlichen, jedoch blieb mir der Zu­gang zu den etablier­ten wissenschaftlichen Zeit­schriften der Historio­graphie komplett ver­schlossen. Ob­wohl die Ergeb­nisse meiner For­schung von substanzieller Bedeutung waren und sind, gab es niemanden, der sie ver­öffentlichen wollte, denn die etablierten Geschichtswissen­schaftler in Deutschland wollten mit mir und meinen For­schungsergebnissen nichts zu tun ha­ben. Inhalt­lich war das auch einer Tatsache ge­schuldet, die es meines Wissens noch nie gege­ben hat in der modernen Geschichtsschrei­bung: Ar­chivmateria­lien, als Hauptforschungsstät­ten für histo­rische Arbeiten, sind in der Re­gel für Jahr­zehnte nicht zugänglich, doch das be­sondere in die­ser Angelegenheit war, dass es bei den Archiven der untergegangenen DDR eine Sonderre­gelung gab und gibt, d. h. diese Ar­chive unterlagen weit­gehend keinerlei Re­striktionen. Allein der Stand der Aufarbeitung der Archi­valien be­stimmt(e) den Zugang. Ich hatte das vielleicht fragwürdige Glück, auf Akten der Partei- und Staatsorgane zugrei­fen zu können, mit deren Hilfe ich Ursachen und Verlauf von Neo-Fa­schismus, Anti-Semitismus und Rassismus in der DDR nachweisen konnte. Für die Zeitge­schichts- und Geschichtsforschung insgesamt war dieser Zustand vollkommen un­gewöhnlich und ich bekam deshalb auch diese Ableh­nung zu spüren, weil mit meiner Arbeit das bisherige Geschichtsbild über die DDR nicht nur für die bürgerliche Geschichtswissen­schaft sondern eben auch für die ortho­do­xen Verteidiger, ehe­malige marxistisch-leninistische Wissenschaftler der DDR, selbst ins Wanken gekommen wäre, wenn sie sich den neuen Ein­sichten geöffnet hätten. Das durfte nicht sein, also wurde meine Arbeit über die DDR kaltge­stellt bzw. in den Untergrund gedrückt.

Dem PapyRossa Verlag, Nachfolger des Pahl-Rugenstein-Verlag, von der SED über einen langen Zeitraum finanziell ausgehalten, gab ich meine überarbeitete Dissertation deshalb, weil ich wirklich geglaubt hatte, dadurch in einen kriti­schen Dis­kurs mit den Nachfolgern der kommunistischen Or­thodoxie kom­men zu können. Dass meiner Forschungsarbeit hier das Gleiche widerfuhr wie in der etablierten Geschichtswissenschaft, hätte ich mir damals beim besten Willen nicht vorstellen kön­nen. So war ich nun Mitte der 1990er Jahre in die Isolation getrieben worden und meine Existenz als Au­ßen­seiter der Geschichtswissenschaft war evident. Allein die Gewissheit, dass meine For­schungsar­beit solide und gewissenhaft aufgebaut und beschrieben war, hat mich dazu ge­bracht meine For­schungen zum Neo-Faschismus, Anti-Semitis­mus und Ras­sismus in der DDR alleine und ohne institutionellen Rückhalt weiter zu betreiben, und trotz der Nieder- und Rückschläge weiterzu­arbeiten.

Die Erkenntnisse aus meiner Arbeit, ich hatte sie in jahre­lan­gen Re­cher­chen in den Archi­ven der DDR, wie z. B. im Jugendarchiv (JA) der FDJ oder dem Zent­ralen Parteiarchiv (ZPA) der SED gewonnen, waren bis dahin so gut wie nicht be­kannt gewe­sen. Außer einem kurzen Text, er bildete den Ausgang meiner Studien, von Konrad Weiß über Skinheads in der DDR, gab es 1990 keine Texte und schon gar keine wissen­schaftlichen Un­tersuchungen zum Thema. In der DDR selbst hatte es keinerlei wissenschaftli­che oder gar jour­nalistische Ar­beiten, weder zum Anti-Semi­tismus noch zu Neo-Faschis­mus oder gar zum Rassis­mus gege­ben. Die Nachrichten zu solchen ge­sellschaftspolitischen Er­scheinungen waren alle­samt verlogen oder wurden gleich in die interne Re­gistratur ver­drängt.

