Daniel Ziethen berichtet für TREND aus Israel

Yom Kippur - Die weltweit größte „Reclaim the Street Party“ endet in rassistischen Riots

11/08

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Yom Kippur, der Versöhnungstag, ist einer der wichtigsten jüdischen Feiertage, an dem es nach religiöser Bestimmung verboten ist zu essen, fernzusehen, elektronischen Geräte zu bedienen, Sex zu haben, Auto zu fahren, zu rauchen. Angeblich fasten bis zu 70% der jüdischen Bevölkerung an diesem Tag und auch sich nicht religiös begreifenden Menschen begehen diesen Feiertag traditionell. Sogar das eher sekuläre Tel Aviv ist autofrei, kein Laden hat geöffnet, man sieht Menschentrauben auf den Strassen und Kinder auf Fahrräder übernehmen die Stadtautobahn.

Man könnte diesen Tag als „Reclaim the Street“ oder „Non Consumers Day“ bezeichnen, da es kein Gesetz gibt, dass z.B. Auto fahren verbietet. Doch der bittere Beigeschmack des „Opiums fürs Volk“ bleibt, denn ohne die religiöse Komponente würde wahrscheinlich niemand freiwillig auf sein Auto oder das Recht auf Shopping verzichten. Ein durchaus sympathischer Tag wenn auch aus pathologischen Beweggründen, sollte man meinen!?

In Akko fuhr am Mittwochabend ein arabischer Bürger auf dem Weg zu seiner Schwester und deren Hochzeitsvorbereitungen durch ein größtenteils jüdisch bewohntes Viertel und wurde von einem wütenden Mob beinahe totgeschlagen. Die Polizei konnte den Mann und seine zwei Freunde nicht vor den Angreifern schützen und riet ihm, wegzurennen. Verletzt durch Steine flüchteten sich die drei auf eine Baustelle: Nur durch das beherzte Handeln eines jüdischen Wachmannes, der sie in seinem Wachhäuschen vor seinen Glaubenbrüdern versteckte, konnte schlimmeres verhindert werden. Die Polizei schaffte es dann, die Verfolgten unbemerkt aus dem Wohngebiet ins Krankenhaus zu schleusen.

Noch in derselben Nacht kam es zu Ausschreitungen von arabischen Jugendlichen, die ein erstes Gerücht um den vermeintlichen Tod des Gejagten aufbrachte. Ebenfalls auf jüdischer Seite versammelten sich Jugendliche die unter Rufen „Tod den Arabern“ zwei Häuser in Brand steckten. Seit vier Tagen nun versucht die Polizei, die Situation unter Kontrolle zu bringen, die israelische Öffentlichkeit ist sichtlich geschockt von den Ereignissen und politische VertreterInnen von beiden Seiten beschuldigen die jeweils andere an den Pogromen schuld zu sein, mitunter durch entgleiste Vergleiche zur „Reichskristallnacht.“

Die Debatte wurde von rechter jüdischer Seite weiter angeheizt, indem zum Boykott arabischer Unternehmer aufgerufen wird, wörtlich „Kauft nur bei Brüdern“ - gemeint ist „Kauft nicht bei Arabern“. Ebenfalls durch Druck von Rechts erfolgte mittlerweile die Festnahme des Fahrers, der nach drei Tagen Inhaftierung nun unter Hausarrest steht, angeklagt der „Missachtung religiöser Sensibilitäten“ und „rücksichtsloser Gefährdung der öffentlichen Sicherheit.“ Nicht nur solche offensichtlichen Verdrehungen der Tatsachen bestimmen die Wahrnehmung, speziell die internationale Presse, respektive die deutsche, wiegt sich in Orientalismus, und kann in der Analyse höchstens einen religiösen Konflikt erkennen.

