Dialog als Selbstzweck
Bundespolizei steckt Flüchtlinge rechtswidrig in Zellen – die Zivilgesellschaft sieht weg

von der Bürengruppe Paderborn

11/08

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Flüchtlinge haben keine Lobby. Wenn ihre Abschiebung kurz bevorsteht, umso weniger. An den Flughäfen, dort wo die Außengrenze der EU weit ins Landesinnere hineinragt, agiert die Bundespolizei weitab kritischer Öffentlichkeit offenbar in einem rechtsfreien Raum. Über Jahre wurden Flüchtlinge vor ihrer Abschiebung in Zellen gesperrt, ohne dass die notwendige richterliche Verfügung eingeholt worden war. Die Grundrechte von tausenden von Menschen wurden verletzt – oder gelten die für Flüchtlinge nicht?

Immer wieder berichteten abgeschobene Flüchtlinge dem Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren“, dass sie vor ihrer Abschiebung auf dem Flughafen in Düsseldorf im Gebäude der Bundespolizei inhaftiert worden waren. Der Verein forschte nach und fragte beim Forum Flughäfen NRW. In diesem Gremium sitzen VertreterInnen der Zivilgesellschaft (Flüchtlingsorganisationen, Kirchen, Wohlfahrtsverbände) gemeinsam mit staatlichen Stellen (ZAB, Innenministerium, Bundespolizei), um über strittige Fälle und Entwicklungen zu sprechen und so zu „verstärkter Transparenz“ beizutragen. Der Moderator des Forums antwortete und beschrieb in seinem Brief genau das, was auch die Flüchtlinge erzählten: „Die/Der Abzuschiebende wird dann in einer Zelle (Gewahrsamraum) eingeschlossen."

Nun versuchte der Verein, mit der Bundespolizei zu sprechen, doch diese blockte ab. Auch ein Besuch des Gebäudes der Bundespolizei am Flughafen war trotz der Unterstützung einer Bundestagsabgeordneten der LINKEN nicht möglich.

Daraufhin erstattete der Verein Anzeige wegen Freiheitsberaubung gegen Bundespoliziedienststellen in ganz Deutschland.

Nun, dass NGOs jahrelang mit der Bundespolizei in einem Gremium sitzen, um über die Einhaltung der Menschenrechte bei Abschiebungen sprechen und nichts von dieser Grundrechtsverletzung mitbekommen haben, mag noch ein verzeihlicher Fehler sein. Aus Fehlern sollte man lernen. Aber anstatt sich nun auf die Seite der Flüchtlinge zu stellen, schweigt die Zivilgesellschaft den Fall tot. Mit stoischer Ruhe versuchen die dialogisierenden Organisationen, den Skandal auszusitzen. Die Kirchenleitungen jedoch geben sich damit nicht zufrieden: sie setzen alle Hebel in Bewegung, um den Verein unter Druck zu setzen, seine Anzeige zurück zu nehmen. Verkehrte Welt?

Beileibe nicht. Die demokratische Konsenskultur bringt es mit sich, dass potentiell kritische Menschen und Organisationen in einer Art „tödlicher Umarmung“ sich selbst mundtot machen, um den „guten Dialog“ mit den staatlichen Stellen nicht zu gefährden. Was – abseits des guten Gesprächsklimas – dieser Dialog für die Situation der Flüchtlinge bringt, bleibt im Dunkeln. Dialog als Selbstzweck.

Doch wenn dieser Selbstzweck sogar mit einschließt, vor Grundrechtsverletzungen die Augen zu verschließen, dann ist das Maß voll. Flüchtlinge brauchen eine Lobby. Und zwar eine, die unabhängig ist.

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir von den AutorInnen zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.

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