Betrieb & Gewerkschaft
Nach dem geplatzten Opel-Magna-Deal: Schulterschluss und Schmusekurs

von
Hans-Gerd Öfinger

11/09

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Nach der Entscheidung des GM-Verwaltungsrats, den Verkauf von Opel an Magna-Deal platzen zu lassen, demonstrierten bundesweit an den Opel-Standorten insgesamt 15 000 Beschäftigte für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Gesamtbetriebsratsvorsitzender Klaus Franz forderte mehr Eigenständigkeit für Opel unter dem Dach des Mutterkonzerns GM. Das Scheitern des Magna-Deals stellte auch alle Politiker bloß, die sich vor der Bundestagswahl als Retter feiern ließen.

Doch bei der Kundgebung von rund 10.000 Opelanern am späten Donnerstag Vormitag vor dem Opel-Stammwerk in der Rüsselsheimer Innenstadt war breiter Schulterschluss mit führenden Akteuren der Politik angesagt - frei nach dem Motto: Wir kennen keine Parteien mehr, wir kennen nur noch Opelaner.

Nicole Mey, Vorsitzende der IG Metall-Vertrauensleute im Rüsselsheimer Opelwerk, bemängelte, dass das US-amerikanische Management des Mutterkonzerns durch starre Vorgaben die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft von Opel behindert habe. Die GM-Lenker hätten die Opelaner "jahrelang in Produktion und Engineering gebremst" und den Einsatz von Arbeitskraft und Knowhow für moderne Technologien behindert. Dies gelte für den Export von mottleren und kleinen wirtschaftrlichen Fahrzeugen in die USA ebenso wie in der Frage leichter Bauweise oder der Reduzierung von CO2-Strategien. Das GM-Management habe nun "ein weiteres Jahr Milliarden an Geld verbrannt" und mit leeren Zusagen "Gelder von der Bundesregierung erschlichen". Die Belegschaft werde sich dieses Verhalten nicht gefallen lassen. "Wir lassen uns nicht auspressen wie eine Zitrone!"

Opel-Gesamtbetriebsratschef Klaus Franz stimmte die Belegschaft auf Zusammenhalt und Ausdauer in der neu aufgeflammten Auseinandersetzung ein und appellierte insbesondere an hochqualifizierte Kräfte im konzerneigenen Rüsselsheimer Technologiezentrum, an Bord zu bleiben und sich nicht anderswo einen neuen Arbeitsplatz zu suchen. Die kurzfristig anberaumte Protestversammlung sei "der erste Aufschlag", um Entlassungen und Werksschließungen zu verhindern und die Arbeitsplätze längerfristig zu sichern. "Wir haben Opel vor dem Untergang am 1. Juni vor dem Untergang gerettet und nicht GM", betonte Franz. Es sei unvorstellbar, wie GM mit Gefühlen, Ängsten, Sorgen und Nöten der Beschäftigten gespielt habe. "Hört auf mit dem Geschwätz von der Insolvenz", forderte Franz und lobte rückblickend noch einmal den geplatzten Magna-Deal, der trotz schmerzhafter Einschnitte bei Einkommen, Arbeitsplätzen und Standorten eine "neue Management-Kultur in Europa" eingeführt und neue Entwicklungen begünstigt hätte. GM hingegen wolle die Entwicklung zurückfahren und Technologie aus Europa in die USA transferieren. Die Glaubwürdigkeit des Mutterkonzerns sei durch die jüngste Entwicklung "gleich Null".

Der Betriebsratsvorsitzende lobte das Engagement der Bundeskanzlerin und des hesssischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU). Zwischen ihm und Angela Merkel bestehe ein "Höchstmaß an Übereinstimmung und Schulterschluss", so Franz, der am Mittwoch kurzfristig zu einem Gespräch mit der Kanzlerin nach Berlin gereist war: "Man kann sich aufeinander verlassen." Der Betriebsratschef bezeichnete Kochs Auftritt auf einer IG Metall-Veranstaltung als "nicht gerade alltäglichen" Beitrag zur "Überwindung traditioneller Schubladen". "Klaus Franz hat Komplimente verdient", erwiderte Koch, lobte die "Besonnenheit" und Operbereitschaft der Opel-Beschäftigten im Zusammenhang mit dem geplatzten Magna-Deal und rief die Opelaner dazu auf, weiterhin loyal und geschlossen ihrem Betriebsratschef zu folgen. "Das GM-Management soll ja nicht glauben, deutsche Arbeitnehmer ließen sich als Geisel für Gewinnmaximierung missbrauchen", so Koch.