Die Atmosphäre so genannter Mixed Cities wie Akko, aber auch Jerusalem oder Tel Aviv/Yafo, ist schon lange nicht mehr so harmonisch wie vielleicht vor zehn Jahren, als angeblich Szenen des Zusammenlebens zu beobachten waren, wie Besuche der jüdischen NachbarInnen zu Ramadan, und das Überbringen von Pitabrot von Seiten der arabischen BewohnerInnen nach Pessach. Gegenüber diesem romantisierenden Blick ist der Ursprung der gemischten Städte nicht zu vergessen. Sie entstanden nur dadurch, dass nicht alle arabischen Einwohner vertrieben wurden oder vereinzelt Flüchtlinge zurückkehrten. Die häufig verwendete Terminologie von „Mixed Cities“ und der „Coexistence“, für die Akko angeblich ein Musterbeispiel sei, ist irreführend. Man kann eher von einem getrennten Nebeneinander- als einem Zusammenleben sprechen und auch die scheinbare Idylle, dass jüdische BewohnerInnen im billigeren arabischen Teil einkaufen oder ihren Humus essen, kann nicht darüber hinweg täuschen, dass gegenüber arabischen Bürgern grundlegende Ungleichbehandlungen und allgemeine Ressentiments bestehen.

Vor dem Hintergrund des alltäglichen Rassismus und der stetig wachsenden Teilung aller Lebensbereiche zwischen arabischen und jüdischen Menschen innerhalb Israels kommt die Eskalation jedenfalls nicht überraschend. Ein Phänomen davon ist die erstarkende rechte Jugendbewegung zur „Judaisierung“ der Mixed Cities, eine Siedlerbewegung innerhalb Israels sozusagen. Teilweise bestehen diese direkt aus Siedlern von Gaza oder Hebron und übernehmen in eigens gegründeten Zentren der religiösen Ausbildung, soziale Funktionen in den Gemeinden, aus denen der Staat sich zurückgezogen hat. Akko war eine der ersten Städte in der die Siederbewegung angetreten ist, dieses Vakuum ideologisch zu füllen. Auch in Yafo wurde dieses Jahr ein so genanntes „Jeshiva“ gegründet und in Ramle/Lod ist die „Stärkung und Unterstützung“ der jüdischen Bevölkerung, sprich die Vertreibung der arabischen Bürger, sehr erfolgreich.
Im Unterschied zu orthodoxen Gemeinden besteht hier eine andere Qualität der Mischung aus Religion und militantem Nationalismus, ersteres meist zur Rechtfertigung des Letzteren. Mitglieder dieser Jugendbewegung waren es auch, die entzürnt in der angeblichen Beleidigung ihrer Religion auf den vorbeifahrenden Araber Steine warfen.

Das Problem kann aus linker Perspektive auch als Scheitern begriffen werden, soziale Spannungen und verarmte jüdische Sektoren nicht genügend mit emanzipatorischen Alternativen besetz zu haben. Verschiedene Initiativen versuchen nun mit solidarischen Aktionen in Akko präsent zu sein. Hadasch, die jüdisch-arabische Partei, als auch HaShomer HaZa’ir, eine sozialistische jüdische Jugendbewegung, haben ihre Zelte aufgeschlagen und es gibt zahlreiche Solidaritätsbesuche von linken AktivistInnen, die versuchen Wohnungen, die aus Angst vor Übergriffen verlassen wurden, vor der Besetzung oder Zerstörung durch rechten Schlägertrupps zu bewahren. Für insgesamt 15 Familien ist es aber eher fraglich, ob und wie sie in ihre verwüsteten oder abgebrannten Wohnungen zurückkehren. Kompensationen von staatlicher Seite haben sie keine zu erwarten, der Bürgermeister von Akko, Mitglied der Likud Partei, ist ein Förderer der Siedlungsbewegung und mitverantwortlich für die aktuelle Entwicklung. Die aktuellen Ausschreitungen in Akko werden die Fronten und die ethnischen Identitätszuschreibungen auf beiden Seiten eher verhärten. Plumpe Versuche der Vereinnahmung dürfen natürlich auch nicht fehlen: So meldeten sich Hisbollah und Hamas ebenfalls zu Wort und gratulierten ihren „heldenhaften Brüdern“ zu den Riots gegen die Zionisten. Auf der anderen Seite erneuerte der Parlamentsabgeordnete Liebermann, Teil der Regierungskoalition, seine Forderung des Transfers aller Araber in die Westbank, um sich der „demographischen Zeitbombe“ endgültig zu entledigen.
 

Editorische Anmerkungen

Der Autor stellte uns seinen Artikel für diese Ausgabe zur Verfügung.