Aus den Grün­den der Geheimhal­tung dieser, für die politische und polizeiliche Elite der DDR äußerst pein­lichen und schließ­lich auch un­erklärlichen Vorgängen, speist sich noch heute das Tri­umphge­schrei der Vertei­diger des unterge­gangen deutschen Sozialismus, wie z. B. von D. Dahn oder G. Pätzold, die heute noch, wider besse­res Wissen, die Existenz des hausge­machten Anti-Se­mitismus, Ras­sismus und Neo-Faschismus in der DDR leugnen kön­nen. D. Joseph, ein ehemali­ger Professor für Rechtswissenschaft in der DDR, ist ein besonde­rer Aktivist in die­ser Riege von Ge­schichtsleugnern, der es in einem Buch mit dem Titel „Na­zis in der DDR“ doch fertig ge­bracht hat, etwa 2/3 lang über ehe­maligen Nazis in der BRD zu schreiben und nur etwa 1/6 des Bu­ches handelt von der ver­sprochenen Thematik. Sie alle ha­ben sich in den öf­fentlichen Diskussionen zu dieser Thema­tik bis in die Gegenwart hinein durchsetzen können, weil sie sich auf eine publi­zis­tische Clique, z. B. Neues Deutschland, junge Welt, Freitag oder edition ost verlas­sen kön­nen, die ihre State­ments verlässlich ab­druckt und die der Gegenseite keinen Raum gibt.

Dieser Kampf gegen die wissenschaftli­che Aufklä­rung über die wahren Verhält­nisse in der DDR begann bereits 1992/93, als in der Mo­natszeit­schrift Konkret, meh­rere ehemalige Wis­sen­schaftler der SED, über Anti-Fa­schis­mus und Anti-Semitismus in der DDR strittig disku­tie­rten. Einer von ih­nen, O. Groehler, hat in zwei längeren Artikeln seine Kritik am Anti-Fa­schismus der SED vorge­tragen und die An­de­ren, unter ihnen der ehemaliger Professor für Ge­schichtswissen­schaft an der Humboldt-Uni­versität Ber­lin, K. Pätzold, vertei­digten den Anti-Faschismus der DDR.[1] Über 10 Jahre spä­ter wurde diese Ausei­nandersetzung fortgesetzt, vor­wiegend im Neuen Deutsch­land, in die junge Welt, im Freitag oder in den Mittei­lungen der Kommunistischen Plattform (z. B. von den Autoren Richter[2], Heuer[3], Dahn[4] oder Bromba­cher[5]). Doch es kam noch härter: Die, zu Tei­len auf meinen zeithistorischen For­schungser­gebnissen basierenden, von der Amadeus-Antonio-Stiftung orga­nisierte, Wander­aus­stellung zur Aufklärung über den Anti-Se­mitis­mus in der DDR: „Das hat es bei uns nicht ge­geben“, wurde von ihnen hyste­risch bekämpft.

Mit ihren Beiträgen verschoben sie die Auseinanderset­zung auf den Vor­wurf hin, die Auf­klä­rung über den Anti-Se­mitismus der SED hätte die Funk­tion, den „anti­fa­schisti­schen Nimbus der DDR“ zu zerstören, lediglich aus ideolo­gi­schen Absichten heraus, würde der Anti-Zionismus in „verkappten Anti­semitismus um­ge­fälscht“ wer­den, um den anti-fa­schistischen Charak­ter der SED zu verfäl­schen und da­mit die DDR insgesamt zu delegiti­mie­ren. Diesen Po­sitionen stellen sie die Viel­falt der anti-faschisti­schen Bemühun­gen in Fil­men, in der Lite­ratur und im Schulunter­richt ent­gegen. Diese Verteidigungsbemühungen sind ab­surd, gibt es doch niemand Ernstzu­neh­menden der be­hauptet, in der DDR hätte es keine An­sätze zur anti-fa­schisti­schen Auf­klärung gege­ben. In schändlicher Weise be­zeichnete Pätzold die historisch-kritische Auf­klä­rungsar­beit über den Verlauf und die Ursa­chen des Anti-Semi­tismus in der DDR nicht nur als Lüge, er zitierte dabei die Bibel (9. Ge­bot) und in einer grob­schlächtigen As­soziation stellte er die Ma­cher der Ausstellung mit dem fa­schisti­schen Lügen­baron J. Goebbels auf eine Stufe.[6] Dass Re­dak­tionen von linken Presseor­ganen ei­nem solchen reakti­onären Unsinn eine publizis­tische Platt­form er­mögli­chen, ist unfassbar und zeugt von einer bodenlosen Verantwortungslosigkeit. Hinzu kommt, dass die autoritäre Aus­richtung die­ser Dis­kussion, mir als kritisiertem Wissenschaftler keine Mög­lichkeit gibt, zur Darstellung mei­ner Thesen.