Frust und Verunsicherung

Rüsselsheims Oberbürgermeister Stefan Gieltowski zeigte Verständnis und Sympathie für Frust, Verärgerung und Verunsicherung der Opelaner und erinnerte daran, dass nahezu 100.000 Arbeitsplätze in der Region direkt oder indirekt vom Rüsselsheimer Opelwerk abhängig seien.
"GM hau ab", hatte sich ein Opelaner auf ein Plakat gepinselt, das in Anlehnung an moderne Graffiti-Kunst unzweideutig dem Mutterkonzern den Stinkefinger zeigte und vor dem Denkmal des Firmengründers Adam Opel als beliebtes Fotosobjekt diente. Selbst angefertige Plakate und Transparente waren auf dieser Kundgebung allerdings rar.

Während die meisten versammelten Opelaner eine Mischung aus Frust und Abwartehaltung an den Tag legten und den Rednern ohne Überschwang Beifall spendeten, hob sich die hessische Linkspartei auf dieser Veranstaltung deutlich von dem allgemeinen Schulterschluss ab. Die Politiker in Land und Bund hätten sich "von GM am Nasenring durch die politische Manege ziehen lassen", kritisierte das Blatt. Es sei ein "schwerer Fehler, dass die Bundes- und Landesregierung 4,5 Milliarden Euro zugesagt haben, ohne sich im Gegenzug dafür eine Beteiligung und Mitspracherechte zu sichern", kritisierte ein Flugblatt, das LINKE-Aktivisten vor Ort verteilten: "Mit einer staatlichen Beteiligung könnten ganz andere zukunftsfähige Wege beschritten und Opel zu einem sozialen und ökologischen Mobilitätskonzern umgebaut werden." Öffentliche Gelder müssten dafür eingesetzt werden, Opel in öffentliche Hände zu überführen und unter die gemeinsame Kontrolle von Bund, Ländern und Belegschaften zu stellen, um den Erhalt des Unternehmens mit allen Standorten und Arbeitsplätzen zu sichern, fordert die LINKE: "Die Bundesregierung sollte sich dabei nicht scheuen, General Motors und die US-Regierung darauf hinzuweisen, dass in Deutschland nach Artikel 14, Absatz 3 des Grundgesetzes eine Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit zulässig ist."

Auf solche Ideen ging aber kein einziger der Redner in Rüsselsheim ein. Noch im Frühjahr hatte Klaus Franz in Beisein der Kanzlerin den Vorschlag einer Staatsbeteiligung mit Sperrminorität wie beim Volkswagen-Konzern gemacht. Davon wollte er jetzt nicht mehr wissen.

Alternativen sind machbar

Wären die Opel-Werke nicht mehr dem privaten Renditestreben ausgeliefert, sondern dem Gemeinwohl verpflichtet, dann könnten ökologisch und sozial verträgliche Automobile oder auch andere Verkehrsmittel und Güter produziert werden. Pläne dafür gibt es und sie ließen sich rasch weiter entwickeln. Bisher war die deutsche Autoindustrie aus Profitgründen ein Bremser bei Umweltauflagen. Wenn Arbeiter, Techniker und Wissenschaftler jedoch ohne Bevormundung von oben Ideen entwickeln und umsetzen können, warum könnten dann nicht im Interesse von Mensch und Umwelt noch bessere, langlebigere und umweltschonendere Autos hergestellt werden? Außerdem können die riesigen Stäbe von Forschern und Entwicklern nicht nur Autos, sondern auch andere nützlichere Produkte konzipieren. Die Firma Opel fing im 19. Jahrhundert in Rüsselsheim mit Nähmaschinen, Weinverkorkmaschinen und Fahrrädern an. Erst später wurden Autos und Flugzeugmotoren gefertigt.

Solange Betriebsrat und IG Metall allerdings das kapitalistische Privateigentum und den Renditezwang akzeptieren und sich von bürgerlichen Politikern in Bund und Land einlullen und loben lassen, weil sie die Belegschaft still halten, drohen uns Entlassungen und Werksschließungen und damit eine Verarmung ganzer Regionen.

Editorische Anmerkungen

Der Artikel erschien am 6.11.2009 auf der Website: DER FUNKE. Wir spiegelten von dort.

Das FUNKE-Flugblatt Opel hat Zukunft – in Arbeiterhand! Umsteuern und umrüsten jetzt! , das am 5.11. verteilt wurde, kann dort gelesen werden.