Es ist jedoch notwendig und richtig zu gleich, die gesellschaft­lichen und staatlichen Verhält­nisse der DDR, einer auf historischen Tatsa­chen beruhenden wissen­schaft­lichen Grundlage, zu kritisieren, ge­rade was die Themen Anti-Se­mi­tismus, Ras­sismus und Neo-Faschismus an­geht. Auch wenn diese Forschung den ortho­do­xen Ver­teidi­gern der unter­gegangenen DDR nicht gefällt, so muss doch darauf hingewiesen wer­den, dass sie, wenn sie ernst genommen werden wollen, histo­rische Tatsachen anerkennen müssen. Dieser Mangel zeigt sich auch darin, dass auf die Viel­zahl der Bei­spiele für Neo-Fa­schismus, Anti-Semitis­mus und Rassis­mus in bornierter Weise entweder nicht eingegangen wird oder das immer wieder auf den Anti-Se­mitismus und Neo-Fa­schismus in der BRD ver­wiesen und die Ausei­nan­der­set­zung damit auf eine Ebene ge­zwungen wird, wo die ver­gange­nen Schlach­ten des Kalten Krie­ges ohne Sinn verlän­gert wer­den. Anstatt das wir darüber dis­kutieren, was am Staatssozia­lismus kriti­siert wer­den muss, wer­den ost-deut­sche Gegenden á la Po­tem­kin aufge­baut, die aus dem Wunsch­den­ken erwach­sen, we­nigsten beim Anti-Faschismus sei al­les per­fekt gewesen. Dass in dieser öf­fentli­chen Debatte noch gar nicht alle ge­schichtswis­sen­schaft­lichen Tatsa­chen zur Kenntnis ge­nommen worden sind, zeigt mit wel­cher hartnäcki­gen und erfolg­reichen Borniertheit hier ope­riert wird, weil man sich vor einem Geschichtsbild fürchtet, dass sich von dem bisher in West- bzw. Ost-Deutsch­land geformten Be­schreibungen wesent­lich abhebt. Zur Frage der Legitimation durch Ge­schichtsschrei­bung ist bei M. Scharrer klar und deutlich formuliert, um was es zu ge­hen hat und was dabei zu bedenken ist: „Es gibt die Auffassung, deren Vertreter glau­ben, Ge­schichtsschreibung müsse ihre Parteilichkeit aus den Legitimationsbedürfnissen und politi­schen Absichten einer Partei oder anderer Inte­ressenver­bände ableiten. Diese Parteilich­keit führt oder verführt dann in aller Re­gel zu mehr oder we­niger eklatanten Geschichtsklitte­run­gen.“[7]

Der auferlegte Bannfluch konnte erst durchbrochen werden, als die Internetplattform www.shoa.de, trend onlinezeitung und die Bremer Stiftung Sozialgeschichte, hier Karl Heinz Roth, 2006 bzw. 2007 in der Rubrik so­zial.geschichte.extra, meine zeithistorischen Texten zur DDR veröffent­lich­ten. Diese Veröffentli­chungen haben die Vertreter der Orthodoxie nicht dazu gebracht ihre falschen Positionen auf­zugeben, noch immer vertreten sie ein gefälschtes, also ideologisches Geschichtsbild der DDR und sie werden, so viel ich weiß sind die meisten von ihnen Mitglie­der der Partei Die Linke, von ihrer Organisation, zumindest öffentlich, ge­deckt. Will diese Partei historische Glaub­würdigkeit gewin­nen, so muss man von ihr fordern, diese Geschichts­klitterung aufzugeben. In und mit diesen Ausei­nandersetzun­gen zur Durchsetzung meiner Er­kenntnisse aus der DDR-Forschung wurde mir klar, und das wäre vielleicht doch noch ein Anlass mich dankbar zu zeigen, dass auf dem Weg zu einer sozialis­tischen Theorie und Ge­sellschaft, auf eine Kritik an der von der kommunisti­schen, d. h. mar­xistisch-leninistischen Orthodoxie geschaffenen Realität nicht verzichtet werden kann. Im Gegenteil – aus den Feh­lern der DDR lernen, heißt siegen lernen!

Anmerkungen

[1] Konkret 5/92 und 3/93, Hamburg1992 und 1993.

[2] Rolf Richter: Antisemitismus in der DDR – Eine Ausstellung und ihre Zwecke, in: Mitteilungen der Kommunistischen Plattform, Juni 2007.

[3] Jens-Uwe Heuer: Strukturelle Einseitigkeit. Anti-Semitismus der Linken? Eine Antwort, in: junge Welt vom 4.7.2007.

[4] Daniela Dahn: Tragödien sind nicht zu Ende, wenn der Vorhang fällt. Wie antisemitisch war die DDR. Die aufklärerische Substanz war offensichtlich wirksamer als alle westdeutschen Versuche, in: Freitag 29, 20. Juli 2007.

[5] Ellen Brombacher: Sie schaute mich an, als sei ich von Sinnen …, in: Mitteilungen der Kommunistischen Plattform, Juli 2007.

[6] Kurt Pätzold: Du sollst nicht falsch Zeugnis abgeben, in: Neues Deutschland, 7. April 2007.

[7] Vgl. Manfred Scharrer: Kampflose Kapitulation. Zur Einführung, in: Manfred Scharrer (Hg.): Kampflose Kapitula­tion. Arbeiterbewegung 1933, Reinbek 1984, S. 12.

 

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel vom Autor zur Veröffentlichung.

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